Humboldt’s letzter Besuch bei Rauch
An einem Decembertage des vergangenen Jahres hielt eine altväterische Kutsche vor dem sogenannten Lagerhause in Berlin. Es war zu der Zeit, als Deutschland den Verlust eines seiner größten Männer betrauerte – Rauch war gestorben! – –
Aus jener Kutsche stieg mühevoll ein hochbetagter Greis, von einem Diener unterstützt, und schritt, sichtlich ergriffen, über den langen Hof dem Eingange zu, der noch vor Kurzem in die Werkstätte des Meisters führte – jetzt in die Todtenkammer.
Wer kennte nicht die Stimmung, die uns erfaßt, betreten wir den Ort, wo ein großer, bedeutender Mensch den ewigen Schlaf schläft? – wem stockte da nicht der Athem? – wessen Herz pochte nicht stärker, weiß es jenes Herz unter der eingesunkenen Brust still und regungslos? Wahrlich, es bedarf dann nicht mehr „der Zuthat erborgter Trauer“, nicht der schwarzen Gewänder, nicht der flackernden Kerzen, nicht der Palmen und des Lorbeers – um zu fühlen, was wir verloren, wie viel wir verloren.
Auch Rauch’s irdische Hülle lag, geschmückt mit den Attributen der Liebe und Verehrung, in ihrem letzten, engen Hause. – Kerzenschimmer warf von prunkenden Candelabern sein unheimliches Licht auf des Heimgegangenen Züge, die selbst im Tode Nichts von jener Großartigkeit verloren hatten, die Rauch’s Erscheinen im Leben so sehr auszeichnete. Palmen senkten zu beiden Seiten ihre Fächer breit über die langhingestreckte Gestalt, die an einen Helden der Vorzeit erinnerte – hinter den friedlichen Palmen aber standen mit ihren ausgebreiteten Fittigen die Victorien, dankbar den Todten umschirmend, der einst mit unvergänglicher Kunst ihre herrlichen Gestalten dem Marmor entrang.
So ruhte der große Bildner unter seinen geliebtesten Werken – so ruhte er in seiner Heimath – seiner Werkstatt.
Auch sie war heute in die „gewohnte Tracht des Grams“ gehüllt – denn der Todtenwurm pickte, wo noch vor Kurzem die Hammerschläge mit dem Meißel erklangen – der Genius mit der umgekehrten Fackel hatte sein Reich aufgeschlagen und hielt Wache bei einer entseelten Menschenhülle, wo noch jüngst die lebensfrische athletische Gestalt Meister Rauch’s stand.
Gefaltet liegen nun diese Hände auf der Brust, Hände, die mehr arbeiteten, als irgend eine Menschenhand – geschlossen ist das Auge mit seinem oft so feinen Künstlerblicke, nur die Jupiterstirn ist noch, die sie einst war, mit ihren sinnenden Furchen, ihrem gedankenschweren Ernste. – Doch still! die Thüre des Todtengemachs öffnet sich, herein tritt jener Greis, den wir vorhin dem Wagen entsteigen sahen; leisen Schrittes nähert er sich dem Sarge, als wollte er die Ruhe des großen Todten nicht stören – – Alexander von Humboldt erweist seinem Freunde Rauch die letzte Ehre!! –
Was der überlebende Freund an dieser geweihten Stätte, in diesem feierlichen Augenblicke gedacht – ob seine Lippen ein stiller Schmerzenszug umspielte – ja, ob sein altersschwaches Auge eine Thräne umflorte – wissen wir nicht – wagen wir nicht zu deuten. Nicht minder denkwürdig scheint uns aber dieser Moment, als jener, da Friedrich der Große vor der Leiche des großen Kurfürsten stand, oder ein Napoleon am Sarkophage des großen Friedrich – Momente, welche die Geschichtsschreiber als erhabene Charakterzüge außergewöhnlicher Männer der Mit- und Nachwelt aufgezeichnet haben.
Und so wird einst die Geschichte auch diesen Augenblick berühren, wenn sie unsern Nachkommen von den beiden berühmten Männern berichtet, und wird nur zu bedauern haben, daß der edle Humboldt keinen so seltenen Leidtragenden gefunden, wie Christian Rauch, an dessen Todtenlager der berühmteste Mann des Jahrhunderts trauerte.
Als der Greis die heilige Stätte verlassen hatte, und wieder über den langen Hof dem Ausgange zuschritt, war sein Antlitz auffallend blaß, wie das eines Tieferschütterten. Wirklich spielte um seine Lippen ein Schmerzenszug, der zu sagen schien: „Ich habe ihn verloren!“ Das Auge aber leuchtete mild und sprach: