Lesen und Vorlesen

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Autor: L. B.
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Titel: Lesen und Vorlesen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 654–656
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Lesen und Vorlesen.

In diesen geschätzten Blättern erfreuen den Leser fortwährend die gediegensten Aufsätze hinsichtlich der physischen Pflege des Körpers und zwar mit besonderer Bezugnahme auf die Entwicklung des jugendlichen Organismus. Es sei uns vergönnt, diesen Ermahnungen und Rathschlägen, insofern sie sich speciell auf die weibliche Jugend beziehen, einige Worte hinzuzufügen, welche eine Seite des geistigen Lebens der weiblichen Kindheit in Betrachtung ziehen möchten, die nur zu häufig vernachlässigt wird. – Der Physiologe hat bei seinen Rathschlägen über vernunftgemäße Entwicklung des Körpers doch wohl vornehmlich das wichtigere Resultat im Auge, es möge sich in dem gesunden Körper auch ein gesunder, kräftiger Geist entwickeln, ja, er betrachtet gewiß das Letztere als die eigentliche Erfüllung und den Lohn für die Sorgfalt, die dem Ersteren zu Theil wird.

Nun möchten wir aber in aller Bescheidenheit hier daran erinnern, daß es dazu mit dem Turnen, kalten Waschen und Spazierengehen lange nicht allein gethan ist. Diese praktischen Bedingungen bei ihren Töchtern zu erfüllen, dazu zeigen sich die meisten Mütter willfährig genug, und viele setzen eine Art von Stolz hinein, ihre kräftigen, wohlgenährten Töchter zu produciren. Man befolgt gewissenhaft die Vorschriften des Lehrers der Gymnastik, die jungen Mädchen gehen bei Wind und Wetter spazieren, sie tragen Hals und Arme im Winter und Sommer entblößt, und zarten Constitutionen wird mit Eiern, kräftigen Fleischspeisen und nahrhaften Brühen bestens nachgeholfen. Wir tadeln dies gewiß nicht, aber wenn man dann auch nur die Seele gleichfalls so sorgfältig hüten, den Geist so kräftig zu ernähren trachten wollte. – Wenn sich unsere blonden und braunen Thusnelden, die künftigen Mütter einer starken Generation, physisch gut entwickeln, so dürfen wir gewiß einmal fragen, ob sie auch so gesund, klar und wahr denken, empfinden und reden, als ihr Aeußeres zu versprechen scheint. Wohnt in dem gesunden Körper auch wirklich die gesunde, freie Seele?

Wenn dem immer so wäre, woher kämen denn stets noch die vielen krankhaft gereizten, hysterischen Frauennaturen, woher so viel Verschrobenheit und Phantasterei, wo man mit Recht gesunde Vernunft, eine frische Lebensauffassung und vor allen Dingen nicht bis in ein respectables Alter das ewige Schmachten und Sehnen, das unbefriedigte Zagen und Bangen einer schwächlichen Seele zu finden erwarten dürfte? Uns über alle Mängel in der geistigen Pflege der Psyche zu verbreiten, würde hier viel zu weit führen, nur einen Wurm möchten wir einmal öffentlich bekämpfen, der gefährlich genug über diese frischen Blüthen hinkriecht, und sie oft schon mit sich und dem Leben entzweit, ehe sie nur noch dessen Ernst kennen gelernt haben, der sie Anforderungen und Ansprüche an das gewöhnliche Menschenloos stellen läßt, welchen dieses nur in den seltensten Fällen entspricht, und der endlich den Schmelz reiner und keuscher Weiblichkeit viel öfter, als man es denkt, bereits in der Knospe erstickt. Dieser Wurm ist die verfrühte und wahllose Lectüre von Büchern, die, oft für Erwachsene noch zu schlecht und verderblich, in der Hand der Jugend und des Kindes geradezu Gift sind.

