Kreuzeswissenschaft/Kreuzvisionen

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§ 4. KREUZVISIONEN

In Wort und Bild und liturgischer Feier klopft die Kreuzesbotschaft an das Herz jedes Menschen, der im christlichen Kulturkreis lebt, besonders eindringlich an das Herz des Priesters. Es ist nur nicht jeder fähig und bereit, sie so sachgemäß aufzunehmen und zu beantworten wie Johannes vom Kreuz. Sie ist an ihn aber überdies, auch abgesehen von den besonderen Gnaden beim hl. Meßopfer, in einer außerordentlichen Form ergangen. Der Gekreuzigte ist ihm wiederholt in Visionen erschienen. Über zwei solcher Visionen sind wir genau unterrichtet. Johannes hat in seiner Lehre Visionen, Ansprachen und Offenbarungen als unwesentliches Beiwerk des mystischen Lebens behandelt. Er hat vor all dem immer wieder gewarnt, weil man dabei der Gefahr der Täuschung ausgesetzt ist und jedenfalls auf dem Weg der Vereinigung aufgehalten wird, wenn man auf solche Dinge Werte legt. Überdies war er sehr zurückhaltend mit Mitteilungen über sein Leben, das äußere wie das innere. Wenn er von diesen beiden Visionen gesprochen hat, so kommt ihnen jedenfalls eine besondere Bedeutung zu. Auf beide folgte in seinem Leben ein Sturm von Verfolgungen und Leiden. Es ist darum naheliegend, sie als Vorboten aufzufassen.

Die erste Erscheinung wurde ihm in Avila, im Kloster der Menschwerdung zuteil, wohin ihn die hl. Mutter Teresia als Beichtvater der Nonnen gerufen hatte. Als er eines Tages ganz in die Beschauung des Kreuzesleidens versunken war, zeigte sich ihm der Gekreuzigte, den leiblichen Augen sichtbar, mit Wunden bedeckt, blutüberströmt. So deutlich war die Erscheinung, daß er sie in einer Federzeichnung festhalten konnte, sobald er wieder zu sich kam. Das kleine vergilbte Blättchen wurde bis in unsere Tage im Kloster der Menschwerdung verwahrt[1]. Die Zeichnung macht einen sehr modernen Eindruck. Das Kreuz und der Körper sind in starker Verkürzung dargestellt, wie von der Seite gesehen; der Leib in starker Bewegung, weit vom Kreuz gelöst, an den Händen hängend (die Hände, von mächtigen, auffallend hervorragenden Nägeln durchbohrt, sind besonders ausdrucksvoll); der Kopf ist vornübergeworfen, sodaß die Gesichtszüge nicht zu unterscheiden sind, dagegen sieht man den Nacken und oberen Teil des Rückens, die mit Striemen bedeckt sind. Der Heilige hat das Blättchen der Schwester Anna Maria von Jesus geschenkt und ihr sein Geheimnis anvertraut. [19] (Das ist wohl verständlich, da der Herr selbst dieser Seele etwas von Seinen innersten Geheimnissen mitgeteilt hatte: die Gnade, die ihm bei seiner ersten hl. Messe gewährt wurde.) Wir wissen nicht, ob der Heiland Worte gesprochen hat, als Er sich so tief vom Kreuz herabbeugte. Aber sicherlich hat ein Austausch von Herz zu Herz stattgefunden. Es war in der Zeit, ehe der Kampf der Beschuhten gegen die Reform einsetzte, dessen Opfer Johannes mehr als alle anderen werden sollte.

Die zweite Erscheinung, gegen Ende seines Lebens, fand in Segovia statt. Er hatte seinen geliebten Bruder Francisco dorthin gerufen. Diesem verdanken wir den Bericht: „.... Als ich 2 oder 3 Tage da war, bat ich ihn, mich abreisen zu lassen. Er sagte mir, ich sollte noch einige Tage länger bleiben, er wüßte nicht, wann wir uns wiedersehen würden. Und dies war das letztemal, daß ich ihn sah. Eines Abends nach dem Abendessen nahm er mich bei der Hand und führte mich in den Garten, und als wir allein waren, sagte er zu mir: ,Ich will dir etwas anvertrauen, was mir mit unserm Herrn begegnet ist. Wir hatten im Kloster ein Kruzifix[2], und eines Tages, als ich mich davor befand, schien es mir, daß es passender in der Kirche angebracht würde. Er war mein Wunsch, daß es nicht nur von den Mönchen, sondern auch von denen draußen geehrt würde. Und ich machte das, wie mir der Gedanke gekommen war. Nachdem ich es in der Kirche, so passend ich konnte, angebracht hatte, stand ich eines Tages im Gebet davor – da sprach Er zu mir: Bruder Johannes, bitte mich um das, was ich dir für den Dienst gewähren soll, den du mir erwiesen hast! Und ich meinerseits sagte Ihm: Herr, was ich von Dir haben möchte, das sind Leiden, die ich für Dich zu ertragen hätte, und daß ich verachtet und geringgeschätzt würde’“[3].

