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Hazardspiel

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Textdaten
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Autor: Hermann Heiberg
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Titel: Hazardspiel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 48–51
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[48]

Hazardspiel.

Von Hermann Heiberg.

Hin und wieder geschieht es, daß sich plötzlich der Vorhang lüftet, der vor das geheime Thun und Treiben einzelner Menschen oder ganzer Gesellschaftskreise gezogen war, und mit Schrecken sieht die Welt der Ahnungslosen, welche Abgründe sittlicher Verderbtheit sich dahinter verbargen.

Die öffentlichen Prozesse der letzten Jahre haben manche böse Wunde am Leibe unserer Gesellschaft bloßgelegt; nicht zum wenigsten gilt dies von dem Hannoverschen Spieler- und Wuchererprozeß, der noch frisch in aller Erinnerung lebt und der das Glücksspiel mit all seinen verderblichen Folgen und Begleiterscheinungen in so grelle Beleuchtung rückte. Er hat gezeigt, wie die in den Spielstrudel Hinabgerissenen so sehr alle Besinnung und Selbstachtung vergaßen, daß sie mit offenen Augen in die Netze von Gaunern und Betrügern liefen, Unsummen vergeudeten und bei Zahlungsunfähigkeit dem unerhörtesten Wucher in die Hände fielen. Er hat auch solche gezeigt, die auf der schiefen Ebene des Spiels am tiefsten gesunken, auf die Bahn des gewerbsmäßigen Falschspiels geraten waren. Und leider stehen die Personen, die uns der Hannoveraner Gerichtssaal als Angeklagte oder Zeugen kennen gelehrt hat, nicht vereinzelt. Ueberall, zumal in den großen Städten, in berühmten Badeorten und an anderen Vereinigungspunkten der vornehmen Gesellschaft, hat der Spielteufel seine „Höllen“ und fordert er seine Opfer.

Das Bild von Adolf Wald schildert die Aufhebung einer solchen Spielhölle im Westen Berlins. Alle Abstufungen des Schreckens und der Verlegenheit malen sich auf den Gesichtern der Personen, die der soeben an der Spitze von zahlreichen Schutzleuten eingetretene Polizeioffizier sämtlich für verhaftet erklärt. An Flucht ist nicht zu denken. Alle wissen, daß sie sicher umstellt sind, wohl aber sieht man einen, der vor dem führenden Beamten etwas in der Brusttasche versteckt – er weiß, warum! Es sind gezeichnete Karten. Die eigenartigen Schaufeln auf dem Tische aber verraten, daß hier auch Roulette gespielt worden ist. Allerlei zerrissene Zettel liegen am Boden umher, Spielnotizen oder sogenannte „Bons“, Gutschriften über verlorene und ausgeglichene Summen, gewichtige Belege in der Hand des Untersuchungsrichters. Darum ist auch einer der Schutzlezte dabei, sie zusammenzulesen, ehe die Gesellschaft sich von der ersten Verblüffung erholt hat.

Es giebt keine Leidenschaft, die soviel sicheres Unheil mit sich führt wie das Hazardspiel. Es ist eine Verirrung, der jeder von Jugend auf wie einer Gefahr ohnegleichen aus dem Wege gehen sollte. Ausnahmslos wirkt es vernichtend. Es verdirbt den Charakter, ruiniert den Geldbeutel und endigt schließlich mit bitterer Reue und Selbstverachtung, nicht zu gedenken der Verurteilung, die der Spieler in der öffentlichen Meinung erfährt.

„Wenn er nicht hört, nicht spricht, nicht fühlt,
Nicht sieht – was thut er denn? Er spielt!“

So sagt der Dichter.

Mit diesen Worten ist der Spieler gekennzeichnet, und nur in einer Beziehung achtet er auf sich, weiß er sich zu beherrschen. Es gehört zum sogenannten guten Ton, daß er selbst dann keine Miene verzieht, wenn auch das Letzte davonging, Geld, Ehre und Existenz. Aber die Leidenschaft, die in ihm wühlt, prägt sich trotzdem in seinem Gesichte aus. Während der Zeiten, da in Deutschland das Spiel noch öffentlich erlaubt war, habe ich an den Tischen der Spielsäle wahre Raubtierphysiognomien beobachtet. Da waren Hyänen, Füchse, Wölfe, Tiger und sprungbereite Luchse. So frißt die Spielwut das Innere der Menschen an, daß sich der sittliche Zerfall in die Mienen gräbt.

