Iphigenie in Aulis – Teil 1
Iphigenie in Aulis ist ein Drama von Euripides, das im achtzehnten Jahrhundert von Friedrich Schiller aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Version folgt der Orthografie aus Schillers Thalia.
Das Theaterstück spielt kurz vor dem Trojanischen Krieg, als die Griechen mit ihren Schiffen nach Troja in See stechen wollen. Göttin Artemis verspricht ihnen nur frischen Wind, wenn der Anführer Agamemnon seine Tochter Iphigenie opfert. Als Agamemnon seinem Bruder Menelaus von der Opferung berichtet, ist dieser zwar zuerst entsetzt, steht ihm aber bei. Unter dem Vorwand, dass sie Achilles heiraten soll, lockt Agamemnon Iphigenie in das Militärlager, ahnt aber nicht, dass seine Gattin Clytemnestra zur angeblichen Hochzeit mitgekommen ist.
Im zweiten Teil findet Clytemnestra heraus, dass Achilles nichts von der Heirat weiß, und ein Sklave verrät ihr von der geplanten Opferung. Das griechische Heer ist dafür, Iphignie zu opfern, weil sie unbedingt nach Troja ziehen wollen, weshalb Achilles verspricht, Iphigenie zu beschützen. Schließlich entscheidet sich Iphigenie jedoch, als Heldin für ihr Land zu sterben und stellt sich freiwillig der Opferung.
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Inhaltsverzeichnis
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I.
Iphigenie in Aulis.
übersetzt aus dem Euripides.
Agamemnon.
Menelaus.
Achilles.
Clytemnestra, Agamemnons Gemahlinn.
Iphigenie, Agamemnons Tochter.
Ein alter Sclave Agamemnons.
Ein Bote.
Chor, fremde Frauen aus Chalcis, einer benachbarten Landschaft, die gekommen sind, die Kriegs- und Flottenrüstung der Griechen in Aulis zu sehen.
Die Scene ist das griechische Lager in Aulis, vor dem Zelt Agamemnons.
Agamemnon. Der alte Sclave.
Agamemnon ruft in das Zelt.
Hervor aus diesem Zelte, Greis.
Sclave
(indem er herauskommt)
Hier bin ich.
Was sinnst du neues, König Agamemnon?
Agamemnon.
Du wirst es hören. Komm.
Sclave.
Ich bin bereit.
Mein Alter flieht der Schlummer und noch frisch
Agamemnon.
Das Gestirn dortoben!
wie heißts?
Sclave.
Du meinst den Sirius, der nächst
dem Siebensterne der Pleiaden rollt?
Noch schwebt er mitten in dem Himmel.
Agamemnon.
Auch
läßt noch kein Vogel sich vernehmen, kein
um den Euripus her.
Sclave.
Und doch verlässest
du dein Gezelt, da überall noch Ruhe
in Aulis herrscht und auch die Wachen sich
nicht rühren? König Agamemnon, komm.
Agamemnon.
Ich beneide dich,
und jeden Sterblichen beneid’ ich, der
ein unbekanntes unberühmtes Leben
frey von Gefahren lebt. Weit weniger
beneid’ ich den, den hohe Würden krönen.
Sclave.
Agamemnon.
Zweideutge Zier! Verrätherische Hoheit!
dem Wunsche süß, doch schmerzhaft dem Besitzer!
Jezt ist im Dienst der Götter was versehn,
das uns das Leben wüste macht – Jezt ists
die Menge, die es uns verbittert.
Sclave.
Herr
von einem Hochgewaltigen, von dir,
hör’ ich das ungern. Hat denn Atreus nur
zu thränenlosen Freuden dich gezeuget?
bist du mit Lust und Leiden ausgestattet.
Du magst es anders wollen – also wollen es
die Himmlischen. Schon diese ganze Nacht
seh’ ich der Lampe Licht von dir genährt,
Du löschest das Geschriebne wieder aus,
jezt siegelst du den Brief und gleich darauf
eröfnest du ihn wieder, wirfst die Lampe
zu Boden, und aus deinen Augen bricht
nicht Herzensangst der Sinne gar beraubet!
Was drückt dich Herr? O sage mirs! Was ist
so außerordentliches dir begegnet?
Komm sage mirs. Du sagst es einem guten
im Heurathsgut mit übermacht, den er
der Braut zum sichern Wächter mitgegeben.
Agamemnon.
Drei Jungfraun hat die Tochter Thestias
dem Tyndarus gebohren. Phöbe hieß
mein Weib, die jüngste Helena. Es warben
um Helenas Besitz mit reichen Schätzen
die Fürsten Griechenlands und blutger Zwist
war von dem Heere der verschmähten Freier
dieß fürchtend, bang und ungewiß der König,
den Ehgemahl der Tochter zu entscheiden,
dieß Mittel sinnt er endlich aus. Es müssen
die Freier sich mit hohen Schwüren binden,
Altar, und freundlich sich die Rechte bieten.
Ein fürchterlich Gelübd’ entreißt er ihnen,
das Recht des Glücklichen – sei auch wer wolle
der Glückliche! – einträchtig zu beschützen,
des Griechen oder des Barbaren, der
von Haus und Bette die Gemahlinn ihm
gewaltsam rauben würde, zu verbreiten.
Als nun gegeben war der Schwur, durch ihn
verstattet Tyndarus der Jungfrau, selbst
den Gatten sich zu wählen, dem der Liebe
gelinder Hauch das Herz entgegen neigte.
Sie wählt – o hätte nie und nimmermehr
den blonden Menelaus zum Gemahle.
Nicht lang, so läßt in Lacedämons Mauren,
in reichem Kleiderstaate blühend, blitzend
von Gold, im ganzen Prunke der Barbaren,
wie das Gerücht verbreitet, zwischen drei
Göttinnen einst der Schöne Preis entschieden,
gibt Liebe und empfängt und flüchtet nach
der Ida fernen Triften die Geraubte.
der Fürsten alte Schwüre jezt heraus.
Zum Streite stürzt ganz Griechenland. In Aulis
versammelt sich mit Schiffen, Rossen, Wagen
und Schilden schnell ein fürchterlicher Mars.
zu ihrem Oberhaupt. Unselges Zepter,
wärst du in andre Hände doch gefallen!
Nun liegt das ganze aufgebotne Heer,
weil ihm die Winde widerstreben, müßig
Beängstigungen bringt der Seher Kalchas
den Götterspruch hervor, daß, wenn die Winde
sich drehn und Trojas Thürme fallen sollen,
auf Artemis Altar der Schützerinn
als Opfer bluten müsse; blutete
sie nicht, dann weder Fahrt, noch Sieg. Sogleich
erhält Thalthybius von mir Befehl
mit lautem Heroldsruf das ganze Heer
will ich zur Schlachtbank meine Tochter führen.
