Hunger

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Borys Hrintschenko
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Hunger
Untertitel:
aus: Ruthenische Revue, 2. Jahrgang (1904)
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Verlag der Ruthenischen Revue
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Wien
Übersetzer: Wilhelm Horoschwski (1870-1935)
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons = Internet Archive
Kurzbeschreibung:
Borys Hrintschenko (1863–1910)
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
unkorrigiert
Dieser Text wurde noch nicht Korrektur gelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du bei den Erklärungen über Bearbeitungsstände.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[547] Hunger.

Von Borys Hrintschenko.

Am äussersten Ende des Dorfes stand eine verfallene Hütte und in ihr lebte ein Bauer mit seinem Weib und einem Kinde. Das Knäblein war noch winzig, es war unlängst geboren worden. Das dritte Jahr war’s, seitdem sie geheiratet – aus einem anderen Dorf hatte er sie genommen – und noch immer war es ihnen nicht gelungen, sich zu einer eigenen Wirtschaft emporzuarbeiten. Ihr ganzes Vieh bestand in einer Färse – die hatten sie heuer zum Frühjahr gekauft – und nun war auch diese vor kurzem krepiert. Und wenn sie auch nicht krepiert wäre, sie zu ernähren wären sie doch nicht imstande gewesen. Bei diesen ewigen Missernten hatte man selber kaum zu essen, geschweige denn für eine Färse. Horpyna beweinte die Färse, als wenn ihr das etwas nützen würde.

Zum Frühjahr hatte der Bauer überhaupt kein Brot mehr. Beinahe drei Wochen lang lebten sie vom Geborgten – und wie nun leben, da keiner mehr borgen wollte? Ein jeder sagte:

„Wie soll ich nur borgen? Meine eigenen Kinder hungern vielleicht, und ich – ich soll geben, geben ohne Aussicht, es jemals zurückzubekommen? Du hast dich ja schon beim ganzen Dorf verschuldet. Da könnte einer selbst einen Sack Getreide brauchen, und gibt ihn denn wer!“

Das Weib schlug Petro vor, sich bei einem Herrn zu verdingen. Er ging aufs nächstgelegene Vorwerk – man nahm ihn nicht: Knechte in Fülle, meinten sie. Er ging zu einem zweiten Herrn, der bemerkte, dass auf Petros Kleidung Flick auf Flick lag, hielt ihn für einen Barfüssler, irgend einen Landstreicher – und wollte ihn nicht in Arbeit nehmen.

„Fort!“ sagte er, „viele dieser Sorte streifen hier umher! … Jagt ihn fort!“

Und er wurde hinausgejagt. Petro wusste einfach nicht, was anzufangen. Wer ein Pferd hatte, wurde wenigstens gedungen, das herrschaftliche Holz aus dem Walde zu führen, er kann auch das nicht.

Eines Morgens stand Horpyna in aller Früh auf. Das Kind schlummerte noch. Das junge Weib machte sich leise am Ofen zu schaffen und Petro schickte sie Holz klauben. Sie macht sich am Ofen zu schaffen und grübelt:

„Wenn man nur diese Woche so halbwegs hinfristen könnte, dann könnte ich vielleicht mit Gottes Hilfe zum Vater nach Syrowatka – vielleicht, dass er ein Säckchen voll gibt. Schlecht ist es ohne Pferd: da könnte man aufsitzen, hinfahren und erledigt wär’s. Und so, bis ich irgendwo ein Pferd ausbettle …“

Die Tür ging auf. Petro brachte Holz und legte es nieder.

„Poltere doch nicht so, du weckst ja das Kind auf!“ sagte Horpyna.

Das junge Weib heizte im Ofen ein, stellte die Töpfe auf. Dann ging es zum Mehlschaff und sah hinein:

„Petro, ach Petro!“

„Ha?“

„Was werden wir tun?“

„Wie das?“

„Mehl ist nur noch für einmal da und das auch nur für zwei Laibc[h]en.“

Petro schwieg, dann meinte er:

„Was anfangen? Ich weiss schon selbst nicht …“

„Vielleicht noch bitten gehen? …“

„Zu wem denn hingehen, wenn ich schon bei allen so viel geborgt habe, dass keiner mehr was hergeben will?“

[548] Horpyna wusste es selbst zu gut. Beide schwiegen sie. Das Kind in der Wiege rührte sich. Die junge Frau nahm es auf die Hände und schaukelte es. Hungrig war es aufgewacht. Sie legte es wieder hinein – es war keine Milch da. Und da weinte es noch mehr. Horpyna sagte:

„Wären wir allein, wenn das Kind wenigstens nicht da wäre, schau her, wie es sich abquält. Ich bin hungrig und das Kind ist auch jeden Tag hungrig, denn ich habe ja keinen Tropfen Milch.“

Auch Petro schnitt das Weinen des Kindes wie mit einem Messer ins Herz. Als ob du ihm mit deinem Mitleid helfen könntest?

„Weisst du was, Petro? Geh hin und bitte den Vorsteher – vielleicht gibt er was aus dem Magazin? …“

Petro schweigt und das Kind weint und das schneidet immer wieder wie mit einem Messer ins Herz. Petro erhob sich und sprach:

„Ich geh! Man kann doch nicht Hungers krepieren!“

Er nahm die Mütze, stand noch eine Weile da, dachte nach und ging dann schweigend hinaus. Er wusste es, dass der Vorsteher eigenmächtig nicht geben durfte und ging doch hin, damit er wenigstens das Kind nicht weinen hören müsste.

„Und vielleicht gibt er doch?“ dachte er, „wer kann das wis[s]en? … Schön bitten muss man. Schade, dass ich auf kein Viertel (Schnaps) für die Räte habe.“

Petro betrat die Gemeindestube und bekreuzte sich: „Gesundheit! vom Herzen!“ Sprach’s und blieb an der Schwelle stehen. In einem Winkel sass hinter dem Tisch der Vorsteher und der Schreiber holte aus einem Kasten Papiere hervor, die er auf dem Tisch ausbreitete. Sonst ist niemand in der Gemeindestube da, nur Petro und die beiden. Petro will sprechen und bringt es nicht zuwege, er denkt: „Und wenn er sagt – nein, ich gebe nicht?“ Und wenn er daran denkt, fällt ihm ein, dass zu Hause Weib und Kind hungernd dasitzen werden und da geht ihm der Atem aus und er bringt kein Wort hervor, sondern steht an der Schwelle und dreht die zerfetzte Mütze in den Händen. Als der Vorsteher merkte, dass er etwas vorzubringen habe und nicht spreche – begann er selbst zu fragen:

„Was hast du, Petro?“

Petro trat näher und verneigte sich.

„Zu Euer Gnaden,“ sagte er.

„Nu?“

„Seid mir nicht böse, bin eben zu Euch gekommen … Schon den dritten Tag haben wir kaum etwas gegessen … Heute hatten wir noch keinen Bissen im Mund, und Mehl ist keines da …“

„Nu, und was?“

„Seid mir nicht böse! … Überall habe ich schon herumgebeten, aber wer soll denn[WS 1] welches borgen, wenn er vielleicht selber keines hat? … Also bin ich … Ob ihr nicht erlauben würdet, aus dem Magazin wenigstens ein Säckchen voll zu geben? …“

Der Vorsteher sah ihn an und lachte.

„He, Junge! Das darf ich nicht eigenmächtig tun, dazu braucht man die Erlaubnis der Bezirksverwaltung“.

„Des Semsto-Amtes, verstehst?“ sagte der Schreiber.

„Das schon,“ sagte Petro „aber könnte man nicht soso … wenigstens etwas …“

[549] „Bist du aber ein wunderlicher Mensch! Hörst ja, dass nicht, durchaus nicht.“

Petro stand da, schwieg, dann meinte er:

„Vielleicht doch, ohne das Amt? … Wenn auch nicht viel …“

„Man sagt dir’s ja, dass nicht! Hat’s dir den Schädel verlegt?“ brauste der Schreiber auf.

Und Pet[r]o steht noch immer da und geht nicht fort. Auch wusste er selber nicht, wozu er eigentlich wartete. Aber wie denn fortgehen, mit nichts? Zu Hause werden sie inzwischen auch die Erdäpfel aufgegessen haben! … Vielleicht doch noch einmal fragen? …

„Ich würde ja zurückgeben, sobald ich nur verdient haben werde, ich würde doch zurückgeben …“

Nun wurde aber der Schreiber ganz zornig:

„Man sagt’s dir ja, dass nicht! Was, soll man dir’s hundertmal sagen? Und wenn du ihm auch einen Pflock in den Schädel schlägst (Sprichwort), und er immer wieder – gib, gib! Nu, Menschen! …“

Petro entfernte sich aus der Gemeindestube.

II.