Es ist eine merkwürdige, aber thatsächliche Erscheinung, daß oft die nämlichen Eltern, welche auf die physische Pflege ihrer Tochter jede erdenkliche Sorgfalt verwenden, sich um deren geistige und gemüthliche Entfaltung kaum bekümmern. Wenn sie nur hübsch und gesund ist, wenn ihre äußere Erscheinung ihr nur bald zu einer guten Partie verhilft, dann mag es um das Innere bestellt sein, wie es wolle. – Man sehe sich in seinem eigenen Bekanntenkreise um, man erinnere sich an die frühere Geschichte so mancher Jugendfreundin, und man wird es ganz natürlich finden, daß nur zu häufig diese kräftigen Knospen trotz ihres frischen Aussehens schon innerlich angesteckt und verkrüppelt sind, ehe sie nur in das Leben hinaustreten. Unendlich wenig Mütter kümmern sich darum, wie ihre heranwachsenden Töchter ihre freie Zeit ausfüllen. Wenn die Kleine nur ihre Schularbeiten gemacht, tüchtig geturnt und Clavier gespielt, vielleicht auch im günstigen Fall eine Aufgabe an einer Handarbeit vollendet hat, dann mag sie thun, was sie will. Nur zu oft bedient das Mädchen sich dann seiner Freiheit, um sich von dem Toiletten- oder Schreibtisch der Mama den ersten besten Roman zu holen, sich damit in eine entfernte Ecke zurückzuziehen und dessen Inhalt mit großem Wohlbehagen zu verschlingen.

Die Kinder sind darum nicht zu tadeln, es ist ein großes Vergnügen für ein gewecktes, phantasievolles Mädchen, sich in diese poetische Welt voll ungekanntem Schmerz und leise geahntem Glück hinein zu leben und hinein zu dämmern, aber leider genießen es nur die Wenigsten ungestraft. Dennoch ist es eine schwere, oft verzweifelte Aufgabe der Eltern, das Schädliche dieser Lectüre klar zu machen; selbst ganz gescheidte Leute sind in dieser Beziehung unzugänglich. Es ist ihnen zu unbequem, sich fortlaufend darum zu bekümmern, was ihr Kind treibt, und so mögen sie es nicht begreifen, [655] welch ungeheuerer Schaden dem Mädchen aus der hastigen, ungeregelten Lectüre erwächst, die seine Phantasie unnatürlich früh erregt und die Entwicklung des gesunden Verstandes in jedem Falle hemmt. Ganz gewiß läßt sich mindestens die Hälfte weiblicher Verschrobenheit und Verkehrtheit auf das vorzeitige Lesen von Romanen und sonstigen ungeeigneten Büchern zurückführen. Man hütet seine Kinder vor schlechter Gesellschaft, aber mit unbegreiflicher Gedankenlosigkeit läßt man sie oft Jahre lang unbewacht in der noch verderblicheren Gesellschaft von unpassenden Büchern, welche dem Papa und der Mama wohl nichts mehr schaden, aber die Reinheit einer jugendlichen, Seele auf immer untergraben können. Die meisten Mütter sind sich, wie in vielen andern Dingen auch, zwar oft dunkel bewußt, daß sie es verhüten sollten, aber einestheils sind sie zu schwach, den Bitten des Töchterchens um Mamachens Buch zu widerstehen, und sie trösten sich und besorgte Warner mit dem trefflichen Argument: „Ach, das Kind versteht es ja noch gar nicht, was es liest!“ Ausgezeichnet, wozu liest es dann die Dinge überhaupt? und wird es aus diese Weise nicht ganz gewiß bald verstehen lernen, was es noch gar nicht wissen sollte? Zweitens sind sie zu bequem, dem leselustigen Mädchen für eine passende Lectüre zu sorgen, und lassen es lieber unbesprochen hingehen, wenn sie, ohne lange zu fragen, die ungehörigen Bücher zur Hand nimmt. Drittens sind sie auch oft so gedankenlos und zerstreut, es gar nicht zu bemerken, wo ihr Buch des Tages über hinkommt und wer es mit ihnen liest.