Spielen an sich sei nicht unehrenhaft, erklären die Anhänger des Glücksspiels.

Man könnte ja diesen Leuten vielleicht ihre Ansicht lassen. Hat jemand genügend Mittel, Geld zu verlieren – denn verloren wird es allezeit – so ist das seine Sache, und es ist auch seine Sache, sich mit der Oede und der grenzenlosen inneren Unbefriedigung abzufinden, die stets das Spielen im Gefolge hat.

Aber eine andere Frage ist, ob das Spiel eines sittlichen, von höheren Lebensanschauungen getragenen Menschen würdig ist, ob nicht der Einzelne eine engere Pflicht gegen sich und seine Nebenmenschen hat. Selten wird ein Vermögen erworben durch glücklichen Zufall, meistens nur langsam durch angestrengte gewissenhafte Arbeit. So hängen an dem also Erworbenen Fleiß, Arbeit und Entbehrung, und es ist toller Widersinn, solches um eines kurzen Sinnenreizes willen in die Winde zu verschleudern.

Mancher wird mir widersprechen, wenn ich sage, daß im Spiel immer Geld verloren werde. Dennoch ist es so sehr die Regel, daß die Ausnahmen kaum in Betracht kommen. Der Spieler kann eben von dem Spiel nicht lassen. Nur Einzelne bringen es über sich, zu verzichten, wenn sie eine gewisse Summe drangeben mußten, oder sich zu bescheiden, wenn ihnen ein Gewinn in den Schoß fiel. Das Spielgeld ist einmal heimatlos,

[49]

Die Aufhebung einer Spielhölle im Westen Berlins.
Nach einer Originalzeichnung von Adolf Wald.

[50] es ist treuloser und fahnenflüchtiger als irgend ein Ding in dieser Welt. Spielgeld hat auch für den Spieler ein völlig anderes Gesicht als durch Arbeit erworbenes. In den Spielbädern hatte seiner Zeit das Geld fast keinen Wert. Wenn man von einem bescheidenen Abendessen aufstand, so hatte es ein kleines Vermögen gekostet. Haarsträubende Preise standen auf den Speisekarten.

Ich schließe die kurze Betrachtung mit einem eigenen Erlebnis, so wie es in der Erinnerung vor mir aufsteigt. Es mag allen denen zur Abschreckung dienen, die jemals die Lust anwandelte, einen der geheimen Spielsäle zu besuchen, denen gründlich den Garaus zu machen die Behörden mit unerbittlicher Strenge bestrebt sein sollten.

*               *
*
Bekenntnisse eines Spielers.

Es war weit nach Mitternacht, vor einer langen Reihe von Jahren. Schon seit geraumer Zeit stand ich auf dem Nauheimer Bahnsteig und wartete auf den von Frankfurt a. M. kommenden Zug.

Endlich tauchte die Lokomotive mit ihren roten Augen wie ein schreckhaftes Ungetüm aus der Finsternis auf.

Das immer stärker werdende brausende Geräusch wirkte auf die Nerven und schuf eine fieberhafte Spannung, und erst nachdem ich hastig eingestiegen war und die Thüre hinter mir geschlossen hatte, schlug das Herz wieder ruhiger. Die Lampe war verlöscht und alles lag im Dunkel. Ich suchte mich zurechtzufinden. Aus einer Ecke drüben drang Schnarchen an mein Ohr, und jetzt eben rührte sich auch in meiner Nähe ein Passagier und redete mich ohne Einleitung an.

„Nicht einmal Licht machen die Kerle! Nicht wahr, es war erst Nauheim, wo wir eben hielten?“

Ich bestätigte kurz.

„Ist schon, mit Verlaub zu fragen, etwas dort los? Waren Sie im Spielsaal?“

In meine bejahende Antwort warf der Fremde einen Fluch.

„Niederträchtiges Räuberpack!“ stieß er hervor und holte unter tiefer Erregung Atem.