Horpyna beruhigte das Kind und legte es nieder. Aus dem noch vorhanden gewesenen Mehl buck sie zwei Plätzchen, kochte Kartoffeln und Barschtsch dazu. Sie bereitet das alles zu und denkt:

„Heute halten wir’s noch halbwegs aus, vielleicht auch morgen … Wenn sie dem Petro geben, wird’s gar vielleicht nicht nötig sein, zum Vater zu fahren … Nein, wenn sie ihm auch geben, so haben wir doch noch immer nicht für die Saat … Man wird halt doch hinfahren müssen.“

Die junge Frau nahm die Plätzchen heraus, säuberte die Stube und setzte sich ans Spinnrad. Sie selbst hatte heuer nichts zum Spinnen – es war ja nicht wo zu säen. So spann sie denn Fremdes, vom Bündel. Macht immerhin in der Woche zwei Zwanziger aus, vielleicht auch einen Sechziger.

„Einen Sechziger wirst du verdienen die Woche und aufessen muss man für einen Rubel“ – dachte Horpyna, einen Faden ausziehend.

Als sie die Flurtür knarren hörte, dachte die junge Frau:

„Wahrscheinlich Petro … Ob er wohl wenigstens ein bisschen mitbringt?“

Wirklich Petr[o]. Schweigend trat er herein und liess sich auf der Bank nieder, ohne etwas zu sprechen. Horypna betrachtete ihn und erriet bald, dass er vergebens gegangen war.

„Petro,“ fragte sie, „haben sie nichts gegeben?“

„Sie sagen, es geht nicht ohne die Semstwo-Herren,“ entgegnete Petro finster.

Beide schweigen. Petro hatte das Haupt gesenkt und sass nun tieftraurig da. Und Horpyna beugte sich über das Spinnrad und spann nicht mehr. Petro sah sie an. So müde war sie, ganz herabgekommen. Und er bedauerte sie. Er trat zu ihr hin, umarmte sie und sprach:

„Schwer ist’s, mein Täubchen, schwer! Kränk’ dich nicht …“

Horpyna sah zu ihm auf, in ihren Augen standen Tränen.

„Wir werden das überstehen,“ sagte sie, „aber das Kind? Wie soll es das aushalten?“

Und Horpyna weinte still und sagte dann:

„Das scheint ja schon unser Los zu sein. Wenn Gott hilft, werden wir’s überstehen.“

