Im Schutte der ewigen Stadt

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Textdaten
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Autor: C. V.
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Titel: Im Schutte der ewigen Stadt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 796–799
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: In den Ruinen Roms
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[796]
Im Schutte der ewigen Stadt.


Noch ehe diese Zeilen hinaustreten vor den großen Leserkreis der Gartenlaube, wird ein Stück Weltgeschichte seinen Abschluß gefunden haben, ein mehr denn tausendjähriges Herrscherthum, das unter dem weltlichen Scepter des Papstes, vielleicht vom Erdboden verschwunden sein, und mehr denn je trägt uns die Erinnerung in jene unvergeßlichen Wochen zurück, da uns vergönnt war, die Luft der ewigen Stadt auf den sieben Hügeln Latiums zu athmen. Lebhafter als je zuvor treten uns die Eindrücke vor die Seele, welche wir von Rom empfingen, und namentlich die ersten Tage unsers römischen Lebens tauchen in unverblaßter Frische wieder vor dem Auge unsers Geistes auf.

Es ist ein eigenes Ding um dieses ewige Rom! „Welchen Gesammteindruck macht denn Rom auf Sie?“ dies war so ziemlich die stehende Frage deutscher Landsleute, welche mir einige Zeit nach meiner Ankunft in der ewigen Stadt begegneten; ich war jedesmal versucht zu antworten: „Gar keinen,“ und ich bin mir bewußt, mit vielen und bedeutenden Reisenden ganz dasselbe Gefühl getheilt zu haben, das Gefühl der Enttäuschung.

[797]

Vor den Trümmern des Nervaforums.
Originalzeichnung von Robert Heck in Stuttgart.

[798] Fast durch jeden Fremden, den Florenz, Neapel, Venedig und Genua hingerissen, geht, wenn er zum ersten Male Rom betritt, eine eigenthümliche Verwunderung, daß er sich selbst nicht mehr verwundert. Dieses Gefühl erfaßt uns, wenn wir den weltbekannten Corso entlang schreiten, der an Breite kaum den Straßen einer Mittelstadt gleichkommt und trotz seiner den zum großen Theil unansehnlichen Gebäuden eingereihten Paläste uns lange nicht so imponirt, wie wir glauben, daß er uns imponiren müsse; es verläßt uns nicht in der Peterskirche, deren kolossale Maßverhältnisse die Fassungskraft unseres Auges übersteigen und nur durch Einzeleindrücke und Reflexion uns einen Begriff ihrer Riesengröße gewinnen lassen, und selbst die Ruinen Roms, das Colosseum und die Foren, machen vereinzelt, wie sie sind, mit elenden modernen Bauten untermischt, auf den ersten Besuch entschieden den Eindruck nicht, den man erwartet. Man muß sich in diese römische Welt erst einleben, muß erst erlernen jene neue Kunst des Sehens, die uns Goethe in seiner italienischen Reise – nebenbei die einzige Beschreibung Italiens, die ihrem Gegenstand wirklich gewachsen ist – so herrlich beschreibt und für die Rom die wahre Hochschule ist. Dann wird uns Rom zu unserer geistigen Heimath; die stille Erhabenheit seiner Denkmäler, die öde Hoheit seiner Landschaft lernen wir verstehen und lieben, und wir ziehen die, mit den glänzenden modernen Hauptstädten verglichen, fast langweilige Stadt und die einfache monotone Umgebung glänzenderen und unterhaltenderen Städten und Gegenden in tiefster Seele vor. Worin dieser mit jedem Tage wachsende Reiz liegt, darüber giebt es fast keine Erklärung, und doch bleibt er die herrschende Empfindung, die Jeden, der länger dort verweilt hat, mit ihrem ganzen Zauber faßt.

Man lernt in Rom künstlerisch sehen, und ich meine damit nicht nur, daß man durch den Anblick der ersten Meisterwerke der Welt das wahrhaft Schöne vom Häßlichen und Gemeinen, eine prahlerische Decoration vom wahren Kunstproducte scheiden lernt, man gewöhnt sich auch namentlich auf den Wanderungen durch die Ruinen, die verstreuten Reste jener einzigen Bildnerzeit aus der oft widersprechenden und entstellenden modernen Umgebung, die sich an dieselben angeklebt, herauszulösen und das Beschädigte und Zerfallene im Geiste wieder aufzubauen. Man betritt gern schmutzige Höfe, voll Unrath, Gestank und verdächtigen Gesindels, einen Säulenrest, ein Stück einer Mauer zu sehen, um sich aus dem Einzelnen ein Ganzes herzustellen. Man achtet nicht der Mahnungen seines furchtsamen Hauswirths, nicht der Geschichten, die über beraubte und geprügelte Engländer unverbürgt herumgetragen werden, und wandelt einsam in der Nacht auf dem öden Forum umher, um in der bläulichen Nebelwelt, in die der Mond die bunte Tageswirklichkeit auflöst, ungestört diesen wunderbarsten Ort der Weltgeschichte in seiner ehemaligen Gestalt sich wieder vorzumalen.