[20] Als Johannes diesen Wunsch aussprach, waren seine Lebensverhältnisse so, daß sich die Erfüllung schon aus natürlichen Bedingungen leicht ergeben konnte. An der Spitze des reformierten Karmels stand als Provinzial Nikolas Doria, der Heißsporn und Eiferer, der Teresias Werk nach seinen Ideen umformen wollte. Johannes verteidigte mit Entschiedenheit das Erbe der hl. Mutter und die Opfer des Fanatismus: P. Hieronymus Gratian und die Karmelitinnen. Am 30. Mai 1591 wurde das Kapitel der Unbeschuhten in Madrid eröffnet. Vor der Abreise dorthin verabschiedete sich der Heilige von den Karmelitinnen von Segovia. Die Priorin, Maria von der Menschwerdung, rief lebhaft erregt: „Vater, wer weiß, ob Euer Hochwürden nicht als Provinzial dieser Provinz daraus hervorgehen werden“. „Man wird mich in die Ecke werfen wie einen alten Lappen, wie einen alten Küchenlumpen“, war die Antwort. Und so geschah es in der Tat. Er erhielt kein Amt mehr und wurde in die Einsamkeit von la Peñuela geschickt. Dorthin folgten ihm Berichte über Bedrängnisse der Karmelitinnen. Man verhörte sie, um Material gegen Johannes zusammenzutragen. Man suchte Gründe, um ihn aus dem Orden auszustoßen. Nicht lange danach zwingt ihn die letzte Krankheit, la Peñuela zu verlassen, wo keine ärztliche Hilfe zu haben ist. So gelangt er an die letzte Station seines Kreuzwegs: Ubeda. Bedeckt mit eiternden Wunden, findet er hier im Prior, P. Francisco Crysostomo, einen erbitterten Gegner, der seinem Verlangen nach entwürdigender Behandlung vollauf Genüge tut. Die Höhe von Golgotha ist erreicht.


  1. Wir hoffen, daß es auch in der jüngsten Kirchenverfolgung erhalten geblieben ist. Eine gute Reproduktion ist in dem Buch von P. Bruno, S. 136. Dort sind auch die Quellenangaben für die Berichte zu finden.
  2. P. Bruno gibt an, es sei ein kreuztragender Jesus gewesen, auf Leder gemalt (Vie d’Amour de Saint Jean de la Croix, Paris 1936, S. 238). Er hat dieses Bild in dem Buch Saint Jean de la Croix (S. 336) veröffentlicht. Sollte aber der Heilige wirklich für ein solches Bild den Ausdruck crucifijo gebraucht haben?
  3. Thomas Perez de Molina hat die Aussage Franciscos, der nicht schreiben konnte, nach seinem Diktat niedergeschrieben. Nach seiner Erinnerung lauteten die Worte: „Herr, daß alle meine Ehre angreifen und nichts von mir halten möchten um Deiner Liebe willen“ (Vgl. Vie d’Amour, S. 239). Wir haben den ganzen Bericht möglichst wortgetreu wiedergegeben, um ihm nichts von seiner rührenden Schlichtheit zu nehmen und das innige Verhältnis der beiden Brüder daraus hervorleuchten zu lassen. Sie waren das ganze Leben hindurch aufs engste verbunden. Im Anfang der Reform hatte Johannes seine Mutter und den Bruder mit seiner Frau nach Durvelo gerufen, um den Haushalt zu versorgen. Die Mutter kochte, die Schwägerin wusch, der Bruder kehrte die Zellen. Das mag auf den ersten Blick überraschen bei einem Heiligen, der so streng die Loslösung von [20] allen Geschöpfen fordert. Aber es liegt gewiß kein Widerspruch darin. Wenn Johannes so handelte, dann konnte er es sich wohl leisten: er empfand das Zusammensein mit seinen Lieben nicht als Hindernis im beschaulichen Leben. Ihre Beziehungen waren vermutlich schon von den Kindertagen an so sehr ins Übernatürliche erhoben, daß sie keine Fessel mehr bedeuteten. Und wo die Nächsten dem Blut nach auch die Nächsten im Geist sind, da ergibt sich eine Leichtigkeit des Verstehens, die wie ein Vorgeschmack der himmlischen Seligkeit ist. So erklären sich auch die vertraulichen Mitteilungen.
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