Jüdische Altertümer/Buch X
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Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 182 Jahren, 6 Monaten und 10 Tagen.
Inhalt.1. Kriegszug des Assyrierkönigs Senacherib gegen Jerusalem und Belagerung des Königs Ezekias.
2. Wie das Heer der Assyrier in einer Nacht von der Pest dahingerafft wurde, und wie ihr König nach der Heimkehr den Nachstellungen seiner Söhne erlag.
3. Wie Ezekias, nachdem er die übrige Zeit in Frieden gelebt hatte, starb, und Manasses ihm in der Regierung folgte.
4. Wie die Könige der Chaldäer und Babylonier den Manasses angriffen, ihn besiegten, als Gefangenen nach Babylon wegführten, hier lange Zeit festhielten und darauf wieder in sein Reich entliessen.
5. Wie dem Aegyptierkönig Nechao, da er gegen die Babylonier zu Felde zog und durch Judaea marschierte, der König Josias entgegentrat und mit ihm kämpfte, aber in der Schlacht verwundet wurde und, nach Jerusalem gebracht, dort starb, und wie die Bewohner von Jerusalem seinen Sohn Joaz zum Könige erwählten.
6. Wie Nechao, nachdem er dem Babylonierkönige am Euphrat ein Treffen geliefert, auf dem Rückmarsch nach Aegypten Jerusalem angriff, Joaz nach Aegypten wegführte und dessen Bruder Joakim zum Könige in Jerusalem machte.
7. Kriegszug des Babylonierkönigs Nabuchodonosor gegen Syrien. Wie er, nachdem er das ganze Land bis zu den Grenzen Aegyptens unterjocht hatte, nach Jerusalem zog und den König Joakim zwang, mit ihm ein Freundschaftsbündnis zu schliessen.
8. Wie Joakim nach dem Abzuge des Babyloniers sich wieder an die Aegyptier anschloss, und wie Nabuchodonosor ihn angriff, die Stadt belagerte, sie zur Uebergabe zwang, den Joakim töten liess und dessen Sohn Joachim zum Könige ernannte. Wie er alsdann nach Empfang einer grossen Geldsumme sogleich nach Syrien zog.
[598] 9. Wie den Nabuchodonosor die Ernennung Joachims zum Könige reute, und wie er darauf gegen Jerusalem zog und sich des Joachim sowie seiner Mutter und seiner Freunde bemächtigte.
10. Wie der Babylonier viele Gefangene machte, die Weihgeschenke aus dem Tempel raubte und nach Babylon zurückkehrte, nachdem er Sedekias, den Oheim des Joachim, zum Könige in Jerusalem eingesetzt hatte.
11. Wie er auf die Nachricht, dass auch dieser mit den Aegyptiern Freundschaft und Bündnis zu schliessen beabsichtige, Jerusalem angriff, es eroberte, den Tempel verbrannte und die Bewohner von Jerusalem samt dem Sedekias nach Babylon schleppte.
12. Wie Nabuchodonosor starb und seinen Sohn als Nachfolger hinterliess, und wie die Herrschaft der Assyrier von dem Perserkönige Cyrus zerstört wurde. Was den Juden in dieser Zeit von den Babyloniern widerfuhr.
(1.) 1 Als Ezekias, der König der beiden Stämme, schon im vierzehnten Jahre regierte, überzog ihn der Assyrierkönig Senacherib mit Krieg und eroberte sämtliche Städte der Stämme Judas und Benjamin. 2 Da er sich nun auch anschickte, gegen Jerusalem zu marschieren, ordnete Ezekias Gesandte an ihn ab und liess ihm sagen, er wolle sich ihm unterwerfen und ihm einen Tribut entrichten. Senacherib nahm das Anerbieten des Königs an, beschloss den Krieg aufzugeben und versprach abzuziehen, wenn Ezekias ihm dreihundert Talente Silber und dreissig Talente Gold zahle, indem er zugleich eidlich versicherte, er wolle keinen weiteren Schaden anrichten. 3 Im Vertrauen hierauf leerte Ezekias die Schatzkammer und übersandte das Geld in dem Glauben, er werde nun von seinem Feinde und jedem [599] weiteren Kampf um seine Herrschaft befreit bleiben. 4 Sobald indes der Assyrier das Geld erhalten hatte, kümmerte er sich nicht mehr um seine Versprechungen und liess, während er selbst gegen die Aegyptier und Aethiopen zog, seinen Feldherrn Rapsakes mit zwei anderen Heerführern Namens Tharata und Anacharis und einem grossen Heere zurück, um Jerusalem zu zerstören.
(2.) 5 Sobald diese vor Jerusalem ihr Lager aufgeschlagen hatten, sandten sie einen Boten an Ezekias und liessen ihn um eine Unterredung ersuchen. Doch begab sich der König aus Furcht nicht selbst vor’s Thor, sondern sandte drei seiner vertrautesten Freunde den Reichskanzler Eliakim nebst seinen Kämmerern Sobnaeus und Joach. 6 Als diese vor den assyrischen Feldherren erschienen waren, hiess Rapsakes sie umkehren und dem Könige melden, der mächtige König Senacherib lasse ihn fragen, worauf er denn vertraue, dass er ihn nicht als Herrn anerkennen und sein Heer nicht in die Stadt einlassen wolle, wie er ihm befohlen habe. Ob er denn vielleicht in der Hoffnung auf die Hilfe der Aegyptier solchen Mut gewonnen habe? 7 Wenn er darauf warte, so möge er wissen, dass er sehr thöricht handle und einem Menschen gleiche, der sich auf ein zerbrochenes Rohr stützen wolle und dadurch nicht bloss zu Fall komme, sondern sich auch noch die Hand verletze. Der König möge bedenken, dass er in diesen Krieg nach dem Willen Gottes gezogen sei, der ihn beauftragt habe, das Reich der Israëliten zu zerstören und des Ezekias Volk zu vernichten. 8 Da Rapsakes sich bei dieser Rede der hebraeischen Sprache bediente, deren er kundig war, geriet Eliakim in Furcht, seine Begleiter möchten ihn verstehen und darüber erschrecken, und bat ihn daher, in syrischer Sprache weiter zu reden. Der Feldherr aber fuhr, als er Eliakims Furcht bemerkte, mit desto lauterer und schärferer Stimme in hebraeischer Sprache fort und sagte: „Nachdem nun alle unseres Königs Befehl vernommen haben, [600] sollen alle sich zu ihrem eigenen Besten uns unterwerfen. Denn es ist offenbar, dass sowohl ihr als euer König das Volk nur mit leeren Hoffnungen hinhaltet und es zum Widerstande anreizt. Wenn ihr aber Mut habt und unsere Truppen zurückschlagen zu können glaubt, so bin ich bereit, euch zweitausend Pferde zu eurem Gebrauch zu überlassen, zu denen ihr dann ebenso viele Reiter liefern möget, um eure Kräfte zu zeigen. Aber ihr könnt keine Reiter stellen, weil ihr keine habt. 10 Was zögert ihr also, euch den Stärkeren zu übergeben, die euch selbst wider euren Willen gefangen nehmen können? Eine freiwillige Übergabe wird immerhin für euch sicherer sein, als dass ihr euch mit Gewalt unterwerfen lasst, was euch nur Gefahren und Leid bringen wird.“
(3.) 11 Da nun sowohl die Gesandten als das Volk diese laut gesprochenen Worte des Feldherrn gehört hatten, hinterbrachten sie dieselben dem Ezekias. Dieser legte sein königliches Gewand ab, hüllte sich in Lumpen, fiel nach väterlicher Sitte auf sein Angesicht nieder und flehte demütig zu Gott, er möge ihm jetzt, da er an anderer Hilfe verzweifeln müsse, seinen Beistand nicht versagen. 12 Dann sandte er einige seiner Freunde in Begleitung von Priestern zu dem Seher Esaïas und liess ihn bitten, zu Gott zu flehen und für ihrer aller Rettung ein Opfer darzubringen, damit der Herr die Hoffnung der Feinde zu nichte mache und sich des Volkes erbarme. 13 Der Seher that also und sprach auf Gottes Befehl dem Könige und seinen Freunden Mut ein, indem er ihnen verkündigte, die Feinde würden ohne Kampf besiegt werden, mit Schimpf und Schande abziehen und ihren jetzigen Übermut ablegen müssen. 14 Denn Gott werde dafür Sorge tragen, dass sie ihren Untergang fänden. Auch dem Assyrierkönig Senacherib solle sein Feldzug gegen Aegypten misslingen, und er auf dem Rückwege durchs Schwert umkommen.
(4.) 15 Um dieselbe Zeit schrieb auch der Assyrierkönig an Ezekias einen Brief, in welchem er ihn einen Thoren [601] nannte, da er seiner Botmässigkeit entgehen zu können vermeine, eines Herrschers, der schon so viele und mächtige Völkerschaften unterjocht habe. Dann drohte er ihm und den Seinigen Gefangenschaft und Tod an, falls sie nicht die Thore öffneten und sein Heer freiwillig in Jerusalem aufnähmen. 16 Trotz dieses Briefes war Ezekias wohlgemut, da er sein Vertrauen auf Gott gesetzt hatte. Er faltete daher das Schreiben zusammen und legte es im Tempel nieder. Als er nun wiederum flehte, Gott möge sich der Stadt und des Volkes annehmen, verkündete ihm der Seher Esaïas, sein Gebet sei erhört worden. Der Assyrier werde die Belagerung aufheben und ihn in Zukunft nicht mehr belästigen. Das Volk aber werde in Frieden sein Land bebauen und ohne Furcht seine Geschäfte besorgen können. 17 Kurz darauf kehrte der Assyrierkönig, dem es in Aegypten schlecht ergangen war, unverrichteter Sache wieder heim, und zwar aus folgender Ursache. Bei der Belagerung von Pelusium brauchte er eine sehr lange Zeit. Als er nun den Wall, den er der Mauer gegenüber errichtete, bis zu gehöriger Höhe aufgeführt hatte und im Begriffe stand, zum Sturm zu schreiten, hörte er, der König der Aethiopen, Tharsikes, der mit grosser Heeresmacht den Aegyptiern zu Hilfe kommen wolle, habe beschlossen, durch die Wüste zu marschieren und in das Land der Assyrier einzubrechen. 18 Hierdurch wurde Senacherib derart in Bestürzung versetzt, dass er, wie gesagt, unverrichteter Sache abzog und Pelusium freigab. Von diesem Könige Senacherib erzählt auch Herodot im zweiten Buche seiner Geschichte, er sei gegen den König der Aegyptier, der ein Priester des Hephaistos gewesen, gezogen und habe Pelusium belagert, die Belagerung aber aus folgendem Grunde aufgehoben. Der Priester der Aegyptier habe zu Gott gefleht, und dieser habe seine Bitte erhört und den Arabern eine schwere Drangsal geschickt. 19 Doch irrt Herodot, da er ihn nicht den König der Assyrier, sondern der Araber [602] nennt.[1] Eine Menge von Mäusen, fährt er fort, habe in einer einzigen Nacht die Bogen und anderen Waffen der Assyrier zernagt, weshalb der König, da er nun keine Waffen mehr hatte, sein Heer von Pelusium habe zurückziehen müssen. 20 So stellt Herodot die Sache dar. Auch Berosus, der chaldaeische Geschichtschreiber, thut des Königs Senacherib Erwähnung und erzählt von ihm, er habe über die Assyrier geherrscht und ganz Asien und Aegypten mit Krieg überzogen.
(5.) 21 Als nun Senacherib von dem Zuge gegen Aegypten nach Jerusalem zurückkehrte, fand er, dass die unter Rapsakes zurückgelassenen Truppen schwer an der Pest litten. In der ersten Nacht, da er gemeinsam mit diesen Truppen die Belagerung weiterführte, tötete die Seuche in seinem Heere hundertfünfundachtzigtausend Mann samt ihren Führern und Hauptleuten. 22 Dieser Schlag versetzte ihn in Trauer und Angst, und da er befürchtete, sein ganzes Heer möchte dahingerafft werden, floh er mit dem Rest seiner Truppen in sein Reich und nach der Stadt zurück, welche Stadt des Ninus (Ninive) heisst. 23 Doch nur kurze Zeit blieb er noch am Leben, denn seine ältesten Söhne Adramelech und Sarasar brachten ihn in seinem eigenen Tempel, der Araska genannt wurde, um. Wegen dieses Vatermordes wurden die beiden von ihren Mitbürgern aus der Stadt gejagt und flohen nach Armenien. Den Thron Senacheribs aber bestieg Assarachoddas. Das war der Ausgang des Feldzuges der Assyrier gegen Jerusalem.
