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Kurpfuscherunwesen

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Textdaten
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Autor: Otto Cahnheim
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Titel: Kurpfuscherunwesen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 411, 414–415
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[411]
Kurpfuscherunwesen.
Von Dr. med. Otto Cahnheim.

Nur den Wenigsten wird es bekannt sein, daß in Deutschland, zum großen Unterschiede von anderen europäischen Staaten, im Jahre 1869 die sogenannte Kurirfreiheit eingeführt wurde. Durch diese Verordnung ist es in das Belieben eines Jeden gestellt, ob er sich in Bezug auf die Wiederherstellung seiner Gesundheit der Hand und Sorge eines hierzu approbirten Arztes anvertrauen will, oder ob er es vorzieht, hiermit irgend einen hergelaufenen Schwindler und Betrüger zu beauftragen. Man ging damals von der Voraussetzung aus, daß das große Publikum Urtheil genug haben würde, um den staatlich approbirten Arzt, welcher durch [414] die Approbation gewissermaßen die Gewähr bietet, daß er auch wissenschaftlich gebildet ist, vom Medikaster zu unterscheiden, welchem es auf das Wohlergehen der ihn um Rath Befragenden gar nicht ankommt, sondern der nur auf eine thunlichst schnelle Füllung seines Geldbeutels durch möglichst wenig Arbeit Bedacht nimmt. Der einzige äußerliche Unterschied, welcher heute zwischen Arzt und Kurpfuscher besteht, ist der, daß Letzterer sich nicht den Titel „Arzt“ oder einen ähnlichen Titel beilegen darf.

Wie weit nun die Maschen dieser gesetzlichen Bestimmung sind, erhellt am besten daraus, daß wir täglich im Annoncentheil der Tagespresse Anerbietungen zur Heilung aller vorhandenen und nicht vorhandenen Krankheiten finden, welche erlassen sind von Heilmagnetiseuren, Lehrern der Naturheilmethode, Nichtärzten, Physikern, Specialisten etc. Alles dies sind Titel, welche, auf Täuschung des Publikums berechnet, den bestehenden Gesetzen nicht genug Handhabe bieten, um die Führer dieser Titel strafrechtlich zu verfolgen.

Was würde nun aber erst das Publikum sagen, wenn es Einblick in die den Privatpersonen leider nur sehr schwer zugänglichen Polizei- respektive Gerichtsakten erhielte, welche über das Gebahren und, was noch mehr sagen will, über das Vorleben der Kurpfuscher Aufklärung bieten! Die Legion dieser Heilschwindler rekrutirt sich danach aus allen Ständen unserer Gesellschaft. Wir finden unter ihnen gewesene Fabrikarbeiter, Barbiere, Cigarrenhändler, Hausknechte, Kaufleute, Gärtner, Tapezierer, Schlosser, Schmiede, Handschuhfabrikanten etc. Sie alle hatten ihren ursprünglichen Beruf verfehlt und waren nicht im Stande, in ihrem ehrlichen Gewerbe das tägliche Brot zu verdienen. Da fühlten sie sich plötzlich durch inneren Drang getrieben, sich zu Rettern der kranken Menschheit aufzuwerfen, wodurch sie ein lukratives Einkommen erzielten. Die meisten dieser Menschen sind früher wegen Schwindel, Betrug, Verbreitung unzüchtiger Schriften und anderer Vergehen mit Geld- und längeren Freiheitsstrafen vorbestraft. Sobald sie aber aus der Haft entlassen wurden, widmeten sie sich mit ungeschwächter Kraft dem Kurpfuscherthum, welches ihnen jederzeit gestattet, auf das Glänzendste und ohne schwere Arbeit zu leben, denn ihre neue Kunst besteht ausschließlich darin, das arme und kranke Publikum, welches durch die von ihnen erlassenen Reklamen und gefälschten Danksagungen getäuscht ist, auszusaugen und die Gesundheit ihrer Opfer durch Unterlassung einer gediegenen ärztlichen Behandlung noch mehr zu untergraben.