Petro wollte das der Frau soeben auseinandersetzen, nun fühlt er, wie [550] es ihm selber schwerer wird ums Herz, immer schwerer. Und als sie sagte, dass mau dulden müsse, vermochte er nicht länger an sich zu halten: Wie lange sollen wir denn dulden?" schrie er beinahe auf. „Es vergeht ja schon ohnehin kein Tag, an dem wir nicht leiden müssten.“ Das hat schon wahrscheinlich Gott so gefügt!" - sagte wiederum Horpyna. Petro wurde finster. Sind wir denn schon gar so sündig, gibt es denn schon gar keine Sündhafteren als wir, dass wir so viel Leid ausstehen müssen!" Horpyna erwiderte nichts, auch der finstere Petro schwieg still. Er schweigt und die Gedanken fliegen ihm nur so durch den Kopf: Ist denn das wahr? Warum in aller Welt sollen wir denn Hungera sterben? Der Vorsteher gibt nichts her, und er, nimmt er sich etwa selbst nicht gonug? Heuer hat er schon ein Viertel Gerste gestohlen … Unsere Habe werden sie stehlen und du stirb und auch das Kind soll sterben!" Und der Zorn erfasste Petro, ein unausspéechlicher Zorn erfasste Petro’s Herz auf den Vorsteher ,In Hülle und Fülle lebt er," denkt Petro, ,und stiehlt noch dazu und ich Hungerleider was fang’ ich nur an?" Weiss Gott, was er dem Vorsteher machen wird," so kochte es in ihn. Er fuhr von seinem Platz auf und verlies3 die Stube. Er irrt draussen umher und diesen Gedanken wird er nicht los : Man kann doch nicht Hungers sterben! Es ist meine Habe, keine fremde, denn auch ich hab’ ja dort hineingeschüttet und nun ich nichts zu esson habe, kann man nicht geben! Nu, so werde ich euch nicht bitten! Ich werde mir schon selbst nehmen!" Und soviel er auch nachgrübelte, im Kopf blieb stets das Eine: Nehmen!" „Ich werde ja nicht Fremdes nehmen, meines. Wenn sie selbst nicht hergeben, muss man heimlich nehmen." Und er gewöhnte sich langsam an diesen Gedanken, so dass er ihn nicht mehr fürchtete. Anfangs schien ihm das schrecklich, wenn or daran dachte, und jetzt nichts, er hat sich halt gewöhnt. Und als er damit vertraut war und es nicht mehr fürchtete, wagte er auch auszuführen, woran er gedacht. Ich gehe hin, bohre im Magazin ein Loch und zapfe an!", denkt Potro. Aber ja … Wie es der Horpyna sagen? Er wusste zu gut, dass sie unter keinen Umständen darauf eingehen würde. Er wusste dass, wenn er ihr auch noch so sehr zureden wollte, er sie dazu nicht werde bereden können. Kann er denn aber mehr tun? Er sah rings um sich das Elend und konnte diesem Elend nicht abhelfen. Er sah, dass ihm die Menschen nicht beistehen wollten. Der Vorsteher stiehlt, und ihm gibt er nichts! Überall Unrecht! Und so schien ihm denn das Stehlen keine Stinde zu sein. Und doch hatte er Angst, davon Horpyna zu sprechen, denn er fühlte, dass auch er nicht gerecht handelte. Und Horpyna hatte gemerkt, dass es in Petro nicht mit rechten Dingen zugehe. Er geht immer finster und traurig herum. Sie beginnt ihn auszufragen, er antwortet nicht, oder: Ja so … Der Kopf schmerzt ein wenig. Zuweilen sieht er sie anch finster an und entgegnet: ,,Weshalb denn fröhlich sein?" Die junge Frau merkte, dass sich Petro verändert hat und kränkte sich nur noch mehr, weil sie dem Elend nicht abhelfen konnte. Indessen war kein Brot mehr da, die Erdäpfel hatten sie ganz ver- braucht und nun werden sie gar nichts mehr zu essen haben. Zum Vater zu fahron war es Horpyna nicht gelungen keiner wollte ein Pferd hergeben und Original from Google INDIANA UNIVERSITY Digitized by [551] 27/inu.30000108580220 Generated on 2019-11-07 17:27 GMT/ http://hdl.han ǝ16006-sn-pd#asn 551 vierzig Werst zu Fuss nach Syrowatka zurücklegen, war auch kein leichtes, zumal mit dem Kind. Und zurücklassen kann man es nicht: lebt es doch schon ohnehin einzig und allein von dem Tropfen Milch und wenn sie es zurück- lässt, geschieht am Ende wer weiss was. Alles das sah Petro und sagte zu sich selbst: „Ich werde nehmen! Man kann doch nicht krepieren, wie ein Hund! Mag Horpyna sagen, was sie will." Eines Nachts liegt er mit der Frau am Fussboden und die Gedanken lassen ihn nicht einschlafen. Er denkt: ,Und was wäre dahei, wenn ich es Horpyna gleich jetzt sage?" Allein er sagte es nicht, sondern wälzte sich nur noch häufiger von einer Seite auf die andere. Was hast du, Petro?" Nichts," sagt er, Horpyna schlummerte schon, da hürt sie, wie Petro ruft: ,Horpyna !" ,Ha?" ,Weisst du as...." „Nu ?, Petro hielt inne, wieder bekam er Angst, es zu sagen. Ja... Nichts ... Ich wollte fragon, ob wir Wasser in der Stube haben.... Durstig bin ich." Im Fass ist ja..." Petro erhob sich, als ginge er Wasser trinken, aber er denkt nach: Sagen? Kannst’s ja vor ihr nicht verheimlichen ob jetzt, ob dann, sagen muss man’s doch. Er kam zurück, legte sich neben die Frau hin und deckte sich zu: Horpyna, was werden wir weiter tun?" Die junge Frau erwidert nicht. Alle möglichen Gedanken hat sie schon durchdacht und nichts konnte sie ausdenken. Petro sagt: Und ich … ich … Weisst du, woran ich denke?" ,,Woran denn ?" Und wiederum hielt Petro inne, dann begann er rasch zu sprechen, als hätte er Eile: ,,Man kann doch nicht Hungers krepieren! … Ihnen macht’s nichts - der Vorsteher stiehlt selber Gemeindegeld und uns gibt er kein Stückchen Brod. Ist denn auch unseres nicht darunter? Lass nur! Soll ich ihm das aus- einandersetzen, oder was? Verstehen sie denn das? Hingehen und selbst aus dem Magazin anzapfen! … ,,Der Herr sei mit dir, Petro! Was sprichst du nur?" Petro wurde beinahe zornig: ,,Was sonst, Hungers sterben?" fragte er. ,,Eine Sünde ist’s, Petro! Das ist Gottes Wille! … Gott hat’s so ge- fügt … Aber Fremdes darfst du nicht anrühren. nicht anrühren! Eine Sünde ist das, Petro!" ,,Eine Sünde! Hungers sterben wie? Gehe ich denn aus eigenem An- trieb hin ?" ,,Was sonst, Petro aushalten muss man’s … (ich nicht hin! … Mit einemmal fürchtete sich Horpyna für Petro. Sie presste ihn an sich: ,,Petro, schwer ist’s! Gott wird helfen... Geh selbst zum Vater hin, er wird Original from Digitized by Google INDIANA UNIVERSITY [552] geben … Und das schlag dir aus dem Sinn, schlag dir's ganz aus dem Sinn. Eine Sünde ist’s!" Bislang schwankte Petro, nun aber Horpyna auf ibn einzureden fan- fing, wurde wieder der Zorn in ihm lebendig und in seiner Brust hämmerte es nur so. ,,Ich geh’ hin," erwidert er, ,,sag’ mir nicht’s, ich geh’ hin!"