(1.) 24 Ezekias, der so unerwartet von seinem Schrecken befreit worden war, brachte mit dem gesamten Volke [603] Gott Dankopfer dar. Denn er wusste wohl, dass keine andere Ursache die Feinde zum Abzuge von Jerusalem veranlasst hatte, als die Hilfe, welche Gott ihm gesandt hatte. 25 Und so lag er eifrig dem Dienste Gottes ob. Nicht lange nachher aber fiel er in eine schwere Krankheit, an deren Heilung die Ärzte verzweifelten, sodass auch der Kranke selbst und seine Freunde die Hoffnung aufgaben. Zu der Krankheit gesellte sich noch eine tiefe Schwermut, weil der König daran dachte, dass er kinderlos sei und sein Haus ohne Erben und den Thron ohne Nachfolger lassen müsse. 26 Über diesen Gedanken ganz besonders traurig, flehte er zu Gott, er möge ihm das Leben verlängern, bis er Nachkommen habe, und ihn nicht anders denn als Vater seinen Geist aufgeben lassen. 27 Der Herr erbarmte sich denn auch seiner und gewährte ihm die Bitte, da er seinen Tod nicht deshalb beklagte, weil er seine Herrschaft damit verlieren, sondern nur deshalb, weil er keinen Nachfolger hinterlassen würde. Gott liess ihm also durch den Propheten Esaïas verkündigen, nach drei Tagen werde seine Krankheit weichen, und er werde nach seiner Genesung noch fünfzehn Jahre leben und Kinder erzeugen. 28 Als der Seher ihm dies verkündigt hatte, misstraute der König angesichts der Schwere seiner Krankheit und wegen der Unwahrscheinlichkeit der Verheissung seinen Worten und verlangte von Esaïas ein Wunderzeichen zur Beglaubigung seiner Prophezeiung und göttlichen Sendung. Denn alles, was uns ohne unser Verhoffen angekündigt wird, erlangt ja durch solche Beweise seine Glaubwürdigkeit. 29 Als der Seher ihn nun fragte, was für ein Zeichen er haben wolle, verlangte Ezekias, die Sonne, deren Schatten schon zehn Grad an der Uhr durchlaufen habe, solle wieder zurückkehren, sodass der Schatten den Weg noch einmal machen müsse. Der Seher bat Gott, er möge dem Könige dieses Zeichen gewähren, worauf Ezekias auch sogleich sein Verlangen erfüllt sah. Alsdann wich auch die Krankheit, und er begab sich zum Tempel, betete Gott an und dankte ihm.
[604] (2.) 30 Um diese Zeit wurde die Herrschaft der Assyrier von den Medern zerstört, worüber ich an anderer Stelle noch berichten werde. Der König der Babylonier aber, Baladas, schickte Gesandte mit Geschenken an Ezekias und liess ihn um Freund- und Bundesgenossenschaft bitten. 31 Der König nahm die Gesandten freundlich auf, bewirtete sie glänzend, zeigte ihnen seine Schätze und sein Zeughaus sowie seinen Reichtum an Edelsteinen und Gold, und entliess sie mit Geschenken für Baladas. 32 Da kam der Seher Esaïas zu ihm und fragte ihn, woher die Gesandten gewesen seien. Der König entgegnete, sie seien vom Könige der Babylonier gekommen, und er habe ihnen alles gezeigt, damit sie sich eine Vorstellung von seinem Reichtum und seiner Macht bilden und dem Könige davon Mitteilung machen könnten. 33 Der Seher aber sprach darauf: „Wisse, dass in kurzer Zeit dieser Reichtum nach Babylon wird geschleppt werden, und dass man deine Nachkommen zu Verschnittenen machen wird, die dem Könige von Babylon als Sklaven dienen werden. Denn dies hat mir Gott verkündigt.“ 34 Hierüber ward Ezekias sehr betrübt und sagte, er möchte wohl sein Volk von solchem Unheil verschont wissen. Da aber Gottes Ratschlüsse unabänderlich seien, bat er, es möchte ihm wenigstens während seines Lebens Friede beschert sein. Auch Berosus erwähnt den Babylonierkönig Baladas. 35 Der Seher Esaïas aber, der nach seinem Bekenntnis von Gottes Geist erfüllt und im höchsten Grade wahrheitsliebend war, hinterliess im Bewusstsein, dass er auch nicht die kleinste Unwahrheit gesagt, alle seine Prophezeiungen in schriftlichen Aufzeichnungen, damit spätere Geschlechter sie nach ihrem Erfolge beurteilen könnten. Ausser ihm thaten das auch noch zwölf andere Propheten, und was bei uns Gutes oder Böses geschieht, trifft alles nach ihrer Vorherverkündigung ein. Doch ich werde später noch von jedem einzelnen derselben reden.
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(1.) 36 Als Ezekias die vorhin gemeldete Frist gelebt und sich des Friedens erfreut hatte, starb er im Alter von vierundfünfzig Jahren und nach neunundzwanzigjähriger Regierung. 37 Sein Nachfolger Manasses, den er mit der Jerusalemerin Achiba gezeugt hatte, trat nicht in die Fussstapfen seines Vaters, sondern schlug den entgegengesetzten Weg ein, da er alle Arten von Frevel verübte und nichts Schändliches unversucht liess. Er ahmte die Laster der Israëliten nach, um deretwillen diese von Gott vernichtet wurden, und wagte sogar den Tempel Gottes, die Stadt und das ganze Land zu beflecken. 38 Er ging nämlich in seiner Gottesverachtung so weit, dass er alle Gerechten unter den Hebräern umbringen liess und nicht einmal die Seher verschonte, sondern auch von ihnen täglich einige töten liess, sodass zu Jerusalem das Blut in Strömen floss. 39 Hierüber erzürnt, sandte Gott Propheten an den König und das Volk und liess ihnen dieselbe Drangsal androhen‚ die auch über ihre Brüder, die Israëliten, gekommen war. Sie aber hörten nicht auf diese Ermahnungen, durch deren Befolgung sie hätten erreichen können, dass sie vor allem Übel bewahrt blieben. Erst mit der Erfüllung der Verheissungen erfuhren sie, dass dieselben der Wahrheit entsprachen.
(2.) 40 Weil sie nämlich bei diesem Lebenswandel beharrten, liess sie Gott von dem Könige der Babylonier und Chaldäer mit Krieg überziehen. Dieser liess ein Heer in Judaea einrücken und das Land verwüsten, den König Manasses aber mit List gefangen nehmen und wegführen, damit er ihn nach seinem Gutdünken bestrafen könne. 41 Da erkannte Manasses die Grösse seines Unglücks und sah ein, dass er allein der [606] Schuldige sei. Er flehte daher, Gott möge das Herz seines Feindes zu Güte und Mitleid stimmen. Diese Bitte erhörte Gott, und so wurde Manasses von dem Könige der Babylonier wieder in Freiheit gesetzt und konnte in sein Reich zurückkehren. 42 Als er nach Jerusalem gekommen war, bestrebte er sich, selbst das Andenken an seine früheren Vergehungen, die er von Herzen bereute, auszutilgen, weil er nun gottesfürchtig bleiben wollte. Er weihte den Tempel wieder, reinigte die Stadt und war nur darauf bedacht, wie er Gott für seine Rettung danken und sich seine Gnade für die ganze Lebenszeit erhalten könne. 43 Auch das Volk hiess er in Gottesfurcht wandeln, da es eingesehen habe, welches Unheil ihm beinahe infolge seiner Frevel zugestossen wäre. Er stellte ferner den Altar wieder her und liess die von Moyses vorgeschriebenen gesetzlichen Opfer darbringen. 44 Als er so die rechte Gottesverehrung wieder eingerichtet hatte, dachte er auch an die Sicherheit Jerusalems, indem er die alten Mauern wiederherstellen und neue aufführen liess, dazu auch hohe Türme errichtete und die Befestigungswerke ausserhalb der Stadt mit allen notwendigen Lebensmitteln und anderem Bedarf reichlich versah. 45 So verbrachte er den Rest seines Lebens in solcher Gottesfurcht, dass er von der Zeit an, da er Gott zu verehren begann, für einen höchst glückseligen und musterhaften Mann gehalten wurde. 46 Er starb im Alter von siebenundsechzig Jahren nach fünfundfünfzigjähriger Regierung. Bestattet wurde er in seinen eigenen Gärten, und die Königswürde ging auf seinen Sohn Amos über, der von der Emalsema aus der Stadt Jabata geboren war.
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(1.) 47 Amos ahmte die Frevel nach, die sein Vater in der Jugend begangen hatte, und wurde bald von seinen Dienern im eigenen Hause umgebracht, nachdem er nur vierundzwanzig Jahre gelebt und zwei Jahre regiert hatte. 48 Das Volk schritt gegen seine Mörder ein, bestattete den Amos neben seinem Vater und übertrug die Herrschaft seinem Sohne Josias, der erst acht Jahre zählte, und dessen Mutter die Jedis aus der Stadt Boskethi war. 49 Er war edlen Gemütes, von Natur zur Tugend geneigt und nahm sich in allen Dingen den König David zum Muster und Beispiel. 50 Schon in seinem zwölften Lebensjahre legte er einen besonderen Beweis seiner Frömmigkeit und Gerechtigkeit ab. Denn er bekehrte den Sinn des Volkes und veranlasste es, sich von den Götzen, die gar keine Götter seien, ab- und dem wahren Gotte wieder zuzuwenden. Und nachdem er die von seinen Vorgängern eingeführten Gebräuche einer Durchsicht unterzogen, schied er alles Mangelhafte, welches daran haftete, aus und benahm sich dabei, als sei er schon ein älterer und verständiger Mann. Was er aber für gut befand, behielt er bei und richtete sich danach. 51 Bei diesem Verfahren folgte er indes nicht nur seiner eigenen Einsicht und Weisheit, sondern hörte auch auf den Rat und die Vorschläge älterer Männer. Und es gelang ihm in der Besorgung des Staatswesens wie des Gottesdienstes alles aufs beste, weil er die schlechten Einrichtungen seiner Vorgänger nicht nur nicht aufrecht erhielt, sondern dieselben sogar völlig aus der Erinnerung tilgte. 52 Denn er ging selbst in der Stadt und im ganzen Lande umher, liess die den fremden Göttern geweihten Haine zerstören, ihre Altäre umwerfen und die ihnen von seinen Vorgängern gestifteten Weihgeschenke unter verächtlichem Spott entfernen. 53 Auf diese Weise bekehrte er das Volk zur [608] Verehrung des wahren Gottes und liess auf seinem Altare wieder Speise- und Brandopfer darbringen. Er ernannte auch Richter und Aufseher, die einen jeden zu überwachen und Recht und Gerechtigkeit zu pflegen hatten, sollte auch ihr Leben dabei in Gefahr geraten. 54 Weiterhin sandte er Boten durch sein ganzes Reich und liess verkündigen, es solle jeder nach seinem guten Willen und Vermögen Gold und Silber zur Wiederherstellung des Tempels beitragen. 55 Und als nun die Mittel eingegangen waren, übertrug er die Sorge für den Tempel und die zu seiner Ausbesserung notwendigen Veranstaltungen dem Stadtoberhaupte Amasias, dem Schreiber Saphanes, dem Protokollführer Joatas und dem Hohepriester Eliakias. 56 Diese liessen unverweilt Baumeister und alles zur Wiederherstellung Erforderliche kommen und gingen sogleich ans Werk. So erhob sich denn bald der wiederhergestellte Tempel als Wahrzeichen der Frömmigkeit des Königs.
(2.) 57 Unterdessen hatte der König sein achtzehntes Lebensjahr erreicht, und er liess nun dem Hohepriester Eliakias den Auftrag erteilen, aus den übriggebliebenen Mitteln Becher, Schalen und Schüsseln zum Gottesdienste anzufertigen und alles Gold und Silber, das sich noch im Tempelschatz befinde, gleichfalls zur Herstellung dieser Geräte zu verwenden. 58 Als nun der Hohepriester Eliakias das Gold hervorholte, stiess er zufällig auf die im Tempel niedergelegten heiligen Bücher des Moyses[2] und übergab sie dem Schreiber Saphanes. Dieser las sie durch und begab sich dann zum Könige, um ihm zu melden, dass alle seine Befehle vollzogen seien, worauf er ihm auch die Bücher des Moyses vorlas. 59 Der König aber hatte deren Inhalt kaum vernommen, als er sein Gewand zerriss, den Hohepriester Eliakias zu sich beschied und den Schreiber selbst nebst einigen seiner vertrautesten Freunde zu der Seherin Olda, der Gattin des rühmlich bekannten und [609] edlen Mannes Sallum, schickte. Ihr liess er sagen, sie möge Gott zu versöhnen und gnädig zu stimmen suchen, da zu befürchten stehe, das Volk werde wegen der Sünden, die seine Vorfahren gegen die Gesetze des Moyses begangen, aus seiner Heimat vertrieben werden und in der Fremde ein armseliges, bejammernswertes Dasein fristen müssen. 60 Als die Seherin von den Abgesandten den Auftrag des Königs vernommen hatte, hiess sie dieselben wieder umkehren und dem Könige melden, Gott habe bereits seinen Entschluss in betreff des Volkes gefasst, und es könne derselbe durch Bitten nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das Volk solle aus seinem Lande vertrieben werden und aller seiner Besitzungen verlustig gehen, weil es die Gebote übertreten und in so langer Zeit keine Reue bewiesen habe, obgleich die Propheten es zur Umkehr ermahnt und ihm die Strafe für seine Frevelthaten vorhergesagt hätten. 61 Damit das Volk nun einsehe‚ dass er der wahre Gott sei, und seine Propheten nichts Unwahres verkündigt hätten, werde er das Strafgericht über das Volk verhängen, es jedoch um der Gerechtigkeit des Königs willen noch hinausschieben und erst dann vollziehen, wenn Josias aus dem Leben geschieden sei.
