Heilung und erste Hülfeleistung bei Knochenbrüchen
Verzweifeln möchte man über das abergläubische Vertrauen, welches verständige Menschen auf die Heilmacht von allerhand Personen und allerlei Dingen setzen. Gegen die Thatsachen, welche ganz klar beweisen, daß in unserm Körper fast alle Krankheiten ohne jedweden Arzneikram und Hokuspokus, nur durch die schon so oft besprochenen Naturheilungsprocesse (siehe Gartenlaube Jahrgang 1855 Nummer 25 und 1862 Nummer 13) gehoben werden, wehrt sich die große Menge, ebenso der Aerzte wie Laien, mit Händen und Beinen, nur um nicht aus ihrem bequemen, aber verdummenden Aberglauben gerissen zu werden. Von leicht ansführbaren Versuchen, durch welche man ganz sicher hinter den Blödsinn der verschiedenartigsten Heilmethoden und Charlatanerien kommen könnte, will die abergläubische Mensch- und Arztheit durchaus nichts wissen, denn sie befindet sich ruhiger bei ihrem blinden Vertrauen auf unnatürliche und unvernünftige Heilmächte.
Hat denn wohl schon einmal einer von den fanatischen Anhängern und Lobhudlern der homöopathischen Heilkünstelei das ganz gefahrlose Experiment mit Chinarinde nachgemacht, auf welches doch Hahnemann die Homöopathie gründete? Nein! Einer schlabbert’s dem Andern nach, daß China bei einem Gesunden einen dem Wechselfieberanfalle ähnlichen Zustand erzeugt und daß deshalb, weil diese Rinde Wechselfieberanfälle wirklich unterdrückt, die homöopathische Heilmethode auch ihre volle Berechtigung habe. Daß aber die Erzeugung eines wechselfieberähnlichen Zustandes durch die China gar nicht zu ermöglichen und Hahnemann’s Behauptung: „Aehnliches heilt Aehnliches“ geradezu Unsinn und Lüge ist, davon wollen sich die meisten, auch sonst ganz vernünftige Leute durchaus nicht überzeugen, obschon dies so leicht wäre. Und ein solches unvernünftiges Sträuben gebildeter Menschen gegen eine vernünftige Aufklärung über ihr körperliches Heil sollte die Anhänger des Fortschritts nicht zur Verzweiflung bringen? Am Menschenverstande sollte man nicht irre werden, wenn man diese heillose Lutze’-, Lampe’-, Laurentius’sche Wirtschaft mit ansehen und die Hoff’sche Malzextract-Geldmacherei in allen Zeitungen gelobhudelt lesen muß?
Man lasse sich’s doch ein für allemal gesagt sein: wo immer in einem kranken Körper Heilung eintritt, da half der Naturheilungsproceß (oft selbst trotz der unsinnigsten Curirerei), und die Macht eines wissenschaftlich gebildeten Arztes besteht blos darin, diesen Proceß durch diätetische Hülfsmittel zu unterstützen. Nur in sehr wenigen Fällen lassen sich durch Arzneistofle (niemals aber in homöopathischer Gabe), Beschwerden lindern oder beseitigen.
Was der Naturheilungsproceß zu leisten im Stande ist, zeigt sich, und zwar auch dem blindesten und vorurtheilvollsten Homöopathen, am deutlichsten bei äußern Schäden. Betrachten wir z. B. einmal den Heilungsproceß bei Knochenbrüchen.
Zum bessern Verständniß desselben sei aber vorher kurz des Knochens im Allgemeinen und seiner Umgebung gedacht. Letztere besteht gewöhnlich aus Muskeln (Fleisch) und Zellgewebsgebilden; der Knochen enthält in seinem Innern mit Mark (Fett) erfüllte Hohlräume und hat an seiner äußern Oberfläche einen sehnigen Ueberzug, die Knochenhaut. Alle diese genannten Theile besitzen eine größere oder geringere Anzahl der feinsten Blutröhrchen.