Durch seiner Gründe Kraft und Erd’ und Himmel
bewegend reißt der Bruder endlich doch
mich hin, das Gräßliche geschehn zu lassen.
ihr, ungesäumt zur Hochzeit mit Achill
die Tochter mir nach Aulis herzusenden.
Hoch rühm’ ich ihr des Bräutigams Verdienst,
sie rascher anzutreiben, setz’ ich noch
nach Ilion zu ziehn, bevor er sie
als Gattinn in sein Phthia heimgesendet.
In dieser fälschlich vorgegebnen Hochzeit
hab’ ich des Kindes Opferung der Mutter
und mir, weiß nur Ulyß um das Geheimniß.
Doch was ich damals schlimm gemacht, mach’ ich
in diesem Briefe wieder gut, den du
im Dunkel dieser Nacht mich öfnen und
damit nach Argos! – Halt – Der Königinn
und meinem Hause, weiß ich, warst du stets
mit Treu und Redlichkeit ergeben. Was
verborgen ist in dieses Briefes Falten,
(er liest)
„Gebohrene der Leda, meinem ersten
„send’ ich dieß zweite Schreiben nach“ –
(er hält inne)
Sclave.
Lies weiter,
verbirg mir ja nichts Herr, daß meine Worte
mit dem Geschriebenen gleich lauten.
Agamemnon (fährt fort zu lesen)
„Sende
„Euböas Busen. Die Vermählung bleibt
„gelegeneren Tagen aufgehoben.“
Sclave.
Und glaubst du daß der heftige Achill,
den du die Gattinn wieder nimmst, nicht gegen
ergrimmen werde? – Herr, von daher droht
Gefahr – Sag an, was hast du hier beschlossen?
Agamemnon.
Unwissend leiht Achill mir seinen Nahmen,
verborgen wie der Götterspruch ist ihm
raubt dieses Opfer keine Braut.
Sclave.
O König
ein grausenvolles Unternehmen ists,
in das du dich verstricket hast. Du lockest
die Tochter, als des Göttinnsohnes Braut
den Danaern ein Opfer zuzuführen.
Agamemnon.
Ach meine Sinne hatten mich verlassen! – Götter!
Versunken bin ich in des Jammers Tiefen!
Doch eile! Lauf! Nur jezt vergiß den Greis.
Sclave.
Agamemnon.
Laß nicht Müdigkeit
nicht Schlaf an eines Baches Ufer, nicht
im Schatten der Gehölze dich verweilen.
Sclave.
Denk besser von mir König.
Agamemnon.
Gib besonders
wohl Acht, wo sich die Straßen scheiden, ob
der Wagen der sie bringen soll. Es ist
gar etwas schnelles, wie die Räder laufen.
Sclave.
Sei meiner Wachsamkeit gewiß.
Agamemnon.
Ich halte
dich nun nicht länger. Eil’ aus diesen Grenzen –
der Wagen aufstößt, o so drehe du,
du selbst die Rosse rückwärts nach Mycene.
Sclave.
Wie aber – sprich – wie find’ ich Glauben bei
der Jungfrau und der Königinn?
Agamemnon.
Nimm nur
Hinweg. Schon färbt die lichte Morgenröthe
den Himmel weiß und flammenwerfend steigen
der Sonne Räder schon herauf – Geh, nimm
die Last von meiner Seele!
(Sclave geht ab)
Ach, daß keiner
sich glücklich bis ans Ende! – Leidenfrey
ward keiner noch gebohren!
(er geht ab.)
Chor tritt auf.
Aus Chalcis, meiner Heimat, bin ich gezogen,
die mit Meeran treibenden Wogen
Ueber den Euripus hab’ ich gesetzt,
der Griechen herrliche Schaaren zu sehen,
und die Schiffe am lebendigen Strand,
die so rasch und gelehrig sich drehen
In der Trojer fernes Land
folgen sie, wie ich daheim erfahren,
Agamemnons fürstlichem Haupt,
und dem Bruder mit den blonden Haaren,
Helena vom Ufer der Barbaren.
Von des Eurotas schilfreichem Strand
führte sie Paris in Priamus Land,
Paris, dem am thauenden Bach,
und mit Hären um den Preis der Schöne
Cypria das schöne Weib versprach.
Antistrophe.
Ich bin durch die heiligen Hayne gegangen,
wo sie Dianen mit Opfern erfreun,
mischt’ ich mich in die kriegrischen Reyhn,
an des Lagers eisernen Schätzen
an der Schilde furchtbarer Wehr’
meinen bewundernden Blick zu ergötzen,
Erst sah ich die tapfern Zeitgenossen
der Ajaxe Heldenpaar, vereint
mit Protesilas dem Freund,
auf den Sitzen friedlich hingegossen;
Salamis – furchtbarer Telamone!
An des Würfels wechselndem Glück
labte sich der Helden Blick.
Gleich nach diesen sah ich Diomeden,
und Poseidons Enkel Palameden
und Laertes listenreichen Sohn,
seiner Felsenithaka entstiegen
Nireus dann, den schönsten aus dem Zug,
lustig sich vergnügen.
Epode.
Auch der Thetis Sohn hab’ ich gesehen
den der weise Chiron auferzog,
raschen Laufes, wie der Winde Wehen,
wie er flüchtig längs dem Ufer flog,
schwergeharnischt mit geschwinden Solen
eines Wagens Flug zu überhohlen
den die Schnelle von vier Rossen zog.
Bunte Schenkel, gelbes Mähnenhaar
schmückten das Gespann auf jedem Flügel,
weißgeflecket war das Deichselpaar.
Mit dem Stachel und mit lautem Rufen
aber immer dicht an ihren Hufen,
gieng des waffenschweren Läufers Bahn.
Zweite Strophe.
Jezt sah ich – ein Schauspiel zum Entzücken!
ihrer Wimpel zahlenloses Wehn,
was mein weiblich Auge hier gesehn.
Funfzig Schiffe tapfrer Myrmidonen –
Zevs glorreicher Enkel führt sie an –
zieren rechts der Flotte schönen Plan.
Zeichen des unsterblichen Peliden,
goldne Nereiden.
Zweite Antistrophe.
