Kathrinchen, die kluge Besenbinderstochter

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Autor: Ulrich Jahn
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Titel: Kathrinchen, die kluge Besenbinderstochter
Untertitel:
aus: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund, S. 76–86
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1890]
Verlag: Mayer & Müller
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Russische Staatsbibliothek = Commons; E-Text nach Digitale Bibliothek, Band 80: Deutsche Märchen und Sagen
Kurzbeschreibung:
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Kathrinchen, die kluge Besenbinderstochter.

Es war einmal ein Graf, der war über alle Maßen klug oder er dachte doch wenigstens, daß er es sei; und weil er sich für so klug hielt, wollte er nur ein Frauenzimmer heiraten, das ihm in der Klugheit den Gegenpart thäte. Ein solches Mädchen konnte er aber nirgends finden; darum ließ er es ausrufen in allen Landen, und auch das wollte nichts helfen.

Nun lebte in dem Dorfe des Grafen ein wunderschönes Mädchen, das hieß Kathrinchen und war des Besenbinders Tochter. Das dachte bei sich: „Sollst du dein ganzes Leben lang Reiser binden? Nein, dazu sind deine Finger zu schade! Weit besser ist’s, du wirst die junge Frau Gräfin und herrschst über alles Land, so weit dein Auge blicken kann.“

Und als der Vater heim kam vom Markte, sprach es zu ihm: „Vater, geh auf das Schloß und sag dem Grafen, ich thät’s ihm an Klugheit gleich und wolle seine Frau werden.“

[77] Der Besenbinder suchte seiner Tochter das auszureden; aber sie blieb dabei, und er machte sich betrübt auf den Weg, den Schloßberg herauf.

„Euer Gnaden,“ sprach er, „meine Tochter sagt, sie halte Euch in Klugheit den Widerpart und wolle Eure Frau werden.“

„Warum nicht!“ antwortete der Graf. „Wenn sie wirklich so klug ist, will ich sie zur Gräfin machen.“

Dann lief er in die Küche und kochte eine Mandel Eier, ließ sie kalt werden und packte sie in einen Korb mit Häcksel; darauf ging er in die Stube zurück, gab den Korb dem Alten und sprach: „Bring das deinem Kathrinchen! Es soll die Eier ausbrüten, aber ganz allein, und die Kücken soll es mir auf das Schloß tragen.“

„Ach, du mein lieber Gott,“ seufzte der Besenbinder, „das kann Kathrinchen nicht, es ist zu schwer und drückt die Eier entzwei!“

Weil ’s ihm aber der Graf so befohlen hatte, nahm er den Korb unter den Arm und kehrte damit in die Hütte zurück.

Als Kathrinchen die Eier ausgepackt hatte, legte es dieselben in Wasser, und da merkte es sogleich, daß sie gekocht waren. Eins fix drei lief es in den Garten und schnitt grüne Hirse ab, las die unreifen Körner heraus, eine Metze voll, und kochte sie im Kessel auf, bis sie platzen wollten. Dann nahm es geschwind den Topf vom Feuer und trocknete die gekochten Körner in der Ofenröhre, daß sie ausschauten wie Saathirse, that alles in einen Beutel, gab ihn dem Besenbinder und sprach:

[78] „Geh, Vater, und bring die Hirse dem Grafen und sag ihm, er möge sie aussäen und mir zuschicken, was er geerntet, damit die Kücken zu fressen haben, wenn sie ausgeschlüpft sind. – Und wenn er spricht: Die Körner sind ja gekocht! so antwort ihm dreist, deine Tochter ließe sagen, mit den Eiern wäre es nicht anders.“

„Ach Gott, Kathrin, was soll das werden!“ sagte der Alte und trug den Beutel auf das Schloß und gab ihn dem Grafen, daß er die Hirse aussäe und die Ernte hinabschicke, damit die Kücken zu fressen hätten, wenn sie ausgebrütet wären.

Der Graf besah die Hirse genau, dann rief er zornig: „Die Körner sind ja gekocht!“

Antwortete der Besenbinder: „Meine Tochter läßt Euer Gnaden sagen, mit den Eiern sei es nicht anders.“

Da erkannte der Graf, daß Kathrinchen wirklich ein kluges Mädchen sei; aber er wollte es noch auf eine zweite Probe ankommen lassen.

