Land und Leute/Von St. Georgen bis zum Wald hinaus

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Textdaten
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Autor: Theodor Pixis
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Titel: Von St. Georgen bis zum Wald hinaus
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 348–350
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bilder aus dem Schwarzwalde.
V. Von St. Georgen bis zum Wald hinaus.

Als ich in der Nähe von St. Georgen, dessen marktfleckliches Bild dem Leser noch von Nr. 11 im Gedächtniß ist, gedankenvoll dahin und an einem alten Bauernhause vorüberschleuderte, störte meine Innerlichkeit plötzlich ein schwarzes, bänderreiches Häubchen. Unter dem Häubchen zeigte

In der Nähe von St. Georgen.
Nach der Natur aufgenommen von Theodor Pixis.

sich ein feines, jugendliches Antlitz, welches, obgleich nur einem Bauernmädchen gehörend, doch jedes städtischen Fräuleins würdig gewesen wäre. Das Gesichtchen saß auf einem zierlichen Hals, welcher seinerseits aus einem weißen Hemd hervorbrach. Hierauf folgte ein rothes, mit Goldstreifen besetztes Mieder und bauschige, kurze, schneeweiße Aermel, welche einen vollen runden Arm nur halbwegs verhüllten. Das Mädchen lehnte auf dem Rücken der Sommerbank und schaute lächelnd dem Spiel der Tauben zu, die in Sand und Gras ihr Futter zusammenlasen. Als sie meiner ansichtig wurde, wollte sie sich aufrichten, um meines Grußes gewärtig zu sein, allein ich begann sofort. „Halt, halt, edles Mädchen, ihr seid so bildmäßig gestaltet und gestellt, daß ich Euch alsbald in meiner Mappe verewigen muß. Bewahrt Eure Haltung, ich bitte Euch herzlich, nur fünf Vaterunser lang, bis ich Euch gezeichnet habe.“ Sie schien mich zu verstehen, in meinen reinen Blicken die Unschuld meiner Absicht zu lesen und legte sich ganz genau wieder über die Lehne, wie sie vorher gelegen war. Also begann ich zu zeichnen und war in kurzer Zeit mit der freundlichen Arbeit fertig. ich weiß nicht, ob es mir gelangen ist, die Anmuth dieser Gestalt so faßlich wiederzugeben, daß der Beschauer seine Freude daran haben kann, aber daß ich es nach meinen besten Kräften versucht habe, ist gewiß und unbestritten.

Während ich darauf zu Hause die flüchtige Skizze in’s Reine arbeitete, erwachte leider ein ungeregelter Schöpfungstrieb und an der Stelle, wo die Tauben gefludert hatten, entstand allmählich ein junger Mensch mit lockigem Haar, angenehmen Zügen und zierlichem Schnurrbärtchen. – Ach, welch’ ein niedliches Pärchen! dacht’ ich mir – und wenn erst ein gewandter Schriftsteller den Text dazu schreibt – was kann er da Alles daraus machen! Damals glaubte ich nämlich, es werde irgend eine ändere Kraft reicher an Phantasie als ich, die Erklärung meiner Bilder übernehmen. – jetzt dagegen, da mich diese Hoffnung getäuscht und die Ausgabe auf meine eigenen Schultern gefallen, jetzt empfinde ich eine große Verlegenheit, indem ich selbst nicht weiß, wer der Jüngling eigentlich ist. Nach der offenen Mappe, die er in den Händen hält, sollte man ihn am ehesten für einen Maler halten. Manche könnten daher meinen, ich hätte mich da selber anbringen wollen, aber ich bin weder so jung, noch, wie ich glaube, so hübsch. ich sehe jetzt leider ein, daß es viel leichter ist, in unbewußtem Triebe einen solchen Jüngling neben ein Mädchen hinzusetzen, als seine Persönlichkeit und das gegenseitige Verhältniß glaubwürdig zu erläutern, und darum ziehe ich es vor, der Goethe'schen "Lust am Fabuliren“, von welcher jedes heitere Menschenkind sein Portiönchen erhalten hat, in unseren Lesern selbst die Ausmalung der fernerweiten Schicksalsgruppirungen zu diesem Bild vom ersten Finden an völlig zu überlassen. Der Wanderstab will ohnedies jetzt weiter getragen sein. Von dem unvergeßlichen Sanct Georgen zog's mich nach Villingen, einer uralten Stadt, welche bereits außerhalb des eigentlichen Schwarzwaldes liegt. Die Berge verlieren sich, die Landschaft wird hügelig, fruchtbarer, aber minder angenehm zu beschauen. Das Städtchen hat übrigens allerlei Merkwürdigkeiten, von denen man in der Welt draußen wenig weiß. Es ist da zum Beispiel ein alter Römerthurm, ein Münster mit zwei dicken, mittelalterlichen Thürmen, gothischem Altar und gemalten Fenstern; im Waisenspital ein gothischer Kreuzgang; ein Rathhaus mit merkwürdigen Sälen, Wappen, Holzschnitzereien, Gefängnissen und Folterwerkzeugen. Ueberdies legen sich die Einwohner mit Fleiß und Geschick auf die Industrie. Man fertigt Tücher, Steingutwaaren, [349] Maschinen und namentlich auch die bekannten Uhren, Ueberdies ist man hier sehr gebildet, hält reich ausgestattete Lesezimmer, gesellige Vereine, seine Gasthäuser etc. Es that mir leid, daß meine Zeit denn doch zu Ende ging und daß ich nicht mehr Weile hatte, das anziehende Städtchen näher zu studiren. Eben deßwegen will ich aber auch nicht mehr darüber sagen.