Zerbricht nun ein Knochen, so zerreißt natürlich gleichzeitig mit der Knochenhaut, in der Regel auch eine stärkere oder schwächere Portion der fleischigen und sehnigen Umgebung desselben, und aus den verletzten Blutröhrchen nicht nur dieser zerrissenen Theile, sondern auch des zerbrochenen Knochens und seines Markes selbst, läuft mehr oder weniger Blut heraus, welches sich ebenso rings um die Bruchstelle, wie zwischen den Knochenstücken und im Markcanale ansammelt, theilweise flüssig bleibt, zum größten Theile aber gerinnt und allmählich, schneller oder langsamer, wieder weggesogen wird. Kurze Zeit nach diesem Blutaustritte zeigt sich, in Folge der Reizung und gesteigerten Blutfülle in den umliegenden Blutröhrchen, eine flüssige Ausschwitzung von schnell gerinnenden Blutbestandtheilen. Das Ausgeschwitzte kommt zuerst in den Weichtheilen äußerlich rings um die Bruchstelle und an der geschwollenen Knochenhaut zum Vorschein und bildet hier eine Geschwulst von dichter speckiger Masse, welche, sehr fest mit der Beinhaut verschmolzen, die Knochenstücke wie eine Kapsel oder Zwinge umfaßt und so mit einander vereinigt. Diese anfangs weiche Zwinge (äußerer, zeitiger oder provisorischer Callus) wird allmählich immer härter, knorplig und endlich theilweise knöchern. Innerhalb dieser Zwinge bildet sich nun erst zwischen den Knochenenden, ganz besonders aber vom Marke aus, eine sofort verknöchernde, die getrennten Knochenstücke innig verbindende Ausschwitzung (innerer, späterer oder definitiver Callus). Nach Wiederherstellung der gehörigen Festigkeit durch knöchernen Callus schwindet allmählich der größte Theil des viel zu reichlich abgesetzten Verbindungsmaterials, besonders der Zwinge, fast vollständig, und der Knochen bekommt dadurch seine natürliche Gestalt wieder. Auch im Innern des Knochens stellen sich die Markräume wieder her.
Wenn dieser Heilungsproceß naturgemäß und ungestört verlaufen kann, so heilt beim Erwachsenen (auch im Alter) ein Oberschenkelbruch [12] in etwa 10 Wochen, ein Oberarmbruch in 5 Wochen, ein Unterschenkelbruch in 8 und ein Unterarmbruch in 5 Wochen, ein Rippenbruch in 3 und ein Schlüsselbeinbruch in 4 Wochen. Natürlich können aber eine Menge von Umständen und Verhältnissen, die entweder auf den Zustand des ganzen Körpers oder nur des verletzten Theiles Einfluß auszuüben im Stande sind, den Heilungsproceß verzögern. – Bei Kindern heilen Knochenbrüche viel schneller, fast in der Hälfte der oben angegebenen Zeit, als bei Erwachsenen.
Die ersten Hülfeleistungen bei Knochenbrüchen, welche gar nicht selten auf die spätere Heilung gut oder schlecht einwirken können, lassen den Verunglückten in der Regel Laien angedeihen, und deshalb sollen hier die dabei zu befolgenden Grundsätze kurz besprochen werden. – Was zuvörderst einen Knochenbruch vermuthen läßt, ist die große Schmerzhaftigkeit an der Bruchstelle, sodann die Unfähigkeit, das verletzte Glied zu gebrauchen, sowie die widernatürliche Beweglichkeit und Mißgestaltung (Verkürzung, Verdrehung) des gebrochenen Knochens. Für den Chirurg ist auch noch das eigenthümliche Knarren, die Crepitation, von Bedeutung, welche durch das Bewegen der Knochenbruchflächen an einander entsteht.
Was nun den Transport des Verletzten betrifft, so ist dieser vorzugsweise bei Brüchen von Rumpf- und Beinknochen von Wichtigkeit. Denn bei Brüchen am Arme weiß sich der gehende oder fahrende Kranke in der Regel selbst zu helfen, indem er das verletzte Glied durch den andern, gesunden Arm so lange unterstützt, fest und ruhig hält, bis ein Verband angelegt werden kann. Erleichtern läßt sich diese Untersuchung durch eine Schlinge (Mitella), welche um das verletzte Glied und den Hals geschlungen, und aus einem Handtuche oder großen dreizipfligen Halstuch gebildet wird, dessen Enden am Nacken zusammengebunden werden. Man achte hierbei darauf, daß diese Schlinge vorn an der Brust nicht zu hoch hinauf oder zu tief herab reiche, sondern dem Arm eine recht bequeme Lage gestatte.
