In der Schleifmühle

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Autor: Max Haushofer
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Titel: In der Schleifmühle
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 504–506
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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In der Schleifmühle.

Von M. Haushofer.


Zwischen Lech und Isar schieben die Alpen eine waldreiche Hügellandschaft nordwärts gegen die bayerische Hochebene. Durch tiefdunkle Thalschluchten zieht hier der Ammerfluß in vielgewundenem Laufe der Ebene zu, am Fuße des Peißenbergs vorüber, der sich in einsamer Höhe über die Hügel erhebt und weithinschauend die stammverwandte Alpenkette grüßt.

Die mächtigen Waldungen, welche die Ufer des Ammerflusses beschatten, und die meilenlangen Moore, die sich im Norden und Osten an sie schließen, sind ein gefürchtetes Gebiet. Nicht als ob Wölfe oder Raubgesindel hier hausten. Nein – diese Wälder sind todtenstill, bis auf die hallende Holzaxt, die ab und zu in der Ferne erklingt, und auf den sehnsuchtweckenden Schlag der Walddrossel.

Aber die seelenlose Natur ist’s, die hier Unheimliches treibt. Denn das Ammerthal ist die Heimath der schwersten Gewitter, welche die südbayerische Hochebene kennt. Ueber diesen dunklen Waldungen und wasserreichen Mooren pflegen sie aufzusteigen, die riesigen Dunstgestalten des Aethers; hier sättigen sie sich mit ihrer dumpf grollenden Elementarkraft, um sich nach stundenlangem Brüten in Bewegung zu setzen und dann langsam hinauszuwälzen über die bewohnten Gelände und endlich mit zerstörender Wucht sich zu entladen.

Durch dieses Waldgefild wandern wir an einem schwülen Tage des Vorsommers der nächsten Eisenbahnstation zu, während über den blauschwarzen Ausläufern der Alpen sich eines jener berüchtigten Wetter des Ammerthales zusammenzieht. Bleigrau liegt es im Westen, geisterhaft steigt im Gewitterdunst, noch vom Schneegewande des Winters umkleidet, wie eine Zauberburg der höchste Berg des deutschen Reichs, die Zugspitze, empor.

Den Weg haben wir längst verloren, nur die Richtung nicht. Sie führt uns nach Osten, wo noch klarer Aether über beleuchteten Hügeln lacht. So sehr wir aber den Schritt beflügeln: machtlos ist alle Eile gegenüber der dräuenden Hast, mit welcher das Gewölk sich zusammen ballt, hinter uns dreinjagt und grollend sich über uns wölben will. Immer eilender wird unsere Wanderung, bald den Rand eines Hochmoores entlang, dann wieder durch hochstämmigen Fichtenwald aufwärts. Endlich scheint’s uns, als stünden wir auf dem letzten Waldrücken, von dem aus das Gelände sich abwärts senkt nach dem breiten Thale, durch welches der Schienenweg läuft. Aber schon orgelt der

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In der Schleifmühle. 0Nach dem Oelgemälde von Prof. Fr. Keller.

[506] Sturm durch die Bäume; schwere Tropfen fallen nieder. Und wie der nächste gewaltige Donnerschlag den Höhepunkt des Naturdramas verkündet, sehen wir graue Dächer vor uns und eine rauchende Esse, hören das Rauschen eines Wildbachs und das Tosen eines mächtigen Rades, und stehen einen Augenblick später tief aufathmend unter einem altersgrauen Thorbogen, während draußen der Hagel niederschlägt.

Neugierig sehen wir uns um. Das Dach, das uns schirmend aufgenommen hat, gehört zu einer jener Hammerschmieden, die man nicht selten an den Bergbächen im Alpenlande findet. Durch spinnwebumzogene Fenster fällt mattes Licht in den dämmerigen Raum, wo Wasser und Feuer als dienende Knechte arbeiten. Die eine Hälfte des Raums gehört dem Feuer an; da sehen wir eine mächtige Esse mit einem schwerfälligen Gebläse; daneben ein Paar schwere, durch ein Mühlwerk getriebene Hämmer. Jetzt rasten die Hämmer; aber der blanke Ambos unter ihnen und die umherliegenden Werkstücke zeugen von unlängst beendeter Arbeit. Im anderen Theile der Werkstatt trieft es und rieselt. Aus dickem gelbgrau gefärbtem, schlammüberkleidetem Gebälk ragt ein Paar riesiger Schleifsteine hervor. Ein altes hölzernes Zahnrad, braun und ungeschlacht, das mit dem Mühlrade draußen in Verbindung steht, schwingt sich knarrend um seine wuchtige Achse und dient dazu, die einzelnen Theile des Werks, das Gebläse, die Hämmer und die Schleifsteine, in Bewegung zu setzen. Das Ganzem scheint wie von Cyklopenhänden geschnitzt zu sein.