(3.) 62 Diese Verkündigung der Seherin berichteten die Abgesandten dem Könige, der darauf von nah und fern die Priester und Leviten sowie die Männer jeglichen Alters nach Jerusalem entbieten liess. 63 Und als alle sich versammelt hatten, liess er ihnen zunächst die heiligen Bücher vorlesen, betrat alsdann eine Tribüne mitten unter dem Volke und liess es schwören, Gott verehren und die Gesetze treu beobachten zu wollen. 64 Alle gelobten dies bereitwillig und versprachen, den Ratschlägen des Königs Folge zu leisten. Darauf brachten sie Opfer dar und flehten zu Gott, er möge ihnen seine Gnade und Barmherzigkeit erzeigen. 65 Dem Hohepriester aber befahl der König, alle Geräte, die beim Götzendienste Verwendung gefunden hätten und vielleicht von seinen Vorgängern her noch im Tempel [610] vorhanden seien, hinauszuschaffen. Und da sich noch viele derartige Geräte fanden, wurde alles zusammengehäuft, verbrannt und die Asche zerstreut. Die Götzenpriester aber, welche nicht aus Aarons Geschlecht waren, wurden umgebracht.
(4.) 66 Als der König dies zu Jerusalem ins Werk gesetzt hatte, reiste er auch im Lande umher, liess alles, was Jeroboam zur Ehre fremder Götter hatte errichten lassen, zerstören und die Gebeine der falschen Propheten auf dem Altare, den Jeroboam erbaut hatte, verbrennen. 67 Das hatte ja der Seher Achias dem ganzen Volke vorhergesagt, als er beim Opfer Jeroboams sich an das Volk wandte, wie er auch verkündigt hatte, ein Nachkomme Davids mit Namen Josias werde das vollbringen, was ich oben erwähnt habe. So erfüllte sich seine Weissagung nach Verlauf von dreihunderteinundsechzig Jahren.
(5.) 68 Darauf begab sich der König Josias auch zu denjenigen Israëliten, welche von den Assyriern nicht in Gefangenschaft und Sklaverei geschleppt worden waren, und riet ihnen, von ihrem gottlosen Lebenswandel und der Verehrung fremder Götter abzulassen, dem allmächtigen Gott ihrer Väter dagegen zu dienen und treu zu bleiben. 69 Er liess sogar die Häuser, Dörfer und Städte durchsuchen, weil er argwöhnte, es möchte noch hier und da ein Götzenbild versteckt sein. Alsdann sorgte er auch dafür, dass die Wagen des Sonnengottes, welche am Tempeleingange standen und von seinen Vorgängern beschafft worden waren, sowie alle anderen Gegenstände, denen göttliche Verehrung gezollt worden war, aus dem Wege geräumt wurden. 70 Als er auf diese Weise das ganze Land gesäubert hatte, berief er das gesamte Volk nach Jerusalem und beging das Fest der ungesäuerten Brote, das auch Pascha genannt wird. Dem Volke aber schenkte er die Pascha-Opfer, dreissigtausend Böcke und saugende Lämmer, sowie dreitausend Ochsen zum Brandopfer. 71 Ferner erhielten die Priester von den Vornehmsten unter ihnen als Paschageschenk [611] zweitausendsechshundert Lämmer, und ebenfalls die Leviten von ihren Vorgesetzten fünftausend Lämmer und fünfhundert Ochsen. 72 Und da ein so reicher Vorrat an Opfertieren, ihnen zu Gebote stand, brachten sie die Opfer genau nach dem Gesetze des Moyses dar, und alle Priester waren vollauf mit ihrem Dienste beschäftigt. Ein solches Paschafest hatten die Hebräer seit den Zeiten des Propheten Samuel nicht mehr gefeiert; alles vollzog sich streng nach der Vorschrift des Gesetzes und unter Beobachtung der alten Gebräuche. 73 In der Folgezeit lebte Josias in Frieden und genoss den Ruf eines reichen und mächtigen Fürsten. Von seinem Lebensende berichtet das folgende Kapitel.
(1.) 74 Nechao, der König der Aegyptier, hob ein Heer aus und zog auf den Euphrat zu, um die Meder und Babylonier zu bekriegen, die das Reich der Assyrier zerstört hatten. Er trachtete nämlich danach, ganz Asien unter seine Herrschaft zu bringen. 75 Als er nun bis zur Stadt Mende, die im Gebiete des Josias lag, gekommen war, wollte ihm dieser mit Heeresmacht den Durchzug durch sein Land verwehren. Nechao aber schickte einen Herold zu ihm und liess ihm sagen, er wolle nicht gegen ihn zu Felde ziehen, sondern an den Euphrat marschieren. Josias möge sich aber wohl hüten, ihn durch Erschwerung seines Marsches zum Kampfe zu reizen. 76 Hierum kümmerte sich indes Josias nicht, beschloss vielmehr, ihm den Durchzug durch sein Land mit allen Kräften zu verwehren. Wie mir scheint, trieb ihn sein Verhängnis dazu, diese Gelegenheit zu seinem Untergange zu ergreifen. 77 Denn als er sein Heer zur [612] Schlacht aufstellte und auf seinem Wagen von einem Flügel zum anderen fuhr, traf ihn der Pfeilschuss eines Aegyptiers und machte seinem Kriegseifer ein Ende. Und da die Wunde ihn sehr schmerzte, befahl er, zum Rückzuge zu blasen, und fuhr sogleich nach Jerusalem. Dort starb er infolge seiner Verwundung und wurde in der Gruft seiner Väter mit grosser Pracht bestattet, nachdem er neununddreissig Jahre gelebt und einunddreissig Jahre regiert hatte. 78 Das Volk trauerte sehr um ihn und weinte und wehklagte viele Tage lang. Der Seher Jeremias verfasste aus diesem Anlass einen Trauergesang, der heute noch vorhanden ist. 79 Dieser Prophet weissagte auch das Unglück, das der Stadt bevorstand, und hat sogar über deren Zerstörung, die in unseren Tagen sich ereignete, sowie über die Eroberung von Babylon schriftliche Prophezeiungen hinterlassen. Doch war er nicht der einzige, der dies dem Volke vorhersagte, vielmehr hat auch der Prophet Jezekiel zwei Bücher darüber geschrieben und uns hinterlassen. 80 Diese beiden Seher waren aus priesterlichem Geschlechte. Jeremias verweilte zu Jerusalem vom dreizehnten Jahre der Regierung des Königs Josias an bis zur Zerstörung des Tempels und der Stadt. Über seine Schicksale werde ich noch später reden.
(2.) 81 Als nun Josias, wie gemeldet, gestorben war, folgte ihm in der Regierung sein Sohn Joachaz, der schon dreiundzwanzig Jahre alt und dessen Mutter die Amitala aus der Stadt Lobana war. 82 Er war ruchlos und lasterhaft. Als der König der Aegyptier aus dem Kampfe heimkehrte, beschied er den Joachaz zu sich in die syrische Stadt Amatha, liess ihn in Fesseln werfen und übertrug die Herrschaft seinem älteren Bruder Eliakim, dessen Namen er in Joakim umänderte. Dem Lande aber legte er einen Tribut von hundert Talenten Silber und einem Talent Gold auf, die Joakim auch entrichtete. 83 Den Joachaz hingegen nahm er mit nach Aegypten, wo derselbe auch gestorben ist. Er hatte nur drei Monate und zehn Tage regiert. Joakims [613] Mutter hiess Zabuda und stammte aus Abuma. Er selbst war übrigens von Natur ungerecht, gewaltthätig und weder fromm gegen Gott, noch gütig gegen die Menschen.
(1.) 84 Im vierten Jahre der Regierung Joakims trat die Herrschaft über die Babylonier ein gewisser Nabuchodonosor an, der alsbald mit Heeresmacht gegen die Stadt Charchamesa am Euphrat aufbrach in der Absicht, den Aegyptierkönig Nechao zu bekriegen, der damals ganz Syrien in seiner Gewalt hatte. 85 Als aber Nechao von dem Plane des Babyloniers und seinem Kriegszug Kunde erhielt, blieb auch er nicht müssig, sondern rückte mit grosser Streitmacht an den Euphrat, um den Nabuchodonosor von weiterem Vordringen abzuhalten. 86 In der Schlacht aber wurde er geschlagen und verlor viele Tausende der Seinigen. Der Babylonier überschritt nun den Euphrat und brachte ganz Syrien bis nach Pelusium, jedoch mit Ausnahme von Judaea, in seine Gewalt. 87 Im vierten Jahre seiner Herrschaft aber, welches das achte von Joakims Regierungsjahren war, überzog Nabuchodonosor, der ein grosses Heer hatte, auch die Juden mit Krieg und forderte von Joakim die Zahlung eines Tributs, widrigenfalls er die Feindseligkeiten beginnen würde. Durch diese Drohung geängstigt, erkaufte sich Joakim den Frieden mit Geld und zahlte den ihm auferlegten Tribut drei Jahre lang.
(2.) 88 Als er aber im dritten Jahre hörte, die Aegyptier bereiteten den Krieg gegen den Babylonier vor, leistete er den Tribut nicht mehr. Doch hatte er sich in seiner Hoffnung getäuscht, denn die Aegyptier wagten es nicht, den Kriegszug zu unternehmen. 89 Auch der Seher [614] Jeremias hatte das Volk Tag für Tag ermahnt, sich nicht mit trügerischen Hoffnungen auf die Aegyptier abzugeben; die Stadt werde jedenfalls von dem Könige der Babylonier zerstört werden, und der König Joakim in seine Gewalt geraten. 90 Seine Worte aber erzielten keine Wirkung, weil niemand gerettet werden sollte. Und Volk wie Vornehme, weit entfernt, sich um seine Weissagung zu kümmern, wurden vielmehr unwillig darüber und beschuldigten den Seher, er prophezeie nur Unheil, zogen ihn vor Gericht und forderten seine Bestrafung. 91 Die meisten Richter waren derselben auch nicht abgeneigt, und nur die ältesten unter ihnen sprachen ihn frei, da sie verständigen Sinnes waren, und entliessen ihn aus dem Gerichtssaale, veranlassten auch, dass ihm nichts Böses zugefügt wurde. 92 Sie wiesen nämlich darauf hin, dass Jeremias ja nicht der einzige sei, der der Stadt ein solches Schicksal vorhersage. Michaeas vielmehr und viele andere vor ihm hätten schon dasselbe prophezeit, und doch hätten die damaligen Könige den Sehern dafür nichts Böses zugefügt, sondern alle Ehre erwiesen, die ihnen als Propheten zugestanden habe. 93 Es gelang ihnen auch, mit diesen Worten das Volk zu besänftigen, sodass es den Jeremias von der ihm zugedachten Strafe lossprach. Dieser schrieb nun alle seine Weissagungen auf und las das Buch im neunten Monate des fünften Jahres der Regierung Joakims dem Volke vor, als es fastete und im Tempel versammelt war. In dem Buche aber waren alle Schicksale, die der Stadt, dem Tempel und dem Volke bevorstanden, enthalten. 94 Als die Vornehmen das hörten, liessen sie ihm das Buch abnehmen und befahlen ihm und seinem Schreiber Baruch, sich zu entfernen und ihren Aufenthaltsort nicht bekannt zu machen. Das Buch aber brachten sie dem Könige. Dieser gebot in Gegenwart seiner Freunde dem Schreiber, das Buch zu nehmen und es vorzulesen. 95 Als er aber hörte, was darin geschrieben stand, geriet er in Zorn, zerriss das Buch und warf es ins Feuer. Zugleich befahl er, [615] Jeremias und Baruch aufzusuchen und sie zu ihm zu führen, damit sie ihre Strafe erhielten. Doch diese waren seinem Zorne schon entflohen.
(3.) 96 Als aber kurze Zeit darauf der König der Babylonier heranrückte, beschlich den Joakim doch infolge der Weissagungen des Sehers eine derartige Furcht, dass er den König aufnahm in der Hoffnung, es werde ihm nichts Übles widerfahren. Und so verschloss er weder die Thore vor ihm, noch rüstete er sich zum Widerstand. 97 Der Babylonier aber kümmerte sich nicht um sein gegebenes Wort, als er in die Stadt eingerückt war, sondern liess die stärksten und wohlgestaltetsten Jünglinge von Jerusalem samt dem Könige Joakim umbringen. Den letzteren befahl er darauf vor die Mauern zu werfen und verbot, ihn zu beerdigen; zum Könige der Stadt und des Landes aber ernannte er dessen Sohn Joachim. 98 Alsdann führte er die Vornehmsten des Volkes, gegen dreitausend an der Zahl, mit sich in die Gefangenschaft nach Babylon. Unter diesen befand sich auch der Seher Jezekiel, der damals noch ein Knabe war. So endete der König Joakim, nachdem er sechsunddreissig Jahre gelebt und elf Jahre regiert hatte. Sein Nachfolger Joachim, dessen Mutter eine Bürgerin von Jerusalem war und Nosta hiess, regierte drei Monate und zehn Tage.
(1.) 99 Den König der Babylonier aber reute es alsbald, dass er dem Joachim die Königswürde übertragen hatte. Er glaubte nämlich, dieser würde aus Rache für die Ermordung seines Vaters das Land von ihm abwendig [616] machen. Deshalb sandte er ein Heer aus, um den Joachim in Jerusalem zu belagern. 100 Joachim aber, der von Natur gütig und gerecht war, konnte es nicht ansehen, dass die Stadt um seinetwillen in Gefahr schwebte, und übergab darum seine Mutter und seine übrigen Verwandten den von dem Babylonier geschickten Heerführern als Geiseln, nachdem diese ihm eidlich versichert hatten, dass weder die Stadt noch die Geiseln etwas zu leiden haben würden. 101 Aber der Eid wurde noch nicht ein Jahr lang gehalten, denn der Babylonierkönig selbst brach ihn, indem er seinen Heerführern brieflich anbefahl, die in der Stadt befindlichen jungen Leute und Handwerker, zehntausendachthundertzweiunddreissig an der Zahl, zu fesseln und als Gefangene ihm zuzuführen, desgleichen auch den Joachim selbst nebst seiner Mutter und seinen Freunden. 102 Alle diese Gefangenen liess er streng bewachen. Zum Könige aber ernannte er den Oheim des Joachim, Sedekias, nachdem er ihn eidlich verpflichtet hatte, das Land in Babylons Botmässigkeit zu halten, keine Umwälzung zu planen und nicht mit den Aegyptiern in Verbindung zu treten.