Wie Vieles uns in Rom auch verlockt und reizt, unsere Spaziergänge gelten doch am liebsten den Ruinen Roms, und auf dem Forum Romanum, das einst das Herz des republikanischen Roms war, wird auch unser Herz sich erst voll und ganz bewußt, daß wir in Rom sind. Es giebt in der Welt keinen Platz, wie der vom Capitol an dem einen, vom Colosseum am andern Ende begrenzte, keinen Weg, wie den vom capitolinischen Hügel durch den Titusbogen, bis zum letzten Monument der Kaiserzeit, dem Bogen des Constantin. Jeder Stein erzählt hier die Geschichte von Ländern und Völkern. Jetzt stehen nur noch Säulenreste, einzeln oder durch morsche Architrave zu drei und mehr miteinander verbunden, am Schlusse die gigantische Steinschale des Colosseum, das Ganze wie ein Riesenskelet der vergangenen Römerherrlichkeit. Armselige Häuser sind an der Seite hingebaut und prachtvoll gehörnte silbergraue Stiere lagern am Wege, nach denen durch einen grausamen Spott der Weltgeschichte dieser ehrwürdige Boden jetzt Ochsenfeld (Campo vaccino) benannt wird.

Einst war es anders, als von der Rednerbühne, wo jetzt die Kastanienfrau ihre Waare preist, die Rednerstimme an das Volk erscholl; als im Eintrachtstempel, dessen Unterbau noch steht, wie er stand zu Camillus’ Zeiten, Cicero seine vernichtenden Reden gegen Catilina und seine Genossen schleuderte; als hier das Lebens- und Vernichtungsloos über die Völker gezogen wurde, die lanzenbewehrten Legionen die Via Sacra hinabzogen und des Feldherrn höchste Siegesehre war, vor dem Volke hier mit seiner Siegesbeute zu erscheinen. Aber wie das Volk wuchs, das kleine Forum nicht mehr zu den Verrichtungen des öffentlichen Lebens ausreichte, prachtvolle Säulenhallen zu beiden Seiten gebaut wurden, die einflußreichsten Söhne der Republik sie schon als ihr Erbe zu betrachten begannen, da beginnt das Forumleben, auf dem die Republik ihr eigentliches Dasein führte, zu schwinden; wenn Julius Cäsar ein neues Forum in der Nähe baute, so sollten die Römer eben begreifen, daß das alte Forum nicht mehr ihr war. Mit Augustus, der ein drittes Forum baute, beginnt die Zeit der römischen Prachtanlagen. Er sagte bei seinem Tode, er habe eine Stadt aus Lehm in eine Stadt aus Marmor verwandelt. Das Forum mußte den würdigsten Boden zu den kostbarsten Monumenten geben, der kleine Raum wurde fast erdrückend gefüllt, mit Tempeln, Bildsäulen, Triumphbögen; beherrschend ragte über dieselben die Kaiserburg der Cäsaren auf dem palatinischen Hügel, von dem entmenschtesten Ungeheuer erbaut, das je auf dem Throne gesessen. Vespasian und Titus erbauten das gewaltige Colosseum, Hadrian den kolossalen Doppeltempel der Venus und der Roma, auf dem Capitol prangte mit goldenem Dache und goldverzierten Säulen und goldenen Thüren der Jupitertempel, und die herrlichsten Gartenanlagen dehnten sich auf dem Quirinal und Pincio aus, palastartige Straßen liefen nach alten Himmelsgegenden, Theater, Brücken, bedeckte Säulengänge führten von einem Vergnügen zum andern; in den Bädern, die Titus, Caracalla, Diocletian erbauen ließen, vereinigten Kunst und Ueppigkeit, was dem edelsten und wollüstigsten Genusse des Lebens diente, und prachtvolle Grabthürme, schon bei Lebzeiten ihrer Besitzer erbaut, von denen der eine, die heutige Engelsburg, noch immer ein Wahrzeichen Roms bildet, schreckten von der rauschenden Lust nicht ab.

