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Kriege und Raubtiere

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Kriege und Raubtiere
Untertitel:
aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1915, Dritter Band, Seite 203–206
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Erscheinungsdatum: 1915
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[203] Kriege und Raubtiere. – Die letzten Balkanfeldzüge haben abermals einen neuen Beweis für die schon früher oft beobachtete Tatsache erbracht, daß jeder Krieg bestimmte Arten von Raubtieren und -vögeln aus weiter Ferne geradezu magnetisch anzieht.

Eine Wiener Jagdzeitschrift berichtet hierzu folgendes: „In den zumeist dicht bewaldeten Schluchten des Balkans hausen außer verschiedenen Arten von Geiern und Adlern auch eine Unmenge Rabenvögel. All diese schienen sich zu Hunderten bereits nach den ersten Kämpfen auf dem engeren Kriegsschauplatz ein Stelldichein gegeben zu haben. Nach der erbitterten Schlacht von Lüle-Burgas, die bei ihrer langen Gefechtsfront das Bestatten der weit zerstreut liegenden Toten sehr erschwerte, gab das bulgarische Oberkommando Befehl, besonders die Aasgeier nach Möglichkeit abzuschießen, da unzählige Leichen von diesen Vögeln in grauenerregender Weise zerfetzt waren. Doch soviele der Geier auch durch gutgezielte [204] Kugeln ein Ende fanden, ihre Zahl nahm nicht ab, vermehrte sich im Gegenteil von Tag zu Tag. Man hatte es hier eben wieder mit der längst bekannten Erscheinung zu tun, daß Schlachtenlärm und Geschützdonner diese unwillkommenen Gäste von weither zusammenlockt.“

Der Budapester Militärarzt Rejsky, der freiwillig auf seiten der Bulgaren den Krieg mitgemacht hat, erzählt in seinem Tagebuch, daß vor der Tschataldschabefestigungslinie Geier und Adler zu Hunderten, Raben und Krähen aber zu Schwärmen von Tausenden in der Nähe der Truppenlager beobachtet wurden. Das geflügelte Raubzeug war in kurzer Zeit so frech geworden, daß es selbst während kleinerer Vorpostengefechte in Schwärmen über dem Kampfplatz kreiste und Leichen und auch Schwerverwundete bereits zu verspeisen begann, während noch in nächster Nähe Schüsse knallten und der Geschützdonner den Erdboden erzittern ließ. Die mit Karabinern ausgerüsteten Krankenträger ebenso wie die mit dem Zusammentragen der Toten beauftragten Soldaten gaben es bald auf, ihre Patronen gegen die Leichenfresser zu vergeuden. Dies zahlreiche Raubgesindel, in der Hauptsache Geier und Adler, fiel nun merkwürdigerweise weit lieber über die menschlichen Körper als über die Pferdekadaver her, die ihnen doch viel reichlichere und bequemere Nahrung boten. Nur im Anfange des Krieges begnügten sie sich mit den Pferdeleibern. Später schienen sie, so grausig es auch auszusprechen ist, sozusagen als Feinschmecker zu der Überzeugung gelangt zu sein, daß Menschenfleisch weit besser schmecke, und überließen daher die Pferde den Raben und Krähen, denen es bei ihren schwächeren Schnäbeln nicht recht gelingen wollte, die Uniformstücke zu zerreißen.

Von vierfüßigem Raubzeug waren es vornehmlich Wölfe und Schakale, die der Krieg aus ihren Verstecken herauslockte, und die den kämpfenden Heeren ebenso treue wie unliebsame Gefolgschaft leisteten. Während des Waffenstillstandes von Tschataldscha ließ das bulgarische Oberkommando einmal durch Kavallerie eine große Treibjagd auf Wölfe veranstalten, da diese von Tag zu Tag unverschämter und zudringlicher geworden [205] waren. Hierbei wurden an einem Tage 121 Wölfe, 62 Schakale und 36 Füchse erlegt. Tatsache ist auch, daß von Rumänien her, wo der Wolf noch häufiger als in den übrigen Balkanstaaten zu finden ist, eine auffallend große Zahl dieser Tiere über die Grenze wechselte. Die Annahme, daß alle diese Leichenräuber, geflügelte und ungeflügelte, durch den Schlachtenlärm auf oft geradezu unglaubliche Entfernungen angelockt werden, ist nach all diesen vollverbürgten Beobachtungen aus jüngster Zeit nicht mehr von der Hand zu weisen.

