Jugendleben und Wanderbilder:Band 1:Kapitel 1
Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder | |
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[9] Der ist am glücklichsten, er sei
Ein König oder ein Geringer, dem
In seinem Hause wohlbereitet ist.
Am fernen Strande der Ostsee, in der alt-ehrwürdigen damals noch freien Reichsstadt Danzig, erblickte ich am neunten Juli des Jahrs siebenzehn hundert sechs und sechzig das Licht der Sonne zum ersten Mal. Ich kam an einem Posttage, deren es damals nur zwei, und nicht wie jetzt, sieben in der Woche gab, zur Welt, deshalb wollten Einige behaupten, meine Ankunft sei an diesem Tage meinem Vater nicht ganz bequem gewesen, weil sie in seinen Geschäften ihn störte; demohnerachtet erregte sie große Freude, um so mehr, da sie meinen Eltern für den Verlust ihres Erstgebornen, eines Knaben, wenigstens einigen Ersatz bot.
Ich erhielt in der Taufe den Namen Johanna Henriette, denn meine Mutter hatte auf ihrer großen [10] und einzigen Reise von zwei und zwanzig Meilen, von der sie immer gern erzählte, in Königsberg ein kleines allerliebstes Mädchen gesehen, das Johanna hieß und Hänschen genannt wurde. Und so hieß denn auch ich ein paar Jahre hindurch Hänschen, bis man es für anständiger hielt, mich in eine französische Jeannette zu übersetzen.
Zu meinem sehr großen Glücke blieb ich nicht lange das einzige Kind; während des Verlaufs von sieben Jahren wurden mir noch drei Schwestern geboren, von denen zwei mir schon in die Ewigkeit vorangegangen sind, die jüngste aber noch in Danzig lebt.
Christian Heinrich Trosiener, mein Vater, zählte sich zwar nicht zu den reichsten, aber doch zu den angesehenen und wohlhabenden Kaufleuten der großen Handelsstadt. Der in Rußland wurzelnde, damals sehr blühende Zweig seines Geschäftes, der jetzt ganz verdorrt ist, ließ keine Art von Sorge in ihm aufkommen. Auch war er fröhlicher und lebhafter Gemüthsart, dabei verständig, von unbestechlicher Redlichkeit und unbeugsam republikanischem Sinne. Angebornes Talent und wohlbenutzte Lebenserfahrungen ließen den fast gänzlichen Mangel gelehrter Schulkenntnisse bei ihm wenig gewahren; als Mann des [11] Volks stand er bei seinen Mitbürgern aus dem Mittelstande in Ehren und Ansehen, denn wann hätte wohl jemals eine Republik, selbst die kleinste, ohne Oppositionspartei bestehen können?
In seinem Aeußern hatte er etwas Imposantes, seine Amtskleidung auf dem Rathhause, der faltenreiche, mit Sammet breit aufgeschlagene Mantel von schwerer schwarzer Seide, die lockenreiche, weißgepuderte Alongeperücke, die bis auf den Rücken herabreichte, gaben dem großen wohlgewachsenen Manne ein recht stattliches Ansehen. Für die damalige Zeit hatte er bedeutende Reisen gemacht, war in Warschau, Petersburg und Moskau gewesen, hatte in Frankreich, besonders in Lyon, mehrere Jahre zugebracht, und nicht nur die Sprachen dieser verschiedenen Länder, sondern auch eine gewisse geistige und körperliche Gewandtheit sich angeeignet, durch die er auch in seiner äußern Erscheinung sich vortheilhaft auszeichnete.
Ueber alle diese lobenswerthen Eigenschaften warf indessen eine nicht zu zähmende Heftigkeit des Charakters zuweilen ihren sie verdunkelnden Schatten, welche denen, die ihn nicht genau kannten, den Umgang mit ihm verleidete. Gerade wenn man es am wenigsten erwartet hatte, konnte die unbedeutendste Veranlassung zu wildesten, freilich sich schnell wieder legenden Zorn [12] ihn aufbringen. Dann erbebte vor seiner Donnerstimme das ganze Haus; wir Kinder waren ohnehin gewöhnt, uns still zu verhalten, wenn es hieß: »der Vater kommt,« doch alle andere Hausgenossen, bis auf Hund und Katze, liefen ihm dann voll Angst aus dem Wege.
Nur meine liebe sanfte Mutter ließ durch ein solches häusliches Ungewitter sich nicht aus der Fassung bringen; sie wartete in großer Gelassenheit, bis ihr Alter ausgetobt hatte. Sie predigte ihm nicht, sie schmeichelte ihm nicht, sie redete sogar ihm nicht zu; aber sie verstand es, ihn ganz unmerklich zu besänftigen und ihren grimmigen Löwen dahin zu bringen, daß er fromm wie ein Lamm seiner Uebereilung sich innerlich schämte. Uns, jung wie wir waren, entging dies nicht, und wir hatten ihn deshalb nur um so lieber, denn ein Kindergemüth weiß jedes rein menschliche Gefühl gleich anzuerkennen.