Funfzig Schiffe zählt’ ich, die, regieret
von Capaneus und Mecistens Sohn,
Sechzig führt zum Streit nach Ilion
Theseus Sohn von der Athener Küste,
Pallas mit geflügeltem Gespann
ist ihr Zeichen – auf der Wasserwüste
Dritte Strophe.
Der Böoten funfzig Schiffe kamen,
kenntlich an des Stifters Schlangenbild.
König Leitus, aus der Erde Saamen,
bringt sie aus dem phocischen Gefild.
Ajax, aus der Lokrier Gebiete.
Dritte Antistrophe.
Von Mycene kam mit hundert Masten
Agamemnon, Atreus Sohn,
seinen Scepter theilend mit Adrasten,
Treu und dienstlich seines Freundes Harme
folgt’ auch er der Griechen Heldenzug,
heimzuhohlen, die in Räubers Arme
des geflohnen Hymens Freuden trug.
Alpheus schönen Stromgott sieht man hier,
der die Heimat nachbarlich umfließet,
Oben Mensch und unten Stier.
Dritte Epode.
Mit zwölf Schiffen schließt an die Achäer
Elis Herrscher folgen, die Epeer,
des Eurytus Scepter unterthan.
Von den Echinaden, wo zu wagen
keine Landung, führt der Taphen Macht,
Meges, Sohn des Phyleus, in die Schlacht.
Beide Flügel bindend, schließt der Telamone,
den die stolze Salamis gebahr,
mit zwölf Schiffen – dieses Zuges Krone.
Dieses Volk, im Ruderschlag erfahren,
mit Verwundrung hab’ ich’s nun erblickt.
Weh’ dem kühnen Fahrzeug der Barbaren,
das die Parze ihm entgegenschickt!
hoffe keines freudig einzufahren!
Auch das Schlachtgeräthe und der Schiffe Menge,
(vieles wußt’ ich schon) hab’ ich gesehn,
die Erinnerung an diese Dinge,
Menelaus. Der alte Sclave
(kommen in heftigem Wortwechsel.)
Sclave.
Das ist Gewalt! Gewalt ist das! du wagest,
was du nicht wagen sollst Atride!
Menelaus.
Geh!
das heißt zu treu an seinem Herrn gehandelt.
Sclave.
Ein Vorwurf, der mir Ehre bringt.
Menelaus.
Du sollst
nicht besser.
Sclave.
Du hast keine Briefe zu
erbrechen, die ich trage.
Menelaus.
Du hast keine
zu tragen, die ganz Griechenland verderben!
Sclave.
Das mache du mit andern aus. Mir gib
Menelaus.
Nimmermehr.
Sclave.
Ich lasse
nicht eher ab –
Menelaus.
Nicht weiter, wenn dein Kopf
nicht unter meinem Scepter bluten soll.
Sclave.
Mag’s! Es ist ehrenvoll für seinen Herrn
zu sterben.
Menelaus.
Her den Brief! Dem Sclaven ziemen
(er entreißt ihm den Brief.)
Sclave (rufend.)
O mein Gebieter!
Gewalt, Gewalt geschieht uns, Agamemnon.
Gewaltsam reißt er deinen Brief mir aus
den Händen. Menelaus will die Stimme
der Billigkeit nicht hören, und entreißt
Agamemnon zu den Vorigen.
Agamemnon.
Wer lermt so vor den Thoren?
Was für ein unanständig Schreyn?
Sclave.
Mich Herr,
nicht diesen mußt du hören[1].
Agamemnon (zu Menelaus.)
Nun was schiltst
du diesen Mann und zerrst ihn so gewaltsam
herum?
Menelaus.
Erst sieh’ mir in’s Gesicht. Antworten
Agamemnon.
Ich – ein Sohn Atreus – soll
etwa die Augen vor dir niederschlagen?
Menelaus.
Siehst du dieß Blatt, das ein verdammliches
Geheimniß birgt?
Agamemnon.
Gib es zurück, dann sprich.
Menelaus.
Nicht eher bis das ganze Heer erfahren,
Agamemnon.
Was? Du unterfiengst dich,
das Siegel zu erbrechen? zu erfahren,
was nicht bestimmt war dir bekannt zu werden?
Menelaus.
Und, dich noch schmerzlicher zu kränken, sieh’,
da deckt’ ich Ränke auf, die du im stillen
Agamemnon.
Eine Frechheit ohne Gleichen!
Wo – o ihr Götter! – wo kam dieser Brief
in deine Hände?
Menelaus.
Wo ich deine Tochter
von Argos endlich kommen sehen wollte.
Agamemnon.
Wer hat zu meinem Hüter dich bestellt?
Menelaus.
Ich übernahm es, weil’s
mir so gefiel, denn deiner Knechte bin
ich keiner[2].
Agamemnon.
Unerhörte Dreistigkeit!
Bin ich nicht Herr mehr meines Hauses?
Menelaus.
Höre
Sohn Atreus. Festen Sinnes bist du nicht;
und etwas anders ist es morgen.
Agamemnon.
Scharfklug
das bist du! Unter vielen schlimmen Dingen ist
das schlimmste eine scharfe Zunge.
Menelaus.
Ein schlimm’res ist ein wankelmüth’ger Sinn,
den Freunden. Den Beweis will ich gleich führen.
Laß nicht, weil jezt der Zorn dich übermeistert,
die Wahrheit dir zuwider seyn. Groß Lob
erwarte nicht. Ist jene Zeit dir noch
in den Trojanerkrieg zu heissen branntest?
Sehr ernstlich wünschtest du, was du in schlauer
Gleichgültigkeit zu bergen dich bemühtest.
Wie demuthsvoll, wie kleinlaut warst du da!
Da hatte, wer es nur verlangte, wer’s
auch nicht verlangte, freien Zugang, freies
und ofnes Ohr bei Atreus Sohn! Da standen
geöfnet allen Griechen deine Thore!
den hohen Rang, zu dem man dich erhoben.
Was war dein Dank? Des Wunsches kaum gewährt,
sieht man dich plötzlich dein Betragen ändern.
Der Freunde wird nicht mehr gedacht, schwer hält’s
erblickt man dich vor deines Hauses Thoren.
Die alte Denkart tauscht kein Ehrenmann
auf einem höhern Posten. Mehr als je,
hebt ihn das Glück, denkt seiner alten Freunde
vergangne Dienste kräftiglich vergelten.
Sieh’! Damit fiengst du’s an! das war’s, was mich
zuerst von dir verdroß! Du kommst nach Aulis,
das Heer der Danaer mit dir. Der Zorn
Gleich bist du weg. Der Streich schlägt dich zu Boden.