„Sie meinen?“

„Ich meine das Volk da in Homburg, die Gauner, die einem das Geld aus der Tasche reißen. Ich meine das Spiel – die ganze gemeine Wirtschaft, die öffentliche, welche die Menschen verführt, ruiniert und ins Elend treibt!“

Ich muß gestehen, dieser Ausbruch stieß mich zunächst eher ab, als daß ich mehr zu hören wünschte. Zu unvermittelt eröffnete der Fremde sich mir, dem Fremden. So gab ich denn keine Antwort und eine Pause trat ein, in der jener allerlei Unverständliches vor sich hinmurmelte. Dann aber nahm er von neuem das Wort und sagte in einem weichen Ton:

„Entschuldigen Sie, daß ich mich so ausließ, aber mir ist wie einem Verurteilten zu Mute, und alles einmal vom Herzen herunterzusprechen, was mir fast die Seele abdrückt, ist mir ein Labsal.“ Und dann, als ich etwas entgegnet hatte, was er als eine Ermunterung zum Weiterreden auffassen konnte, sprach der Mann mit gedämpfter Stimme wie folgt:

„Sie hören den drüben schnarchen. Es ist mein Reisekamerad. Er ist’s, der mich vor Jahren zum ersten Mal zum Spiel verführt hat, er ist’s, dem ich all mein Elend verdanke.

Ich bin Kaufmann, lebe in C., habe eine liebe Frau und vier Kinder und gelte in meiner Heimat als ein gutgestellter solider Mann. Ich galt wenigstens als solcher. Die Geschäftsreisenden spüren schon seit Jahren, daß es übel mit mir steht.

Eines Tages lud mich der“ – er zeigte in die Dunkelheit – „mit andern Bekannten in sein Haus und legte nach dem Abendessen ein Spiel auf. Ich weigerte mich, teilzunehmen, aber schließlich ließ ich mich doch überreden und hatte das Glück, mit hundert Thalern nach Haus zu gehen. Als er mich wieder aufforderte, blieb ich fest, einmal, zweimal – endlich gab ich doch wieder nach.

Er hielt wieder eine Gesellschaft – er ist Privatbaumeister und verdient sehr viel – und wieder wurde ein ‚Jeu‘ gemacht. Abermals war mir das Glück hold, und von Stund’ an war ich verloren und verkauft, dem Spiel mit Leidenschaft ergeben. Aber fragen Sie mich nur nicht, wie ich diese sechs Jahre verlebt habe!

Mitten in der Arbeit zog’s mich zu den Karten. In der Nacht träumte ich von Spiel und von Gewinnen. Gespräche, die einen anderen Inhalt hatten, besaßen keinen Reiz mehr für mich, das Interesse für meine Familie, meine Frau, meine Kinder, mein Fortkommen trat in den Hintergrund. Nur möglichst viel Geld für den einen Zweck, für das Spiel, zur Hand zu haben, war mein fortwährender Gedanke. Um dafür größere Summen anzuschaffen, legte ich mich auf Spekulationen. Ich spekulierte in Federn, Wolle, und wiederholt kaufte ich große Posten Nutzholz, obschon ich mich früher nie damit befaßt hatte. Einmal gewann ich durch rechtzeitigen Einkauf von mehreren tausend Faß Sardellen ein erkleckliches Stück Geld, konnte dadurch einen großen Spielverlust decken, hörte aber nicht auf, sondern ging nun zum ersten Mal mit ihm – dem da – auf Reisen – nach Wiesbaden.

Nachdem ich erst am öffentlichen Spieltisch Blut geleckt hatte, war ich ganz verloren. Nur mein Geschmack änderte sich. Das Kartenspiel im Privatkreise übte keinen Reiz mehr auf mich aus. Immer zog’s mich in die funkelnden Säle nach Wiesbaden und Homburg. Das Rollen der Roulettekugel war für mich Musik und die Aufregung des Gewinnens und Verlierens süßeste Kost für meine Sinne.

Ich erinnere mich noch meiner Gefühle und Gedanken, als ich die erste Hypothek auf mein Haus aufnahm – tausend Thaler. Ich wollte damit in Homburg spielen, um, wie ich hoffte, meine bereits nach vielen Tausenden sich beziffernden Verluste zu decken. Da raunte mir eine innere Stimme zu: ‚Thu’s nicht! Noch kannst Du alles allmählich begleichen, noch ist nicht alles verloren. Einige Jahre einigermaßen erfolgreicher Arbeit, und das ins Wanken geratene Gebäude steht wieder fest.‘ Aber wie mit Magneten zog’s mich fort und meine ‚kinderhaften Bedenken‘ schlug der, der da jetzt so ruhig schlafen kann, rasch zu Boden. Ich war ihm bequem. Ich war sein Sündenbruder, er mochte nicht allein reisen. Natürlich verlor ich die tausend Thaler und – lieh mir nun von ihm noch sechshundert. Die gingen auch fort.[1]

Wie vernichtet reiste ich damals zurück und schwur mir, nun nicht wieder zu spielen. Nie, niemals!