Der Ruhm des Augustus ließ Domitian nicht ruhen, ein neues Forum anzulegen, in dessen Mitte ein Pallastempel prangte, dessen großartige Reste im siebenzehnten Jahrhundert Paul der Fünfte mit dem barbarischen Sinne, den die heiligen Väter oft bewiesen, geplündert, um mit dem Marmor eine nach ihm genannte Fontaine zu schmücken. Auch von den Umfassungsmauern, die diesen Tempel umgeben, ist noch ein Stück vorhanden, und dieses ist ausreichend, uns eine Ahnung von der großartigen Pracht zu geben, in der dieser Bau mit seinen Säulen und Friesen aufgeführt sein mußte. Obgleich von Domitian erbaut, trägt dieses Forum, von dem unsere Abbildung einen Theil vor Augen führt, den Namen Nerva’s, der es vollendete und an den wir auch lieber erinnert werden, als an jenen düsteren Tyrannen. An das Forum des Nerva schließt sich das des Trajan, die kolossalste und prachtvollste Bauunternehmung in dieser Art. Hier war es, wo der persische Prinz Hormisdas, der mit Kaiser Constantin Rom besucht und alle Zierden der ewigen Stadt bewundert hatte, niederfiel und ausrief, er freue sich, daß auch in Rom die Menschen sterblich seien.

So wuchsen die Stätten des öffentlichen Lebens in Rom, je mehr das öffentliche Leben selbst verfiel, und in dieser Pracht hat Rom bis zur Zeit des Honorius bestanden. Der Umfang seiner Mauern betrug damals einundzwanzig Miglien; sechszehn Hauptthore führten in’s Freie, achtundzwanzig gepflasterte Straßen verbanden die Stadt mit den Provinzen, vierzehn Wasserleitungen, die in meilenlangen Bogengängen durch die Campagna bis in’s Gebirge sich hinzogen, versorgten die Stadt mit dem herrlichsten Wasser, das aus prachtvoll verzierten Brunnen sprudelte. Aber die Herrlichkeit des alten Rom ging zu Ende, fremde Völker drangen ein und die alte Pracht fiel ihnen zur Beute, die Tempel und Paläste wurden zu Trümmern, bis zu zwanzig und dreißig Fuß hoch liegt der Schutt über dem Niveau der alten Kaiserstadt aufgethürmt. Die Säulen am Nerva-Forum stehen noch achtzehn Fuß unter der Erde; auf dem Forum Romanum waren sie noch Anfang dieses Jahrhunderts bis zum Capitäl mit Erde bedeckt, und ein Anstreicher, der an diesem Capitäl seine Werkstatt errichtet, spritzte in die Verzierungen desselben seine Pinsel aus, was später die Archäologen zu dem Glauben verlockte, die Capitäle seien bemalt gewesen. Die Kunstschätze wurden theils verschüttet, theils vergraben. Vieles hat man davon wieder zu Tage gefördert, Vieles steigt jeden Tag empor, unendlich viel harrt noch der Entdeckung. Was die Barbaren verschont hatten, das ging in der Hand der Römer selbst zu Grunde; aus prachtvollen Grabmälern wurden im Mittelalter Castelle, die in den Kämpfen der streitsüchtigen römischen Barone als Vertheidigungspunkte dienten; das Colosseum, das einst siebenundachtzigtausend Zuschauer auf seinen Sitzen gesehen, um sich an den Gladiatorenschlächtereien zu [799] weiden oder an dem ungleichen Kampf der Wüstenthiere und wehrloser Christen ihre raffinirte Grausamkeit zu letzen, wurde als Steinbruch betrachtet, aus dessen Material die römischen Fürsten ihre Paläste aufführten. Die Paläste Barberini und Farnese sind aus den Steinen des Colosseums aufgeführt, und der großartige Bau, von dem trotzdem noch immer die äußere Schale steht, wurde so verstümmelt. Man muß die geschmacklosen Passionsstationen, durch welche diese Ruine zu einem gottesdienstlichen Raume geweiht worden ist, freudig begrüßen, weil sie weiterer Zerstörung Einhalt gethan. Auch die heiligen Väter thaten das Ihrige im Demoliren der alten Herrlichkeit.

