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Hitze und Kälte

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Textdaten
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Autor: Fritz Krumbiegel
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Titel: Hitze und Kälte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 51–52
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Hitze und Kälte.
Eine naturwissenschaftliche Plauderei.

„Wie heiß muß es erst in den heißen Ländern sein!“ so rufen wir wohl aus, wenn wir bei einer Temperatur von über 20° R. im Schatten schwitzen, und fühlen uns getröstet durch den Gedanken, daß es anderwärts noch wärmer sei als bei uns. Wo aber auf der Erde ist die Hitze am größten? Nach der landläufigen Ansicht unter dem Aequator; denn dort hat ja die Sonne – mach eben diesen Meinungen – die Menschen bereits in „Schwarze“ umgefärbt. Wie aber nachgewiesenermaßen die Färbung des menschlichen Körpers nicht direct von der Bestrahlung der Sonne, also nicht von der Entfernung vom Aequator abhängig ist, so ist auch von der Wissenschaft bereits festgestellt worden, daß die heißesten Punkte der Erdoberfläche nicht unter dem Aequator liegen, sondern gegen zweihundert geographische Meilen und darüber nach Norden wie nach Süden vom Aequator entfernt. Der Grund dafür, daß die Gegend am Aequator, der Palmengürtel, nicht die höchsten Thermometerstände zeigt, liegt darin, daß diese Zone mit täglichen Niederschlägen ausgestattet ist, durch jeden Regen aber wird die Atmosphäre erheblich abgekühlt; es wird ihr ferner Verdampfungswärme entzogen und endlich durch die Vegetation, die in Folge des reichlichen Regens üppig den Boden überzieht, eine so bedeutende Erwärmung des letzteren und damit der Luftschichten unmöglich gemacht, wie in pflanzenleeren Gegenden. So kommt es denn auch, daß an Gebirgen in der Nähe des Aequators die Schneegrenze weiter herabreicht, als an Gebirgen, die fünfzehn bis zwanzig Breitengrade vom Aequator entfernt sind.

In den wüsten Gegenden der Erde, die in der geographischen Breite von 18 bis 30° anzutreffen sind, dürfen wir somit die heißesten Punkte vermuthen, und in der That hat man dort die größten Wärmemengen gemessen.

In Murzuk (Oase Fezzan) wurde als Maximum der Luftwärme 45° R. beobachtet; der Wüstensand zeigt noch höhere Temperaturen, bis 56° R.; hier ist, wie ein arabisches Sprüchwort sagt, die Erde Feuer und der Wind Flamme. In Australien zeigte das Réaumur-Thermometer bis 43,3°, in Arabien bis 42°, und die Hitze des Hochlandes von Iran, speciell der Provinz Siwistan (im südöstlichen Afghanistan), wird durch einen persischen Vers bezeichnet, den die Afghanen häufig citiren: O Gott, da du Siwistan hattest, warum machtest du die Hölle? Als unerträglich heiß wird auch das Pendschab bezeichnet, und von der Coromandelküste wird gesagt, daß während der trockenen Jahreszeit der Himmel wie Erz, die Erde wie Eisen glühe. Vor Allem aber verrufen ist das rothe Meer nebst seinen Hafenstädten, besonders Massaua (Habesch), Sauakin (Nubien) und Kosseir (Aegypten); schon der Name des südlichen Eingangs „Bab el Mandeb“ das ist: Thor der Trauer, charakterisirt nicht blos die wegen der früher häufig dort stattgefundenen Schiffbrüche gefürchtete Meerenge, sondern zugleich auch diesen ganzen Meeresraum, der zwischen den Wüsten im Osten Aegyptens und dem arabischen Hochlande eingebettet liegt und über dem wie über einem Kessel eine glühend heiße Atmosphäre lagert, die nur zeitweilig von einem Windhauche bewegt wird; nur selten verdingt sich ein europäischer Matrose zum zweiten Male auf ein Segelschiff zur Fahrt durch’s rothe Meer, umsoweniger als bei der schon erwähnten fast vollständigen Windstille diese Reise ungewöhnlich viel Zeit in Anspruch nimmt.