Bei Beinbrüchen kommt der Verletzte bisweilen auch in den Fall, sich ohne Beihülfe selbstständig eine kurze Strecke weit fortbewegen zu müssen. Dann kann er dies nur dadurch bewerkstelligen, daß er auf dem Boden sitzend (gewöhnlich rückwärts) fortrutscht, indem er sich theils mit den Armen, theils mit dem unverletzten Beine behutsam fortschiebt und das gebrochene Glied nachzieht. Wäre noch Jemand zur Hand, dann kann dieser das gebrochene Glied durch seine Hände oder ein Bretchen, ein Tuch etc. unterstützen, muß dabei aber den Bewegungen des Verletzten mit großer Vorsicht folgen. – Auch das Aufheben des Verletzten von der Stelle, wo er liegt, auf ein Transportmittel, wie auf eine Trage, Bahre, einen Wagen, einen Schlitten, ein Bret, eine Matratze, einen Strohsack u. s. f., verlangt außerordentliche Behutsamkeit, damit nicht bloß großer Schmerz, sondern auch eine gefährliche Verschiebung des zerbrochenen Knochens vermieden werde. Meist sind mindestens vier Personen zum sichern Aufheben nöthig, von denen zwei das gebrochene Bein in seiner ruhigen Lage sichern, während die andern Beiden den Rumpf des halbsitzenden und seine Arme um den Nacken der Tragenden legenden Kranken in der Weise erheben, daß sie ihre Hände unter den Rücken und das Gefäß desselben schieben. Natürlich müssen beim Aufheben und Forttragen des Kranken alle dabei behülflichen Personen ganz gleichmäßig (am besten auf Commando) und so behutsam als möglich handeln. Ebenso muß das Niederlegen des Verunglückten sehr vorsichtig geschehen. Von großem Vortheil ist es, wenn beim Aufheben und Fortschaffen des Kranken das gebrochene Bein auf ein Bret von der Länge des ganzen Beines gelegt und locker befestigt wird. Im Nothfalle, wo blos eine Person zum Fortschaffen des Kranken vorhanden ist, läßt sich dies nur dadurch ermöglichen, daß letzterer von ersterer mit herabhängenden Beinen auf dem Rücken fortgetragen wird. Stehen zwei Personen zur Verfügung, dann kann der sitzende Kranke seine Arme um die Nacken der Träger legen, und diese fassen sich einander unter dem Gesäße und Oberschenkeln desselben fest bei den Händen. Ein Stuhl, auf welchen der Kranke gesetzt werden kann, erleichtert den Transport, nur muß auch dabei stets die größte Aufmerksamkeit auf das gebrochene Glied verwendet werden, damit dieses keine Erschütterungen, Schwankungen und Verschiebungen erleide.
Das Entkleiden des Verletzten, welches mit der größten Vorsicht und erst dann geschehen muß, wenn derselbe an den Ort seines Bleibens gebracht und auf eine feste Unterlage gelegt worden ist, fange an den unverletzten Theilen an und bestehe am verletzten Gliede im Aufschneiden oder Auftrennen der Nähte der Kleidungsstücke, doch geschehe dies stets mit der größten Behutsamkeit, damit ja keine Erschütterung und Verschiebung des Bruches stattfinde. Durch geronnenes Blut angetrocknete Kleider sind durch Wasser anzufeuchten und dann nach ihrer Aufweichung sanft abzulösen. Am besten ist es, wenn das Entkleiden den Aerzten überlassen wird.
Die vorläufige Lagerung des Verletzten bis zu der Zeit, wo der Arzt ein kunstgerechtes Lager bereitet, ist bei Beinbrüchen so einzurichten, daß der Verletzte so wenig als möglich Schmerz empfindet und das gebrochene Glied eine bequeme und sichere Lage einnehmen kann, welche eine Verschiebung des gebrochenen Knochens nicht aufkommen läßt. Am brauchbarsten dazu sind gut gearbeitete Matratzen oder gleichmäßig gestopfte Strohsäcke.
Ist bei einem Knochenbruche ärztliche Hülfe in der Nähe und kann der Verband bald angelegt werden, dann wird jede weitere örtliche Behandlung überflüssig. Nur wenn diese Hülfe lange auf sich warten läßt, sind zur Milderung der eintretenden Entzündung kalte Umschläge (von Eis, Schnee, Wasser) von Vortheil. – Die allhelfende Homöopathie verordnet innerlich, wenn der Verletzte sehr angegriffen und ohnmächtig ist, Aconit, und nach einigen Stunden Arnica; nur bei sehr heftigen, ganz unerträglichen Schmerzen und Krämpfen davon, giebt sie erst Chamille und dann Hypericum. Nach der Einrichtung des Knochens bewirkt Symphytum, daß das verletzte Glied oft in weit kürzerer Zeit als gewöhnlich schon wieder gebraucht werden kann. Sollte es aber nicht anheilen wollen und der Knochen bleibt lose, so tröpfle man, nach dem amerikanischen Homöopathen Hering, etwas verdünnte Phosphorsäure in Kalkwasser, trockne den Niederschlag und gebe dem Kranken alle Tage eine kleine Messerspitze voll. (Ist das auch eine homöopathische Gabe?)