Sie alle haben Rom zu dem gemacht, was es jetzt ist; vielleicht immer noch die merkwürdigste Stadt der Welt, ist sie vielleicht auch die gesunkenste. Die Stätten, auf denen sich einst die alte Kaiserstadt ausbreitete, sind jetzt theils verödet, theils mit schmutzigen, unansehnlichen Häusern besetzt; der Kern der Stadt wurde nach der vaticanischen Residenz der Päpste über den Tiber und auf das alte Marsfeld verlegt. Wo einst die stolzesten Bürger der Welt wandelten, treiben sich zerlumpte Bettler umher, Hunger und Elend spricht aus ihren Zügen, und mehr als einer trägt die Spuren des tückischen Malariafiebers, das ihn in der ungesunden Campagna überfallen, die durch Drainirung leicht zum fruchtbaren Ackerlande zu machen wäre, was aber Dank dem päpstlichen Regimente nicht geschieht. Kohlstrünke, die eine Köchin unbekümmert aus dem dritten und vierten Stocke eines Hauses niedergeschleudert und die von hungerigen und mißhandelten Lasteseln benagt werden, liegen da, wo einst der Fußtritt geharnischter Legionen dröhnte. Weinkneipen, Bäcker- und Fleischerläden haben sich in den Resten der alten Foren eingenistet. Im Colosseum, in dessen Mitte man ein einfaches Kreuz aufgerichtet, an keinem Orte wohl passender und siegreicher die Nemesis der Geschichte verkündend, wird unter freiem Himmel von einem Capuziner eine Predigt gehalten, und wieder ist der Ort zum Kampfplatz geworden, denn der schnupfende Gottesmann zieht mit Donnerstimme gegen die Protestanten zu Felde.

Durch den Titusbogen, dem Titus zu Ehren errichtet, als er die Löwenstreiter von Jerusalem nach verzweifeltem Todeskampfe im Triumphe nach Rom führte, rollt, von sechs Büffeln gezogen, ein weißer Marmorblock, auf einem rohen Räderkarren befestigt, der Stadt zu; wie Ungeheuer einer vergangenen Weltperiode, trotten die gewaltigen grünschwarzen Thiere dahin, einen häßlichen Bisamduft verbreitend. Ein eiserner Ring durch die Nase und der Stachelstock des Führers sind die einzigen Lenkungsmittel, der Weg geht abschüssig und es muß gehemmt werden. Von vorn wird deshalb den Büffeln der Stachel in die Schulter gestoßen, daß das Blut nachspritzt. Der Marmor gelangt langsam zur Stadt, aber zu keinem Monument, das dieselbe schmücken wird, wie dereinst, soll er bearbeitet werden, er wandert in das Atelier eines Künstlers, der irgend einen Faun oder eine Bacchantin, die einzigen Gestalten, zu denen sich das epigonenhafte Talent der meisten Bildhauer aufschwingt, daraus fabricirt, und wird hier an irgend einen an Geldüberfluß und Geschmacklosigkeit leidenden Russen oder Engländer losgeschlagen. Im Schatten liegen kräftige, schöne Männergestalten und wissen nichts Besseres zu thun, als zu schlafen. Eine Abtheilung von französischen Soldaten macht ihre militärischen Uebungen und ihr wildes Trommelgerassel klingt wie eine Erinnerung an die kriegerischen Zeiten Roms; die Cigarre im Munde, mit zerrissener und verschabter Uniform, sehen ein paar päpstliche Soldaten zu und scheinen diese Manipulationen nicht zu kennen und zu verachten. In Begleitung eines süßlächelnden, rothstrumpfigen Cardinals steigen seidenrauschende Engländerinnen den palatinischen Hügel hinan, sich die neuausgegrabene Prätorianercaserne in den farnesischen Gärten anzusehen und in’s Album zu zeichnen, aber fürstlicher und edler ist die Haltung des krugtragenden Römermädchens, das mit einem stolzen Blick, ohne das königliche Haupt zu wenden, an ihnen vorübergeht, und der stutzerhafte Brite, der auf einem hohen Klepper in der eigenthümlichen Reitweise seiner Nation dahintrabt, kann sich an Anstand dem schwarzbärtigen Campagnolen nicht vergleichen, der, den grüngefütterten Mantel über die Schulter geschlagen, die Flinte über dem Rücken, die Via Appia hinabreitet.

Plötzlich erfaßt Alle eine starre Aufmerksamkeit; die Soldaten, die nie fehlenden Mönche, die zerlumpten Bettler und Bettelweiber fallen auf die Kniee, die Fremden nehmen den Hut ab und setzen die Lorgnette auf, sechs Nobelgardisten zu Pferd sprengen heran, und ihnen folgt, von sechs prachtvollen Rappen gezogen, die Carosse des Papstes. Der alte schöne Herr im weißen Kleide darin, links und rechts den Segen ertheilend, kehrt von der öden Campagna, in der er Luft geschöpft, in den öden Vatican zurück.