Es brauchen dies nun noch keineswegs frivole oder unsittliche Bücher zu sein, kein Roman, vielleicht der einzige Walter Scott ausgenommen, taugt für das Aller von 12–16 Jahren. Die erste unausbleibliche Folge der Romanlectüre in diesem Alter ist vor allen Dingen diese, daß sie jedes ernstere geistige Streben, jede Anstrengung, die Nachdenken erfordert, dem Mädchen verleidet. Die Wenigsten wollen dann noch ernstlich lernen, wenn sie die Süßigkeit geschmeckt haben, mit unglücklich liebenden Heldinnen zu weinen und mit glücklichen Bräuten zu schwärmen. Dies mag uns Jedermann auf’s Wort glauben: aus allen Romanen, selbst wenn es die strengsittlichen und mit genug hausbackener Weisheit verbrämten Werke deutscher und schwedischer Schriftstellerinnen sind, oder das Product einer puritanischen englischen Feder, die Vierzehnjährige liest mit Interesse nur die Liebesverhältnisse und Liebesscenen heraus; alles Uebrige, sei es auch noch so moralisch und lehrreich, geht spurlos an ihrem unreifen, noch unempfänglichen Verständniß vorüber. Was nun die für die Jugend vielgepriesenen Geschichtsromane betrifft, so möchten wir hier an den Ausspruch von Michelet erinnern: „Meine Tochter wird, ehe sie vollständig erzogen ist, nie einen Geschichtsroman lesen, weil dadurch nur der Geschmack für wirkliche Geschichte verloren geht!“ Das ist ein wahres, tüchtiges Wort, und wenn wir oben Walter Scott ausnahmen, so geschah dies nur, weil Mädchen, die im zarten Alter W. Scott gerne lesen, es wohl auch ungestraft thun dürfen. Die modernen deutschen Geschichtsromane hingegen, welche gegenwärtig fast jedes Haus überfluthen, die sollten in den Händen von jungen Leuten nie gefunden werden. Wenn die Alten daraus eine verkehrte und entstellte Geschichtsbelehrung schöpfen wollen, so mögen sie sich diese unschuldige Unterhaltung gönnen, die Jugend aber sollte man um Gotteswillen davor behüten. Durch solche und ähnliche Werke wird das wahre Verständniß, der wahre Sinn für Geschichte mir erstickt, nicht gefördert und so das Mädchen schon in früher Jugend um ein geistiges Gut betrogen, aus dem sie in reiferen Jahren unendlichen Genuß schöpfen könnte.

Fast ebenso verhält es sich mit den classischen Producten unserer Literatur. Mit nur wenigen Ausnahmen gehören sie nicht in die Hand unreifer Kinder; auch hier lesen sie nicht das Schöne, nur das Unterhaltende und Leidenschaftliche heraus. „Wie sollen wir es aber machen,“ klagen manche Mütter, „die lesewüthigen Mädchen von den Büchern zurückzuhalten, die sich denn doch einmal in dem Hause befinden?“ Man thut gewiß am besten, wenn man in diesem Falle an den eignen Verstand und an das Ehrgefühl der jungen Mädchen appellirt. Wir haben eine vortreffliche Mutter gekannt, in deren kleiner Bibliothek sich nichts Geringeres als Schiller und Goethe befand. Sie sagte ihrer vierzehnjährigen, phantasievollen und von Lesewuth entbrannten Tochter nur das Eine: „Diese Bücher taugen noch nichts für Dich, mein Kind, ich wünsche, daß Du dieselben erst kennen lernst, wenn Du sie auch verstehst und wahren Genuß davon haben kannst. Ich schließe sie nicht weg, aber ich verlasse mich darauf, daß Du weder diese Bücher, noch ein anderes in die Hand nimmst, welches ich Dir nicht erlaube!“ Die Bücher blieben unberührter, als wenn sie hinter Schloß und Riegel gelegen hätten. Daß diese nämliche Frau sich zugleich bemühte, der Tochter für eine passende Lectüre zu sorgen, versteht sich von selbst, und zwar war dies zu einer Zeit, wo man mit guten populären Schriften, interessanten Reisebeschreibungen und faßlichen Geschichtswerken noch nicht so wohl versorgt war, als heutigen Tages.