Nur ein einziger Arbeiter ist in der Werkstatt beschäftigt, ein alter, aber kräftig gebauter Mann. Triefend von dem umhersprühenden Schleifwasser, die Augen durch dicke Gläser gegen die umherfliegenden Stahlsplitter geschützt, sitzt er reitend auf einem Balken vor dem sausenden Schleifsteine und prüft die Schneide eines schweren funkelnden Beiles, an dem er arbeitet. Und so vertieft ist er in sein Werk, daß er nicht auf das kleine Mädchen achtet, welches hinter ihm steht, in den Händen ein Schüsselchen Suppe für den Großvater. Erst wie sie ihn mit heller Stimme anredet, rückt er sich die Brille auf die Stirn hinauf, nickt dem Mädchen zu, stellt den Stein bedachtsam in Ruhe und steigt von seinem harten Sitze herab, um sein einfaches Abendmahl zu verzehren. Nun erblickt er auch uns Fremdlinge und wird des Regens und des Hagels gewahr, der draußen auf die Straße niederstäubt. Ein gutmüthiges Lachen und ein verständnißvoller Blick zeigt uns an, daß er sich freut, wenn ihm das Unwetter Stadtleute in seine einsame Werkstatt getrieben hat. So setzen wir uns zu dem Manne auf eine Holzbank vor dem Thore, geschützt durch das vorspringende Dach, und reden mit ihm über seine Arbeit und sein Leben, während er behaglich seinen Bierkrug leert.

Der Mann spricht anfangs nur von seinem Geschäft und von der Umgebung; aber wie der Regen leiser und leiser niederrieselt und zuletzt Streifen eines nassen Abendsonnenlichts über die triefenden Wälder hinfließen, scheinen ihm alte Erinnerungen aufzutauchen, Erinnerungen, bei welchen er mit stiller Resignation nicht ungern verweilt. Und wie wir, während die letzten Tropfen des Unwetters niederfallen, ihm die hartgearbeitete Hand drücken, um auf dem Fußsteig, den er uns gewiesen hat, die nahgelegene Bahnstation zu erreichen, hat er uns in den rauhen Worten seines Hochlandsdialekts seine Geschichte erzählt. Sie läßt sich mit wenigen Worten wiedergeben.

Seit einem halben Jahrhundert arbeitet der alte Schleifer in derselben Hammerschmiede. Einst hatte neben ihm an dem anderen Steine sein Bruder Florian gesessen. Das ist lang, lang vorbei. Flotte, schneidige Bursche waren sie beide gewesen, der Hans und der Florian. Treu hatten sie zu einander gehalten; und wenn es irgendwo bei einer Kirchweihe eine Schlägerei gegeben hatte, dann hatten allzeit die beiden Hammerschmiedgesellen das Feld behauptet, weil sie gewohnt waren, einander in die Hände zu arbeiten. Den Beiden war kein Stein, kein Werkstück zu schwer gewesen. Und wenn ein neuer Schleifstein auf seine Achse gebracht war, dann hatt’ es immer einen edlen Wettstreit zwischen den beiden Brüdern gegeben, wer von ihnen zuerst die gefahrdrohende Arbeit wagen dürfte, den unheimlichen sausenden Block zu versuchen. Denn es ist in den Schleifmühlen nichts Unerhörtes, daß solch ein neuer Stein, der etwa innerlich einen Sprung hat, bei seiner ersten Benützung zerspringt und centnerschwere Bruchstücke mit der zerstörenden Gewalt von Granatsplittern umherschleudert.

Florian war verheirathet gewesen, Hans nicht. Und als eines Tags wieder ein neuer Stein auf die Achse gebracht worden war, der beiden Brüdern verdächtig erschien, da hatten sie wieder gestritten, wer den Stein versuchen dürfe. Umsonst hatte Hans den Bruder gebeten, an Weib und Kind zu denken und ihn, den ledigen, an den gefährlichen Posten zu lassen. Der Florian aber war eigensinniger gewesen als je zuvor, und schweren Herzens hatte Hans endlich nachgegeben. Und wie er befürchtet hatte, so war’s gekommen. Mitten im tollsten Umschwung war der Stein in Trümmer gegangen; eines der Trümmer hatte den arbeitenden Florian zum Tode getroffen, und sterbend hatte er in den Armen des Bruders gelegen und demselben Weib und Kind empfohlen.

Ein Jahr später hatte Hans die Wittwe des Bruders geheirathet. Sie war früh gestorben, und ihre einzige Tochter auch. Und nun haust der alte Schleiferhans mit dem einzigen Enkelkinde des Bruders zusammen. Die Kleine bringt ihm Tag für Tag Mittags und Abends die Mahlzeit in die Werkstatt. Wenn sie mit ihrer jungen Stimme ihn daran erinnert, daß sie da sei, legt er das Werkstück weg und stellt den Stein in Rast; dann schaut ihn der Bruder aus den hellen Augen des Kindes an. Aber das Kind wäre gar nicht nöthig, ihn an den Todten zu erinnern; denn der alte Mann hat ein treues Gedächtniß; und der Platz, auf dem er sitzt, der sausende Stein und das rieselnde Wasser sind heute noch so, wie sie damals waren – vor fünfunddreißig Jahren; und während die Stahlsplitter und Wassertropfen den alten Schleifer umsprühen, hat er Zeit und Veranlassung genug, der Vergangenheit zu gedenken.

Die rieselnden Wellen des Baches, der die Schleifmühle in Bewegung setzt, begleiten uns zur Bahnstation. Und während das Unwetter fern im Nordosten weitertobt, fällt auf die endlosen Wälder hinter uns breit und goldig das Abendlicht, und in diesem Lichte glitzert auch das nasse Dach der alten Schleifmühle, in welcher jetzt wieder der weißbärtige Schleiferhans vor seinem Steine sitzt und darüber nachdenkt, wie das Leben und die Wasser weiterrieseln.