„Mein lieber Alter,“ sprach er zu dem Besenbinder, „hier hat er eine Lage Garn. Die bringe er seiner Tochter, daß sie mir davon ein Stück Leinewand webe.“

Der Besenbinder nahm die Lage Garn und trug sie zu seiner Tochter in die Hütte und sagte: „Ach, Kathrin, wie kannst du Gräfin werden? Nun sollst du dem Grafen aus einer Lage Garn ein Stück Leinewand weben!“

„Das wird sich schon machen lassen, aber es gehört Nachdenken dazu,“ sagte Kathrinchen und schloß sich in sein Kämmerlein.

Den andern Tag gab es dem Vater drei Besenreiser und hieß ihn dieselben dem Grafen bringen, daß [79] er einen Webstuhl daraus baue, um darauf das Stück Leinewand herzustellen. „Und wenn er fragt: Wie soll ich das anstellen?“ antwort ihm: „Meine Tochter meint: Ebenso, wie sie aus der Lage Garn ein Stück Leinewand webt.“

Der Alte schüttelte den Kopf und richtete die Botschaft aus und übergab dem Grafen die Reiser, daß er einen Webstuhl daraus baue.

„Ich merke schon,“ sprach der Graf, als er Kathrinchens Bestellung gehört hatte, „deine Tochter hat einen feinen Verstand. Jetzt lauf zurück und sag ihr, sie solle zu mir kommen: nicht bei Tage und nicht bei Nacht, geritten und doch nicht zu Pferde, nicht im Wege und nicht außer dem Wege, nicht nackend und nicht angezogen. Und als Hochzeitsgabe muß sie mir bringen drei Geschenke, die nicht bleiben.“

„Das kann Kathrinchen nicht, das ist zu schwer!“ dachte der Besenbinder bei sich; und als er zu Hause war und seine Tochter ihn fragte, wie es ihm bei dem Grafen ergangen sei mit den Reisern, antwortete er: „Kathrinchen, jetzt ist es um dich geschehen! Du sollst selbst auf das Schloß kommen: nicht bei Tage und nicht bei Nacht, geritten und doch nicht zu Pferde, nicht im Wege und nicht außer dem Wege, nicht nackend und nicht angezogen; und als Hochzeitsgabe sollst du ihm drei Geschenke bringen, die nicht bleiben. Wie willst du das anstellen? Das ist doch unmöglich!“

Aber Kathrinchen hörte nicht auf das Jammern des Vaters, sondern lief an den See zum Fischer und bat ihn um ein altes Netz. Der Fischer war ein freundlicher [80] Mann und hatte Kathrinchen gerne, weil es so schön und klug war; darum schenkte er ihm ein altes Netz.

Darauf lief Kathrinchen zum Jäger und sagte: „Jäger, fang mir einen lebendigen Hasen!“

„Morgen früh sollst du ihn haben, Kathrinchen,“ sagte der Jäger, „ich stelle über Nacht die Fallen.“

Von dem Jäger lief Kathrinchen zum Schulzen, denn das war sein Gevatter, und sprach: „Gevatter Schulz, schenkt mir zwei Tauben!“

„Ei, ei Kathrinchen, willst du Wochensuppe vor der Taufe?“ fragte der Schulze.

„Nein,“ antwortete Kathrinchen, „ich brauche sie zu einem anderen Zwecke!“

Da schenkte der Schulze Kathrinchen zwei Tauben, und es that die Tiere in seinen Deckelkorb und lief zur Lumpenfahrerin und sprach: „Mütterchen, leiht mir morgen auf den Nachmittag Euren Esel!“

„Du kannst ihn gleich mitnehmen und morgen für den ganzen Tag behalten,“ sagte die Lumpenfahrerin, „denn ich habe große Wäsche.“

Das freute Kathrinchen, und es band den Esel von der Krippe und nahm ihn mit sich in des Vaters Haus. Dort gab es ihm Disteln und Heu zu fressen, und den Täubchen schüttete es Erbsen in den Korb. Darauf legte es sich schlafen und wachte nicht eher auf, bis der Jäger am andern Morgen den lebenden Hasen in einem Korbe brachte. Dann stand es auf und besorgte das Hauswesen und that, als ob es des Grafen Reden nichts angingen.