Es dringt in dich der Griechen Ungeduld,
der Schiffe müß’ge Last zurückgesandt,
in Aulis länger unnütz nicht zu rasten!
Was für ein Leiden, keine tausend Schiffe
mehr zu befehligen, auf Trojas Feldern
nicht mehr der Griechen Schaaren auszubreiten!
Da kam man zu dem Bruder „Was zu thun?
und die erworbne Herrlichkeit mir bleib’?“
Es kündigt eine günst’ge Fahrt den Schiffen
der Seher Kalchas aus dem Opfer an,
wenn du dein Kind Dianen schlachtetest.
gleich, gleich bist du’s zufrieden, sie zu geben.
Aus freiem Antrieb, ohne Zwang (daß man
dich zwang, kannst du nicht sagen) sendest du
der Königinn Befehl, dir ungesäumt
(so gabst du vor) die Tochter herzusenden.
Nun hast du plötzlich eines andern dich
besonnen, sendest heimlich widersprechenden
Befehl nach Argos; nun und nimmermehr
Doch ist die Luft, die jezo dich umgibt,
die nehmliche, die deinen ersten Schwur
vernommen. Doch so treiben es die Menschen!
Zu hohen Würden sieht man Tausende
Entwürfen schwindelnd sich versteigen, doch
bald legt den Wahn des Haufens Flattersinn,
und ihres Unvermögens stiller Wink
bringt schimpflich sie zum Widerruf. Nur um
vor Troja hohen Heldenruhm zu erndten,
jezt deinetwegen, deiner Tochter wegen,
das Hohngelächter niedriger Barbaren!
Nein! eines Heeres Führung, eines Staates
Kopf macht den Herrn. Es sei der Erste Beste
der Einsichtsvolle! Er soll König seyn!
Chor.
Zu was für schrecklichen Gezänken kommt’s,
wenn Streit und Zwist entbrennet zwischen Brüdern!
Agamemnon
Mit kürzern Worten will ich’s thun – ich will’s
mit sanftern Worten thun, als du dem Bruder
zu hören gabst. Vergessen darf sich nur
der schlechte Mensch, der kein Erröthen kennt.
entflammten Aug’? Was tobest du? Wer that
dir wehe? Wornach steht dein Sinn? Die Freuden
des Ehebettes wünschest du zurücke?
Bin ich’s, der dir sie geben kann? Ist’s recht,
daß ich Unschuldiger es büßen soll?
Mein Ehrgeiz bringt dich auf? – Wie aber nennst
du das, Vernunft und Billigkeit verhöhnen,
um eine schöne Frau im Arm zu haben?
sind Freuden die ihm ähnlich sehn! Weil ich
ein rasches Wort nach beßrer Ueberlegung
zurücknahm, bin ich darum gleich rasend?
Ist’s einer, wer ist’s mehr als du, der wieder
ein gnäd’ger Gott genommen, keine Mühe
zu groß und keinen Preis zu theuer achtet?
Um deinetwillen, meinst du, haben Tyndarn
durch tollen Schwur die Fürsten sich verpflichtet?
die Liebestrunkenen dahin. So führe
sie denn zum Krieg nach Troja diese Helfer!
Es kommt ein Tag, schon seh’ ich ihn, wo euch
des nichtigen, gewaltsam ausgepreßten
nicht Mörder seyn an meinen eignen Kindern.
Tret’ immerhin, wie deine Leidenschaft es heischt,
Gerechtigkeit und Billigkeit mit Füßen,
der Rächer einer Elenden zu seyn.
mein theures Kind, mein eigen Blut zu rasen –
Abscheulich! Nein! Das würde Nacht und Tag
in heissen Thränenfluten mich verzehren.
Hier meine Meinung, kurz und klar und faßlich.
ich meine Rechte wissen zu bewahren.
Chor.
Ganz von dem jezigen verschieden klang,
was Agamemnon ehedem verheissen.
Doch welcher Billige verargt es ihm,
Menelaus.
So bin ich denn – ich unglücksel’ger Mann!
um alle meine Freunde!
Agamemnon.
Fodre nicht
der Freunde Untergang – so werden sie
bereit seyn, dir zu dienen.
Menelaus.
Und woran
Agamemnon.
In allem, was du Weises mit mir theilest,
in deinen Rasereien nicht.
Menelaus.
Es macht
der Freund des Freundes Kummer zu dem seinen.
Agamemnon.
Dring’ in mich, wenn du Liebes mir erweisest,
Menelaus.
Du könntest
doch der Achiver wegen etwas leiden!
Agamemnon.
In den Achivern raset, wie in dir,
ein schwarzer Gott.
Menelaus.
Auf deinen König stolz,
verräthst du Untheilnehmender den Bruder.
und andre Freunde für mich wirken lassen.
Ein Bote zu den Vorigen.
Bote.
Ich bringe sie – o König aller Griechen!
ich bringe, Hochbeglückter, dir die Tochter,
die Tochter Iphigenia. Es folgt
den langentbehrten lieben Anblick haben.
Jezt haben sie, vom weiten Weg erschöpft,
am klaren Bach ausruhend sich gelagert,
auf naher Wiese gras’t das losgebundene
du zum Empfange dich bereiten möchtest,
denn schon im ganzen Lager ist’s bekannt,
sie sei’s! – Kann deine Tochter still erscheinen?
Zu ganzen Schaaren drängt man sich herbei,
mit Ehrfurcht auf die Glücklichen gerichtet.
Was für ein Hymen, fragt man dort und hier,
was für ein andres Fest wird hier bereitet?
Rief König Agamemnon, nach der lang’
die Tochter in das Lager? Ganz gewiß,
versetzt ein Anderer, geschieht’s, der Göttinn
von Aulis die Verlobte vorzustellen.
Wer mag der Bräutigam wohl seyn? – Doch eilt,
bekränzt mit Blumen euer Haupt!
(Zu Menelaus.)
Du ordne
des Festes Freuden an. Es halle von
der Saiten Klang und von der Füße Schlag
der ganze Pallast wieder. Siehe da
Agamemnon zum Boten.
Laß es genug seyn. Geh’. Das übrige
sei in des Glückes gute Hand gegeben.
Bote geht ab.
Agamemnon. Menelaus. Chor.
Agamemnon.
Unglücklichster was nun? – Wen – wen bejammr’ ich
zuerst? Ach bei mir selbst muß ich beginnen!
verstrickt – ein Dämon, listiger als ich,
vernichtet alle meine Künste. Auch
nicht einmal weinen darf ich. Seliges Loos
der Niedrigkeit, die sich des süßen Rechtes
Ach! das wird unser einem nie! Uns hat
das Volk zu seinen Sclaven groß gemacht.