Von Villingen zieht der Trachtenzeichner gewöhnlich nach Schwenningen hinauf, einem großen Dorfe, das schon im Königreich Würtemberg,

In Rottweil
Nach der Natur aufgenommen von Theodor Pixis.

nicht weit von der Quelle des Neckar gelegen ist. Auch hier viele Betriebsamkeit und allerlei Fabriken. Freundlich aufgenommen und verpflegt habe ich da manches Bildchen gezeichnet, was ich aber nicht darbieten will, da ich wohl schon zu viel Raum in Anspruch genommen habe. Doch will ich nicht verschweigen, daß die Mädchen ein schwarzes, enges Käppchen tragen, das einen großen Theil der Stirn bedeckt. Mieder, Jäckchen und der kurze Rock - auch sie sind schwarz; hochroth dagegen die Strümpfe. Ein hochrother Strumpf ist immerdar ein prachtvoller Anblick und hat mein Herz jeder Zeit erfreut, ob er mir nun zu Meran, im Montavon oder in Schwenningen entgegen getreten ist. Uebrigens trifft man hier viele schlanke, schöngebaute Gestalten, und der Anblick eines Kirchgangs an einem sonnigen Sonntag, wie er mir zu Theil wurde, ist eine beneidenswerthe Augenweide.

Von Schwenningen wandelte ich nach der Stadt Rottweil, welche, mehr berühmt als groß, in einer sehr schönen Gegend liegt. Sie bedeckt eine ziemlich steile Anhöhe am Neckar, der hier noch sehr jung ist, und zählt viele Denkmäler ihrer einstigen Bedeutung. Hier in dieser weiland freien Reichsstadt ward ja des heiligen römischen Reiches kaiserliches Hofgericht aufgeschlagen, und der steinerne Stuhl, auf dem der Hofrichter öffentlich zu Gerichte saß, steht noch unter den alten Linden im Garten des Waisenhauses. Der herrliche Bau der Stadtpfarrkirche schaut weit in's schwäbische Land hinaus. Viele sachkundige Reisende zieht auch der thracische Sänger Orpheus an, ein schönes Mosaik, welches weiland die hier angesiedelten Römer hinterlassen haben. Ein wahrer Genuß ist es, durch die erkerreichen Straßen der Stadt zu schlendern und die mannigfaltige. Bauart der alten Häuser zu betrachten. Stattliche Brunnen erquicken den durstigen Wanderer - eine etwas naive Phrase, da der durstige Wanderer viel lieber in’s Wirthshaus geht, als an den Brunnen. Auch sonst ließe sich noch viel Erhebliches sagen, was ich aber gelehrteren Touristen überlasten will.