Es ging auch längere Zeit. Freilich, das Groschenverdienen, wo es solche Ausfälle zu decken gab, war eine harte, schwere Probe! Und wieder kamen die Furien. Wieder gaukelten sie meinem Gehirn heiße Bilder vor von raschem mühelosen Gewinnen in großem Stil. Ein guter Griff und ich konnte gerettet sein!

So nahm ich denn weitere dreitausend Thaler auf meinen Besitz auf.

Diesmal reiste ich allein in aller Stille. Meine Glieder zitterten, als ich in den Spielsaal trat, meine Hände flogen, als ich zum ersten Mal wieder auf eine Nummer im Roulette setzte. Ich setzte auf einundzwanzig, auf meinen Geburtstag. Die Kugel rollte, ich hörte den Croupier rufen, die Harke erschien – mein Einsatz ging dahin. Und so fort und so fort, bis das Letzte verloren war. Die Bank gab mir damals Geld, damit ich zurückkehren konnte. Dennoch und trotzdem hätte ich mich retten können, wenn ich jetzt innegehalten hätte.

Da kam aber der da drüben wieder mit hundert Worten und Einreden. Und wiederum ergab ich mich dem alten Teufel, nun merkwürdigerweise mit ziemlich bedeutendem Gewinnüberschuß herauskommend. Viermal im Jahre war ich fort. Ich probierte wechselnd das Glück, bald da, bald dort, bald mit dem einen, bald mit dem andern Spiele. Jetzt aber – ich habe diesmal in Homburg nicht einen einzigen Treffer, sondern nur Verluste gehabt – bin ich so weit, daß ich nicht nur keinen Pfennig mehr besitze, sondern 26000 Thaler Schulden habe, nicht zu rechnen das, was der da mir geliehen hat. Er war auch schon mehrere Male völlig ruiniert, hat sich aber im letzten halben Jahre durch eine Erbschaft wieder in die Höhe gebracht und diesmal sehr viel gewonnen.

Von diesen 26000 Thalern sind 6000 Thaler in den nächsten Tagen auf Wechsel fällig, und wenn er, der es kann, mir morgen früh sie nicht giebt – bis jetzt weigert er sich – dann – –“ Er hielt inne, fast atemlos. Gerade in diesem Augenblicke erwachte der Schläfer, aber auch der Tag war erwacht, und als ich die Gardinen lüftete, brach eben wie ein reiner unschuldiger Engelsblick die Sonne hervor.

Noch schaudernd über das, was ich gehört hatte, wandte ich [51] den Blick hinaus, und erst allmählich konnte ich mich überwinden, mir den Verführer und den Verführten näher anzusehen.

Ich habe selten einen unangenehmeren Eindruck empfangen.

Der Baumeister hatte grobe sinnliche Züge. Er war gekleidet etwa wie ein Pferdehändler und fortwährend beschäftigt, seinem Körper eine möglichst bequeme Stellung zu verschaffen.

Der andere war klein, hatte einen dichten Bart, der seine Züge versteckte, machte aber einen sympathischen Eindruck und war gewählt gekleidet. Nur die ängstlich unruhigen Augen verrieten, was in ihm vorging.

Als wir in Kassel ankamen, fand, wie ich sah, gleich eine heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden Freunden statt, die mit den Worten des Baumeisters endete:

„Na, komm’ nur erst ’mal mit hinauf nach Wilhelmshöhe. Was willst Du Dir den schönen Pfingsttag verderben! Wir nehmen einen Wagen und trinken oben Kaffee.“

Und so geschah’s. Aber vorher hatte auch ich noch eine kurze Aussprache mit dem mein Mitleid tief erregenden Fremden.

„Wie ist’s? Will er Ihnen helfen?“ hob ich an.