In der Geschichte der größeren Kriege stößt man überall auf ähnliche Beobachtungen. Während des Dreißigjährigen Krieges waren gerade die Gebiete Europas, die die Hauptkampfplätze bildeten, von einer vorher nie gekannten Anzahl von Wölfen überschwemmt. Nachdem die unselige Kriegszeit endlich vorüber war, erließen viele Städte Mitteldeutschlands die sogenannten Wolfsverordnungen, die eine gründliche Beseitigung der Raubtierplage bezweckten. In den Winterfeldzügen Friedrichs des Großen in Sachsen und Schlesien hatten die kämpfenden Armeen ständig ein Gefolge von Wolfsrudeln und Krähen- und Rabenscharen. Wie zahlreich besonders die Wölfe sich, leichte Beute witternd, zusammengefunden hatten, geht daraus hervor, daß nach dem Tagebuche des österreichischen Obersten v. Langerski einmal ein ganzer nach Dresden bestimmter Transport von über hundert Pferden in den Ausläufern des Erzgebirges von den frechen Bestien, die plötzlich in starken Rudeln aus dem Walde hervorbrachen, zersprengt und mit Ausnahme von einigen zwanzig Pferden vernichtet wurde, wobei auch von den begleitenden Kavalleristen sechs den Tod fanden.

Daß das Heer Napoleons auf dem denkwürdigen Zug nach Rußland von Wolfs- und Krähenscharen hartnäckig begleitet wurde, ist genugsam bekannt. Schließlich sei nur erwähnt, daß auch im Kriege 1870/71 bei den Wintergefechten um Belfort eine erhebliche Zunahme der Wölfe festgestellt wurde. Ein Mitkämpfer der Werderschen Armee, Hauptmann v. Rauch, berichtet folgendes: „Mit der zunehmenden Kälte wurde auch [206] die Wolfsplage in der Umgebung von Belfort immer lästiger. Die Einwohner der Dörfer und Weiler versicherten uns, dass sie dieses vierbeinige Raubgesindel noch nie in solcher Menge beobachtet hätten. Ich selbst sah häufig Rudel von zwölf bis vierzehn Stück. Zwei Fälle sind zu meiner Kenntnis gelangt, in denen schwächere Patrouillen von den Bestien angefallen wurden. Einmal waren es zwei Dragoner, die sich schließlich nur dadurch retten konnten, daß sie ihre Pferde preisgaben, da der tiefe Schnee eine weitere Flucht unmöglich machte. Sie kletterten auf eine starke Eiche und feuerten von dort mit ihren Karabinern auf die Wölfe, die beide Pferde niedergerissen hatten. Die Schüsse lockten eine Infanterieabteilung herbei. Anderenfalls wären die beiden Leute wohl jämmerlich auf ihrem Baume erfroren. Das andere Mal handelte es sich um einen Unteroffizier und zwei Mann vom dritten leichten Reiterregiment, die sich ebenfalls nachts verirrt hatten und dann von Wölfen so lange gehetzt wurden, bis sie ihre sämtlichen Patronen verschossen hatten und nun so gut wie wehrlos waren. Nur einer der Leute entkam. Bei der am nächsten Morgen unternommenen Streife fand man von dem Unteroffizier und dem anderen Mann sowie den beiden Pferden nur noch traurige Überreste, zerstreut umherliegende Knochen, blutige Uniformfetzen und das Sattelzeug. Nach den Fährten zu schließen waren bei diesem Angriff mindestens dreißig bis vierzig dieser Bestien beteiligt gewesen.“

W. K.