(2.) 103 Als Sedekias die Regierung übernahm, war er einundzwanzig Jahre alt. Er war der leibliche Bruder des Joakim und ein Verächter von Recht und Zucht. Auch die in seiner Umgebung befindlichen erwachsenen Männer waren gottlos, und selbst das gemeine Volk verübte Schlechtigkeiten nach seinem Gutdünken. 104 Deshalb begab sich der Prophet Jeremias zum Könige, wehklagte und gebot ihm, von seiner Gottlosigkeit und Gesetzesübertretung abzulassen und die Gerechtigkeit zu pflegen. Er möge weder auf die Vornehmen, unter denen es die grössten Übelthäter gebe, hören, noch den falschen und lügnerischen Sehern glauben, dass der Babylonier die Stadt nicht noch einmal belagern oder die Aegyptier gegen letzteren zu Felde ziehen und ihn überwinden würden. Denn das sei alles Lüge und werde nie in Erfüllung gehen. 105 Sedekias sah wohl ein, dass der Prophet recht habe, und dass seine Worte, die [617] auf Wahrheit beruhten, nur zu seinem, des Königs, Nutzen gesprochen seien. Aber seine Freunde brachten ihn wieder auf andere Gedanken, indem sie die Worte des Sehers in ihrem Sinne auslegten. 106 Auch Jezekiel weissagte zu Babylon das dem Volke drohende Unglück, schrieb seine Verkündigungen auf und sandte sie nach Jerusalem. Sedekias aber glaubte nun keinem der beiden Propheten mehr, und zwar aus folgender Ursache. Die Seher stimmten wohl darin überein, dass die Stadt erobert und Sedekias gefangen werden würde. Jezekiel aber prophezeite dann weiter, Sedekias werde Babylon nicht sehen, während Jeremias behauptete, der Babylonierkönig werde ihn gefesselt dorthin schleppen. 107 Weil sie nun in letzterem Punkte nicht übereinstimmten, wollte er auch das übrige, das in den Prophezeiungen der beiden Seher gleichlautete, nicht für wahr halten und misstraute ihnen daher. Gleichwohl ging alles in Erfüllung, was sie vorhergesagt hatten, wie ich an anderer Stelle darthun werde.
(3.) 108 Nachdem Sedekias das Bündnis mit den Babyloniern acht Jahre lang gehalten hatte, fiel er von ihnen ab und schloss sich an die Aegyptier an in der Hoffnung, gemeinsam mit ihnen die Babylonier ausrotten zu können. 109 Sobald dies der König der Babylonier erfuhr, zog er gegen ihn zu Felde, verwüstete sein Land, nahm die festen Plätze ein und schickte sich an, Jerusalem selbst zu belagern. 110 Als nun der Aegyptier hörte, in welcher schlimmen Lage sein Bundesgenosse Sedekias sei, eilte er mit einem grossen Heere nach Judaea, um Jerusalem zu entsetzen. Daraufhin liess der Babylonier von Jerusalem ab, zog gegen die Aegyptier und lieferte ihnen eine Schlacht, trieb sie in die Flucht und verjagte sie aus ganz Syrien. 111 Sobald nun der Babylonierkönig von Jerusalem weggezogen war, bemühten sich die falschen Seher, den Sedekias zu bethören, indem sie ihm verkündeten, der Babylonier werde weder von neuem ihn und sein Volk bekriegen, noch sie aus ihrem Lande nach Babylon wegführen. [618] Vielmehr würden die Gefangenen mit allen Tempelgeräthen zurückkehren, die der Babylonierkönig aus dem Heiligtum geraubt habe. 112 Jeremias aber trat mitten unter sie und verkündete das gerade Gegenteil, indem er der Wahrheit gemäss prophezeite: „Ihr handelt sehr übel und betrügt den König, da das Bündnis mit den Aegyptiern ihm keinen Vorteil bringen wird. Denn der Babylonier wird sie schlagen, dann gegen Jerusalem rücken, das Volk belagern und durch Hunger aufreiben, die Überlebenden gefangen wegführen, ihr Hab und Gut rauben, den Tempel plündern und in Brand stecken und die Stadt von Grund aus zerstören. 113 Wir aber werden ihm und seinen Nachkommen siebzig Jahre lang als Sklaven dienen. Nach Ablauf dieser Zeit werden uns aus ihrer Knechtschaft die Perser und Meder befreien, die der Herrschaft der Babylonier ein Ende machen werden. Sie werden uns in dieses Land zurückkehren lassen, und wir werden den Tempel wieder aufbauen und Jerusalem wiederherstellen.“ 114 Diesen Worten des Jeremias glaubten die meisten; die Vornehmen aber und die ruchlosen Menschen verhöhnten ihn, als wäre er nicht bei Verstand. Als er sich nun wieder in seine Vaterstadt Anathoth, die zwanzig Stadien von Jerusalem entfernt lag, begeben wollte, begegnete ihm einer der Vorsteher, schlug ihn und warf ihm vor, er wolle zu den Babyloniern überlaufen. 115 Der Seher wies diese Beschuldigung zurück und sagte, er beabsichtige nur in seine Heimat zurückzukehren. Der andere aber ergriff ihn, führte ihn vor die Behörde und überantwortete ihn dem Gerichte, das ihn mit allen erdenklichen Folterqualen belegte und ins Gefängnis werfen liess. Hier musste er geraume Zeit zubringen und grosses Unrecht erdulden.
(4.) 116 Im neunten Jahre der Regierung des Sedekias aber, und zwar am zehnten Tage des zehnten Monats, rückte der Babylonierkönig mit seinen Truppen abermals gegen Jerusalem, setzte sich vor der Stadt fest und belagerte sie achtzehn Monate lang unter Anspannung [619] aller Kräfte. Zugleich wurde Jerusalem von Hungersnot und Pest bedrängt, den beiden grössten Übeln, welche eine belagerte Stadt treffen können. Diese Plagen wüteten in grauenhafter Weise. 117 Inzwischen schwieg auch der Seher Jeremias nicht, obwohl er im Gefängnis schmachtete, sondern ermahnte mit lauter Stimme das Volk, es solle die Thore öffnen und den Babylonier einlassen. Wenn sie das thäten, würden sie alle gerettet werden, im anderen Falle aber umkommen. 118 Er verkündigte, dass jeder, der in der Stadt bleibe, entweder vom Hunger oder vom Schwert der Feinde werde dahingerafft werden, und nur, wer zum Feinde fliehe, könne dem Tode entgehen. 119 Die Vornehmen aber hörten auch jetzt, da sie in höchster Lebensgefahr schwebten, nicht auf seine Worte, sondern hinterbrachten sie voll Zorn dem Könige und verklagten den Seher als einen Thoren, der ihnen den Mut nehme und durch Unglücksprophezeiungen den Eifer und das Vertrauen des Volkes zu lähmen suche. Denn dieses sei bereit, für König und Vaterland jede Gefahr zu bestehen, während der Seher es beharrlich ermahne, zum Feinde überzugehen, da die Stadt doch eingenommen und zerstört werden würde.
(5.) 120 Der König war nun freilich, da er von Natur gütig und gerecht war, nicht dazu zu bringen, dass er selbst gegen den Seher einschritt. Um sich aber in der jetzigen schlimmen Zeit nicht mit den Vornehmen zu verfeinden, überliess er ihnen den Jeremias, um mit ihm nach Gutdünken zu verfahren. 121 Sobald sie diese Erlaubnis vom Könige erhalten hatten, drangen sie in das Gefängnis ein, ergriffen ihn, führten ihn hinaus und liessen ihn mit Stricken in eine Kotgrube hinab, um ihn darin ersticken zu lassen. Jeremias sank so tief in den Schlamm, dass nur seine Augen und seine Nasenöffnung noch über demselben sieh befanden, und schwebte also in grosser Lebensgefahr. 122 Inzwischen aber berichtete ein Diener des Königs, der Aethiope von Geburt war und beim Könige damals in hoher [620] Gunst stand, diesem das schändliche Beginnen seiner Freunde und der Vornehmen, die den Seher auf grausamere Weise umbringen wollten, als ihm dies im Gefängnis würde begegnet sein. 123 Sowie der König das vernahm, reute es ihn, den Seher in die Gewalt der Vornehmen gegeben zu haben, und er befahl dem Aethiopen, dreissig königliche Diener nebst Stricken und allem anderen, was er zur Rettung des Sehers brauche, mitzunehmen und den Jeremias so schnell wie möglich aus der Grube herauszuziehen. Der Aethiope that so, zog den Seher aus dem Schlamm heraus und liess ihn frei gehen.
(6.) 124 Darauf beschied der König ihn heimlich zu sich und fragte ihn, ob er ihm von Gott etwas zu sagen habe und ihm irgend eine Hilfe in Aussicht stellen könne. Jeremias entgegnete ihm: „Wohl habe ich dir etwas zu sagen, aber du wirst mir nicht glauben, wie auch die anderen meinen Verkündigungen kein Gehör geschenkt, sondern mich wie einen Verbrecher haben umbringen wollen. Wo sind jetzt die, welche euch vorgelogen haben, der Babylonier werde den Krieg gegen euch nicht zum zweitenmal aufnehmen? Ich meinerseits fürchte mich, dir die Wahrheit zu sagen, da du mich dann wohl zum Tode verurteilen wirst.“ 125 Als aber der König ihm eidlich versichert hatte, er werde ihn weder zum Tode verurteilen noch den Vornehmen ausliefern, fasste der Seher Mut und riet ihm, die Stadt den Babyloniern zu übergeben. 126 Er fügte hinzu, auf Gottes Antrieb erteile er ihm diese Ermahnung, wenn er der drohenden Gefahr entgehen und weder die Stadt dem Erdboden gleichmachen, noch den Tempel in Flammen aufgeben lassen wolle. Andernfalls werde er selbst die Schuld tragen, dass solches Unheil über ihn wie über seine Unterthanen komme. 127 Der König entgegnete, er wolle seinem Rate folgen, da das in seinem Interesse liege. Doch fürchte er, von denen, die aus seinem Volke zu den Babyloniern übergingen, beim feindlichen Könige fälschlich angeklagt zu werden und dann den [621] Tod erleiden zu müssen. 128 Der Prophet aber hiess ihn Mut fassen und bat ihn, nicht so unbegründete Angst zu haben. Denn wenn er den Babyloniern die Stadt übergebe, werde weder ihm noch seinen Frauen und Kindern ein Leids geschehen, und auch der Tempel werde unversehrt bleiben. 129 Hierauf entliess der König den Jeremias, indem er ihm noch anbefahl, niemand von seinem Vorhaben Mitteilung zu machen und auch den Vornehmen, wenn sie von seiner Berufung zum Könige hörten und ihn über die Unterredung ausforschen wollten, nichts davon zu sagen. Er solle vielmehr die Ausrede gebrauchen, er habe den König nur gebeten, ihn mit Kerker und Banden zu verschonen. 130 Damit fertigte Jeremias auch wirklich die Neugierigen ab, die zu ihm kamen und ihn fragten, was er mit dem Könige über sie beratschlagt habe.
(1.) 131 Unterdessen setzte der Babylonier die Belagerung von Jerusalem unter Aufbietung aller Kräfte und mit grosser Zähigkeit fort. Er errichtete Türme auf hohen Wällen und trieb von ihnen aus alles, was sich den Mauern näherte, zurück. 132 Ausserdem warf er ringsum noch eine Menge von Erdwerken auf, die an Höhe den Mauern gleichkamen. Aber auch die Belagerten wehrten sich hartnäckig und tapfer und liessen sich weder durch Hungersnot noch durch Pest einschüchtern, sondern obwohl sie von diesen Plagen hart bedrängt wurden, ertrugen sie doch die Schrecken des Krieges mit Ausdauer und trotzten den Belagerungsmaschinen der Feinde, indem sie allenthalben auch ihrerseits solche errichteten. 133 So entstand ein Wetteifer in Thatkraft und Klugheit [622] zwischen den Babyloniern und den Jerusalemern, indem die einen alles daran setzten, die Stadt in ihre Gewalt zu bekommen, die anderen aber ihr Heil darin suchten, unverdrossen neue Gegenwerke gegen die Belagerungsvorrichtungen der Feinde zu bauen. 134 Das ging so achtzehn Monate lang weiter, bis die Mehrzahl der Belagerten dem Hunger und den feindlichen Geschossen erlegen war.