In der Nachbarschaft ist auch die Tracht sehr niedlich, und ein hübsches Landmädchen, das eben am Stadtbrunnen stand, habe ich allsogleich aufgenommen und theile es hier bereitwillig mit. Leider war die Jungfrau in der Natur viel schlanker als auf dem Bilde, oder vielmehr: leider ist sie auf dem Bilde viel untersetzter ausgefallen, als sie in Wirklichkeit war. Vielleicht drücken auch die hohen Gebäude der Nachbarschaft etwas auf ihren Wuchs. Ihr gegenüber steht wieder ein junger Mensch, welcher aus ihrem Kruge trinkt. Soll's etwa doch ein „durstiger Wanderer“ sein, deren Vorkommen am öffentlichen Brunnen ich oben selbst als sehr unwahrscheinlich bezeichnen mußte? – Meine Verlegenheiten beginnen schon wieder. Wenn mich der geneigte Leser sehen könnte, wie ich dieses schreibe, so würde er schon die ersten Schweißtropfen auf meiner Stirn bemerken. Es ist ein Elend, daß ich mir die jungen Leute nicht anders als paarweise denken kann, daß ich neben ein Landmädchen – fast unwillkürlich – immer einen jungen gefühlvollen Menschen aus der Stadt hinzeichnen muß. Was wird aber das Publicum sagen, wenn ich in Bildern, die auf Wahrheit Anspruch machen, hartnäckig Menschen zeichne, von denen ich selbst nicht weiß, wer sie sind? Indessen – zu geschehenen Dingen muß man das Beste sagen. Ich könnte eben so gut behaupten, daß der junge Mann ganz und gar an seinem Platze sei und eine sonst sehr empfindliche Lücke ausfülle. An und für sich hat die Situation auch nichts Unnatürliches, nicht einmal etwas Ungewöhnliches. Es ist seit Elieser's und Rebekkas Zeiten (I. Mose 24) schon öfter vorgekommen, daß ein junges Mädchen einem Mannsbild zu trinken gab, und hier geschieht es eben auch. Insofern wäre mein Holzschnitt allerdings noch zu halten, aber ich gelobe aufrichtig, keine Bilder mehr zu zeichnen, die der Exegese so unüberwindliche Schwierigkeiten bieten.

Ehe ich jedoch die Feder niederlege, welche diese Textstücke mit stillem Vergnügen gesündigt, muß ich’s wie der Wanderer [350] machen, der aus einem schönen Thal auf einen Berg gestiegen. er dreht sich um, setzt sich, nach Umständen, nieder und betrachtet mit Behagen Alles, was erst so glücklich hinter ihn kam und nun so freundlich vor ihm liegt. Nur trifft bei mir gerade das Umgekehrte zu, denn ich bin aus dem Schwarzwald eine gute Strecke heraus und denke, nun schon etwas herabgekommen, mit dem Gefühl billigen Dankes an das lebensvolle Bergrevier mit all seiner Kurzweil und Nutzbarkeit zurück.

Der Schwarzwald! Man braucht just kein Schwabe zu sein, auch sonst ein redlich deutsches Gemüt versäumt die Gelegenheit nicht, sich das Herz aufgehen zu lassen, wenn es sich in eins der Thäler zurückversetzt, wie das der Murg, des Gutach, das Simonswalder, oder vor die Wasserfälle von Allerheiligen und von Triberg, oder an die Bergwände mit dem Laubwaldgrün, an die germanisch begeisternden Eichenhaine und an die dunklen Christbaumwälder der Tannen und Föhren, deren Massenfarbe dem Wald seinen Namen gegeben.