Es ist unköniglich zu weinen – Ach
und hier nicht weinen, ist unväterlich!
Wie ihr in’s Auge sehen? – Mußte sie,
mein Elend zu vollenden, ungeladen
die Tochter hergeleiten? – Doch wer nimmt’s
der Mutter, das geliebte Kind der süßen
Treuloser! hat sie dir gedient, da sie,
was sie auf Erden theures hat, dir liefert!
Und sie – die unglücksel’ge Jungfrau – Jungfrau?
Ach nein, nein! Bald wird Hades sie umfangen.
zu Füßen – „Vater! Morden willst du mich?
Ist das die Hochzeit, die du mir bereitet?
So gebe Zevs, daß du und alles, was
du theures hast, nie eine beßre feire!“
unschuldig mit, unwissend was er weinet,
ach von dem Vater nur zu gut verstanden!
O Paris! Paris! Paris! Welchen Jammer
hat deine Hochzeit auf mein Haupt geladen!
Chor.
So sehr ich Fremdling bin, sein Leiden geht mir nahe.
Menelaus.
Mein Bruder. Laß mich deine Hand ergreifen.
Agamemnon.
Da hast du sie. Du bist der Hochbeglückte,
ich der Geschlagene.
Menelaus.
Bei Pelops, deinem
und meinem Vater Atreus sei’s geschworen!
Ich rede wahr und ohne Winkelzug
mit dir, gerad’ und offen, wie ich’s meine.
Wie dir die Augen so von Thränen flossen,
da ward mein inn’res Mark bewegt, da konnt’ ich
mich selbst der Thränen länger nicht erwehren.
Ich nehme, was ich vorhin sprach, zurück.
Ich will nicht grausam an dir handeln. Nein,
die Tochter nicht, ich selber rath’ es dir.
Mein Glück geh’ deinem Glück nicht vor. Wär’s billig,
daß mir’s nach Wunsche gienge, wenn du leidest?
Daß deine Kinder stärben, wenn die meinen
zu thun? Laß sehn! Um eine Ehgenossinn?
Und find’ ich die nicht aller Orten, wie’s
mein Herz gelüstet? Einen Bruder soll ich
verlieren, um Helenen heimzuhohlen?
Ein Thor, ein heisser Jünglingskopf war ich
vorhin, jezt, da ich’s reifer überdenke,
jezt fühl’ ich, was das heißt – sein Kind erwürgen!
Die Tochter meines Bruders am Altar
nein, das erbarmt mich, wenn ich nur dran denke!
Was hat dein Kind mit dieser Helena
zu schaffen? Die Armee der Griechen mag
nach Hause gehn! Drum, lieber Bruder, höre
auch mir die Thränen in das Aug’ zu treiben.
Will ein Orakel an dein Kind – das hat
mit mir nichts mehr zu schaffen. Meinen Antheil
erlaß’ ich dir. Es siegt die Bruderliebe.
was hab’ ich mehr als meine Pflicht gethan?
Ein guter Mann wird stets das Beßre wählen.
Chor.
Das nenn’ ich brav gedacht und schön – und wie
man denken soll in Tantalus Geschlechte!
Agamemnon.
Jezt redest du, wie einem Bruder ziemt.
Du überraschest mich. Ich muß dich loben.
Menelaus.
Lieb’ und Gewinnsucht mögen oft genug
die Eintracht stören zwischen Brüdern. Mich
das Leben wechselseitig sich verbittern.
Agamemnon.
Wahr!
Doch ach! Dieß wendet die entsetzliche
Nothwendigkeit nicht ab. Ich muß, ich muß
die Hände tauchen in ihr Blut.
Menelaus.
Du mußt?
zu morden?
Agamemnon.
Die versammelte Armee
der Griechen kann es.
Menelaus.
Nimmermehr, wenn du
nach Argos sie zurücke sendest.
Agamemnon.
Laß
auch seyn, daß mir’s von dieser Seite glückte,
Menelaus.
Von welcher andern? Allzusehr muß man
den großen Haufen auch nicht fürchten.
Agamemnon.
Bald
wird er von Kalchas das Orakel hören.
Menelaus.
Laß dein Geheimniß mit dem Priester sterben,
Agamemnon.
Eine ehrbegier’ge
und schlimme Menschenart sind diese Priester.
Menelaus.
Nichts sind sie und zu nichts sind sie vorhanden.
Agamemnon.
Und – eben fällt mir’s ein – was wir am meisten
zu fürchten haben – davon schweigst du ganz.
Menelaus.
Agamemnon.
Da ist ein
gewisser Sohn des Sisyphus – der weiß
schon um die Sache.
Menelaus.
Der kann uns nicht schaden!
Agamemnon.
Du kennst sein listig überredend Wesen,
und seinen Einfluß auf das Volk.
Menelaus.
Und was
Agamemnon.
Nun denke dir Ulyssen, wie er laut
vor allen Griechen das Orakel offenbart,
das Kalchas uns verkündigt, offenbart,
wie ich der Göttinn meine Tochter erst
Durch mächt’ge Rede reißt der Plauderer
das ganze Lager wüthend fort, erst mich,
dann dich und dann die Jungfrau zu erwürgen.
Laß auch nach Argos mich entkommen, mit
zerstören feindlich die Cyclopenstadt
und machen meinem Reiche dort ein Ende.
Du weißt mein Elend – Götter, wozu bringt
ihr mich in diesem fürchterlichen Drange!
erweise mir – gehst du durch’s Lager, suche
ja zu verhüten, daß der Mutter nicht
kund werde, was hier vorgehn soll, bevor
der Erebus sein Opfer hat – So bin ich
(zum Chor.)
Ihr aber, fremde Frau’n – Verschwiegenheit!
(Agamemnon und Menelaus gehen.)
Chor.
Strophe.
Selig selig sei mir gepriesen,
dem am Hymens schaamhafter Brust
in gemäßigter Lust
Wilde wüthende Triebe
weckt der reizende Gott.
Zweierlei Pfeile der Liebe
führt der goldlockigte Gott!
dieser mordet das Glück.
Reizende Göttinn, den zweiten
wehre vom Herzen zurück.
Sparsame Reize verleih’ mir, Dione,
deiner Freuden bescheidnen Genuß,
Göttinn! mit deinem Wahnsinn verschone!
Gegenstrophe.
Verschieden ist der Sterblichen Bestreben
und ihre Sitten mancherlei.
genug, daß sie vortreflich sei.