(2.) 135 Endlich fiel die Stadt am neunten Tage des vierten Monats, im elften Jahre der Regierung des Sedekias. Den Sturm leiteten die babylonischen Heerführer, denen Nabuchodonosor die weitere Belagerung anvertraut hatte; denn er selbst hielt sich in der Stadt Reblatha auf. Die Namen dieser Heerführer, die vielleicht jemand kennen lernen möchte, waren Nergelear, Aremmantus, Semegar, Nabosaris und Echarampsaris. 136 Als die Stadt gegen Mitternacht in den Händen des Feindes war, drangen die Anführer in den Tempel ein. Auf die Nachricht davon floh der König Sedekias mit seinen Weibern, Kindern, Heerführern und Freunden durch enge und steile Schluchten aus der Stadt in die Wüste. 137 Einige Überläufer aber meldeten dies den Babyloniern, die beim Morgengrauen zu seiner Verfolgung ausrückten und ihn bei Jericho einholten und umzingelten. Als nun die Freunde und Heerführer, die mit Sedekias geflohen waren, die Feinde heranziehen sahen, verliessen sie ihn, zerstreuten sich hierhin und dorthin und waren nur auf ihre eigene Rettung bedacht. 138 Darauf wurde der König mit den wenigen, die bei ihm aushielten, gefangen genommen und nebst seinen Frauen und Kindern zum babylonischen Könige geführt. Nabuchodonosor schalt ihn einen Frevler und Vertragsbrüchigen, da er sein Versprechen, das Land in der Botmässigkeit der Babylonier zu erhalten, nicht erfüllt habe. 139 Auch warf er ihm Undankbarkeit vor; denn Sedekias habe die Herrschaft doch nur von ihm, der dieselbe dem Joachim entrissen habe, erhalten, und nun habe er seine Macht zum Nachteil seines Wohlthäters [623] missbraucht. „Aber der grosse Gott,“ fügte er hinzu, „dem dein Wandel zuwider ist, hat dich jetzt in meine Hand gegeben.“ 140 Nachdem er also den Sedekias gescholten, befahl er, dessen Söhne und Freunde sogleich im Angesichte des Königs und der übrigen Gefangenen zu töten. Den Sedekias selbst aber liess er blenden und in Ketten nach Babylon führen. 141 So erfüllten sich die Weissagungen des Jeremias und des Jezekiel. Denn nach des Jeremias Verkündigung wurde er gefangen vor den Babylonier geführt und unterredete sich persönlich mit ihm; Babylon aber sah er, obwohl er dorthin geschleppt wurde, nicht, weil er geblendet war, genau wie Jezekiel dies vorausgesagt hatte.
(3.) 142 Vorstehendes habe ich erzählt, um Gottes Wesen denjenigen klar zu machen, die es noch nicht kennen. Denn er lässt alles zwar auf mannigfaltige Weise, aber doch in der festgesetzten Zeit und Ordnung genau nach seiner Vorherverkündigung eintreffen. Wir erkennen aber daraus auch die Unwissenheit und Leichtgläubigkeit der Menschen, infolge deren sie die Zukunft nicht voraussehen können und blindlings in ihr Verderben stürzen, ohne dass es ihnen möglich wäre, der Gefahr zu entrinnen.
(4.) 143 So endeten die Könige aus Davids Geschlecht, im ganzen einundzwanzig an der Zahl, die zusammen fünfhundertvierzehn Jahre, sechs Monate und zehn Tage regierten. Der erste König, Saul, der nicht aus diesem Geschlechte war, hatte zwanzig Jahre lang geherrscht.
(5.) 144 Der Babylonier sandte darauf seinen Feldherrn Nabuzardanes nach Jerusalem mit dem Auftrage, den Tempel zu plündern, das Heiligtum und den Königspalast einzuäschern, die Stadt dem Erdboden gleich zu machen und das Volk nach Babylonien wegzuführen. 145 Nabuzardanes kam also im elften Jahre der Regierung des Sedekias nach Jerusalem, plünderte den Tempel und raubte die goldenen und silbernen Geräte Gottes, das grosse von Salomon geweihte Waschbecken, die ehernen Säulen mit ihren Kapitellen, die goldenen [624] Tische und die Leuchter. 146 Nachdem er das alles aus dem Tempel entfernt hatte, steckte er denselben in Brand, am ersten Tage des fünften Monats, im elften Regierungsjahre des Sedekias und im achtzehnten des Nabuchodonosor. Alsdann legte er auch den Feuerbrand an den Königspalast und zerstörte die Stadt. 147 Der Tempel ward eingeäschert vierhundertsiebzig Jahre, sechs Monate und zehn Tage nach seiner Erbauung, eintausendzweiundsechzig Jahre, sechs Monate und zehn Tage nach dem Auszug aus Aegypten, eintausendneunhundertsiebenundfünfzig Jahre, sechs Monate und zehn Tage nach der Sintflut, 148 und dreitausendfünfhundertdreizehn Jahre, sechs Monate und zehn Tage nach der Erschaffung Adams. 149 Als der babylonische Heerführer so Jerusalem von Grund auf zerstört und das Volk weggeführt hatte, wurden auch der Hohepriester Sareas, dessen Stellvertreter Sophonias, die drei fürstlichen Tempelwächter, der die Leibwache befehligende Verschnittene, ferner sieben von Sedekias’ Freunden, dessen Schreiber und sechzig andere Führer gefangen genommen und zugleich mit den geraubten Tempelgeräten zum Könige nach Reblatha, einer Stadt Syriens, gebracht. 150 Dieser liess den Hohepriester und die Führer enthaupten, die übrigen Gefangenen aber samt dem Sedekias führte er selbst nach Babylon. Ausserdem schleppte er mit sich den Hohepriester Josadok, den Sohn des obersten Hohepriesters Sareas, der, wie erwähnt, bei Reblatha in Syrien getötet worden war.
(6.) 151 Nachdem ich mich so über das Geschlecht der Könige, ihre persönlichen Eigenschaften und die Zahl ihrer Lebens- und Regierungsjahre verbreitet habe, halte ich es nunmehr auch für notwendig, die Namen der Hohepriester anzuführen. 152 Der erste Hohepriester in dem von Solomon erbauten Tempel war Sadok. Ihm folgte in der Würde sein Sohn Achimas, diesem Azarias, alsdann Joram, darauf Isus, von dem die Würde auf Axioram überging. 153 Dann kamen der Reihe nach Phideas, Sudeas, Juël, Jotham, Urias, Nerias, Odeas, [625] Sallum, Elikias, Sareas, und endlich Josadok, der nach Babylon in die Gefangenschaft geschleppt wurde. Dabei erbte immer der Sohn vom Vater die Hohepriesterwürde.
(7.) 154 Als Nabuchodonosor nach Babylon zurückgekehrt war, hielt er dort den Sedekias während seines ganzen Lebens in Gewahrsam. Nach seinem Tode aber liess er ihn mit grosser Pracht bestatten. Die aus dem Tempel zu Jerusalem geraubten Gegenstände weihte er seinen eigenen Göttern, siedelte das Volk im babylonischen Lande an und liess dann den Hohepriester seiner Fesseln entledigen.
(1.) 155 Als Nabuzardanes das Volk der Juden in die Gefangenschaft führte, liess er die Armen sowie die Überläufer in ihrer Heimat zurück und ernannte zu ihrem Vorsteher Godolias, den Sohn des edlen Juden Aikam, einen gerechten und braven Mann. Er befahl ihnen, das Land zu beackern und dem Könige einen bestimmten Tribut von dem Ertrage zu entrichten. 156 Den Seher Jeremias aber beschied er aus dem Gefängnis zu sich und suchte ihn zu überreden, mit ihm nach Babylon zu ziehen. Denn der König habe angeordnet, es solle ihm jeder Wunsch erfüllt werden. Wolle er aber nicht mitgehen, so möge er ihm sagen, wo er zu wohnen gedenke, damit er dies dem Könige brieflich melden könne. 157 Der Seher aber wollte ihm weder folgen noch irgendwo anders seinen Wohnsitz nehmen, sondern begnügte sich damit, bei den Trümmern seiner Heimatstadt und ihren [626] armseligen Überresten zu bleiben. Als der Feldherr diesen seinen Wunsch erfuhr, befahl er dem Godolias, für ihn zu sorgen und ihm alles zu gewähren, was er verlange. Dann bedachte er den Seher mit reichen Geschenken und gestattete ihm zu gehen, wohin er wolle. 158 Jeremias nahm nun seinen Wohnsitz in der Stadt Masphath und bat den Nabuzardanes, auch seinen Schüler Baruch freizulassen, den Sohn des Nerus, der aus einem vornehmen Hause stammte und in der hebräischen Sprache besonders bewandert war.
(2.) 159 Als Nabuzardanes diese Einrichtungen getroffen hatte, kehrte er nach Babylon zurück. Sobald nun diejenigen, die während der Belagerung aus Jerusalem entflohen waren und im ganzen Lande zerstreut lebten‚ vernahmen, die Babylonier seien abgezogen und hätten nur wenige Juden zur Bebauung des Landes zurückgelassen, kamen sie von allen Seiten in Masphath bei Godolias zusammen. 160 Ihre Anführer waren Joannes, Sohn des Kareas, Jezanias, Sareas und andere. Ferner war da noch Ismaël, aus königlichem Geschlechte, übrigens aber ein gottloser und verruchter Mensch, der während der Belagerung von Jerusalem zu Baalis, dem Könige der Ammaniter, geflohen war und bei diesem bis jetzt gewohnt hatte. 161 Allen diesen riet Godolias, bei ihm zu bleiben und jede Furcht vor den Babyloniern fahren zu lassen; denn wenn sie das Land bebauen wollten, werde sie kein Leid treffen. Dies versicherte er ihnen eidlich und fügte hinzu, sie möchten ihn als ihren Beschützer ansehen, der ihnen gern zu Hilfe kommen wolle, wenn sie bedrängt würden. 162 Dann gab er ihnen den Rat, sie sollten in einer beliebigen Stadt ihren Wohnsitz nehmen, diese wieder aufbauen und Ackerbau treiben. Auch sollten sie sich zeitig mit Getreide, Wein und Öl versehen, damit sie im Winter keinen Mangel litten. Alsdann entliess er sie in die gewählten Wohnsitze.
(3.) 163 Als nun zu den benachbarten Völkern Judaeas das Gerücht drang, Godolias habe alle zurückgekehrten [627] Flüchtlinge mit grosser Menschenfreundlichkeit aufgenommen und ihnen gegen Entrichtung eines Tributes für den Babylonier Ackerland zum Bebauen angewiesen, strömten auch von ihnen viele zu Godolias und beackerten das Land. 164 Joannes und die übrigen Führer aber, die des Godolias friedliche Regierung sowie seine Güte und Menschenfreundlichkeit sahen, liebten ihn sehr und teilten ihm deshalb mit, Baalis, der Ammaniterkönig, wolle den Ismaël senden, um ihn heimlich und mit List aus dem Wege zu räumen, diesen selbst aber zum Herrscher über die Israëliten machen, da er aus königlichem Geschlecht stamme. 165 Diesen Nachstellungen könne Godolias entgehen, wenn er ihnen gestatte, den Ismaël insgeheim zu töten. Denn sie fürchteten, dass, wenn es Ismaël gelänge, ihn umzubringen, die Reste des israëlitischen Volkes völlig zu Grunde gehen würden. 166 Godolias aber entgegnete ihnen, er könne nicht daran glauben, dass ein Mensch, den er mit Wohlthaten überhäuft habe, solche Nachstellungen gegen ihn plane. Es sei nicht möglich, dass jemand, der in seiner Notlage von ihm alle mögliche Unterstützung erhalten habe, so undankbar gegen seinen Wohlthäter handle und ihm nach dem Leben trachte, während er es sich schon zur Sünde anrechnen würde, den Ismaël vor Anschlägen, die andere gegen ihn beabsichtigten, nicht behütet zu haben. 167 Aber wenn auch ihre Vermutungen begründet wären, so wolle er doch lieber von Ismaëls Hand getötet werden, als einen Menschen umbringen, der zu ihm seine Zuflucht genommen und sein Heil gewissermassen ihm als Verwalter desselben anvertraut habe.
(4.) 168 Als nun Joannes und die übrigen Führer den Godolias nicht zu überreden vermochten, gingen sie weg. Dreissig Tage darauf kam Ismaël mit noch zehn anderen Männern nach Masphath zu Godolias, der sie glänzend bewirtete, bei dem Mahle aber betrunken wurde. 169 Als nun Ismaël bemerkte, dass der Weinrausch den Gastgeber unbeholfen und schläfrig gemacht hatte, [628] erhob er sich plötzlich mit seinen Freunden vom Tische und brachte den Godolias samt seinen Gästen um. Dann eilte er, obgleich es Nacht war, hinaus und liess alle in der Stadt befindlichen Juden sowie die von den Babyloniern dort zurückgelassene Besatzung niedermachen. 170 Am folgenden Tage kamen achtzig Männer aus dem Lande mit Geschenken für Godolias an, ohne von dessen Ermordung etwas zu wissen. Als Ismaël sie erblickt hatte, hiess er sie in des Godolias Haus eintreten. Dann liess er die Thore schliessen und die Männer erschlagen, ihre Leichen aber, um sie dem Anblick zu entziehen, in eine tiefe Grube werfen. 171 Und nur diejenigen von diesen achtzig wurden gerettet, die um Schonung ihres Lebens gebeten hatten, um ihm die auf ihrem Acker versteckten Geräte, Kleider und Getreidevorräte ausliefern zu können. Unter dieser Bedingung liess sie Ismaël am Leben. 172 Das Volk von Masphath aber nebst Weibern und Kindern, unter denen sich auch des Sedekias Töchter befanden, die der babylonische Feldherr Nabuzardanes bei Godolias zurückgelassen hatte, schleppte er gefangen mit sich fort. Dann kehrte er zum Könige der Ammaniter zurück.