Pius der Neunte hat einen Zauber, der mächtiger ist, als seine Allocutionen und seine Hirtenbriefe: das ist seine persönliche Erscheinung. Dem mild ernsten Blicke seiner prachtvollen schwarzen Augen vermag sich kein Herz zu verschließen, und die sonore Orgelstimme des fünfundsiebenzigjährigen Mannes, durch die der apostolische Segen am Ostertage auf dem ganzen großen Petersplatze vernehmbar wird, ist von unwiderstehlicher Gewalt. Seine Rundreisen durch die Provinzen, seine Ausfahrten machen bei seinem Volke, seine Audienzen bei den Fremden stets entschiedene Propaganda für ihn. Freilich er selbst wird bei diesen Rundreisen und Ausfahrten wenige für ihn erfreuliche Zeugnisse seines geistlichen Regiments erblicken. Denn was ist das auf den mächtigsten Trümmern der Welt erbaute heutige Rom? Ein Sammelplatz meist unthätiger Kleriker und Mönche, ein Schlupfwinkel für allerhand compromittirte Persönlichkeiten, ein Winteraufenthalt für Fremde, ein großes Atelier für deutsche Künstler; und das römische Volk, durch eine Jahrhunderte lang gehegte geistige Nahrungslosigkeit, ist zu einer Gesellschaft von Zimmervermiethern, herumlungernden Stutzern, ihre Schönheit preisgebenden Modellen und Spitzbuben herabgesunken. Und diese letzteren sind nicht etwa nur jene unheimlichen Gestalten, die mit Dolch und Pistole nächtlicher Weile dem einsamen Wanderer auflauern, sie erhalten ihr Vorbild von den höchsten Beamtenkreisen. Sagte doch einmal der Polizeidirector, dessen Neffe bei einer Eisenbahngesellschaft angestellt war und dort bedeutende Unterschleife sich hatte zu Schulden kommen lassen, als man sich deshalb bei ihm, dem Onkel, beschwerte: „Mein Gott, sind wir nicht auch einmal jung gewesen?“ Und die Gesellschaft mußte froh sein, daß jener junge Mann sich von selbst heimlich entfernte, nachdem er an der Casse noch einmal einen genialen Jugendstreich verübt hatte.

Aber wie auch geistliche Unterdrückung und bodenlose Vernachlässigung das Volk heruntergebracht und namentlich eines ihm genommen, die Energie sich zu bessern und zu würdigen Zuständen aufraffen zu wollen; wie man seine zu den heldenhaften Gestalten so wenig passende Feigheit verachten muß, seiner Unzuverlässigkeit und Unsolidität herzlich überdrüssig wird: so erkennt man doch noch die großen und herrlichen Anlagen, mit denen die Römer geziert waren, und jenen fürstlichen Stolz, der noch immer an die alten Beherrscher des Erdkreises erinnert. Freilich der Stolz hat etwas Bettelhaftes bekommen bei einer Bevölkerung, deren ganze Existenz von dem Kommen oder Nichtkommen reicher Fremden abhängt, und es klang fast wie ein Spott, als ein fahrender Zahnarzt, der seine Künste pries, eine Anzahl Betteljungen als Beherrscher der Welt anredete. Es hat etwas Wehmüthigeres noch, als der Zerfall der alten Tempel, den Zerfall dieses großen und herrlichen Volkes zu sehen. Und das Volk weiß das, es klagt über seine gesunkene Größe, freilich ohne sich aus dem thatenlosen Schlenderleben erheben zu können und zu wollen. Es fühlt, daß es selbst ein Bild seiner Ruinen ist, und es war ein Schauspiel von tragischer Gewalt, als vor einigen Jahren, da der Carneval im Corso tobte und statt der feinen Grazie, die der Römer bis zum untersten herab in solchen Volksfestlichkeiten zu wahren versteht, Engländer ihre rohen Späße trieben, eine Anzahl Römer auf dem alten Forum in Trauerkleidern umherwandelte, die alten Zeiten und die alte Größe beweinend.

Sie gehören, diese Römer, zu ihren zerbrochenen Säulen und verödeten Amphitheatern, und es hat sich deshalb um dieselben auch der Theil der Bevölkerung angesiedelt, der in seiner Schönheit und seinem Verfall vor Allem den Stempel der römischen Race trägt. Wehmüthig sieht das Standbild der Minerva, mit dem Rauche der Brände Roms und dem Qualm, der aus dem Ofen des Pastetenbäckers dringt, wie mit einem Trauerflor überzogen, auf sie herab, eine neue Mahnung an den gestürzten Adel Roms. Die Sinnbilder des häuslichen Fleißes, die dem Friese des Nervaforums eingehauen waren, haben auf sie keinen Bezug mehr und mahnen, wie in Rom alles Große und Schöne, an eine vergangene Zeit.
C. V.     




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