III.

Der Tag war zu Ende, es wurde Nacht. Petro erlebte endlich die Mitter- nacht, kleidete sich an, nahm drei Säcke mit sich und einen Bohrer und ging zum Magazin. Es war eine finstere Nacht. Petro durchschritt seinen Garten und trat aufs Feld hinaus Seine Seele war eigentlich ganz ruhig. Er hatte sich einmal entschlossen, diese Tat auszuführen und dachte nicht mehr nach, was für eine Tat das war.,.Ich geh’ hin und stehle," sagte er sich und es schien ihm dies gar nichts Unrechtes zu sein, weil er ganz einfach das vorgessen hatte, wie wenn es sich überhaupt nicht lohnte, an so etwas zu denken. Ruhig und festen Schrittes ging er, ohne sich vor etwas zu fürchten. Da ist auch schon das Ackerfeld zu Ende und in der Ferne starrt etwas Dunkles. ,,Das Magazin," sagte sich Petro. ,,Beim Magazinswächter ist kein Licht mehr, es werden volle drei Säcke sein." Leichten Fusses schritt er weiter. Es ist nicht mehr weit. Aber, was ist das? In der Luft liess sich ein lautes Schreien vernehmen. Wahrscheinlich ein Uhu. Wiederum schreit es, miaut- nein, ein Käuzchen. Und Petro wurde es auf einmal angst. Irgend etwas verlegte ihm den Atem, laut pochte ihm das Herz in der Brust. Er blieb stehen und lauschte. Frostig rieselte es ihm über den Rücken. ,,Erwischen werden sie mich, erwischen! Ein Dieb! . . . Und wieder war es ihm, als bewürfe man ihn mit Schnee. Vor einer Weile noch war er mutig und ruhig und nun war das hin. Er bobte an allen Gliedern. ,,Gehen, oder nicht nicht gehen ?" überlegte er. Und wenn sie mich erwischen?" Er begann von neuem zu lauschon. Aber ringsherum herrschte eine so tiefe Stille. dass er das Pochen seines Herzens in der Brust hören konnte. ,,Vielleicht umkehren ? … Dann sind wir morgen wieder ohne Brot! … Nein, ich werde schon hingehen!" Und leise, schleichend näherte er sich dem Magazin. Als er ganz nahe herangekommen war, sah er spähend um sich. In dor Finsternis war nichts zu sehen. Da kroch er unter das Gebäude. Jahraus, jahrein schüttete er Getreide in den Speicherkasten und wusste, auf welcher Seite er sich befand. Vorsichtig kroch er zu dieser Stelle hin und legte sich nieder. Dann setzte er den Bohrer an und begann zu bohren. Das eingetrocknete Holz knisterte ein wenig. Petro hielt inne und lauschte. Dann bohrto er wieder weiter. Der Bohrer ging tiefer, immer tiefer ins Holz bald wird auch ein Loch da sein. Liegend drückte Petro mit aller Kraft auf den Bohrer. [570] ,,Halt! Semen! Ah, hundert Schock Teufel! . . ." Petro fuhr zusammen. Wer ist das? Der Wächter? Das Herz schlug ihm zum Hals hinauf Petro horchte auf. Kalter Schweiss trat ihm auf die Stiru. Die Hand aufs Herz gepresst, sah er wie versteinert aus. Wiederum hört man's: ,,Semen! Semen'. . . Dass dich! ... Und weun ich auch selbst, was ist dabei? Kann ich denn nicht singen? Hundert Schock!... Hej!... ,,Dort hinter der Scheune Tanzt ein Fisch mit einem Krebs . . ." Das Lied des Betrunkenen konnte man auch beim Magazin hören. Und wenn irgend wer vorüberging, hörte er: [571] 0220898010000E'n // / IND 82 ZT 20-11-60 ǝ16006-sn-pd#asn 571 ,,Und der Fisch tanzt mit dem Krebs, Und die Zwiefel . . ." ,,Pfui über deinen Vater!... Nein, ich geh' nicht dorthin! Nach Hause geh ich!" ,,Hej! Die Zwiefel mit dem Knobloch Und das Mädel mit dem Kosak!" Der Betrunkene ging weiter. Die Stimme und die Schritte vorhallten. Petro hatte sich gerührt. Den Atem hielt er an und wartete. Und jetzt ist niemand mehr zu hören. Er lauschite noch immer. Nein, es ist nichts. Und mit einem letzten Druck war das Loch fertig gebohrt. Er griff nach einem Sack, setzte ihn darunter und zog den Bohrer heraus. In den Sack fiel Korn. Wie im Fieber zitternd, füllte Petro alle drei Säcke. Das