König Ludwig der Zweite von Baiern auf dem Schachen
[755] König Ludwig der Zweite von Baiern auf dem Schachen.[1] Lustig klapperten die Hufe einer Koppel feiner Rassepferde, welche, von königlichen Bediensteten in geschmackvoller blau mit Silber gestickter Livrée geritten, auf der Straße von Farchant einherzogen und im weiten Thorbogen des Gasthauses „Zur Post“ in Partenkirchen verschwanden. – Schon in der Nacht waren der Küchen- und der Bergwagen Seiner Majestät daselbst eingetroffen, um über das Mittenwalder „Gesteig“ nach der Elmau gebracht zu werden.
Hohes Interesse und mitunter recht abenteuerliche Vermuthungen erregte bei den zahlreichen Sommerfrischlern der große, finstere, wohl verschlossene Wagen, welcher die königliche Küche enthält, mehr aber noch der einsitzige, niedere, ledergepolsterte Bergwagen, der, nur auf zwei Rädern laufend, von einem starken Ardennenpferd in der Scheere gezogen wurde.
Der König ließ lange auf sich warten. Erst gegen halb zwölf Uhr Nachts hörte man den Galoppschlag eines Pferdes in der Hauptstraße des stillen Gebirgsfleckens ertönen, um gleich darauf, einem Schemen vergleichbar, einen Reiter vorüber sausen zu sehen, dessen im Bügel getragene Wachsfackel die reiche Silberstickerei seines Kollers beleuchtete; er war schnell in der Dunkelheit verschwunden.
Das war der Vorreiter des Königs, welch letzterer nun eine Secunde später in einem offenen Wagen in raschestem Laufe vorbeifuhr. Für jeden Begegnenden hat derselbe einen freundlichen Gruß. Man vergißt es nicht leicht, das männlich schöne Gesicht des Königs mit den dunkel blitzenden, so menschenfreundlich schauenden Augen: ein ideales, vom Hauche der Poesie durchgeistigtes Antlitz auf einem reckenhaften Körper.
In finsterer Mitternacht gelangt der Königszug, am Weiler „Klais“ von der alten Römerstraße abbiegend, zu dem romantisch am Fuße des Wetterstein gelegenen Einödhofe „Elmau“. Düstere Nebelschleier flattern gespenstig an den Wänden der Dreithorspitz, geisterhaft beleuchtet vom Vollmond.
Bei Fackelschein besteigt der König den Bergwagen, den das starke Pferd zwar im Schritt, aber doch in rasch förderndem Tempo auf den Serpentinen des vom königlichen Forstamte stets im besten Stand erhaltenen Steigs aufwärts zieht. Ein Führer und Fackelträger voran, geht es lautlos unter den Wipfeln der im Gewitterwind seufzenden Tannen der Höhe zu.
Nach zweimaligem Pferdewechsel erreicht der Bergwagen, die unter der gigantischen Schachenplatte gelegene Wettersteinsennalpe links lassend, den nun an der Seite des Gebirges auf Almboden meist eben hinlaufenden Weg. Geisterhaft wogen die Wetterwolken rechts unten über dem Thalkessel von Partenkirchen, hier und da von Blitzen durchschnitten; nur leise grollt aus der Tiefe der Donner. Hier oben, sechstausend Fuß über dem Meer, beleuchtet der Mond eines der großartigsten Alpenbilder. Links die jäh aufsteigenden Wände der Dreithorspitz; gegenüber rechts Alpspitz und Hochblassen, wie Brüder in fast gleicher Kegelform aufragend. Unten in schattiger Tiefe flimmert der Schachensee. Die Schachenalp selbst ist übersäet mit mächtigen Felsblöcken, auf und zwischen welchen unzählige Alpenrosen, Genzianen und Vergißmeinnicht in üppigster Fülle wuchern. Mächtige Wettertannen, vornehmlich aber die selten gewordene Zirbelkiefer, stehen in Gruppen umher, tiefschwarze Schlagschatten im Mondlicht werfend. Zwischen denselben ruhen bleiche Baumleichen, die ihre kahlen Aeste wie Erlösung heischende Knochenarme zum Nachthimmel emporstrecken, und sie wird ihnen, die Auferstehung aus Tod und Moder; denn fröhlich und lebenskräftig wuchern aus den halbverfaulten Stämmen ganze Generationen junger Tannen, Kiefern, Zirbeln und Blumen aller Art. Solcher Art sind die Bilder, wie sie König Ludwig liebt.