(5.) 173 Joannes und die bei ihm versammelten Führer hatten kaum vernommen, welche Schandthaten Ismaël in Masphath verübt hatte, als sie im höchsten Zorn ihre Streitkräfte sammelten, gegen Ismaël ausrückten und ihn an einer bei Chebron befindlichen Quelle trafen. 174 Sobald Ismaëls Gefangene den Joannes und die übrigen Führer erblickten, wurden sie freudig bewegt in der Hoffnung, es nahe ihnen Hilfe. Sie verliessen daher den Ismaël und schlossen sich an Joannes an. Ismaël aber entfloh mit acht Begleitern zum Könige der Ammaniter. 175 Joannes nahm nun alle auf, die er den Händen Ismaëls entrissen hatte, auch die Verschnittenen, die Weiber und die Kinder, und kam bis nach Mandra, wo er an diesem Tage verweilte. Hierauf beschlossen sie, sogleich nach Aegypten zu ziehen, da sie fürchteten, die Babylonier möchten sie, wenn sie im Lande blieben, aus [629] Zorn über die Ermordung ihres Statthalters Godolias umbringen.
(6.) 176 Als sie diesen Entschluss gefasst hatten, begaben sich Joannes, des Kareas Sohn, und seine Begleiter zum Propheten Jeremias und ersuchten ihn, zu Gott zu flehen, dass er ihnen bei ihrer Ratlosigkeit einen Ausweg zeigen möge, indem sie sich eidlich verpflichteten, des Jeremias Worten Folge zu leisten. 177 Jeremias versprach ihnen denn auch, sich für sie zu verwenden, und nach zehn Tagen erschien ihm Gott und befahl ihm, dem Joannes, den übrigen Führern und dem Volke zu verkündigen, er werde sie, wenn sie im Lande blieben, beschützen und sie nicht in die Gewalt der gefürchteten Babylonier geraten lassen. Zögen sie aber nach Aegypten, so werde er ihnen zürnen und ihnen dieselben Plagen senden, die ihre Väter bekanntlich heimgesucht hätten. 178 Als der Seher diese Ermahnung Gottes dem Joannes und dem Volke verkündet hatte, glaubte man ihm nicht und behauptete, er befehle ihnen nicht im Auftrage Gottes, zu bleiben, sondern er wolle seinem Schüler Baruch einen Gefallen erweisen und erdichte Gottes Befehl, dass sie nicht wegziehen sollten, nur deshalb, damit sie von den Babyloniern niedergemacht würden. 179 Demgemäss befolgte weder das Volk noch Joannes den von dem Propheten verkündeten Rat Gottes, sondern sie zogen nach Aegypten und nahmen Jeremias und Baruch mit sich.
(7.) 180 Als sie dort angelangt waren, offenbarte Gott dem Jeremias, dass der Babylonierkönig im Begriff stehe, gegen Aegypten zu Felde zu ziehen, und hiess ihn dem Volke verkünden, Aegypten werde unterjocht und ein Teil von ihnen niedergemacht, der andere Teil aber gefangen nach Babylon geschleppt werden. 181 So geschah es auch in der That. Denn im fünften Jahre nach der Zerstörung Jerusalems, welches das dreiundzwanzigste seiner Regierung war, rückte Nabuchodonosor mit Heeresmacht in Coelesyrien ein, eroberte es und überzog dann die Ammaniter und Moabiter mit Krieg. 182 Nach [630] Unterjochung dieser Völkerschaften griff er Aegypten an, tötete den damaligen König, setzte einen anderen an seine Stelle und führte alle daselbst befindlichen Juden wiederum nach Babylon fort. 183 So traf also die Hebräer zweimal das Unglück, über den Euphrat weggeschleppt zu werden. Denn die zehn Stämme kamen unter Oseas in die Gewalt der Assyrier, und was nach dem Falle Jerusalems von den zwei Stämmen noch übrig geblieben war, führte Nabuchodonosor, der König der Babylonier und Chaldäer, in die Gefangenschaft. 184 Salmanasar, der die Israëliten aus ihren Wohnsitzen vertrieb, siedelte dort das Volk der Chuthäer an, die früher das Innere von Persien und Medien bewohnt hatten und von dem Lande, in welches sie verpflanzt wurden, den Namen Samariter erhielten. Der König der Babylonier aber, der die beiden Stämme wegführte, siedelte in deren Land kein anderes Volk an, sodass ganz Judaea mit Jerusalem und dem Tempel siebzig Jahre lang verödet blieb. 185 Zwischen der Gefangennehmung der Israëliten und der Wegführung der beiden Stämme nach Babylon verflossen hundertdreissig Jahre, sechs Monate und zehn Tage.
(1.) 186 Der Babylonierkönig Nabuchodonosor wählte nun die edelsten Knaben der Juden und die Verwandten des Königs Sedekias, die sich durch Körperkraft und Schönheit auszeichneten, aus und übergab sie besonderen Lehrern zur Erziehung. 187 Einige von ihnen liess er verschneiden, wie das gewöhnlich mit der Jugend der unterworfenen Völkerschaften geschah, gewährte ihnen Speise von seinem eigenen Tische und liess sie die Landesgebräuche und die chaldaeischen Schriften studieren. Diese brachten es in den Wissenschaften, in denen sie unterrichtet wurden, zu hohen Kenntnissen, [631] 188 und es waren unter ihnen aus dem Geschlechte des Sedekias besonders vier überaus wohlgestaltete und reichbegabte Jünglinge mit Namen Daniel, Ananias, Misaël und Azarias. Der Babylonier aber änderte ihre Namen um 189 und nannte den Daniel Baltasar, den Ananias Sedraches, den Misaël Misaches und den Azarias Abdenago. Wegen ihrer ausgezeichneten geistigen Befähigung, ihrer fleissigen Studien und ihrer Fortschritte in den Wissenschaften hielt der König sie in hohen Ehren und liebte sie sehr.
(2.) 190 Dem Daniel erschien es nun gut, mit seinen Freunden eine härtere Lebensweise zu führen und sich vom königlichen Tische fernzuhalten, wie auch alle tierische Kost zu verschmähen. Er begab sich daher zu Aschanes, einem Verschnittenen, der mit ihrer Versorgung betraut war, und begehrte von ihm, er solle die für sie von der königlichen Tafel bestimmten Speisen für sich behalten, ihnen aber nur Hülsenfrüchte und Datteln oder andere Pflanzenkost verabfolgen. Denn nur nach solcher Nahrung stehe ihr Verlangen, während sie die andere verschmähten. 191 Der Verschnittene erklärte sich hierzu bereit, doch drückte er seine Besorgnis darüber aus, der König möchte, wenn ihm ihre Magerkeit und ihr verändertes Wesen auffalle, da sich notwendigerweise ihre Körperhaltung und ihre Gesichtsfarbe namentlich im Vergleich mit den anderen gut genährten Knaben als verändert herausstellen müsse, ihn deshalb zur Verantwortung und Strafe ziehen. 192 Als sie nun den Aschanes in so grosser Furcht schweben sahen, beredeten sie ihn, er möge ihnen zehn Tage zur Probe die gewünschte Nahrung verabfolgen, und wenn dann ihr Aussehen sich nicht verschlechtere, solle er ihnen dieselbe Speise weiterhin reichen; sehe er sie hingegen abmagern oder sonst hinter den anderen zurückstehen, so könne er ja zu der früheren Kost zurückkehren. 193 Da aber infolge der einfacheren Nahrung ihr Körper nicht nur nicht abmagerte, sondern sogar gesunder und fetter erschien, konnte man glauben, sie lebten üppig und [632] schwelgerisch. Aschanes hatte nun keine Angst mehr und verwandte die vom Könige für die Jünglinge bestimmten Speisen für sich selbst, während er ihnen die oben erwähnte Kost zukommen liess. 194 So erhielten sie nicht nur ihren Geist frisch und zu wissenschaftlicher Thätigkeit geeignet, sondern kräftigten auch ihren Körper zu harten Strapazen, da sie ihren Geist nicht durch mannigfaltige Nahrung beschwerten und abstumpften, noch ihren Körper dadurch verweichlichten. Auf diese Weise ward es ihnen leicht, sich die gesamte Bildung der Hebräer wie der Chaldäer anzueignen. Daniel insbesondere zeichnete sich vor den anderen in weiser Deutung der Träume aus, und es war diese Gabe offenbar ein Geschenk Gottes.
(3.) 195 Zwei Jahre nach der Verwüstung Aegyptens hatte der König Nabuchodonosor einen wunderbaren Traum, dessen Bedeutung ihm von Gott noch im Schlafe erklärt worden war, die er aber beim Erwachen wieder vergessen hatte. Er liess daher sogleich die chaldaeischen Mager[WS 1] und Wahrsager kommen und erzählte ihnen, er habe einen Traum gehabt. Da er denselben aber vergessen habe, sollten sie ihm den Traum sowie dessen Deutung mitteilen. 196 Sie entgegneten, das sei wohl keinem Menschen möglich; könne er ihnen aber den Traum mitteilen, so würden sie die Deutung dazu finden. Da drohte ihnen der König mit der Todesstrafe, weil sie seinem Befehle nicht nachkommen könnten. 197 Als Daniel gehört hatte, der König habe alle seine Weisen umzubringen befohlen, begab er sich, weil er auch für sich und seine Freunde fürchtete, zu Ariochus, dem Befehlshaber der königlichen Trabanten, 198 und bat diesen um Auskunft, weshalb der König die Hinrichtung aller Mager und Wahrsager befohlen habe. Als er darauf zur Antwort erhielt, der König sei erzürnt, weil dieselben einen ihm entfallenen Traum ihm nicht wieder hätten in Erinnerung bringen können, bat er den Ariochus, vom Könige nur eine Nacht Aufschub für die Mager zu erwirken. Denn er hege die Hoffnung, durch Gebet zu [633] Gott Auskunft über den Traum zu erhalten. 199 Ariochus meldete dem Könige das Begehren Daniels, und dieser liess denn auch die Hinrichtung der Mager verschieben, bis er über das Versprechen Daniels Gewissheit habe. Der Jüngling zog sich alsdann mit seinen Freunden in seine Wohnung zurück und flehte die ganze Nacht hindurch zu Gott, er möge ihm den Traum erklären und die chaldaeischen Mager, mit denen sie ja auch selbst umkommen müssten, vor dem Zorne des Königs retten, indem er ihm den Traum offenbare, den der König in der vergangenen Nacht gehabt habe, und der diesem entfallen sei. 200 Gott, der Mitleid mit den Gefährdeten hatte, und dem Daniels Frömmigkeit wohlgefiel, teilte ihm darauf den Traum und seine Auslegung mit. 201 Daniel erhob sich voll Freude, teilte seinen Mitbrüdern die Sache mit, befreite sie, die schon um Leben verzweifelten und mit Todesgedanken erfüllt waren, vom Schrecken und flösste ihnen neue Hoffnung ein. 202 Hierauf dankten sie Gott dafür, dass er sich ihrer Jugend erbarmt habe, und Daniel begab sich bei Tagesanbruch zu Ariochus mit der Bitte, ihn zum Könige zu führen, weil er diesem den Traum sagen könne, den er in der vorvergangenen Nacht geträumt habe.
(4.) 203 Als Daniel beim Könige Einlass erlangt hatte, bat er zunächst, er möge ihn nicht für weiser halten als die chaldaeischen Mager, weil er ihm den Traum verkünden werde, den die anderen nicht hätten finden können. „Denn,“ fuhr er fort, „nicht meine Erfahrung oder mein grösserer Scharfsinn hat das bewirkt, sondern Gott hat sich unserer Not erbarmt und mir auf meine Bitte um mein und meiner Stammesgenossen Leben den Traum und seine Auslegung kundgethan. 204 Nicht so sehr mein eigenes Leid um unsere Verurteilung zum Tode hat mich beunruhigt, als vielmehr die Furcht um deinen Ruhm, den du durch die Verurteilung guter und ehrenhafter Männer schmälern wolltest, nachdem du etwas von ihnen verlangt hattest, das nicht menschlicher Scharfsinn, sondern nur Gottes Weisheit allein ermitteln konnte. [634] 205 Als du in Gedanken darüber versunken warst, wer nach dir den Erdkreis beherrschen solle, und auf deinem Bette lagst‚ wollte Gott dir alle zukünftigen Herrscher zeigen und sandte dir deshalb folgenden Traum. 206 Du glaubtest eine ungeheure Bildsäule vor dir zu sehen, deren Kopf von Gold, Schultern und Arme von Silber, Bauch und Oberschenkel von Erz, Unterschenkel und Füsse von Eisen waren. 207 Darauf sahst du einen ungeheuren Felsblock sich vom Berge herniederwälzen und auf die Bildsäule fallen, sie umwerfen, zermalmen und keinen Teil von ihr unversehrt lassen. Und das Gold, Silber, Eisen und Erz wurde in Staub verwandelt, feiner denn Mehl, von einem heftigen Winde ergriffen und zerstreut. Der Fels aber wuchs so sehr, dass er die ganze Erde zu bedecken schien. 208 Das ist der Traum, den du sahst. Vernimm nun auch seine Auslegung. Der goldene Kopf bist du selbst und die babylonischen Könige, die vor dir auf dem Throne gesessen haben. Die Schultern und Arme zeigen dir an, dass deine Herrschaft von zwei Königen wird zerstört werden. 209 Deren Reich wird ein anderer zerstören, der in Erz gehüllt von Westen kommt. Seine Macht aber wird wieder eine andere Macht vernichten, die dem Eisen gleicht und der Natur des Eisens entsprechend dauernd herrschen wird. Denn Eisen ist stärker als Gold und Silber und Erz.“ 210 Auch über den Felsblock gab Daniel Aufschluss, doch darf ich darüber nicht reden, weil ich Vergangenes, nicht aber Zukünftiges aufzeichnen will. Wer aber aus Liebe zur Wahrheit nicht die Mühe scheut, etwas eingehender nachzuforschen, um über die ungewisse Zukunft sich zu unterrichten, der lese das Buch Daniel durch, das er in unseren heiligen Schriften finden wird.
