Interessantes aus der Geschichte Marokkos

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Autor: Walther Kabel
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Titel: Interessantes aus der Geschichte Marokkos
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 10, S. 223–227
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[223] Interessantes aus der Geschichte Marokkos. – Im Jahre 1575 übernahm der erst einundzwanzig Jahre alte König Sebastian von Portugal selbständig die Regierung seines Landes, nachdem er diese bis dahin unter Vormundschaft seines Oheims geführt hatte. Portugal befand sich damals auf der Höhe seiner Macht. In Marokko besaß es außer Arsila am Atlantischen Ozean noch die wichtige, befestigte Handelstadt Tanger an der Straße von Gibraltar.

Sebastian, ein schwärmerisch veranlagter Charakter, kannte nur ein Ziel: durch einen Kreuzzug Nordafrika aus den Händen der Araber zu befreien. Nachdem er schon 1574 eine Expedition von Tanger aus gegen die Mauren unternommen hatte, bot sich ihm vier Jahre später abermals Gelegenheit zu einer Einmischung in die gerade zwischen dem Sultan Abd ul Malik [224] und dessen Neffen Mulei Mehemed entbrannten Thronfolgestreitigkeiten. Mulei Mehemed, in mehreren Gefechten von den Sultanstruppen geschlagen, war mit dem Rest seiner Anhänger in die portugiesische Feste Tanger geflüchtet, deren Befehlshaber er dann durch das Versprechen großer Gebietsabtretungen für seine Sache zu gewinnen wußte. Sebastian stimmte den lockenden Vorschlägen seines Festungskommandanten begeistert zu, schloß in Lissabon mit dem persönlich erschienenen Prätendenten Mulei Mehemed ein Schutz- und Trutzbündnis ab und bemühte sich auch im Auslande aufs eifrigste um Hilfsstreitkräfte für den neuen Kreuzzug gegen die Mauren.

Da Papst Gregor XIII. dem König seinen Segen sandte und außerdem 600 irische Schützen stellte, unterstützten auch andere Länder den Plan, darunter besonders Spanien durch Stellung von 1000 Mann Infanterie und Wilhelm von Nassau durch 3000 deutsche Söldner unter Graf Talberg, letztere eine Elitetruppe, die schon in vielen Kämpfen erprobt war. Durch diese Zuzüge hatte das Kreuzheer eine Stärke von 16.000 Mann Infanterie, 1500 Reitern und zwölf leichten Feldschlangen erreicht.

Da jedoch inzwischen in Europa bekannt geworden war, daß auch Sultan Abd ul Malik bereits Truppen von rund 50.000 Mann, davon die Hälfte vorzüglich bewaffnete Reiter, gesammelt hatte, fehlte es nicht an warnenden Stimmen, die König Sebastian rieten, den Feldzug noch zu verschieben, bis weitere Verstärkungen eingetroffen wären. Doch der ungestüme jugendliche Herrscher ließ sich nicht zurückhalten, trotzdem ihm auch der Papst wohlmeinend nahelegte, noch ein Jahr zu warten. Am 7. Juli 1578 wurde die Streitmacht Portugals in Tanger gelandet und machte sich sofort auf den Marsch nach Fez, der Hauptstadt des Sultans.

Bei El-Ksar-el-Kbir, zweiundfünfzig Kilometer von Tanger entfernt, stießen die feindlichen Heere am 4. August aufeinander. Graf Talberg eröffnete mit den deutschen Söldnern den Angriff. Sein Vorstoß war so wirkungsvoll, daß das Zentrum der maurischen Stellung durchbrochen wurde. Leider wußte Sebastian [225] diesen Vorteil nicht auszunützen. Er beging in übereiltem Siegesbewußtsein den schweren taktischen Fehler, die Flügel seines Heeres zu entblößen, indem er die Hauptmacht seiner Truppen in die von den Deutschen gesprengte Lücke warf. In diesem Augenblick ließ der Sultan seine überlegenen Reitergeschwader die geschwächten Flügel angreifen und rollte sie im ersten Ansturm völlig auf. Damit war die Schlacht für die Portugiesen verloren. Ein furchtbares Morden begann, dem nur sechzig Mann des Kreuzheeres entgingen. Abd ul Malik, sein Gegner Mulei Mehemed, König Sebastian und Graf Talberg waren ebenfalls gefallen.