Als ihr Kind das 18–19. Jahr erreicht hatte, da ließ sie derselben die Wahl ihrer Lectüre unbekümmert frei; sie konnte es ruhig thun, denn das Frivole war dieser nun von selbst zuwider, und ihr einfacher, gebildeter Geschmack verwarf das Unwahre und Unpassende aus eigner Machtvollkommenheit. Die Zahl der Mütter, welche so vernünftig handeln, ist leider nicht groß, vielleicht gelingt es diesem schlichten Wort, manche derselben auf die Gefahr aufmerksam zu machen, vor der sie mit ein wenig Achtsamkeit und Strenge ihr Kind so wohl behüten könnten. Die leichteste und angenehmste Art dies zu thun wäre es gewiß, wenn sie selbst recht viel mit den heranwachsenden Töchtern Bücher lesen wollte, die ihnen ersprießlich sind. Dieser Vorschlag erinnert uns zugleich an einen andern Mangel der weiblichen Bildung, der sich oft sehr störend geltend macht und um so auffallender hervortritt, je mehr eine junge Dame anscheinend wohl erzogen ist. Warum giebt es so wenig Frauen und Mädchen, welche angenehm, fließend und ausdrucksvoll vorlesen? Eine der angenehmsten Gaben für den Familien- oder Freundeskreis findet sich nur selten ausgebildet, während fast jedes junge Mädchen Clavier spielen oder singen kann. Es wäre doch viel natürlicher, daß man erst sprechen lernte, ehe man singt, abgesehen davon, daß für einen wirklich ausdrucksvollen Gesang dies die erste Vorbedingung ist. Dennoch giebt es unter einem Dutzend jüngerer und älterer Damen oft kaum Eine, die eine Seite ruhig, unbefangen und mit der richtigen Betonung herunterlesen kann, ohne entweder anzustoßen oder affectirt zu sein. Erröthend reicht man das Buch der Nachbarin, die es kaum besser macht. Uns däucht, gut, d. h. verständlich und ungenirt vorlesen zu können, sei bei einem gebildeten Menschen eben so unerläßlich als richtig zu sprechen. Die fehlende Uebung ist wohl in der Regel die Hauptursache dieses Mangels, nicht minder der Umstand, daß die jungen Leute eben darum zu selten gut vorlesen hören. Die Lesekränzchen, wo mit vertheilten Rollen gelesen wird, helfen dem Uebel nur wenig ab. Erst muß man fließend Prosa vorlesen können, ehe man sich an die gebundene Sprache wagt, und die Meisten lernen dort nicht mit Geschmack lesen, sondern nur declamiren. Ueber die Art dieser Declamation, über das falsche Pathos, das dabei gewöhnlich in Anwendung kommt, breite sich schweigend die Decke der Duldung. Wir wollen nur daran erinnern, daß für das Ganze durch diese Leseübungen wenig gewonnen wird. Die Hauptrollen fallen schließlich doch immer, und zwar mit dem größten Recht, an die zwei oder drei guten Leser, welche in der Regel den Kern dieser Vereinigungen bilden.