(5.) 211 Als der König Nabuchodonosor das vernommen und die Bedeutung seines Traumes erkannt hatte, ward er vom Staunen über Daniels Scharfsinn ergriffen, fiel auf sein Angesicht nieder, verehrte ihn, wie man die Gottheit anzubeten pflegt, und hiess ihm wie einem Gott Opfer darbringen. 212 Und hiermit noch nicht zufrieden, [635] legte er ihm den Namen seines Gottes bei und setzte ihn nebst seinen Freunden zu Vorstehern des ganzen Reiches ein. Die letzteren aber gerieten durch fremden Neid in Gefahr, weil sie den König in folgender Weise beleidigten. 213 Der König liess eine goldene Bildsäule von sechzig Ellen Höhe und sechs Ellen Breite anfertigen und sie in der grossen Ebene von Babylon aufrichten. Als er sie nun feierlich weihen wollte, berief er die Vornehmen aus seinem ganzen Reiche zusammen und befahl ihnen, sobald sie den Schall der Posaune vernähmen, niederzufallen und die Bildsäule zu verehren. Die das aber nicht thäten, sollten in einen brennenden Ofen geworfen werden. 214 Als nun beim Schalle der Posaune alle die Bildsäule verehrten, sollen Daniels Freunde das nicht gethan haben, da sie die Gesetze ihrer Väter nicht übertreten wollten. Auf offener That ertappt, wurden sie alsdann ins Feuer geworfen, aber durch Gottes Fürsorge gerettet, sodass sie wider Erwarten dem Tode entgingen. 215 Das Feuer that ihnen nichts zu Leide und verschonte sie, als ob es gemerkt hätte, dass reine Menschen in seine Flammen gestürzt worden waren. Und solange die Jünglinge in dem Feuer verweilten, schien es zu schwach zu sein, um brennen zu können, weil Gott ihre Körper so beschützte, dass das Feuer ihnen keinen Schaden zu thun vermochte. Dadurch wurden sie als gerechte und Gott wohlgefällige Männer erwiesen und erlangten des Königs Gunst wieder, sodass sie in der Folgezeit stets bei ihm in hohem Ansehen standen.
(6.) 216 Nicht lange danach hatte der König einen anderen Traum, der ihm anzeigte, er werde den Thron verlieren und unter wilden Thieren leben, nach siebenjährigem Aufenthalt in der Wüste aber seine Herrschaft wiedererlangen. Er berief darauf wiederum die Mager zusammen und befragte sie um die Deutung des Traumes. 217 Keiner aber konnte die Auslegung geben ausser Daniel, und was er vorhersagte, traf auch wirklich ein. Denn Nabuchodonosor lebte die erwähnte Zeit in der Wüste, [636] und niemand wagte während der sieben Jahre sich der Herrschaft zu bemächtigen. Als er dann endlich bat, Gott möge ihm sein Reich wiedergeben, erhielt er dasselbe auch zurück. 218 Niemand aber möge es mir verdenken‚ dass ich alle diese Einzelheiten genau berichte, wie ich sie in den alten Schriften gefunden habe. Denn schon zu Anfang dieses Geschichtswerkes habe ich allen, die daran etwas zu bemängeln oder zu tadeln für gut finden, versichert, dass ich nur die Bücher der Hebräer ins Griechische übertragen will, und versprochen, bei der Erzählung der Begebenheiten weder etwas zuzufügen noch zu verschweigen.
(1.) 219 Als der König Nabuchodonosor dreiundvierzig Jahre regiert hatte, schied er aus dem Leben. Er war ein thatkräftiger Mann gewesen und hatte seine Vorgänger an Glück übertroffen. Seiner Thaten gedenkt auch Berosus im dritten Buche seiner chaldaeischen Geschichte mit folgenden Worten: 220 „Als Nabuchodonosor der Vater gehört hatte, der von ihm über Aegypten, Coelesyrien und Phoenicien gesetzte Statthalter sei abgefallen, übertrug er, weil er selbst den Strapazen nicht mehr gewachsen war, seinem noch jungen Sohne Nabuchodonosor den Oberbefehl über einen Teil des Heeres und sandte ihn zur Bekämpfung des abgefallenen Statthalters aus. 221 Nabuchodonosor besiegte diesen in einer Schlacht und brachte dadurch die genannten Länder wieder unter seine Botmässigkeit. Um diese Zeit fiel Nabuchodonosor der Vater in eine Krankheit und starb zu Babylon nach einundzwanzigjähriger Regierung. 222 Als Nabuchodonosor bald darauf den Tod seines Vaters vernahm, ordnete er die Angelegenheiten Aegyptens und der übrigen Länder, [637] bestimmte näheres über die jüdischen, phoenicischen, syrischen und aegyptischen Gefangenen, befahl einigen seiner Freunde, mit den Schwerbewaffneten und dem Tross nach Babylon zu marschieren, und begab sich selbst mit nur kleinem Gefolge durch die Wüste nach Babylon. 223 Nachdem er nun von seinem Reiche, das der mächtigste Fürst der Chaldäer für ihn verwaltet hatte, Besitz ergriffen, siedelte er die Kriegsgefangenen nach deren Ankunft in den dazu geeignetesten Landstrichen Babyloniens an, 224 bedachte aus der Beute den Tempel des Bel und anderer Götter reichlich und fügte zu der alten Stadt Babylon einen neuen Stadtteil hinzu; auch verhütete er die etwa von zukünftigen Belagerern der Stadt geplante Ableitung des Flusses dadurch, dass er nicht nur die innere, sondern auch die äussere Stadt mit je drei Mauern aus gebrannten Ziegeln umgab. 225 Als er so Babylon befestigt und mit prächtigen Thoren versehen hatte, erbaute er einen mit der Königsburg seines Vaters zusammenhängenden Palast, dessen Höhe und glanzvolle Ausstattung zu beschreiben ich mir wohl ersparen kann. Doch darf nicht unerwähnt bleiben, dass er trotz seiner gewaltigen Ausdehnung schon in fünfzehn Tagen vollendet war. 226 Bei diesem Palaste liess er aus Steinen Anhöhen errichten, denen er die Gestalt von Bergen geben und die er mit allerlei Bäumen bepflanzen liess. Ferner legte er einen sogenannten hängenden Garten an, weil seine Gattin, die aus Medien stammte, danach verlangte, da das bei ihr zu Hause üblich war.“ 227 Auch Megasthenes spricht im dritten Buche seiner Indischen Geschichten von diesen Ereignissen und sucht dadurch zu beweisen, dass dieser König an Tapferkeit und Heldenthaten den Herakles weit übertroffen habe. Er habe auch, so berichtet Megasthenes weiter, einen grossen Teil von Libyen und Iberien verwüstet. 228 Desgleichen erwähnt auch Diokles im zweiten Buche seiner Persischen Geschichten diesen König, und Philostratus sagt sowohl in seiner Indischen als in seiner Phoenicischen Geschichte, er habe dreizehn Jahre lang Tyrus belagert, als Ithobal daselbst König [638] war. Das sind die Angaben der Historiker über diesen König.
(2.) 229 Nach Nabuchodonosors Tode übernahm die Regierung sein Sohn Abilamarodach, der den Joachim sogleich aus dem Gefängnis entliess, ihn unter die Zahl seiner vertrauten Freunde aufnahm, reich beschenkte und vor den übrigen in Babylon befindlichen Fürsten auszeichnete. 230 Denn sein Vater hatte ja den Joachim schlecht behandelt, als dieser sich nebst seinen Weibern, Kindern und allen übrigen Verwandten ihm freiwillig übergeben hatte, um seine Vaterstadt vor der Zerstörung zu bewahren. 231 Als Abilamarodach nach achtzehnjähriger Regierung starb, ging die Herrschaft auf seinen Sohn Niglisar über, der dieselbe vierzig Jahre lang bis zu seinem Tode innehatte. Nach ihm bestieg den Thron sein Sohn Labosordach, der nur neun Monate regierte. Alsdann folgte Baltasar, der von den Babyloniern Naboandel genannt wird. 232 Diesen bekriegten Cyrus, der Perserkönig, und Darius, der Mederkönig, und während er von ihnen in Babylon belagert wurde, sah er ein merkwürdiges Wunderzeichen. Als er nämlich eines Tages mit seinen Kebsweibern und Freunden in einem geräumigen Saale unter grossem Aufwand an silbernem Tafelgeschirr, wie es bei königlichen Gastmahlen üblich ist, zu Tische lag, 233[WS 2] liess er aus dem Tempel die heiligen Gefässe holen, welche Nabuchodonosor zu Jerusalem geraubt, aber nicht gebraucht, sondern im Tempel seines Gottes aufgestellt hatte. Er beging nun den Frevel, diese Gefässe unter Lästerungen der Gottheit beim Zechen verwenden zu lassen. 234 Da sah er plötzlich aus der Wand eine Menschenhand hervorkommen, die einige Worte auf die Wandbekleidung schrieb. Entsetzt über diese Erscheinung, berief er die Mager, Chaldäer und was an Traumdeutern und Zeichenerklärern in Babylon sich aufhielt, zusammen, damit sie ihm die Schrift erklärten. 235 Als aber die Mager nichts davon enträtseln oder verstehen konnten, geriet der König über diesen unerwarteten Vorfall in Angst und Betrübnis und liess im ganzen [639] Lande bekannt machen, er wolle dem, der die Schrift lesen und deuten könne, gestatten, eine goldene Halskette und ein Purpurkleid wie die Könige der Chaldäer zu tragen, auch ihn zum Herrscher des dritten Teiles seines Reiches machen. 236 Auf diese Verkündigung hin liefen die Mager noch mehr zusammen und suchten um die Wette die Schrift zu deuten, konnten aber nicht dahinter kommen. 237 Als nun des Königs Grossmutter bemerkte, dass er sich wegen dieser Angelegenheit so sehr quälte, sprach sie ihm Mut zu und sagte ihm, es sei da ein Gefangener aus Judaea mit Namen Daniel, den Nabuchodonosor nach der Zerstörung Jerusalems mitgebracht habe. Dieser Daniel besitze eine seltene Weisheit und Erfahrung in der Entwirrung schwieriger Fragen, die sonst nur Gott selbst kenne, und habe auch den König Nabuchodonosor über Dinge aufgeklärt, die kein anderer ihm habe enträtseln können. 238 Diesen solle er also kommen lassen, ihn über die Schrift befragen, ihm Mitteilung von der Ratlosigkeit der anderen Deuter machen und ihn darüber sich aussprechen lassen, ob Gott damit etwas Schlimmes habe verkünden wollen.
(3.) 239 Als Baltasar dies vernahm, liess er den Daniel rufen und sprach zu ihm, er habe von seiner Weisheit gehört und erfahren, dass er vom Geiste Gottes erfüllt sei und dass er allein das zu ergründen vermöge, was andere nicht erklären könnten. Dann bat er ihn, er möge ihm die Schrift lesen und ihren Sinn deuten. 240 Dafür wolle er ihm das Recht verleihen, Purpur und eine goldene Halskette zu tragen und über den dritten Teil seines Reiches zu herrschen; das solle die ehrenvolle Belohnung für seine Weisheit sein, sodass alle, die ihn sähen, ihn für einen berühmten Mann halten und neugierig nach der Ursache fragen würden, die ihm eine solche Auszeichnung verschafft habe. 241 Daniel indes ersuchte ihn, seine Geschenke für sich zu behalten, denn Weisheit und die Gabe, zu wahrsagen, könne man nicht um Kostbarkeiten erkaufen, sondern sie werde denen, die ihrer bedürften, umsonst zu teil. Die Schrift aber [640] wolle er ihm jetzt erklären. Sie bedeute, dass sein Lebensende bevorstehe, weil er, obgleich er das Beispiel seines Vorfahren vor Augen gehabt, der für die Verhöhnung der Gottheit bestraft worden sei, noch immer nicht gelernt habe, Frömmigkeit zu pflegen, vielmehr stets nur auf vergängliche Macht sich stütze. 242 Während Nabuchodonosor, der wegen seiner Gottlosigkeit unter wilden Tieren habe leben müssen, auf vieles Bitten und Flehen Barmherzigkeit erlangt und in die menschliche Gesellschaft und in sein Reich habe zurückkehren dürfen, dafür aber auch während seines ganzen Lebens den allmächtigen und allgütigen Gott gepriesen habe, habe Baltasar dagegen seiner nicht gedacht, vielmehr ihn gelästert und die heiligen Gefässe des Tempels mit seinen Buhldirnen entweiht. 243 Gott verkündige ihm daher in seinem Zorn, welches Ende er nehmen werde. Denn die Schrift bedeute folgendes: Mane, in griechischer Sprache Arithmos (Zahl), dass Gott die Tage seines Lebens und seiner Herrschaft gezählt habe, und nur noch eine kleine Frist ihm beschieden sei; 244 Thekel, im Griechischen Stathmos (Gewicht), dass Gott die Dauer seiner Herrschaft gewogen habe und ihm kundthue, dass dieselbe sich zum Niedergange neige; Phares, auf Griechisch Kathmos (Bruchstück), dass Gott sein Reich zerstören und es unter die Meder und Perser teilen werde.[3]
(4.) 245 Als Daniel so dem Könige die Bedeutung der Schrift an der Wand erklärt hatte, befiel den Baltasar, wie leicht erklärlich, ob der Verkündigung seines Unglückes schwere Trübsal. 246 Doch enthielt er dem Daniel die versprochene Belohnung nicht vor, sondern löste sein Wort ein, da er bedachte, dass sein Schicksal nur ihm selbst und seinem Verhängnis, nicht aber dem Verkündiger desselben zuzuschreiben sei, und dass der Prophet ein guter und gerechter Mann sein müsse, wenn [641] auch seine Weissagungen nur Unheil in Aussicht stellten. 247 Nicht lange darauf wurde er auch wirklich gefangen genommen und die Stadt erobert, da der Perserkönig Cyrus gegen ihn zu Felde zog. Baltasar nämlich ist es, unter dessen Regierung Babylon fiel, nachdem er siebzehn Jahre lang geherrscht hatte. 248 Also endeten die Nachkommen des Königs Nabuchodonosor. Darius, der in Gemeinschaft mit seinem Verwandten Cyrus das babylonische Reich vernichtete, war zweiundsechzig Jahre alt, als Babylon fiel. Er war der Sohn des Astyages und wird von den Griechen mit einem anderen Namen genannt. 249 Dieser nahm den Seher Daniel mit sich nach Medien in seine Residenz und ehrte ihn dadurch, dass er ihn seiner nächsten Umgebung beigesellte. Auch verlieh er ihm den Rang eines der drei Ober-Satrapen, welche er über die dreihundertundsechzig Satrapien seines Reiches gesetzt hatte.