Zucht und Belehrung lenkt der Jugend
bildsame Herzen früh zur Tugend.
Wenn Schaam und Weisheit sich vereinen,
und Sittlichkeit, die fein entscheidet,
was ehrbar ist, und edel kleidet –
Das gibt den hohen Ruhm des Weisen,
der nimmer altert mit dem Greisen.
Das Weib dient ihr im stillen Leben
und in der Liebe sanftem Schooß.
Doch in des Mannes Thaten mahlen
sich prangend ihre tausend Stralen,
Epode.
O Paris! Paris! Wärest du geblieben,
wo du das Licht zuerst gesehen,
wo du die Heerde still getrieben,
auf Idas triftenreichen Höhn!
die silberweissen Rinder grasen,
und buhltest auf dem phryg’schen Kiele
mit dem Olymp im Flötenspiele,
und sangest dein barbarisch Lied.
dein richterlicher Spruch entschied.
Ach! der nach Hellas dich geführet
und in den glänzenden Pallast,
mit prächt’gem Elfenbein gezieret,
Helenens Auge kam dir da entgegen,
und liebewund zog sie’s zurück.
Helenen kam dein Blick entgegen
und liebetrunken zogst du ihn zurück.
und führte der Griechen versammeltes Heer,
bewaffnet mit dem tödtenden Speer,
in Schiffen heran gegen Priamus Lande.
Chor.
(Man sieht von Weitem Clytemnestren und ihre Tochter noch im Wagen, nebst einem Gefolge von Frauen.)
Wie das Glück doch den Mächtigen lachet!
Auf Clytemnestren, die Königlichgroße,
Tondars Tochter! – Wie herrlich geboren!
Wie umleuchtet vom lieblichen Glück!
Ha diese Reichen – Wie göttliche Wesen
Stehet still! Sie steigen vom Sitze.
Kommt, sie mit Ehrfurcht zu grüßen! Zur Stütze
reicht ihnen freundlich die helfende Hand.
Empfanget sie mit erheiterter Wange,
ihren Tritt in dieses Land.
Keine Furcht, kein unglückbringend Zeichen
soll der Fürstinn Antlitz bleichen,
fremd wie wir an Aulis Strand.
Clytemnestra mit dem kleinen Orestes. Iphigenie. Gefolge. Chor.
Clytemnestra.
(noch im Wagen, zum Chor.)
und eines frohen Hymens Unterpfand,
dem ich die Tochter bringe, nehm’ ich mir
aus eurem Gruß und freundlichem Empfange.
So hebet denn die hochzeitlichen Gaben,
und bringt sie sorgsam nach des Königs Zelt.
Du, meine Tochter, steige aus. Empfanget
sie sanft in euren jugendlichen Armen.
Wer reicht auch mir nun seines Armes Hülfe,
(zu ihren Sclavinnen.)
Ihr andern tretet vor das Joch der Pferde,
denn wild und schreckhaft ist der Pferde Blick.
Auch diesen Kleinen nehmet mit – Es ist
Orestes, Agamemnons Sohn. Dein Alter
Wie? Schläfst du süsses Kind? Der Knabe schläft,
des Wagens Schaukeln hat ihn eingeschläfert.
Wach’ auf mein Sohn zum Freudentag der Schwester!
So groß du schon und edel bist geboren,
mit Thetis göttergleichem Sohn dich ehren.
Du, meine Tochter, gehe ja nicht weg,
daß diese fremden Frauen dort, die dich
an meiner Seite sehen, mir’s bezeugen,
Dein Vater! Auf ihn zu begrüßen!
Agamemnon zu den Vorigen.
Iphigenie.
Wirst
du zürnen Mutter, wenn ich meine Brust
an seine Vaterbrust zu drücken ihm
entgegen eile?
Clytemnestra.
O mir über alles
wir angelangt, wie du gebot’st.
Iphigenie.
O laß
mich nach so langer Trennung, Brust an Brust
geschlossen, dich umarmen, Vater! Laß
mich deines lieben Angesichts genießen!
Agamemnon.
Genieß’ es Tochter.
Ich weiß, wie zärtlich du mich liebst – du liebst
mich zärtlicher als meine andern Kinder.
Iphigenie.
Dich nach so langer langer Trennung wieder
zu haben – wie entzückt mich das mein Vater!
Agamemnon.
gilt von uns beiden.
Iphigenie.
Sei mir tausendmal
gegrüßt! Was für ein glücklicher Gedanke,
mein Vater, mich nach Aulis zu berufen.
Agamemnon.
Ein glücklicher Gedanke – Ach! das weiß
Iphigenie.
Wehe mir! Was für
ein kalter freudenleerer Blick, wenn du
mich gerne siehst!
Agamemnon.
Mein Kind! Für einen König
und Feldherrn gibt’s der Sorgen so gar viele!
Iphigenie.
Laß diese Sorgen jezt, und sei bei mir.
Agamemnon.
Iphigenie.
O so entfalte deine Stirn’! Laß mich
dein liebes Auge heiter sehen.
Agamemnon.
Ich
entfalte meine Stirne. Sieh’! So lang’
ich dir ins Antlitz schaue bin ich froh.
Iphigenie.
Agamemnon.
Weil wir auf lange von einander gehn.
Iphigenie.
Was sagst du? – Liebster Vater, ich verstehe
dich nicht – ich soll es nicht verstehen!
Agamemnon.
So klug
ist alles, was sie spricht! – Ach! das erbarmt
Iphigenie.
So will ich Thorheit reden,
wenn das dich heiter machen kann.
Agamemnon.
(vor sich.)
Ich werde
mich noch vergessen – – Ja doch meine Tochter –
ich lobe dich – ich bin mit dir zufrieden.
Iphigenie.
Bleib’ lieber bei uns Vater! Bleib’ und schenke
Agamemnon.
Daß ich’s könnte! Ach!
Ich kann es nicht – ich kann nicht, wie ich wünsche –
das ist es eben, was mir Kummer macht.
Iphigenie.
Verwünscht sey’n alle Kriege, alle Uebel
die Menelaus auf uns lud!
Agamemnon
Dein Vater
Iphigenie.
Wie lang’ ist’s nicht schon, daß du, fern von uns,
in Aulis Busen müßig liegst!
Agamemnon.
Und auch
noch jezt sezt sich der Abfahrt meiner Flotte
ein Hinderniß entgegen!
Iphigenie.
Wo, sagt man,
Agamemnon.
Wo –
Ach! wo der Sohn des Priamus nie hätte
geboren werden sollen!
Iphigenie.
Wie? So weit
schiff’st du von dannen, und verlässest mich?