Falls die Schiffe nicht Eis mit sich führen, bietet in diesen heißen Gegenden die Aufbewahrung der Vorräthe große Schwierigkeiten. Mrs. Brassey erzählt in ihrer „Segelfahrt um die Welt“: „Bei der fürchterlichen Hitze (südlich von Arabien) ist ein Abends geschlachteter Hammel andern Tages ungenießbar; Butter ist so flüssig wie Oel; selbst der Siegellack schmilzt vollständig und fließt in syrupähnlichem Zustande im Kasten umher.“

Der Aufenthalt in diesen Gegenden wird dadurch noch unerträglicher, daß frisches Trinkwasser nicht vorhanden ist; das Quellwasser, wo es überhaupt solches giebt, hat dort zu jeder Jahreszeit eine Temperatur von 16 bis 18° R., kann also kaum Erfrischung bieten. Ein anderer Umstand, der das Leben in solchen heißen Orten erschwert, ist noch der, daß häufig zwischen Tag und Nacht große Temperaturschwankungen sich zeigen; denn ebenso rasch, wie sich die Luft unter dem Einfluß der Besonnung erhitzt, kühlt sie sich in jenen wolkenlosen Festlandsräumen ab, sobald diese Ursache nicht mehr vorhanden ist; auf die Tagesstunden der größten Hitze folgen Nächte mit empfindlicher Kälte, sodaß bisweilen sogar den Karawanen das Wasser in den Schläuchen gefriert und die Nachtfröste den Reisenden ebenso unbequem werden, wie die Sonnenhitze den Tag über. Solche Schwankungen sind im Gebiet der Sahara wiederholt constatirt worden; in Australien trat einmal binnen 12 Stunden eine Temperaturänderung von 25,2° R. ein, indem das Thermometer bei Tagesanbruch – 9,3° R. zeigte, den Tag über als Höhepunkt aber + 15,9° R. erreichte.

Außerhalb der tropischen und subtropischen Gegenden finden sich ebenfalls innerhalb eines halben Tages ganz enorme Temperaturschwankungen. Auch auf die Frage nach den kältesten Punkten der Erdoberfläche muß geantwortet werden, daß das Extreme nicht im äußersten Norden zu suchen ist; vielmehr zeigt uns jede Karte mit Winter- bezüglich Januar-Isothermen zwei Gebiete der nördlichen Erdhälfte als die kältesten, welche daher auch Kältepole genannt werden: der eine dieser Kältepole liegt in Sibirien, westlich von der Lena, der andere im Nordwesten der Hudsonsbai, in der arktischen Inselwelt Amerikas; da hier den Winter über eine dicke Eisschicht das Inselmeer bedeckt, so kommt die Wärme-Ausstrahlung an dieser Stelle der Erde jener des nordasiatischen Festlandes gleich; daher auch hier die gleiche niedrige Temperatur wie dort. Die südliche Halbkugel muß außer Betracht bleiben; weil sie nämlich zum weitaus überwiegenden Theile mit Wasser bedeckt ist, zeigt sie selbst in ihren polaren Gegenden verhältnißmäßig milde Winter, hat dafür aber auch kühle Sommer. An beiden Kältepolen sind Temperaturen von –40 bis –50° R. und noch darunter beobachtet worden; was aber solche Temperaturwerthe sagen wollen, davon machen wir uns kaum eine Vorstellung.