(5.) 250 Als nun Daniel bei Darius in so hohen Ehren und in solchem Ansehen stand und wegen seiner prophetischen Gabe das grösste Vertrauen des Königs genoss, blieb er auch vom Neide nicht verschont. Denn es pflegt ja derjenige missgünstig angesehen zu werden, der die anderen in des Königs Umgebung an ehrenvoller Stellung überragt. 251 Obgleich aber die Höflinge sich über seinen Einfluss beim Könige ärgerten rund eine Gelegenheit zu Verleumdung und falscher Anschuldigung zu erhaschen suchten, wusste er ihnen doch jeden Vorwand dazu abzuschneiden. Denn da er über Geldgier erheben und ein Verächter von Geschenken war – selbst von solchen, die anzunehmen sich wohl schickte –, bot er seinen Gegnern auch nicht den kleinsten Anlass zum Tadel. 252 Weil sie nun nichts fanden, was sie dem Könige hätten hinterbringen können, um den Daniel zu verkleinern, ersannen sie ein anderes Mittel, um ihn aus dem Wege zu räumen. Sie sahen nämlich den Daniel dreimal am Tage zu Gott beten, und das gedachten sie zu seinem Verderben auszunutzen. 253 Demgemäss begaben sie sich zu Darius und teilten ihm mit, seine Satrapen [642] und Statthalter hielten dafür, dass man dem Volke vorschreiben müsse, binnen einer Frist von dreissig Tagen dürfe niemand weder den König noch die Götter um irgend etwas bitten. Wer aber gegen diesen Befehl verstosse, der solle in die Löwengrube geworfen werden und dort seinen Tod finden.
(6.) 254 Der König, der nicht im entferntesten daran dachte, dass dahinter ein Anschlag gegen Daniel sich verbergen könne, billigte den Vorschlag und versprach, ein feierliches Edikt zu erlassen, um dem Volke den Beschluss der Satrapen kundzumachen. 255 Während nun alle anderen sich hüteten, diesen Befehl zu übertreten, kümmerte sich Daniel nicht darum, sondern warf sich seiner Gewohnheit gemäss vor Gott öffentlich nieder, um ihn anzubeten. 256 Jetzt glaubten die Satrapen endlich eine Gelegenheit zum Sturze Daniels gefunden zu haben; sie eilten daher zum Könige und klagten, Daniel allein wage es, sein Gebot zu verachten, während alle anderen das Flehen zu den Göttern unterliessen. Doch trieb sie zu dieser Anklage nicht ihr Eifer für den König, sondern nur der Neid und die Missgunst gegen Daniel. 257 Da sie aber befürchteten, Darius möchte in seiner grossen Vorliebe für Daniel diesem die Übertretung des Gebotes nachsehen, verlangten sie mit aller Strenge, er solle nun nach der Vorschrift des Ediktes in die Löwengrube geworfen werden. 258 Darius war voller Hoffnung, Gott werde den Daniel beschützen und dafür sorgen, dass die Bestien ihm kein Leid zufügten; er ermunterte ihn deshalb, sein Geschick mit Gleichmut zu ertragen. Als nun Daniel in die Höhle geworfen worden war, versiegelte der König den an ihrem Eingang befindlichen Stein und entfernte sich. Die ganze Nacht aber brachte er ohne Nahrung und Schlaf zu und ängstigte sich um Daniel gar sehr. 259 Beim Morgengrauen erhob er sich und eilte zu der Höhle, und da er das Siegel unverletzt fand, liess er den Stein entfernen und rief mit lauter Stimme: Daniel, um sich zu vergewissern, ob er noch am Leben sei. Als dieser des Königs Stimme hörte, entgegnete er, er sei gänzlich [643] unverletzt, worauf der König ihn sogleich aus der Höhle ziehen liess. 260 Obgleich nun seine Feinde sahen, dass ihm nichts zugestossen war, wollten sie doch nicht eingestehen, dass er seine Rettung der Fürsorge Gottes verdanke, sondern meinten, die Löwen hätten ihm nur deshalb nichts gethan, weil sie satt gewesen seien. 261 Da befahl der König, der ihre Bosheit durchschaute, den Löwen so viel Fleisch vorzuwerfen, dass sie davon gesättigt würden, und dann Daniels Feinde in die Höhle zu stossen, damit es sich herausstelle, ob auch sie von den Löwen, wenn diese keinen Hunger mehr hätten, verschont blieben. 262 Als nun die Satrapen den Bestien vorgeworfen waren, erkannte Darius die wunderbare Rettung Daniels. Denn die Löwen verschonten keinen einzigen, sondern zerrissen sie alle, als wenn sie noch hungrig und nach Nahrung begierig wären. Da sie aber vorher vollständig mit Fleisch waren gesättigt worden, trieb sie, wie ich glaube, nicht der Hunger dazu, die Satrapen anzugreifen, sondern die Bosheit dieser Männer, die nach Gottes Willen auch den Tieren bekannt wurde, damit sie die Strafe dafür vollzögen.
(7.) 263 Als so die Feinde Daniels umgekommen waren, liess der König Darius im ganzen Lande verkünden, man solle den Gott verherrlichen, den Daniel anbete, denn er sei der wahre und allmächtige Gott. Den Daniel aber hielt er nach wie vor in hohen Ehren und machte ihn zu seinem ersten Freunde. 264 Als Daniel so den Gipfel seines Ruhmes erstiegen hatte, erbaute er, der besondere Liebling Gottes, in der medischen Stadt Ekbatana einen prachtvollen und wunderbar anzuschauenden Turm, der noch heute steht. Wer ihn sieht, könnte glauben, er sei erst jüngst erbaut worden, so wohlerhalten und frisch bietet er sich dem Auge dar, ohne vom Zahne der Zeit gelitten zu haben. 265[WS 3] In diesem Turm wurden die Könige der Meder, Perser und Parther bestattet, und die Obhut über ihn ist noch heute einem jüdischen Priester anvertraut. 266 Es geziemt sich, diese wunderbaren Ereignisse aus dem Leben Daniels hier mitzuteilen; [644] denn alles gedieh ihm, wie einem der grössten Propheten, zu unerhofftem Glücke, und er genoss nicht nur während seines Lebens die höchste Ehre und Auszeichnung beim Könige wie beim Volke, sondern hinterliess auch nach seinem Tode ein unsterbliches Andenken. 267 Die von ihm verfassten Schriften werden noch heute bei uns gelesen und beweisen, dass Daniel im Verkehr mit Gott gestanden hat. Denn er sagt nicht bloss, wie andere Seher, die zukünftigen Ereignisse voraus, sondern bestimmt auch die Zeit, wann sie eintreffen werden. 268 Und während die anderen Seher Unglückspropheten und deshalb bei König und Volk verhasst waren, war Daniel ein Verkündiger des Glückes, sodass er durch die glänzenden Bilder, die er von der Zukunft entwarf, allgemeine Beliebtheit erlangte. Weil aber seine Weissagungen sich so bestimmt erfüllten, wurde er vom Volke nicht nur zu den Wahrsagern, sondern auch zu den Gottgesandten gerechnet. 269 Aus seinen Schriften kann man seine Weissagungen in unveränderter und glaubhafter Gestalt entnehmen. Er sagt nämlich, er habe sich einst zufällig in Susa, der Hauptstadt Persiens, befunden und sich mit seinen Freunden in die Ebene begeben, als plötzlich die Erde geschwankt habe und gewaltig erschüttert worden sei, sodass seine Freunde geflohen seien und ihn im Stiche gelassen hätten. Er sei dann auf sein Angesicht zu Boden gefallen und habe die Hände ausgebreitet; da habe ihn jemand berührt und ihm befohlen, aufzustehen und zu sehen, was dem Volke in Zukunft bevorstehe. 270 Als er sich darauf erhoben habe, sei ihm ein Widder von bedeutender Grösse erschienen, aus dessen Kopf eine grosse Anzahl Hörner hervorsprossten, und zuletzt ein besonders grosses. Darauf habe er seine Augen gegen Sonnenuntergang gerichtet und einen Bock durch die Luft schweben sehen, der sich auf den Widder gestürzt, ihn zweimal mit seinen Hörnern durchbohrt, dann zu Boden geworfen und zertreten habe. 271 Bald habe er auch gesehen, dass aus der Stirn des Bockes ein gewaltiges Horn hervorgewachsen sei, das sich in vier nach den [645] vier Himmelsgegenden gerichtete Hörner geteilt habe. Aus diesen sei dann noch ein kleineres Horn hervorgewachsen, das sich vergrössert habe. Gott habe ihm alsdann, indem er auf dieses Horn zeigte, erklärt, dasselbe werde sein Volk bekriegen, die Hauptstadt erobern, den Gottesdienst zu nichte machen und die Opfer für die Dauer von eintausendzweihundertsechsundfünfzig Tagen unterbrechen. 272 Das alles, sagt Daniel, habe er in der Ebene von Susa gesehen, und Gott habe ihm darauf auch die Erscheinung erklärt. Der Widder bedeute das Reich der Meder und Perser, die Hörner die zukünftigen Herrscher. Das jüngste Horn aber bezeichne den letzten König, der alle anderen an Macht und Ruhm übertreffen werde. 273 Der Bock bedeute, dass aus den Griechen ein Herrscher erstehen werde, der in zweimaliger Schlacht den Perser überwinden und dessen ganzes Reich in Besitz nehmen werde. 274 Das grosse Horn auf der Stirne des Bockes bezeichne den ersten König, die vier nach seiner Zerstörung hervorsprossenden und gegen die vier Weltgegenden sehenden Hörner aber den Tod des ersten Königs und die Teilung des Reiches unter seine Nachfolger, die weder Kinder noch sonstige Verwandte von ihm sein und viele Jahre lang die Herrschaft über den Erdkreis ausüben würden. 275 Aus ihrer Mitte werde sich endlich ein König erheben, der das Volk der Juden und ihre Gesetze vernichten, die Staatsverfassung aufheben, den Tempel plündern und drei Jahre lang die Darbringung der Opfer verhindern werde. 276 Und wirklich ist das alles unter Antiochus Epiphanes über unser Volk hereingebrochen, wie Daniel es vorausgesehen und viele Jahre vorher schon aufgezeichnet hatte. Ebenso schrieb Daniel auch über die Herrschaft der Römer, die unser Volk gewaltig bedrücken würden. 277 Alle diese Weissagungen hinterliess der Prophet schriftlich auf Gottes Geheiss, damit die, welche sie lesen und ihre Erfüllung beobachten würden, den Daniel ob der grossen Ehre bewunderten, deren Gott ihn gewürdigt habe, imgleichen auch, um die Epikuräer ihres grossen Irrtums zu überführen, [646] 278 die da glauben, es walte im Leben keine Vorsehung, Gott kümmere sich nicht um die menschlichen Angelegenheiten, und es werde das Weltall nicht von einem durch sich selbst glückseligen, unsterblichen und alles überdauernden Wesen regiert, sondern erhalte sich ohne Lenker und Beschützer aus eigener Kraft. 279 Wer so nach Ansicht der Epikuräer des Führers entbehrte, müsste ja wie ein Schiff ohne Steuermann und wie ein Wagen ohne Lenker in seinem unbesonnenen Laufe zum Wanken gebracht werden, zusammenbrechen und untergehen. 280 Mit Rücksicht auf die Prophezeiungen Daniels scheinen mir also diejenigen sich weit von der Wahrheit zu entfernen, die da meinen, Gott kümmere sich nicht um das Treiben der Menschen. Denn wir würden seine Weissagungen nicht in Erfüllung gehen sehen, wenn alles in der Welt nur vom blinden Zufall regiert würde. 281 Was mich angeht, so habe ich das alles aufgezeichnet, wie ich es in den Schriften gelesen habe. Will aber jemand eine andere Meinung darüber haben, so soll sie ihm meinerseits unbenommen sein.
Anmerkungen (Wikisource)
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