Am Nachmittag aber zog es seine Kleider aus [81] und band das Fischnetz um; dann holte es den Esel aus dem Stalle und hing an die eine Seite des Tieres den Korb mit den Tauben, an die andere Seite den Korb mit dem Hasen. Darauf setzte es sich selbst auf den Rücken des Esels und ritt, als die Sonne soeben untergegangen war, im Zwielicht den Schloßberg hinauf; und zwar hielt es den Esel, daß er immer im Wagengeleise bleiben mußte.

Der Graf lag im Fenster, als er Kathrinchen ankommen sah, nicht bei Tage und nicht bei Nacht, sondern im Zwielicht; geritten und doch nicht zu Pferde, sondern auf einem Esel; nicht in dem Wege und nicht außer dem Wege, sondern im Wagengeleis; nicht nackend und nicht angezogen, denn es war in ein Fischnetz gewickelt. Es kränkte ihn nun doch, daß die Besenbinderstochter so leichten Kaufes Frau Gräfin werden sollte, und er befahl seinen Dienern, daß sie die Hofhunde von der Kette ließen. Das waren zwei allmächtig große Köter, die stürzten auf Kathrinchen los, um es samt dem Esel zu zerreißen.

Da rief Kathrinchen: „Herr Graf, hier meine erste Hochzeitsgabe! Seht, sie bleibt nicht!“

Damit that es den Deckelkorb auf, in dem der Hase saß, und – hast du nicht gesehen – sprang er auf und davon. Sobald die Hunde den Hasen erblickten, ließen sie ab von Kathrinchen und dem Esel und jagten dem Hasen nach und kamen vor dunkler Nacht nicht wieder und hatten ihn doch nicht erwischt.

Kathrinchen aber stieg von dem Esel und ging mit dem andern Korbe in des Grafen Stube, that den Deckel [82] auf und rief: „Hier, Herr Graf, mein zweites Geschenk und mein drittes!“ und: Husch, husch, husch! flogen die beiden Tauben in die Höhe und zum Fenster hinaus.

Da lachte der Graf und sagte: „Kathrinchen, du hältst mir in der Klugheit den Widerpart. Jetzt komm, daß wir Hochzeit feiern!“

Darauf wurde ein großes Mahl gehalten und Hochzeit gefeiert; aber ehe sie zu Tische gingen, mußte Kathrinchen dem Grafen einen teuren Eid schwören, daß es ihm niemals darein reden wolle, wenn die Leute auf das Schloß kämen und einen Streit zu schlichten hätten; sonst dürfe er es augenblicklich dem Besenbinder zurückschicken. Und das schwur Kathrinchen dem Grafen auch zu.

Nachdem sie lange Zeit in Glück und in Frieden gelebt hatten, kamen eines Tages zwei Bauern vor den Grafen, die hatten einen wunderlichen Handel. Sie waren zusammen zu Markte gefahren; und wie die Bauern zu thun pflegen, an jedem Krug an der Straße machten sie halt und stärkten darin ihre müde Seele.

Als sie nun wieder einmal aus einem Kruge heraustraten, rief der eine Bauer voll Freuden: „Gevatter, sieh, meine Stute hat ein Fohlen geworfen! Da liegt’s unter deinem Wagen!“

„Was du redest!“ sagte der andere. „Mein Wagen hat es geboren!“

Und so stritten sie hin und her, und weil sie kein Ende fanden des Streites, sollte der Graf entscheiden.

„Warum ist das Füllen deins?“ fragte der Graf den Bauer, welchem die Stute gehörte.

[83] „Euer Gnaden,“ antwortete der Bauer, „weil meine Stute tragend war und ein Wagen nicht fohlen kann.“

„Es ist gut!“ sprach der Graf. „Und nun sage du, warum das Fohlen dir gehört!“

Gab der andere Bauer zur Antwort: „Euer Gnaden, erstens liegt jedes Kind nach der Geburt hart bei der Mutter, und zweitens war mein Wagen, als ich in den Krug ging, fest gefügt und mit eisernen Bändern und Klammern versehen, und als ich wieder herauskam, war er ganz locker.“

„Nun, so spreche ich dir auch das Fohlen zu,“ sagte der Graf in seiner Weisheit; und der erste Bauer mußte betrübten Sinnes von dannen ziehen.

Drei Viertel Jahre fraß er seinen Gram in sich. Da aber der Nachbar das Fohlen ihm zum Hohne alle Sonntage nach der Kirchzeit an seinem Hause vorüber führte, so konnte er es auf die Dauer nicht länger ertragen; und weil er bei dem Grafen kein Recht gefunden hatte, beschloß er, es bei der Gräfin zu versuchen, und ging zu ihr auf das Schloß.