Agamemnon.
Wie weit es auch seyn möge – Du, mein Kind,
Iphigenie.
Wäre mir’s
anständig, lieber Vater, dir zu folgen,
wie glücklich würd’ ich seyn!
Agamemnon.
Was für ein Wunsch!
Auch dich erwartet eine Fahrt, wo du
an deinen Vater denken wirst.
Iphigenie.
Reis' ich
begleitet?
Agamemnon.
Du allein. Dich wird kein Vater
begleiten, keine Mutter.
Iphigenie.
Also willst
du in ein fremdes Haus mich bringen lassen?
Agamemnon.
Laß gut seyn! Forsche nicht nach Dingen, die
Iphigenie.
Komm du
von Troja uns recht bald und siegreich wieder!
Agamemnon.
Erst muß ich noch ein Opfer hier vollenden.
Iphigenie.
Das ist ein heiliges Geschäft, worüber
du mit den Priestern dich berathen mußt.
Agamemnon.
nicht weit vom Becken[WS 1] wirst du stehn.
Iphigenie.
So werden
wir einen Reigen um den Altar führen?
Agamemnon.
Die Glückliche in ihrer kummerfreien
Unwissenheit! – Geh’ jezt in’s Vorgemach,
(sie umarmt ihn.)
Eine schwere
Umarmung war das und ein bitt’rer Kuß!
Es ist ein langer Abschied, den wir nehmen.
O Lippen – Busen – blondes Haar! Wie theuer
kommt dieses Troja mir und diese Helena
Geh’! Unfreiwillig bricht aus meinen Augen
ein Thränenstrom, da dich mein Arm umschließet.
Geh’ in das Zelt.
(Iphigenie entfernt sich.)
Agamemnon. Clytemnestra. Chor.
Agamemnon.
O Tochter Tyndars, wenn
du allzuweich mich fandest, sieh’ dem Schmerz
jezt zu Achillen scheiden sehen soll!
Ich weiß es. Ihrem Glück geht sie entgegen.
Doch welchen Vater schmerzt es nicht, die er
mit Müh’ und Sorgen auferzog, die Lieben,
Clytemnestra.
Mich
soll man so schwach nicht finden. Auch der Mutter
– kommt’s nun zur Trennung – wird es Thränen kosten,
und ohne dein Erinnern – doch die Ordnung
und deiner Tochter Jahre heischen sie.
er ist, weiß ich bereits. Erzähle mir
von seinen Ahnherrn jezt und seinem Lande.
Agamemnon.
Aegina kennest du, Asopus Tochter.
Clytemnestra.
Wer freite sie, ein Sterblicher, ein Gott?
Agamemnon.
Oenopiens gebar.
Clytemnestra.
Wer folgte diesem
auf seinem Königsthrone nach?
Agamemnon.
Derselbe,
der Nereus Tochter freite, Peleus.
Clytemnestra.
Mit
der Götter Willen freit’ er diese, oder
Agamemnon.
Zevs
versprach sie, und der Vater führte sie ihm zu.
Clytemnestra.
Wo war die Hochzeit? In des Meeres Wellen?
Agamemnon.
Die Hochzeit war auf dem erhabnen Sitze
des Pelion, dem Auffenthalte Chirons.
Clytemnestra.
Agamemnon.
Dort feierten die Götter Peleus Fest.
Clytemnestra.
Den jungen Sohn – hat ihn der Vater, oder
die Göttliche erzogen?
Agamemnon.
Sein Erzieher
war Chiron, daß der Bösen Umgang nicht
Clytemnestra.
Ihn erzog
ein weiser Mann! Und weiser noch war der,
der einer solchen Aufsicht ihn vertraute.
Agamemnon.
Das ist der Mann, den ich zu deinem Eidam
bestimme.
Clytemnestra.
An dem Mann ist nichts zu tadeln.
Agamemnon.
Die Gränzen von Phthiotis, die der Strom
Apidanus durchfließt, ist seine Heimat.
Clytemnestra.
So weit wird er die Tochter von uns führen?
Agamemnon.
Das überlaß’ ich ihm. Sie ist die Seine.
Clytemnestra.
der Tag seyn?
Agamemnon.
Wenn der segensvolle Kreis
des Mondes wird vollendet seyn.
Clytemnestra.
Hast du
das hochzeitliche Opfer für die Jungfrau
der Göttinn schon gebracht?
Agamemnon.
Ich werd’ es bringen.
Clytemnestra.
Ein Hochzeitmahl gibst du doch auch?
Agamemnon.
Wenn erst
die Himmlischen ihr Opfer haben werden.
Clytemnestra.
Wo aber gibst du dieses Mahl den Frauen?
Agamemnon.
Hier bei den Schiffen.
Clytemnestra.
Wohl. Es läßt sich anders
Agamemnon.
Jezt aber höre, was von dir dabei
verlangt wird – Doch, daß du mir ja willfahrest!
Clytemnestra.
Sag’ an, Du weißt, wie gern’ ich dir gehorche.
Agamemnon.
Ich freilich kann mich an dem Orte, wo
Clytemnestra.
Was?
Ich will nicht hoffen, daß man ohne mich
vollziehen wird, was nur der Mutter ziemet.
Agamemnon.
Im Angesicht des ganzen griech’schen Lagers
geb’ ich dem Sohn des Peleus deine Tochter.
Clytemnestra.
Agamemnon.
Nach Argos
zurückekehren soll die Mutter – dort
die Aufsicht führen über ihre Kinder.
Clytemnestra.
Nach Argos? Und die Tochter hier verlassen?
Und wer wird dann die Hochzeitfackel tragen?
Agamemnon.
Clytemnestra.
Nein, das geht nicht!
Du weißt, daß dir die Sitten dieß verbieten.
Agamemnon.
Daß sie der Frau verbieten, in’s Gewühl
von Kriegern sich zu mengen, weiß ich.
Clytemnestra.
Es heischt die Sitte, daß aus Mutterhänden
Agamemnon.
Sie heischt, daß deine andern Töchter in
Mycen der Mutter länger nicht entbehren.
Clytemnestra.
Wohl aufgehoben und verwahrt sind die
in ihrem Frauensaal.
Agamemnon.
Ich will Gehorsam.
Clytemnestra.
Nein!
Du hast dich weggemacht in’s Ausland! Dort
mach’ dir zu thun![6] Mich laß im Hause walten,
und meine Töchter wie sich’s ziemt vermählen.
(sie geht ab.)
Agamemnon (allein.)
Ach! zu entfernen hofft’ ich sie! – Ich habe
So häuff’ ich Trug auf Trug, berücke die,
die auf der Welt das Theuerste mir sind,
durch schnöde List und alles spottet meiner!
Nun will ich gehn und was der Göttinn wohl
und allen Griechen so belastend ist,
vom Seher Kalchas näher auskundschaften.
Wer’s aber mit sich selbst gut meint, der nehme
ja eine Gattinn, die gefällig ist
(er geht ab.)
Chor.
Strophe.
Sie sehen des Simois silberne Strudel,
der griechischen Schiffe versammelte Macht;
mit dem Geräthe zur blutigen Schlacht
betreten sie Phöbus heilige Erde,
die Schläfe mit grünendem Lorbeer umlaubt,
das goldene Haar, wie die Sagen erzählen,
wallen läßt um das begeisterte Haupt,
wenn die Triebe des Gottes sie wechselnd beseelen.
Gegenstrophe.
Sie steigen auf die Burg!
Sie erblicken mit Schauern,
hoch herunter von Pergamus Burg,
den unsre schnellen Schiffe brachten,
der, in tönendes Erzt eingekleidet,
sich um den Simois zahllos verbreitet,
Helenen, die Schwester des himmlischen Paars
unter den Lanzen und krieg’rischen Schilden
Epode.
Einen Wald von eh’rnen Lanzen
seh’ ich sie um deine Felsenthürme pflanzen,
Stadt der Phryger, hohe Pergamus!
Deiner Männer Häupter, deiner Frauen
Leichen über Leichen häufen,
deine stolze Veste schleifen,
unglücksvolle Pergamus.
Da wird’s Thränen kosten deinen Bräuten
Wie wird nach dem geflohenen Gemahl
die Tochter Jovis jezt zurücke weinen!
Ihr Götter! solche Angst und Quaal,
entfernet sie von mir und von den Meinen!
den Busen jammernd schlagen,
und wird’s der stolzen Phrygerinn
am Webestuhle klagen!
Ach! wenn nun die Sagen schallen,
die die Wehre meiner Heimat war!
Wer, wenn es herum erschollen,
schneidet wohl der Thränenvollen
von dem Haupt das schön gekämmte Haar?
gezeuget – das hast du gethan!
Sei’s nun, daß in einem Vogel
Leda, wie die Sage gieng,
Zevs verwandelte Gestalt umfieng,
der Kamönen sehr zur schlimmen Stunde
das Geschlecht der Menschen hintergieng!
Anmerkungen
- ↑ Es muß angenommen werden, daß der Sclave sich hier zurück zieht oder auch ganz entfernt.
- ↑ [61] Weil es mir so gefiel – denn deiner Knechte bin ich keiner.) Dieser Sinn schien mir den Worten des Textes angemessener und überhaupt griechischer zu seyn, als welchen Brumoy und andre Uebersetzer dieser Stelle geben. Ma volonté est mon droit. Est-ce à vous, à me donner la loi? Nicht doch! So konnte Menelaus nicht auf den Vorwurf antworten, den ihm Agamemnon macht, was er nötig habe, seine (Agamemnons) Angelegenheiten zu beobachten, zu bewachen? (Φυλασσειν). Ich hab’ es nicht nöthig, antwortet Menelaus, denn ich bin nicht dein Knecht. Ich hab’ es gethan, weil es mir so gefiel, quia voluntas me vellicabat. Auch mußte Brumoy in der Frage schon dem griechischen Texte Gewalt anthun, um seine Antwort heraus zu bringen. De quel droit, je vous prie, entrez-vous dans mes sécrets sans mon aveu? Im Text heißt es bloß: Was hast du meine Angelegenheiten zu beobachten? Im Französischen ist die Antwort trotzig, im Griechischen ist sie naiv.
- ↑ [61] Wie fiel dir plözlich da die Last vom Herzen.) Im Griechischen klingt es noch stärker: Du freutest dich in deinem Herzen. Erleichtert konnte sich Agamemnon allenfalls fühlen, [62] daß ihm durch Kalchas ein Weg gezeigt wurde, seine Feldherrnwürde zu erhalten, und seine ehrgeizigen Absichten durchzusetzen; freuen konnte er sich aber doch nicht, daß dieses durch die Hinrichtung seiner Tochter geschehen mußte.
- ↑ [62] Diese ganze Antistrophe, die zwei ersten Absätze besonders, sind mit einer gewissen Dunkelheit behaftet, die Moral, die sie enthalten, ist zu allgemein, man vermißt den Zusammenhang mit dem übrigen. Prêvot hält den Text für verdorben. Diese allgemeinen Reflexionen des Chors über seine Sitten und Anständigkeit, dünkt mir, könnten eben so gut durch das unartige Betragen beider Brüder gegen eine der vorhergehenden Scenen, davon der Chor Zeuge gewesen ist, veranlaßt worden seyn, als durch den Frauenraub des Paris. Die Schwürigkeit, den eigentlichen Sinn des Textes herzustellen, wird die Freiheit entschuldigen, die ich mir bei der Uebersetzung genommen habe.
- ↑ [62] Du wirst immer mit mir gehen!) Wörtlich müßte übersetzt werden: Meine Tochter, du kommst eben dahin, wo dein Vater! oder: Es kommt mit dir eben dahin, wo mit deinem Vater. Wenn dieser Doppelsinn nicht auf den Gemeinplatz hinauslaufen soll, daß eines sterben müsse, wie das andre, welches Euripides doch schwerlich gemeint [63] haben konnte, so scheint mir der Sinn, den ich in der Uebersetzung vorgezogen habe, der angemessenere zu seyn. Dein Bild wird mich immer begleiten. Die Erklärungsart des französischen Uebersetzers ist etwas weit hergeholt und gibt einen frostigen Sinn: Dich erwartet ein ähnliches Schicksal. Auch du wirst eine weite Seereise machen.
- ↑ [63] Du hast dich weggemacht in’s Ausland. Dort mach’ dir zu thun.) Ἐλθὼν δὲ, τἄξω πρᾶσσε. In diesem ἐλθὼν liegt, dünkt mir, ein bestimmterer und schärferer Sinn, als andre Uebersetzer darein gelegt haben. Clytemnestra nehmlich macht ihrem Gemahl den versteckten Vorwurf, daß er die Seinigen verlassen habe, um sich einer auswärtigen Unternehmung zu widmen, Er habe sich seiner Hausrechte dadurch begeben, will sie sagen. Er sei ein Fremder. Du hast dich hinaus gemacht, so bekümmre dich um Dinge, die draußen sind!
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Lecken