Die Schäden des Kurpfuscherthums hat die „Gartenlaube“ schon seit vielen Jahren zu bekämpfen gesucht, und in ihren Spalten findet sich eine überaus reiche Galerie von Kurpfuschern und Geheimmittelschwindlern. Trotz aller Warnung und Belehrung läßt sich jedoch das Publikum immer aufs Neue täuschen und ausbeuten, und von Jahr zu Jahr tauchen neue Heilkünstler auf, vor denen das Publikum gewarnt werden muß. Glücklicherweise tritt jetzt die Bewegung gegen das Kurpfuscherunwesen in ein neues Stadium. Den Bemühungen der volksthümlichen Presse haben sich seit einiger Zeit auch die Behörden angeschlossen, und das belastende Material wächst derartig, daß maßgebende Kreise zur Schaffung einer raschen Abhilfe auf dem Wege der Gesetzgebung veranlaßt werden könnten. Es ist darum zeitgemäß, das große Publikum auf das Treiben der Kurpfuscher von Neuem aufmerksam zu machen. An schlagenden Beispielen giebt es keinen Mangel. So ist vor Kurzem z. B. eine Bekanntmachung des königlichen Polizeipräsidii zu Berlin folgenden Inhalts veröffentlicht worden:

„Die deutsche Gesundheitskompagnie, welche in Flugblättern und den Tagesblättern Kranken aller Art ihre Dienste anbietet, wird von dem bekannten Bandwurmheilkünstler Richard Mohrmann und dem Schriftsteller Bernhardi, dem Verfasser des anrüchigen Buches ‚Der Jugendspiegel‘, geleitet. Letzteres verfolgt den Zweck, durch Ausschweifungen heruntergekommene Menschen in Angst zu versetzen und dieselben dann finanziell auszubeuten. Das von Bernhardi angepriesene Mittel besteht aus Honigwasser, welches einen Werth von 50 Pfennig hat und für die höchsten Preise, bis zu 100 Mark an Vertrauensselige abgegeben wird. Mohrmann’s Bandwurmmittel hat einen reellen Werth von 1 Mark 20 Pfennig, wird aber für 10 Mark verkauft etc. Das Publikum wird hierdurch wiederholt vor dem unlauteren Treiben der deutschen Gesundheitskompagnie beziehungsweise vor der Kurpfuscherei des Richard Mohrmann und des p. Bernhardi ernstlich gewarnt.
Berlin, den 6. April 1887.
 Der Polizeipräsident.
 (gez.) Freiherr von Richthofen.“

Zu bemerken ist noch, daß Mohrmann in früheren Jahren nachgewiesenermaßen allein für Annoncen jährlich mehr als 50000 Mark verausgabt hat.

Ferner treibt in einer Residenzstadt ein Mensch sein Unwesen mit Kuren durch thierischen Magnetismus und hat es verstanden, durch Dreistigkeit und Frechheit sich in die höchsten Kreise einzuschleichen, so daß er nach kurzer Zeit in eigener Equipage in der Stadt herumfahren konnte. Dieser, ein früherer Gärtner und Pilzzüchter, zog es vor, als sein Geschäft abwärts ging, sich Mykologe und Heilmagnetiseur zu nennen, heilt angeblich die Menschen durch seinen thierischen Magnetismus, verkauft thierisch magnetisirtes Wasser gegen Zahnschmerz, thierisch magnetisirte Petersilie à 10 Mark zum Rohessen für allerlei innere Krankheiten. Auch diesem Künstler ist es bisher gelungen, sich einer gerichtlichen Verantwortung zu entziehen, bis ihn doch endlich die Nemesis ereilen wird.