Magazin lag ganz nahe dem Erdboden und so konnte man die Säcke nicht ganz füllen. Aber was jotzt an- fangen? Das Loch unverstopft lassen - da fällt das Korn heraus, und morgen bemerken sie's, finden's am Erdbodon. Es muss zugostopft werden. Ja, warum hat er denn keinen Stöpsel mitgenommen? Petro legte die eine land aufs Loch und suchte mit der anderen Gras für einen Stäpsel. Boim Magazin wuchs aber kein Gras. Da fiel es ihm ein, dass er ein Sacktuch bei sich hatte. Er zog es hervor und verstopfte halbwegs das Loch damit. Daun hob er einen Sack in die Höhe, blieb stehen und überlegte: - Nachhause tragen? Nein, das dauert zu lange. Nein, ich trag's auf Kurban hinüber, dort soll's liegen bleiben, bis . . . den Der Kurhan lag auf jenem Feld dorten, ausserhalb des Dorfes, wo einst die Grenze war und sich jetzt davon nur noch ein Wall als Überbleibsel befand. Eiligen Schrittes brachte Petro einen Sack hin. Die andern zwei waren leicht und er nahm sie auf einmal mit. Er versteckte alle drei auf dem Kurhan, im Farukraut. Schon wollte er sich nach Hause begeben, als ihn wieder das Loch in den Sinn kam. Man muss einen besseren Stöpsel nehmen, das Tuch könnte jeden Augenblick herausfallen. Leise schlich er zu einem Zaun hin, zog einen kleinen Pflock heraus und ging zum Magazin zurück. Abermals kroch er hin, entfernte vorsichtig das Tuch und verstopfte das Loch mit einem hölzernen Stöpsel. Der Stöpsel blieb fest im Loch sitzen. Petro probierte er sass fest. Wahrscheinlich liegt aber am Boden ein wenig Korn verstrout. Tappend las er es auf. Er kehrte nachhause zurück, trat in die Stube ein. Horpyna !" Keine Antwort. Wahrscheinlich schläft sie. Ohne sich zu entkleiden, streckte er sich auf dem Fussboden hin, nur den Kaftan hatte er abgelegt. ,Horpyna, schläfst du?" „Nu ?* ,,Auf dem Kurhan hab' ich's versteckt. . ." Von mir aus, verstock's wo du nur willst, ich werde dir nicht. behilflich sein." -Petro schwieg still. Original from Digitized by Google INDIANA UNIVERSITY [572] 0ZZ0898010000E nuy/2z // / IND 82 ZT 20-11-60 ǝ16006-sn-pd#asn 572 IV. Keinen kam es in den Sinn, dass man aus dem verschlossenen Magazin Getreide stehlen könute. Es war auch ein winziger Diebstahl- und so etwas merkt man nicht leicht. Als l'etro sah, dass man nirgends um den Diebstahl wusste, brachte er das Korn nach Hause. Für lange reicht es aber nicht aus. Also noch einmal stehlen gehen. Allein jetzt half ihm schon das Glück. Bei einem Herrn in der Nähe war nämlich ein Knecht fortgegangen und da hatte sich Petro in Dienst eingebeten. Er hatte beim Herrn die ganze Kost, nur nächtigen musste er zu Hause. Zu Hause war das Elend Elend geblieben, aber auch dafür sei Gott gedankt, dass sie jetzt wenigstens nicht hungern mussten. Und vou dom Diebstahl hatte man auch bis jetzt nichts erfahren. Petro beruhigte sich. Nein, er war nicht berubigt ... Schon längst war er um seine Ruhe gekommen, er hatte sie nicht mehr, seit jenor finstern Nacht, da er sich unter das Magazin geschlichen. Und nicht etwa der Diebstahl war es, der ihm quälte, nein. Daran hatte er anfangs überhaupt nicht gedacht. Aber Horpyna war's, die war gleichsam eine ganz andere goworden. Die herzlichen, liebevolleu Gespräche waren verschwunden - manchmal sprach sie jetzt kaum ein Wort zu ihm den ganzen Tag hindurch sio geht immer traurig, tieftrauig herum. Petro ging weiterfort in den Dienst, sein Weib sab er nur abends das nützte nichts. Sie ist immer schweigsam. Zuerst kam Petro jede Nacht, dann Lur noch einmal, zweimal die Woche. Denn er weiss, das ihn zu Hause niomand begrüsst, anredet dass es ihm noch schwerer wird ums Herz zu Hause. Er machte der Frau keine Vorwürfe; auch ihn quälto bereits seine Tat. Am