„Nein – er will nicht, obgleich er gegen 11000 Thaler gewonnen hat. Er will auch nicht mit nach C. zurück. Er will noch einmal nach Homburg.“

„Also nichts zu machen? Sie armer Mann –“

„Ja, arm –! Aber wissen Sie was? Wenn der Kerl mir nichts giebt, nicht wenigstens die Hälfte, dann versetze ich ihm da oben eine Kugel, erst ihm und dann mir. Leben soll er auch nicht!“

„Um Gotteswillen, Sie sind nicht bei Sinnen! Beruhigen Sie sich und bedenken Sie, was Sie thun wollen! Reden Sie ihm noch einmal zu! Ueberlegen Sie ein Darlehnsgeschäft auf Abzahlungen –“

Diese und andere Worte blieben zwar nicht ohne Eindruck auf den Unglücklichen. Dann aber schüttelte er doch wieder den Kopf, und ein so verzweifelter und zugleich erregter Ausdruck trat in seine Mienen, daß mir schier unheimlich zu Mute wurde.

Eben trat polternd der Baumeister herzu, mahnte, vorwärts zu machen, und fragte mich, ob ich mich nicht anschließen wollte.

Erst zögerte ich. Ich war schläfrig, wollte eigentlich einen Gasthof aufsuchen und erst im Laufe des Tages die Wilhelmshöhe besuchen. Aber Menschenpflicht, Sorge um den unglücklichen verwirrten Mann bestimmten mich, Ja zu sagen.

Während wir hinauffuhren, traten wiederholt Bettler an uns heran. Ich gab, der Baumeister verweigerte, der dritte suchte nach einem Geldstück, ohne eines zu finden. Der Baumeister schwatzte alles mögliche, erzählte mit umständlicher Breite, wie billig er sich den Anzug, den er trug, gekauft habe, und dergleichen mehr. Er schien schmutzig geizig zu sein; nur beim Spiel riß er alle Taschen auf. Wiederholt erklärte er auch seinen Entschluß, am Nachmittag nach Homburg zurückkehren zu wollen.

Er sah nicht die in wundervollem grünen durchsichtigen Frühlingsschmuck prangenden Bäume, nicht die Lichter, welche die Sonne verschönend und verklärend hineinwarf, er achtete nicht auf die kleinen Morgensänger, er sah nichts von der Pracht, die uns entgegentrat, wohin wir blickten. Aber ich schaute auf alles und auch auf den geknickten Mann, dem plötzlich, obschon er es zu verbergen suchte, eine Thräne unter die Wimpern trat. Ob er der Seinen gedachte, die arglos an diesem Festtage aufwachen, den Daseinsfreuden sich hingeben und – vielleicht durch eine entsetzliche Nachricht in Dunkel und Verzweiflung hinabgestoßen werden würden?

Erst als wir im Freien saßen, schien seine Seele wieder aufzuleben, und fast munteren Sinnes trat er, einen gleichgültigen Vorwand vorschützend, hinüber in das große Logierhaus. Da ich ihm aber nicht traute, weil gerade seine heitere Miene meinen Argwohn hervorrief, eilte ich ihm bald nach, trat ins Gastzimmer, hörte, daß er einen Cognac getrunken habe und hinten zum Hause hinausgegangen sei. Doch so viel ich mich auch umschaute, so eifrig ich auch suchte, ich fand ihn nicht und mußte endlich in beispielloser Spannung an unseren Tisch zurückkehren.

Wenig später brachte der Kellner dem Baumeister ein Blatt, in das dieser hineinschaute mit einem Blick der Erstarrung – fast zu gleicher Zeit ertönte hinter den Bäumen ein Schuß, und wir beide jagten, von einer wahnsinnigen Unruhe erfaßt, in der Richtung dahin, wo er gefallen. –

Ich habe in des Toten Angesicht geschaut und den Ausdruck nie vergessen. Es lag darin eine grausige Abwehr, gleichsam eine stumme Anklage gegen den, der ihn in den Tod getrieben. Ich habe nicht in das Briefblatt geblickt, da jener nicht den Mut besaß, es mir zu zeigen, ich sah jedoch an den fliegenden Gliedern und an den entsetzlich verstörten Mienen, daß sich die rächenden Furien ihm bereits an die Fersen geheftet hatten.

Lange blieb mir der Eindruck dieses Vorfalles. Ich konnte das grauenhafte Bild des Mannes mit dem zerschossenen Schädel nicht loswerden, und was ich erlebt, hat mich in der Folge vor jeder Versuchung behütet, nach einer Karte zu greifen, die für ein Hazardspiel gemischt war.

Zufällig habe ich später noch einmal von dem Baumeister gehört. Ein paar Jahre nach jenem Vorfall hat auch er auf ähnliche Weise wie sein einstiges Opfer geendet.


  1. WS: Fehlender Punkt ergänzt.