Diese Niederlage vernichtete für alle Zeiten die Großmachtstellung Portugals. Auf den Gefilden El-Ksars aber modern die Gebeine jener 3000 tapferen deutschen Landsknechte, von denen auch nicht ein einziger in die Heimat zurückkehren sollte. Marokkanischer Boden ist mit deutschem Blute gedüngt, eine Tatsache, die bisher in deutschen Landen wenig bekannt sein dürfte. Über drei Jahrhunderte sind seit jenem blutigen Kampfe dahingegangen. Erst jetzt soll auf Veranlassung der deutschen Botschaft in Tanger jener heldenmütigen Schar das wohlverdiente Denkmal errichtet werden. –

Welche Hochachtung ein marokkanischer Sultan am Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts vor dem Waffenruhm Friedrichs des Großen hatte, geht aus folgenden Tatsachen hervor. Im Frühjahr 1779 scheiterte der nach den Kanarischen Inseln bestimmte, in Emden beheimatete Segler „Sturmvogel“ an der atlantischen Küste von Marokko. Kapitän des Schiffes war ein geborener Holländer namens Jan Klock, der die preußische Staatsangehörigkeit erworben hatte. Klock und vierzehn Mann der Besatzung, die von den Wogen lebend an das Land gespült waren, wurden von den Marokkanern gefangen genommen und nach Mogador gebracht. Lange Wochen schmachteten sie dort in einem elenden Gefängnis, mit Ketten schwer belasten. Da sollte sich urplötzlich ihre entsetzliche Lage bessern. Eines Tages wurden sie aus dem Gefängnis in ein luftiges Gebäude geführt, wo ihnen nicht nur gute Nahrung und kostbare Gewänder gereicht, sondern auch ganz nach ihrem Belieben [226] Ausflüge in die Umgegend gestattet wurden. Nachdem sie sich von den ausgestandenen Entbehrungen völlig erholt hatten, wurden sie unter starker Bedeckung nach Fez geleitet.

Dort herrschte damals Muley Ismael, wohl der grausamste aller Sultane, die je über Marokko regiert haben. Noch immer wußten die gefangenen Seeleute nicht, welchem Umstand sie den plötzlichen Umschwung in ihrer Behandlungsweise zu verdanken hatten, da niemand ihnen hierüber Aufschluß geben konnte. Auf ihre Fragen erhielten sie stets dieselbe Antwort: „Auf Befehl des Sultans.“ Schließlich kam der Kapitän, der von dem blutigen Muley Ismael schon manche Schandtat gehört hatte, auf die Vermutung, man habe sie nur deswegen zuletzt so gut verpflegt, um für sie auf dem Sklavenmarkte in Fez einen möglichst hohen Preis herauszuschlagen. Mit recht gemischten Gefühlen sahen die fünfzehn Europäer daher die Kuppeln der Moscheen von Fez vor sich auftauchen.

Zu ihrer freudigen Überraschung nahm der Sultan sie jedoch aufs freundlichste in seinem Palast auf. Von einem griechischen Kaufmann, der des Deutschen mächtig war und den Dolmetscher bei der Unterredung spielte, erfuhren sie dann, daß Muley Ismael erst durch die angeschwemmte Flagge ihres gestrandeten Schiffes die Überzeugung erlangt hatte, es wirklich mit Untertanen des von ihm begeistert verehrten preußischen Königs zu tun zu haben. „Ich liebe euren König wie meinen Bruder,“ ließ er den Seeleuten durch den Dolmetscher sagen. „Sein Ruhm überstrahlt das Abendland wie das Morgenland. Seine Feinde sind meine Feinde. Ich habe allen meinen Schiffsführern schon seit einem Jahre verboten, ein Fahrzeug, das unter der schwarz-weißen Flagge segelt, anzugreifen.“

Zwei Monate blieben Klock und seine Matrosen als Gäste Ismaels in Fez und führten ein wahres Schlaraffenleben. Während dieser Zeit mußte der Kapitän täglich dem Sultan alles, was er nur von Friedrich dem Großen wußte, vornehmlich von dessen Kriegen, erzählen. Da Klock als geborener Holländer in der preußischen Geschichte nicht gerade allzu bewandert war, mußte er, um die Neugier des Fürsten zu befriedigen, den größten Teil seiner Vorträge frei erfinden. Als Seemann [227] mit viel Phantasie ausgestattet, brachte er das schwierige Kunststück, während acht Wochen täglich Neues berichten zu müssen, glücklich zustande.

Als der Sultan die Seeleute entließ, gab er ihnen reiche Geschenke mit und schärfte dem Kapitän besonders ein, den großen König seiner wärmsten Freundschaft zu versichern. Von den vierzehn Matrosen kehrten jedoch nur neun mit Klock in die Heimat zurück. Fünf hatten sich in der Zwischenzeit mit Töchtern maurischer Großen vermählt. Kein anderer als Joachim Nettelbeck, dessen Rame durch die Verteidigung Kolbergs später unvergänglichen Ruhm erlangte, brachte auf seinem Dreimaster Klock und die neun übrigen Männer von Lissabon nach Amsterdam. Hier wurde ein amtliches Protokoll aufgenommen, das all die abenteuerlichen Erlebnisse der Schiffbrüchigen des „Sturmvogels“ genau wiedergab. Dieses Protokoll legte der preußische Gesandte Friedrich dem Großen vor, der es in den damals bestehenden Berliner Zeitungen wörtlich abdrucken ließ.

W. K.