Tage, während der un- unterbrochenen Arbeit, da fiel es noch nicht so schwer da konute man ver- gessen; aber die Nächte hindurch, wo er entweder zu Hause oder beim Herrn weilte, diese düsteren Nächte hindurch konnte er keine Ruhe finden. Denn sein Glück war verschwunden, für immer vielleicht verschwunden. Und doch war es einst da geweson, dieses Glück, solbst damals, da sie der Hunger plagte. Und nun war es ganz verschwunden. Nur in der Brust brennt's, bronnt's so sohr. Selbst eine Strafe würde nicht so treffen. Wenn sie wenigstens schelten wollte, Vorwürfe machen, allein schweigt und spricht nichts und trocknet ein wie eine Pflanze." Das war Sonntag abends. Petro sass zu Hause hinter dem Tisch und auf dem Fussboden wiegte Horpyna das Kind. Die Ampol brannte, und bei ihrem Licht sal die Frau noch matter aus als am Tag. Das Gesicht war verhärmt, die Augen eingefallen und wenn sie sie von der Wiege erhob, flammte in ihnen irgendeine Qual auf. Das Leid presste Petro das Herz zusammen. Er stand auf, trat näher und sotzte sich zu ihr hin. Horpyna!" Schweigend erhob sie die traurigen Augen zu ihm. ,Horpyna, wie lange worden wir uns so abquälen? . . ." Seine Stimme überschlug sich: wio mit Zangen drückte es ihm die Kohle zu. Und sie schwieg noch immer. Petro beherrschto sich kaum und meinte: ,Wir gehen beide zu Grunde... Die Seele ist schon ganz erstorben.. Sag du mir, was du im Sinn hast, sag es mir, denn wie lange sollen wir noch so leben?" Wieder sah sie zu ihm aus ihren eingefallenen Augen auf, dann senkto sie stumm den Blick. Und Petro schien es, dass ihm dieser Blick bis ins Herz hinein drang und es wie mit einem Messer entzweischnitt. Digitized by Google Original from INDIANA UNIVERSITY [573] 0220898010000E'n // / IND 82 T 20-11-60 ǝ16006-sn-pd#asn 573 Was auch kann ich dir sagen?"-fing sie leise an, du weisst es ja selbst... Ich sagte-ta's nicht... Doch ich hatte ja die Macht nicht.. Ich liebte dich und du bist ein Dieb geworden..." „Meinetwegen sagte Petro ,aber du weisst ja, dass ich es nicht getan habe, um ... du weisst ja, dass es sein musste..." „Ich weiss," erwiderte leise Horpyna. Alles das weiss ich... Was soll ich aber tun, wenn ich nicht kann ..., wenn es nicht in meiner Macht liegt, mich daran zu gewöhnen. Lieber wär ich Hungers gestorben, als dass das hätte geschehen sollen." Sie beugte sich immer tiefer zur Wiege herab. Was für ein Leben soll das jetzt werden?"... Kein Leben, eine Qual.. Habe ich das gewünscht, erhofft?" Und sie schluchzte bitter auf, indem sie sich über die Wiege warf und mit dem Kopf gegen deren Kanten schlug. Das erschreckte Kind war wach geworden und weinte auch. Aber Horpyna hörte es gleichsam nicht. Lange hatte sie ihre Qual verborgen und nun brach diese Qual in einem Tränenstrom hervor. Nur dass diese Tränen nichts nützten, dass sie das Leid aus der Seele nicht wegschwemmten. V. Petro wurde von einer noch grösseren Trauer erfasst. In der letzten Woche grämte er sich so ab, dass er nicht mehr zu erkennen war. In Petro's Haupt jagte ein Gedanke den anderen und es waren dies immer düstere, störrische Gedanken. Und eines Nachts fuhr es ihm durch den Sinn: Eingestehen? Dann sperren sie einen ein... Zusammen mit Diehen, Mördern... Und er, ist er denn kein Dieb? Nu, mögen sie mich in Fesseln schlagen, fortführen... Und der Sohn? Und Horpyna? Was wird aus dem Sohn dann? Was denn! Ist es jetzt vielleicht besser? Jetzt ist mein Weib nicht mein Weib- und mein Sohn gleichsam nicht mein Sohn... Ärger wird's nicht, uud Horpyna wird's vielleicht leichter sein, wenn sie mich nicht sehen wird. Und je mehr er darüber nachdachte, je mehr Lust bekam er zu erzählen, hinauszuschreien: ,Das bin ich!" ... Der