Eine gewisse altfränkische Galanterie gegen unser Geschlecht hielt übrigens meinen Vater stets ab, sich gegen unsre Mutter merklich zu vergessen. Während seines langen Aufenthalts in Frankreich hatte er sie sich wahrscheinlich angeeignet, und sie war zur zweiten Natur ihm geworden, ohne jedoch in’s Lächerliche zu fallen. Jetzt ist diese alte Sitte dermaßen aus [13] der Mode gekommen, daß meine Leser kaum verstehen werden, was damit eigentlich gemeint ist; sogar uns Töchtern kam diese mildere Sitte zu Gute. In einer ruhigen Stimmung konnten wir als ganz kleine Mädchen vom Vater alles erhalten, was wir wünschten; sobald wir nur nicht zudringlich ungeschickt oder in unserm Verlangen gar zu unverständig uns bezeigten.
Mit wenigen Strichen ist das Bild meiner Mutter, Elisabeth, geborne Lehmann, recht getreu und charakteristisch darzustellen. Ein kleines zierliches Figürchen mit den niedlichsten Händchen und Füßchen, ein Paar große sehr lichtblaue Augen, eine sehr weiße feine Haut und schönes langes lichtbraunes Haar, so war sie in der äußern Gestalt.
Hübsch angezogen sein, war ihre Freude, auch mein Vater sah seine kleine Frau gern geputzt und nahm, ohne daß sie ihn dazu aufzufordern nöthig hatte, jede Gelegenheit wahr, welche seine Geschäftsverbindungen ihm boten, um aus Lyon mit Kleidern, Blonden und Hauben, aus Italien mit den schönen Blumen sie zu beglücken, die damals in jenem Lande aus Eierhäutchen und Seidenwürmer-Kokons der Natur täuschend nachgebildet wurden.
Zur rührigen Hausfrau, in dem Sinne der damaligen [14] Zeit, eignete meine Mutter ihrer Natur nach sich wenig, auch war mein Vater keineswegs gesinnt, dieses von ihr zu verlangen; er war völlig damit zufrieden, daß sie die Oberaufsicht über ihr Hauswesen recht verständig zu führen verstand. Uebrigens war sie an ihrem Nähtisch vom Morgen bis zum Abend für sich und die Ihrigen beschäftigt; das alte Sprichwort: was ihre Augen sehen, wissen ihre Hände zu machen, galt im vollsten Maaße von ihr.
In Hinsicht auf das, was in unsern Tagen von Frauen und Mädchen gefordert wird, war freilich die Erziehung meiner Mutter nicht minder vernachlässigt worden, als die der Mehrzahl ihrer Zeitgenossen. Ein Paar Polonaisen, ein Paar Murkis auf dem Klavier, ein Paar Lieder, bei denen sie selbst sich zu accompagniren wußte, Lesen und Schreiben für den Hausbedarf, das war so ziemlich Alles, was man sie gelehrt hatte. Doch Mutterwitz, natürlicher Verstand und jene rege, den meisten Frauen eigne Auffassungsgabe entschädigten sie für diesen Mangel an erworbenen Kenntnissen.
Bis zur Erscheinung von Sophiens Reise von Memel nach Sachsen, hatte sie außer Gellerts Schriften blutwenig gelesen. Romane standen in jener Zeit in sehr schlechtem Kredit, doch bei diesem machte [15] meine Mutter eine Ausnahme, weil er zum Theil in Danzig spielte, und Hermes, der Verfasser desselben, eine Zeitlang in unserer Vaterstadt gelebt hatte. Außer Gellerts schwedischer Gräfin, höchst langweiligen Andenkens, hatte sie noch nie ein Buch dieser Art gelesen, und sie eröffnete durch diese Lektüre sich eine ihr bis dahin ganz unbekannt gebliebene Quelle von Genuß, deren Unversiegbarkeit weiterhin noch ihr spätestes Alter erheiterte.
Und nun! Adam! ehrlicher vieljähriger Diener Deines Herrn; Kasche! Du treue, sorgsame Pflegerin meiner hülflosen Kindheit, Du, die ich so herzlich lieb hatte, und doch im Verein mit meinen Schwestern täglich neue Ungezogenheiten zu Deiner Plage ersann; gute redliche Seelen, möge man es mir nicht verargen, daß ich im Hintergrunde dieses Gemäldes meiner Familie Euren bescheidenen Gestalten ein Plätzchen anweise, wie ihr es im Leben in derselben nicht unrühmlich ausfülltet.
Beide vermischen sich mit meinen frühesten Erinnerungen; gleich bei meiner Geburt nahm Kasche mich in ihre treuen Arme und theilte sich in der Sorge für mich mit meiner Mutter, die im Widerspruch mit dem Hausarzt und dem damals allgemeinen [16] Gebrauch, fest darauf bestand, mich keiner Amme anzuvertrauen.
Kasche war meine erste Lehrerin; von ihr lernte ich, noch früher als meine Muttersprache, polnisch sprechen; so wollte es mein Vater in der Ueberzeugung, daß durch die sehr schwere Aussprache dieser Sprache, die jeder andern, welche man späterhin erlernt, sehr erleichtert werde. Der Erfolg hat wenigstens bei mir diesen Grundsatz durch Erfahrung bestätigt; polnisch Lesen habe ich indessen nie gelernt, weil Kasche selbst nicht lesen konnte, und da diese Sprache in unserm Hause bald völlig außer Gebrauch kam, indem meine Mutter sie nicht verstand, so habe ich sie sehr schnell gänzlich vergessen. Abends beim Schlafengehen nahm Kasche, als ich noch kaum sprechen konnte, mich auf den Schooß, als ich größer wurde, stellte sie mit gefalteten Händen mich vor den Tisch hin und ließ mich beten.
»Des Walte Gott Vater, Gott Sohn, Gott heiliger Geist. Amen!«
Das war mein ganzes Abendgebet, was es eigentlich sagen wollte, wußte ich nicht, kümmerte mich auch gar nicht darum, mochte aber nicht ohne dasselbe in’s Bette. Während ich einschlief, sang Kasche mit heller tremulirender Stimme: Nun ruhen alle Wälder, [17] abwechselnd mit: Nun sich der Tag geendet hat; ich hörte aufmerksam zu, bis der Schlaf mich übermannte, und weder die ruhenden »Vieh, Menschen, Städt’ und Felder« im ersten, noch die »schwarzen Nachtgespenster« im zweiten Liede, haben jemals den mindesten übeln Eindruck auf meine Phantasie gemacht.
Uebrigens war Kasche eine Wittwe in mittleren Jahren, aus der Gegend um Thoren herum, wo in jener Zeit in den niedern Ständen die polnische Sprache noch die herrschende war. Jungen Mädchen seine Kinder anzuvertrauen war damals ein Unerhörtes, und der wichtige Posten einer Kinderfrau wurde nur von erfahrenen Personen ausgefüllt, die nachmals, wie unsere Kasche eben auch, als Glieder der Familie, der sie treu gedient hatten, bis an ihr Ende in Ehren gehalten wurden.
Adam war ein vielseitigeres Genie, gleich Molière’s Maîtres Jaques im Geizigen bekleidete er in unserm Hause die Stellen eines Kammerdieners, Hausknechts, Lakaien, Kellermeisters, sogar die eines Haushofmeisters, und zwar mit eben so viel Redlichkeit als Geschick. Er nahm meiner Mutter alle jene Details des Hauswesens ab, die selbst zu verwalten ihr zu beschwerlich fiel, und besorgte zugleich alle [18] bedeutenderen Einkäufe, sogar bis auf den des fetten Mastochsens, den mein Vater nach dem damaligen allgemeinen Gebrauch im Herbste zum Wintervorrath einschlachten ließ.
Adam war der Einzige im Hause, der meinem Vater alles recht zu machen verstand, was selbst meiner Mutter nicht immer gelingen wollte; dafür nahm er freilich zuweilen es sich heraus, ein Wörtchen mit darein zu sprechen, doch wurde er nicht leicht unbescheiden, und ließ sich schnell wieder in seine Schranken zurückweisen. Höchst selten brach eines jener oben erwähnten häuslichen Donnerwetter über seinem Haupte aus, und fast nie ein recht schweres.
»Unser Herr ist auch ein rechter Narr!« monologisirte Adam einst für sich allein, indem er gleich nach einem solchen Gewitter, das er schweigend über sich hatte ergehen lassen müssen, den Theeapparat herein trug.
»Meinst Du Adam?« erwiederte ihm unerwartet mein Vater, indem er im Sopha hinter dem Theetisch sich aufrichtete, wo Adam ihn nicht bemerkt hatte. Adam sank vor Schrecken fast in die Kniee; doch fiel darüber kein Wort zwischen Herrn und Diener; Beide thaten, als wäre nichts geschehen, und die Sache war zu ihrer Ehre abgethan und vergessen.