Schon der Petersburger Winter, wie er im „Heutigen Rußland“, herausgegeben von Lankenau und Oelsnitz, geschildert wird, läßt uns ahnen, was wir von nordischer Kälte zu erwarten haben. Es heißt dort: „Während die Bewohner der gemäßigten Zone vom Winter im Ganzen mehr unangenehm als freundlich berührt werden, beginnt der Petersburger mit dem Eintritt der Schnee- und Eiszeit sich in den Zustand des Behagens zu versetzen; sein ganzes Fühlen und Denken steht mit dem Winter im engsten Zusammenhang; selbst die Poesie ergeht sich mit Vorliebe in Schilderungen des Winters … Alles erscheint mit den phantastischen Eisüberzügen und Eiszapfen bedeckt. Gesichter bekommt man nur selten auf der Straße zu sehen, denn Alles zieht die Pelze selbst über die Mütze. ,Väterchen, Deine Nase, Deine Wange!’ so erinnern sich die Begegnenden, wenn sie die verdächtigen runden, kreideweißen Flecken im Gesicht der Vorübergehenden sehen; denn der, dem ein Theil des Gesichtes erfriert, merkt es nicht. Da hilft nur unmittelbares heftiges Einreiben mit Schnee, bis das Gefühl sich in dem erfrorenen Theil wieder einstellt.

Ein Bauer, der eine lange Zeit brauchte, um die Eiszapfen [52] in Bart und Haar aufzuthauen, erwiderte auf die Frage, ob es denn wirklich so kalt draußen sei: ,Freilich, Herr! Auf dem Felde war eine zweipelzige Kälte.’“

Daß diese „zweipelzige Kälte“ kein scherzhafter, bildlicher Ausdruck ist, sondern der Wirklichkeit entstammt, das erfuhren in vollster Wahrheit die Mitglieder der Bremer Expedition nach Westsibirien. Dr. Finsch berichtet hierüber:

„Von Jekaterinburg ging die weitere Reise durch die Ischim-Steppe nach Omsk. Der Empfang der Reisenden Seitens der Witterung – es war im März – war ein echt sibirischer. Der Himmel trübte sich; Schneewolken jagten einander, und es wurde empfindlich kalt. Das Land zeigte, daß man es nur in jeder Weise entsprechend ausgerüstet betreten darf. Und in Bezug auf Winterkleider waren wir es nicht; denn bei diesem schneidenden Winde und den 13° R. Kälte konnte man leicht einsehen lernen, daß unsere Pelze wohl für deutsche, aber nicht für sibirische Verhältnisse eingerichtet waren. Trotz Wollenzeug, doppelter Weste, Jagdflausch und Pelz fror mich so entsetzlich, daß ich mir oft wie in Hemdsärmeln sitzend vorkam. Will man sich also verwahren, so muß man sich nach Landessitte in zwei Pelze (eigentlich drei) kleiden. Der eine innen mit Schafpelz gefütterte gleicht einem bis über die Kniee reichenden Rocke und wird seitlich durch engschließende Oesen zugeknöpft. Ueber diesen gehört eine sogenannte Dacha, das heißt ein außerordentlich weiter mit Kapuze versehener Pelz, innen aus den Sommerfellen des Eisfuchses, außen aus Renthierkalbfellen gefertigt, der deshalb sehr leicht ist und in den man sich ganz einhüllen kann. Als Kopfbedeckung trägt man dazu am besten eine samojedische Kappe, innen und außen aus Fell vom Renthierkalbe, deren Ohrenklappen in lange breite Streifen enden, die als Shawl um Hals und Kinn geschlungen werden können. Und vor Allem sind Pelzstiefel nicht zu vergessen und ganz unerläßlich. So ausgerüstet, vermag man der größten Kälte zu trotzen.“

Aber weder in dem einen noch in dem anderen angeführten Falle wird uns der eigentliche arktische Winter in seiner ganzen schreckhaften Gestalt vorgeführt: davon können uns nur jene Männer erzählen, die als Nordpolfahrer Leib und Leben in den Dienst der geographischen Erforschung gestellt haben.