Kopf wurde ihm schwindlig. Wie ein Besessener ging er herum und seine eingefallenen Augen leuchteten zuweilen so schrecklich auf, dass sich Horpyna manchmal vor ihm fürchtete. Da kam die Zeit, da er einen Entschluss fasste. Das war an einem Sonntag Seine Dienstzeit beim Herrn war aus und er lebte jetzt zu Hause. Er stand früh auf und machte sich schweigend in der Wirtschaft zu schaffen. Soll ich ihr alles sagen?" überlegte er. „Nein, das wäre schrecklich. Wenn es bereits geschehen ist, soll sie's erfahren." Und er schlenderte draussen herum und betrat nicht die Stube, denn es fiel ihm schwer, seine Frau anzusehen. So schleppte er sich bis Mittag herum. Nach- mittags kleidete er sich an, sah zu Horpyna hin und überlegte wieder: Sagen? Sie war schweigend neben dem Ofen beschäftigt und schaute sich nach ihm nicht um. Da wandte er sich um, bekreuzte sich und ging aus der Stube hinaus. Horpyna wunderte sich, dass Petro beim Fortgehen betete. Doch sie hielt ihn nicht zurück; es fiel ihr schwer, mit ihm zu sprechen. Auch jetzt noch liebte sie ihn und eben deswegen war es ihr umso schwerer ums Herz, wenn sie sich erinnerte, dass ihr Mann ein Dieb sei. Digitized by Google Original from INDIANA UNIVERSITY [574] 0ZZ08980T0000E nuy/2zOZA // / IND 82 ZT 20-11-60 .org/access_use#pd-us-google Digitized by 574 Petro ging aufs Gemeindeamt. Die Leute hielten ihn an und er bemerkte sie gar nicht so sehr war er in Gedanken versunken. Und er war ausser- gewöhnlich ruhig. Eine ähnliche Ruhe hatte sich jetzt seiner bemächtigt wie damals, da er ausgegangen war, um zu stehlen. Als er aber die vor dem Gemeindeamt versammelte Gemeinde gewahr wurde, drohte das Herz, ihm die Brust zu sprengen. Wie soll er's nur im Angesicht der Gemeinde erzählen? Vielleicht abwarten, bis sie auseinander gegangen und es dann dem Vorsteher allein sagen? Indessen war er der Gemeinde ganz nahe gekommen. Er selber wusste sich nicht mehr zu erinnern, wie er sich durch all die Leute zum Podium hin- durchgedrängt hatte. Auf dem Podium stand der Schreiber und verlas irgend etwas. Petro wartete. Die Stimme des Schreibers widerhallte ihm in den Ohren, doch die Worte zu unterscheiden vermochte er nicht. Er gab sich übrigens keine Mühe, ihm zuzuhören. Sein Kopf brannte. Was war das? Die Gemeinde brummte - der Schreiber war mit dem Verlesen zu Ende. Nun war es an der Zeit. Er nahm die Mütze ab und begann : Ihr guten Leute! . . ." Die Gemeinde wurde ein wenig stiller. Petro sagt etwas, hört zu!" Was will er denn?" So hört doch an, was der Mann sagt!" Petro benahm es den Mut, er atmete kaum. Ach! wie das die Brust bedrfickte... Ihr guten Leute! Verzeiht mir, denn ich bin ein Dieb! Aus dem Magazin habe ich gestohlen . . ." Nachdem er das gesprochen, warf er sich der Gemeinde zu Füssen ... Die Gemeinde begriff kaum, warum Petro sich einen Dieb nennt, denn keinem kam es in den Sinn, dass man aus dem Magazin gestohlen hätte. Der Schreiber hatte befohlen, Petro sofort zu arretieren. Doch liess es die Gemeinde nicht zu! Die Habe ist unser, also auch das Gericht!"-schrieen die Leute. Aber die Gemeinde tat Petro nichts. Er selber hatte von seinem Verdienst das Geld erspart, um drei volle Säcke Getreide zu kaufen und die brachte er ins Magazin. Und da wurde er auch gleichsam von neuem geboren. Die Gemeinde fühlte es, nicht mit dem Verstand, aber mit dem Herzen, was Petro zu einer solchen Tat getrieben und niemand mehr erwähnte das. Petro selbst beruhigte sich langsam. Und Horpyna wurde wieder seine Horpyna, dieselbe, die sie früher gewesen... Und sie fingen wieder an zu leben, zu leben...

Aus dem Ukrainischen von Wilhelm Horoschowski.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: den