Eine andere Art der Kurpfuscherei ist folgende:

Eine Kindergärtnerin kündigte in einer Dresdener Zeitung vor einiger Zeit an, daß sie im Stande sei, „in den zweifelhaftesten Fällen“ Diphtheritis sicher zu heilen. Zu sprechen sei diese Person im Lokale ihres „Kindergartens“ täglich von 9 bis 5 Uhr. Die darauf behördlicherseits geschehenen Erhebungen ergaben, daß sie in drei Familien geholt worden, wo schwere Diphtherie ausgebrochen und ärztliche Hilfe vergebens war, daß alle 4 Kinder, bei denen sie „ihre Behandlung“ ausgeübt hatte, gestorben waren. Außerdem ergab sich, daß sie einen Kindergarten in einer Bierwirthschaft inne hatte und zwar in einem 18 Quadratmeter Bodenfläche großen Klublokal, das Abends von Gästen benutzt wurde, und daß in ihrem Kindergarten täglich 22 Kinder sich einfanden. Auf Grund der bestehenden Gesetze kann ein Verbot nicht erlassen werden, da sowohl das Kuriren als auch die Kindergärtnerei gewerblich freigegeben sind.

Am allergefährlichsten jedoch sind diejenigen Kurpfuscher, welche sich mit der Behandlung chirurgischer Krankheiten befassen, denn gerade hier ist eine genaue Kenntniß von der Anatomie des menschlichen Körpers und den feineren Vorgängen bei der Wundheilung unerläßlich, ohne welche die Behandlung absolut undenkbar ist. Der bekannte Truppener Mann, ein siebzigjähriger Auszügler, in dessen Familie, wie er selbst angiebt, die Behandlung von Knochenbrüchen seit Generationen erblich ist, ist kürzlich zu 8 Monaten Gefängniß und Zahlung eines Schadenersatzes von 1000 Mark verurtheilt worden, weil er einen Verunglückten derartig behandelt hat, daß ihm das Bein amputirt werden mußte, um ihn am Leben zu erhalten, welches dadurch gefährdet war, daß durch Verordnungen des Pfuschers der Brand entstanden war. Ferner hat er in zwei Fällen in der Annahme, es sei der Arm ausgerenkt, dementsprechende gewaltsame Einrenkungsversuche gemacht, den Arm gebrochen und dadurch langwierige Eiterung und Blutvergiftung hervorgerufen, bis der Tod die beiden Individuen von ihren schrecklichen Leiden befreite. Der Arm war aber in beiden Fällen faktisch nur verstaucht und nicht ausgerenkt.

Alle diese Fälle, deren man als abschreckende Beispiele noch eine ungezählte Menge beibringen könnte, liegen aktenmäßig belegt bei den Wohlfahrts-Polizeibehörden und den Gerichten aufgespeichert, wo sie bei nächster Gelegenheit, wenn die Reichsregierung sich mit dieser Frage beschäftigen wird, in Gestalt einer Enquête zusammengestellt werden.

Es ist nun die höchste Zeit, nach den nunmehr 18 Jahre lang gemachten höchst traurigen Erfahrungen in Bezug auf die Kurirfreiheit, dahin zu streben, daß diesem Uebelstande gründlich abgeholfen werde. Eine Anregung zur Lösung dieser Frage durch eine Aenderung der betreffenden Paragraphen der deutschen Gewerbeordnung ist bereits in den letzten Monaten von dem ärztlichen Bezirksverein Dresden Stadt ausgegangen, in Gestalt einer Petition, welche an Reichstag und Bundesrath im April dieses Jahres eingereicht wurde, und der sich sehr zahlreiche ärztliche Vereine aus allen Theilen Deutschlands angeschlossen haben. Dieselbe bezweckt im Großen und Ganzen, daß die gewerbsmäßige Behandlung Kranker durch Kurpfuscher mit strenger Strafe belegt werde. Es ist [415] dies ein Schritt, welcher keineswegs, wie man glauben möchte, im ausschließlichen Interesse der Aerzte unternommen worden ist. Im Gegentheil, die Aerzte nehmen durch diese Anregung die Interessen der Allgemeinheit in Schutz, und sie erfüllen dabei eine ihrer Berufspflichten; denn sie müssen den Staat bei seinen sanitätspolizeilichen Gesetzen und deren Durchführung unterstützen und ihn auf Schädigungen des Publikums in seiner Wohlfahrt und Gesundheit aufmerksam machen.

Hoffen wir, daß es diesen Bestrebungen gelingen wird, das Richtige im Interesse des leidenden Publikums herbeizuführen.