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Ich bin ja noch ein Kind

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Textdaten
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Autor: Franz Werfel
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Titel: Ich bin ja noch ein Kind
Untertitel:
aus: Wir sind, S. 91-93
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Kurt Wolff Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[91]

Ich bin ja noch ein Kind

     O Herr, zerreiße mich!
     Ich bin ja noch ein Kind.
     Und wage doch zu singen.
     Und nenne dich.

5
     Und sage von den Dingen:

          Wir sind!

Ich öffne meinen Mund,
Eh’ du mich ließest deine Qualen kosten.
Ich bin gesund

10
Und weiß es nicht, wie Greise rosten.

Ich hielt mich nie an groben Pfosten,
Wie Frauen in der schweren Stund’.

Nie müht’ ich mich durch müde Nacht,
Wie Droschkengäule, treu-erhaben,

15
Die ihrer Umwelt längst entflohn!

(Dem zaubrisch, zerschmetternden Ton
Der Frauenschritte und allem was lacht.)
Nie müht ich mich, wie Gäule, die ins Unendliche traben.

Nie war ich Seemann, wenn das Öl ausgeht,

20
Wenn die tausend Wasser die Sonne verhöhnen,

Wenn die Notschüsse dröhnen,
Wenn die Rakete zitternd aufsteht.
Wie warf ich mich, dich zu versöhnen,
O Herr, aufs Knie zum letzten Weltgebet.

[92]

25
Nie war ich ein Kind, zermalmt in den Fabriken

Dieser elenden Zeit, mit Ärmchen, ganz benarbt!
Nie hab’ ich im Asyl gedarbt,
Weiß nicht, wie sich Mütter die Augen aussticken,
Weiß nicht die Qual, wenn Kaiserinnen nicken,

30
Ihr alle, die ihr starbt, ich weiß nicht, wie ihr starbt!


Kenn ich die Lampe denn, kenn ich den Hut,
Die Luft, den Mond, den Herbst und alles Rauschen
Der Winde, die sich überbauschen,
Ein Antlitz böse oder gut?

35
Kenn ich der Mädchen stolz und falsches Plauschen?

Und weiß ich, ach, wie weh ein Schmeicheln tut?

Du aber, Herr, stiegst nieder, auch zu mir.
Und hast die tausendfache Qual gefunden,
Du hast in jedem Weib entbunden

40
Und starbst im Kot, in jedem Stück Papier.

In jedem Zirkus-Seehund wurdest du geschunden
Und Hure warst du manchem Kavalier!

O Herr, zerreiße mich!
Was soll dies dumpfe, klägliche Genießen?

45
Ich bin nicht wert, daß deine Wunden fließen.

Begnade mich mit Martern, Stich um Stich!
Ich will den Tod der ganzen Welt einschließen.
O Herr, zerreiße mich!

[93]

Bis daß ich erst in jeden Lumpen starb.

50
In jeder Katz’ und jedem Gaul verreckte,

Und ein Soldat, im Wüstendurst verdarb.
Bis, grauser Sünder ich, das Sakrament weh auf der Zunge schmeckte,
Bis ich den aufgefreßnen Leib aus bitterm Bette streckte,
Nach der Gestalt, die ich verhöhnt umwarb!

55
Und wenn ich erst zerstreut bin in den Wind,

In jedem Ding bestehend, ja im Rauche,
Dann lodre auf, Gott, aus dem Dornenstrauche,
(Ich bin dein Kind.)
Du auch, Wort, praßle auf, das ich in Ahnung brauche!

60
Geuß unverzehrbar dich durchs All: Wir sind!!