Aus der großen Menge der einschlägigen Berichte heben wir hier die von Wrangel und Kane hervor, weil diese uns in besonders drastischer Weise jene Winterszeit beschreiben: Die Erde berstet vor Kälte bis zu Tiefen von 400 bis 600 Fuß. Wo sich in diesen Rissen und Spalten noch fließendes Wasser befindet, verdunstet es, doch gefrieren diese Wasserdämpfe bereits zu Eis, ehe sie noch an die Oberfläche kommen. Bart, Augenbrauen, Wimpern und die Härchen an den Ohren bekommen eine zarte und vollkommen einhüllende Decke von ehrwürdigem Reif; an Schnurrbart und Unterlippe bilden sich schwebende Eisperlen. Steckt man die Zunge heraus, so friert sie sogleich an dieser Eiskruste fest, und eine schleunige Anstrengung und Nachhülfe mit der Hand ist erforderlich, um sie wieder frei zu machen. Je weniger man spricht, desto besser ist es. Sogar die Augenlider kleben, oft schon bei vorübergehendem Schließen, zusammen. Ergötzlich ist im Bericht des Dr. Kane zu lesen, welchergestalt sich die Eßwaaren zeigten:

„Die getrockneten Aepfel und Pfirsichen wurden zu einer festen Masse voll an einander gedrängter Ecken und Winkel. Diese aus dem Fasse oder das Faß aus ihnen herauszubringen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Wir fanden nach verschiedenen Versuchen, daß der kürzeste und beste Weg der war, das Faß sammt den Früchten mit wiederholten Schlägen einer schweren Axt aus einander zu hauen und dann die Klumpen zum Aufthauen in die Schiffsküche hinab zu schaffen. Sauerkraut sah aus wie Glimmer oder richtiger wie Talkschiefer. Butter und Schweineschmalz, die sich weniger verwandeln, erfordern einen schweren Schrotmeißel und Schlägel. Schweine- und Ochsenfleisch sind seltene Probestücke florentinischer Mosaik, denen man nicht einmal mit der Axt, sondern nur mit Brecheisen und Hebebaum oder mit der Säge beikommen kann. Ein Klumpen Lampenöl, der aus den Faßdauben losgelöst war, stand da wie eine gelbe Sandsteinwalze für einen Kiesweg. Unsere eingemachten Speisen könnten vortrefflich als Kanonenkugeln verwendet werden.“

Soweit unser Berichterstatter. Der schlimmste Feind der Nordpolfahrer ist der Durst. Wie soll das aber möglich sein in Gegenden, wo es nur Schnee und Eis giebt? Wir wissen aus unserer Jugendzeit, daß Schneeballen und Schneemänner nicht an jedem Wintertage herzustellen sind, sondern nur dann, wenn die Temperatur dem Thaupunkte nahe ist; denn der Schnee nimmt je nach der Lufttemperatur verschiedene Kältegrade an; beträgt seine Temperatur –6° R. und darunter, so vernehmen wir bei unseren Tritten das Knirschen und Kreischen des Schnees. In jenen nördlichen Gegenden aber hat der Schnee während des Winters häufig –25° R., ist also ungenießbar; zum Aufthauen fehlt es meist an Feuerungsmaterial. So kann man sich vielfach nur dadurch helfen, daß man mit der Wärme des menschlichen Leibes den in Kautschukflaschen gefüllten Schnee aufthaut. Welch angenehmes Gefühl solche „negative Wärmflaschen“ dem Körper bereiten, kann man sich leicht vorstellen.

Die höchsten Wärme- und die größten Kältetemperaturen, die man an der Oberfläche unseres Erdenballes beobachtet hat, liegen um mehr als 100° R., also weiter als Gefrier- und Siedepunkt von einander entfernt. Daß aber der Mensch bei all diesen extremen Temperaturverhältnissen seine Existenz zu behaupten vermag, daß er sogar, wie neulich Nordenskjöld und seine Gefährten gethan, in verhältnißmäßig kurzer Zeit mit dem Aufenthalte in den Gegenden der äußersten Extreme wechseln kann, ohne der Gesundheit zu schaden, das ist ein bedeutungsvolles Zeugnis für seine hohe Organisation und ein Beweis dafür, daß der Mensch zum Herrscher der Erde berufen ist.
Fritz Krumbiegel.