„Lieber Mann, ich darf ihm nichts raten,“ sagte Kathrinchen, „der Graf hat es mir verboten.“

Als aber der Bauer so inständig bat, versprach die Gräfin endlich, ihm einen guten Rat zu erteilen, wenn er ihr verspräche, ja niemand ein Wort davon zu sagen, daß der Rat von ihr käme. Nachdem ihr der Bauer das hoch und heilig versprochen hatte, sprach sie zu ihm: „Nimm ein Netz und, was sonst zum Fischen gehört, und geh dort drüben auf den Sandberg und fisch daselbst. Wenn dann der Graf dich fragt, was du thust, so antwort [84] ihm: „So gut, als ein Wagen fohlen kann, kann ich auch auf einem Sandberg Fische fangen.“

Der Bauer that, wie ihm Kathrinchen geraten hatte, und es dauerte gar nicht lange, so erblickte ihn der Graf und rief ihm vom Fenster aus zu: „Was machst du da?“

„Ho, huch, up up!“ rief der Bauer, als ob er eine schwere Last aus dem Sande hübe; dann kehrte er sich um und antwortete: „Euer Gnaden, ich fange Fische!“

„Bist du von Sinnen?“ schalt der Graf. „Wer kann auf einem Sandberg Fische fangen!“

Sprach der Bauer, wie ihn die Gräfin gelehrt hatte: „So gut, als ein Wagen fohlen kann, kann ich auch auf einem Sandberg Fische fangen!“

„Das hat dir meine Frau geraten!“ rief der Graf voll Zorn und bedrohte den Bauer mit dem Tode, wenn er nicht die Wahrheit gestehen würde. Da bangte dem armen Schelm um sein Leben, und er erzählte haarklein, wie alles gekommen sei.

Darauf mußte der Bauer in das Schloß kommen, und er stellte ihn vor die Gräfin und sprach: „Du hast dem Manne sein Gut gerettet, und ich gebe Befehl, daß ihm der Nachbar sofort das Fohlen wieder erstatte; aber du hast auch deinen Eid gebrochen, und nun will ich, daß du noch heute abend aus dem Schlosse gehst.“

„Lieber Mann,“ sagte die Gräfin, „ich habe Unrecht gethan; aber zwei Bitten könntest du mir dennoch frei geben.“

„Laß sie hören!“ sprach der Graf.

[85] „Zum ersten möchte ich mit dir einen Abschiedstrunk trinken,“ sagte die Gräfin, „und dann laß mich das Liebste mitnehmen, was ich auf dem Schlosse habe.“

Die beiden Bitten mochte der Graf dem schönen Kathrinchen nicht versagen, und er trank den Abschiedstrunk mit ihm. Die Gräfin hatte aber einen Schlaftrunk in den Becher gethan. So kam’s, daß der Graf in einen tiefen Schlaf verfiel und nicht merkte, was um ihn und mit ihm geschah. Das hatte Kathrinchen aber gerade gewollt, und es steckte ihn in einen großen Sack und ließ ihn dann auf einem Leiterwagen, mit vier Ochsen bespannt, in des Besenbinders Häuschen fahren. Dort luden die Diener den Sack im Stalle ab und kehrten wieder auf das Schloß zurück; Kathrinchen aber hielt Wacht bei seinem Manne.

Um Mitternacht erwachte der Graf aus dem Schlafe und schlug mit den Armen um sich; und als er merkte, daß er gefangen war, begann er zu wimmern und zu klagen und rief einmal über das andere: „Wo bin ich?“

„Wo sollst du sein?“ antwortete Kathrinchen. „Bei mir bist du, Herzensmann! Du warst mir das Liebste im ganzen Schlosse, und darum habe ich dich im Sacke hierher genommen in meines Vaters Stall.“

„Ach, bind doch den Sack wieder auf!“ bat der Graf.

„Willst du mich auch in dein Schloß nehmen und nie mehr von dir lassen?“ fragte das schöne Kathrinchen; und als ihm der Graf das versprochen hatte, band es die [86] Schnur auf, und der Graf sprang heraus, und sie gingen sogleich wieder in das Schloß zurück. Dort lebten sie beide noch lange Jahre in Glück und in Frieden, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch.