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König Etzel’s Tod

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Textdaten
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Autor: Wilhelm Hertz
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Titel: König Etzel’s Tod
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aus: Gedichte, S. 170–176.
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Hoffmann und Campe
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Erscheinungsort: Hamburg
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[170]
König Etzel’s Tod.
(Poëta Saxo.)

Wer sitzt beim Abendrothe so stumm im feuchten Moos?
Wen hält die hohe Jungfrau im blutbesprengten Schooß?
Das ist ihr alter Vater, der sank in heißem Kampf;
Es woget um die Beiden des Waldes grauer Dampf.

5
„Mein Kind, mein einzig Mädchen, noch einen letzten Kuß!

Weh’ meinen alten Tagen, daß so ich scheiden muß!
Das thaten Etzel’s Schergen, er war mir niemals gut;
Wer nimmt mir, wenn ich sterbe, mein armes Kind in Hut?“

[171]

Noch hebt zu ihr der Alte das Auge todesschwer,

10
Noch drückt er ihre Hände, – dann regt er sich nicht mehr.

Die Jungfrau sitzet einsam; sie weint und klaget nicht,
Sie deckt mit ihrem Schleier des Todten Angesicht.

Dann steht sie auf, es regt sich kein Blatt im ganzen Wald,
Von düstrem Scheine strahlet die herrliche Gestalt.

15
So stehen Wodan’s Mädchen, ihr Anblick bringt den Tod!

Dann eilt sie hohen Ganges hinaus in’s Abendroth.

Von lauten Festgelagen rauscht König Etzel’s Schloß,
In weiten Hallen zechen die Ritter und der Troß.
Auf sammtumhangnem Hochsitz der König lehnt allein;

20
Er lauscht der welschen Sänger und schlürft den süßen Wein.


Sie preisen seine Thaten, sie preisen seine Macht,
Da heißt er vor sie tragen der goldnen Ringe Pracht;
Mit reichen Gaben denkt er der Gäste allzumal,
Es ward ein froh’ Gedränge in König Etzel’s Saal.

[172]
25
Da nahet sich dem Throne ein bleiches Frauenbild,

Bis zu den vollen Hüften die güldne Locke quillt,
Die Hände hebt sie knieend zum Herrschersitz empor;
Es blickt auf sie mit Staunen der trunknen Zecher Chor.

„Man singt von deiner Milde, o König, allerort,

30
Der Feinde Gottesgeißel, der Freunde Schild und Hort!

Hier seh’ ich Alles fröhlich mit stolzen Gaben steh’n:
So werd’ auch ich getröstet von deiner Schwelle geh’n.

Herr Hildeck war mein Vater, Dein treuer Rath und Mann,
Er liegt von Schächerhänden erschlagen tief im Tann.

35
Wie sollt’ allein ich wenden dies Leid so riesengroß?

Gieb Schutz mir, gieb mir Rache! Mein Schmerz ist waffenlos.“

Die schönen Augen flehen zum König unverwandt,
Es gleitet ihr beim Neigen vom Nacken das Gewand,
In wonnigweichen Wellen erscheint ihr reiner Leib.

40
Der König schaut erglühend das wunderholde Weib.
[173]

„Wann sproßten solche Früchte aus solcher blut’gen Saat?“
So denkt er, „preisen muß ich mein Glück doch früh und spat;
Beseitigt ist der Alte, der stets mir leidig war:
Zur Sühne bringt die Tochter den süßen Leib mir dar.“

45
Da hub er rasch zum Throne die Knieende empor:

„Nicht mangle dir der Hüter, den sich dein Herz erkor;
Du sollst an Etzel’s Hofe nun selber Herrin sein,
Ich halte dich, du Holde, vor allen Frauen mein.“

Sie küßt ihm stumm die Hände, ihn brennt der weiche Kuß,

50
Daß soviel Zeugen lauschen, das schafft ihm noch Verdruß;

Er heißt die Tische rücken, es dünkt ihm Schlafenszeit;
Da führt er aus der Halle die ernst erröthende Maid.

Die Hochzeitfackel brannte in Etzel’s Schlafgemach;
Die Jungfrau nippt am Becher, er trinkt ihr fröhlich nach.

[174]
55
Hält Scham die Braut befangen, daß sie nicht lächeln will?

Der Vorhang sinkt am Bette, und mälig wird es still.

Schon hat der Mond vollendet den einsam trüben Lauf,
Da kniet vom Purpurlager die Jungfrau lauschend auf:
Die Fackel knistert leise, die Luft so schwül und schwer,

60
In tiefem Todesschweigen die Hallen rings umher.


„Was träumst du, König Etzel? Denkst Du des Handels nach,
Wie man mit Vaters Wunden erkauft der Tochter Schmach?
Dein Antlitz glänzt so blutig, gewiß, du denkst daran:
Weißt du auch, schlauer Mörder, was dir der Kauf gewann?“

65
Sie greift nach Etzel’s Schwerte, ihr Auge blitzt und loht:

„Fluch deinem blut’gen Leben! Fluch deinem blut’gen Tod!“

[175]

Doch plötzlich hält sie inne und senkt das wucht’ge Schwert:
„Unblutig sollst du sterben! Du bist Walhall’s nicht werth.“

Und schnell sie ihren Gürtel um seinen Nacken schlingt, –

70
Was hilft’s, daß er sich stöhnend aus taubem Schlafe ringt?

In seinen Ohren brausen die Worte dumpf und hohl:
„Die meinen Vater schlugen, die Schächer kenn’ ich wohl!

Du überlist’ger König, so fieng dich nun ein Weib!
Zum Rachealtar weiht’ ich den unberührten Leib;

75
Der Gürtel, den du löstest, fürwahr, er steht dir gut!

Du zahlst ihn nicht zu theuer mit Hildeck’s heil’gem Blut.“

Jetzt springt sie nach der Fackel, die glimmt mit schwarzem Dampf,
Vom Bette gleitet Edel in schwerem Todeskampf;
Sie aber wirft das Feuer aufjubelnd in den Saal:

80
„Ich schüre dir, o Vater, dein lichtes Todtenmahl!“
[176]

Schon prasselt’s im Gebälke, es glüht der Lüfte Hauch,
Durch Hallen und durch Gänge in Wogen wälzt sich Rauch.
Es retten sich vom Brande die trunknen Schläfer kaum;
Schon füllt die heiße Lohe der Hofburg weiten Raum.

85
Und oben auf der Zinne, vom Wirbeldampf umwallt,

Wer ist im weißen Mantel die herrliche Gestalt?
Hoch hebet sie die Hände, so ragt kein irdisch Weib:
„Nun läutre, heil’ge Flamme, den schmachbefleckten Leib!“

Das ist ein Geist der Rache! Er war bei Etzel Gast. –

90
Da suchet nach dem König das Volk in banger Hast.

Der Jungfrau Bild bedecken die Flammen goldigroth. –
Das ist die alte Märe von König Etzel’s Tod.