Gegen zwei Uhr erreicht er das Königshaus. Pferd und Wagen verschwinden in dem tief unten am See gelegenen Stallgebäude. Das Königshaus auf dem Schachen erhebt sich in einfacher Gebirgsarchitektur auf einem aus dem sogenannten Teufelsgesaß vorspringenden Hügel, größtentheils in Holzconstruction, deshalb aber nicht weniger fest, und fest mußte es auch gebaut werden; denn gewaltig sind die Föhnstürme und der furchtbare Schneedruck, dem das Gebäude den langen Winter über ausgesetzt ist. Den unteren gemauerten Stock nehmen außer den wenigen Räumen für die nächste Dienerschaft die Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer Seiner Majestät ein, sämmtlich einfach, aber höchst geschmackvoll eingerichtet.
Das obere Stockwerk, ein Giebelaufsatz, enthält lediglich einen großen Saal im maurischen Stil. Die Decke, unter welcher eine Fontaine ihr klares Wasser in eine große Schale ergießt, bietet ein schönes Oberlicht. Das Ganze, aus reichem Gußwerk, kann von innen verschiedenfarbig beleuchtet werden. Die Wände sind in maurischen Dessins blau, roth, weiß und golden gemustert, und längs denselben laufen blauseidene, reich mit Gold gestickte Divans hin. Von hier liebt es der König hinauszutreten auf die Terrasse und sich zu erfreuen und zu erfrischen an den herrlichsten Bildern einer ewig schönen, ewig jungen Natur. Hier geht er seinen verschiedenen Studien nach, namentlich der Geschichte der Renaissance, welche Bauweise, besonders die Spätrenaissance, er in seiner Residenz, im Schloß Linderhof, und neuerdings in Herrenchiemsee so wunderbar veranschaulicht hat.
Hier feiert König Ludwig häufig seinen Namens- und Geburtstag, den 25. August. Bis herauf zum Königshaus krachen dann die Böllersalven vom Partenkirchner Keller, wo, wie auch in Garmisch, die Bevölkerung mit den verschiedenen Vereinen an jenem Tage ein fröhliches Fest feiert mit Scheibenschießen, Musik und Tanz und allen Arten von Volksbelustigungen.
Auf der Post zu Partenkirchen sind am 25. August der „Fräulei Expeditorin“ noch ein Telegraphenbeamter und ein Schreiber beigegeben, um die zahllosen Gratulationstelegramme abzulesen und aufzuschreiben, welche dann zum Schachen getragen werden.
Den Abend seines Geburtstages pflegt der König gern in einem [756] auf jäh in’s Hinterrainthal abfallender Klippe errichteten Belvedere zuzubringen. Links vom wildzerklüfteten Oberrainthal und dem Hundstall, rechts vom Jochblassen, der Alpspitz, Bernarden und den schönen Gängen eingerahmt, zieht sich in fast gerader Richtung der Lauf der Partnach zum Schneeferner, dessen Abfluß sie ist, erst den Partnachwasserfall, dann die blauen Gumpen bildend, zwei durch einen Bergsturz entstandene tiefblaue kleine Seen. Von dieser Höhe bietet sich dem Auge ein Gebirgsbild, so wildromantisch und großartig, wie es wohl selten in den Alpen gefunden werden mag.
Es war ein herrlicher Abend am letzten 25. August. Schon deckte Dämmerung das Thal; hoch oben verglühte der letzte Abendsonnenstrahl am Platt, um nach seinem Verlöschen die wilden Schroffen mit gespensterhaftem Platinagrau zu färben; dies verwandelte sich noch einmal in ein schwaches gelbröthliches Nachglühen, um sodann die Nacht in ihre Rechte treten zu lassen, eine Nacht, so weihevoll ruhig, so hochpoetisch schön, daß das Menschenherz sich zum Frieden gestimmt fühlt. Da plötzlich leuchtet es wie wilde Lohe über die Fläche des Schneeferner, wirft farbige Lichter auf die nackten Schroffen, und läßt dieselben bald roth, bald grün und zuletzt blauweiß, also in Baierns Landesfarben, erstrahlen. Es ist dies ein Gruß der auf der Knorrhütte zum Nachtlager eingetroffenen Zugspitzbesteiger, welche, nachdem sie das Kreuz auf der höchsten Grenzwarte Deutschlands aufgerichtet, daselbst das Namens- und Geburtsfest des Königs feiern.
Erloschen sind die Flammen, längst verstummt Volksjubel und Böllersalven; stille heilige Nacht deckt Berg und Thal. Auf dem dunklen Spiegel des unergründlich tiefen Schachensees lauscht König Ludwig in leise dahin gleitender Gondel dem Flüstern der Tannenwipfel, dem Rauschen des Bergwindes über dem Grate des Wettersteins und dem hier und da melancholisch den nahenden Morgen verkündenden Rufe der Bergdrossel.
- ↑ Vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1873, Nr. 13.