Eine weit zweckmäßigere Uebung für die jungen Mädchen würde es sein, wenn die Mutter sie an gemüthlichen Winterabenden im traulichen Wohnzimmer um sich versammelte und sie dann der Reihe nach ein gutes Buch laut vorlesen müßten und der Vater oder die Mutter ihnen auch einmal ihrerseits ein Gedicht oder eine Stelle aus einem Drama mit dem richtigen Ausdruck vortrügen. Da darf im Interesse der erwachsenen Mädchen auch schon einmal ein Roman mit unterlaufen; in solcher Weise gehört, von erklärenden Bemerkungen und Gesprächen begleitet, schadet er auch der Vierzehnjährigen nichts. So lange es aber die meisten Frauen vorziehen, ihre Abende in Thee- und Kaffeekränzchen zuzubringen, statt einen so reinen und beglückenden Genuß zu suchen, werden die Töchterchen in einer Ecke kauern und die ungestörte Ruhe dazu benutzen, mit fliegender Hast und fieberheißen Wangen die Romane zu verschlingen, deren sie habhaft werden können, werden aber stottern und stammeln und sich scheu zurückziehen, wenn sie drei zusammenhängende Zeilen laut vorlesen sollen. Gut zu lesen ist ein schönes, herrliches Talent und verdient gewiß nicht weniger Pflege als die Musik, verdient sie um so mehr, als sich bis zu einem gewissen Grade jeder Gebildete diesen Vorzug aneignen kann. Die größere geistige Empfänglichkeit, die Fülle und Biegsamkeit des Organs werden natürlich auch hierin, wie bei jedem andern Talent, die größere oder geringere Leistungsfähigkeit bestimmen.

[656] In früherer Zeit, als Gesang und Clavier noch nicht in der Gesellschaft jede andere Unterhaltung absorbirten, war es vielfach Sitte, daß Frauen und selbst jungen Mädchen in gemischter Gesellschaft Gedichte declamirten. Es war dies in der sogenannten sentimentalen Epoche, als die neuerwachte Dichtkunst anfing ihren Triumphzug durch Deutschland zu halten, wo Matthisson, Klopstock, Hölty und Schiller mit hingebender Andacht zwischen Tassen- und Gläsergeklirr von den rosigen Lippen flossen. Wir würden es jetzt äußerst komisch finden, wenn eine junge Dame im Ballkleid sich hinstellte und Angesichts von Damen und Herren ein sentimentales Gedicht vortrüge. Aber welch grenzenlos dumme und unpassende Worte werden gegenwärtig von jungen Herren und Damen zusammen gesungen, und war die Idee nicht hübsch, bei einer geselligen Vereinigung die Poesie eben so wohl zu berücksichtigen, als ihre Himmelsschwester? Eine solche Wiedervereinigung im Sinne eines ernsten, gediegnen Geschmacks würde wahrlich auch unsern heutigen Gesellschaften nicht zum Schaden gereichen; warum sollte das schöne Talent des Vorlesens sich nicht eben so wohl geltend machen dürfen, als das Talent des Vorschreiens? Denn nicht Alles ist gesungen, was sich so nennt. Dann sollten aber auch unsere jungen Damen und Herren vor allen Dingen im Stande sein, nicht etwa ein vorher einstudirtes Gedicht, denn darin liegt oft das Gemachte und Affectirte, vorzutragen, sondern sie müßten richtig und unbefangen aus jedem Buche vorlesen können, das ihnen gereicht würde.

In der Schule lernen wir die Buchstaben kennen, in der Familie sollten wir mit Geschmack lesen und vorlesen lernen, wie wir es überhaupt nur dort erringen können, das, was der Unterricht uns gab, mit Geschmack und Grazie auf das Leben anzuwenden. Ganz gewiß aber sollte der Familienkreis die schützende Schranke sein, innerhalb deren das weibliche Geschlecht nicht nur physisch entwickelt, nicht nur vor schlechter Gesellschaft bewahrt, sondern vor den noch schädlicheren Einflüssen einer unpassenden Lectüre behütet wird. Dann erst wird auch eine gesunde Seele in dem gesunden Körper wohnen! –

L. B.