Und hält nicht selbst der Geist noch einmal so leicht solche Wanderfahrt durch die fröhlich durchmessenen Herrlichkeiten, weil selten ein schlechter Weg üble Erinnerungen hervorruft und im ganzen badischen Land dem Mann, welcher sich einen Wagen zulegen kann, nirgends eine Chausseegelderhebestelle eine störende Empfindung verursacht? – Wär's auch, daß den Wanderer hie und da ein Glas Bier weniger angemuthet, so hat ihn sicherlich zu Hornberg und Lichtental Gambrinus wieder mit seinem Reich versöhnt; dagegen ist ihm reiner Wein, d. h. Landwein, überall eingeschenkt worden, besonders da, wo die köstlichen Bachforellen ihn daran gemahnten, daß der Fisch schwimmen will. Und wie könnte ein Theil des Waldvolks katholisch sein und nicht für treffliche Mehl- und Eierspeisen und sonstige Fastenerquickung die fromme Uebung bewähren? Es wird hart halten, der Erinnerung etwas vorzuführen, von dem man sich mit Reue über vergeblich todtgeschlagene Zeit abwenden müßte.

Nur eine Bemerkung machte mir um einen großen Theil der eigentlichen Waldbevölkerung Sorge, und ist sie auch schon von befähigteren Männern ausgesprochen, so erachte ich dies nicht für einen Grund, daß ich gerade in der Gartenlaube darüber schweigen soll. Wie oft bemerkt, finden in vielen Thälern und einsamen Walddörfern zahlreiche Familien ihr ausgiebig Stück Brod in der Wanduhrmacherei. Selbst die kleinen Finger der Kinder erhalten dadurch eine nutzbare Beschäftigung, weil die Theilung der Arbeit auch bei der Herstellung der weltberühmten "Schwarzwälder“ von der lieben Notwendigkeit längst eingeführt ist. Solche Industrie kann nur unter dem Schutz des Waldes blühen, wo das Leben billig und das Holz nicht theuer ist. In den Städtchen des Landes mag man sich höher versteigen, wie z. B. von der Kuckucksuhr bis zur Drehorgel hinauf, die in fremde Länder geht, wo sie die Virtuosen der Messen und Jahrmarkte vermehrt, oder wo der Russe nach ihr tanzt und Thee dazu trinkt. Aber die ehrwürdige Pendeluhr, welche des deutschen Bauern Stubenecke ziert, vermag preiswürdig nur der Mann im Walde zu liefern Und eben deswegen ist es mir ein betrübender Anblick gewesen, daß mit beträchtlichem Schweiß so viele ehemalige Waldflächen ihrer sämmtlichen Baumwurzeln beraubt werden, um den Boden zum Kartoffel- und Getreidetragen zu zwingen. Jeder neue Kartoffelacker wird aber in der Zukunft nimmermehr so viel Nahrung und Nothdurft befriedigen, als er durch das Holz, das er für die Handindustrie lieferte, einst sichere Einnahme brachte, und das Mißverhältniß zwischen Menschenzahl und Nahrung wird wachsen, bis die unentbehrlichen Hölzer zu theuer für den gewohnten Erwerb und die Kartoffeln doch nicht billiger sein werden. Das ist's, was mich mit Besorgniß für einen großen und jetzt noch so leidlich zufriedenen Theil des Waldvolks im Schwarzwalde erfüllt und weßhalb auch ihnen der Zuruf gebührt, der doch hie und da jetzt mehr als sonst mit Nachachtung gehört wird "Schonet eure Wälder!“

Und nun lege ich meine Feder nieder, die ich nicht ohne Bescheidenheit geführt zu haben glaube. Ich stellte mir, wie schon Eingangs ansgesprochen, keine andere Aufgabe, als dem Bildchen einige erklärende Worte beizugeben, und diese Erklärungen wieder durch einen leichten Reisefaden mit einander zu verbinden. Wenn ich das verehrliche Publicum behelligen wollte, so hätte ich freilich noch allerlei kleine Auftritte, harmlose Abenteuer, unschuldige Schäkereien mit Schwarzwäldern und Schwarzwälderinnen zu erzählen. Manches könnte sich vielleicht sehr pikant machen, allein es ist doch am Ende bester, hier zu schließen, als dem Leser ein Interesse für kleine persönliche Erlebnisse zuzutrauen, die in unsrer großen Zeit ja ganz und gar verschwinden.