Lincoln oder McClellan?
Landsleute und Mitbürger!
Die Präsidentenwahl der Vereinigten Staaten nahet mit raschen Schritten, und es ist hohe Zeit, daß sich jeder Bürger entscheide, für wen er stimmen will, und gewissenhaft überlege, für wen er stimmen sollte. Es ist unwürdig und feige, zurückzubleiben, und bei einer so wichtigen Wahl, in der Alles auf dem Spiele steht, das Recht zu stimmen wegzuwerfen; es ist unpatriotisch, den politischen Castraten zu spielen. Die ganze politische Existenz dieses Landes, dessen Bürger wir durch den Willen unseres Mannesalters und nicht durch den Zufall der Geburt geworden sind, beruht auf der freien Wahl, und wer das Recht hat zu stimmen, hat auch die Pflicht zu stimmen. Wenn der besonnene und tüchtige Bürger vom Wahlplatze wegbleibt, so kann er sicher darauf rechnen, daß der feile Bürger und der, welcher gar kein Stimmrecht hat, auf demselben erscheinen werden.
Die große Mehrzahl der Deutschen, die nach Amerika kommen, sind Demokraten im wahren Sinne des Wortes, und da sich eine große Partei dieses Landes seit Jahren die demokratische genannt hat, so lassen sich viele Deutsche irre führen. Der Haufe, welcher zu Chicago Generalmajor McClellan für die Präsidentschaft ernannt hat, nennt sich auch „die demokratische Partei.“ Was für Leute bildeten diesen bunten Haufen? Erstens bestand ein großer Theil aus alten Knownothings. Sie bekannten sich offen als solche. Wollt Ihr Deutsche mit diesen Leuten stimmen, deren einziges Prinzip ist, die Thüre dieses weiten Continentes, nachdem ihre Väter von Europa eingezogen sind, Euch vor der Nase zuzuschließen, oder, da Ihr nun einmal hier seid, Euch des Bürgerrechtes zu berauben? Wollt Ihr mit denen stimmen, die, wie ihre Freunde, die Rebellen, Euch mit Infamie überhäufen, und von Euch reden, als wenn Ihr der Abschaum der Erde wäret? Die Knownothings arbeiten im Geheimen. Sie haben Logen und sind eine geheime Gesellschaft. Ist das demokratisch in einem freien Lande? Freiheit besteht vor Allem auf Oeffentlichkeit.
[2] Ein anderer Theil der Chicagoer Versammlung waren Leute, welche die sogenannten Staaten-Rechte über Alles setzen, die offen heraus sagen, daß der Amerikaner kein Vaterland hat, und der Einzel-Staat über dem Lande steht; daß jeder Staat das Recht hat, sich loszureißen und ein eignes Reich zu bilden; daß wir demnach kein Recht haben, einen solchen Staat zu zwingen, in der Union zu bleiben. Sie sind unwahr, und sie wissen, daß sie unwahr sind. Was hätten dieselben Leute gethan, wenn Ohio oder Massachusetts sich plötzlich losgerissen und zu einer Monarchie erklärt hätte? Was sagen in diesem Augenblicke die Regenten in Richmond von den Männern in Nord-Carolina, die eine Ausscheidung ihres Staates von der sogenannten Conföderation wünschen? Sie nennen sie Rebellen. Wie kommt es, daß bis zu diesem Tage Leute aus Missouri und Kentucky im Congreß zu Richmond sitzen? Sind ihre Staaten je abgefallen? Sie sitzen da, weil Missouri und Kentucky Sklaven haben oder hatten. Sklaverei ist also für diese Feinde der Union das Prinzip der Vereinigung des Landes, aber Staatssouveränität ist nicht das Prinzip des Rechtes, abzufallen. Warum gingen alle diese Herren für General Jackson, als der alte Held Süd-Carolina bedrohte, es mit Waffengewalt in der Union zu halten? Und ist diese Lehre von der Staatssouveränität demokratisch? Ich schäme mich fast, Deutschen diese Frage vorzulegen. Die Demokratie ist immer und in allen Ländern für die Einheit des Vaterlandes gewesen, – für das ganze Land, einer großen Nation würdig. Alle Pumpernickel-Reiche, all’ die kleinen „Raubstaaten,“ wie man sie jetzt in Deutschland nennt, sind immer der Demokratie ein Ekel und ein Gräuel gewesen.
Allerdings hat jeder Staat in Amerika seine Rechte, und muß sie haben; aber so hat jeder einzelne seine Rechte. Ja, die Menschenrechte, die in einem freien Lande jeder Mann für sich behält, sind weit wichtiger und machen eine größere Summe aus, als die Staaten-Rechte, aber der Einzelne ist deswegen kein Souverän. Wißt Ihr, daß das Wort Souveränität auch nicht ein einziges Mal in der großen Verfassung der Vereinigten Staaten vorkommt? Das Wort Souveränität wurde erst später eingeschmuggelt. Wer denn ist Souverän in Amerika, wenn es nicht die Staaten sind? – Niemand. Kein Mensch, keine Corporation, kein Congreß, kein Beamter, Niemand ist souverän in einem freien Lande. Die Vereinigten Staaten sind souverän jedem andern souveränen Staate gegenüber. Wir sind souverän, wenn wir mit England oder Frankreich verhandeln, oder wenn wir Krieg führen, aber im Lande selbst ist Niemand souverän.
Dies ist keine neue Theorie, oder überhaupt eine Theorie. Es ist eine Thatsache. Als vor zweihundert Jahren die berühmte Bill of Rights im englischen Parlamente debattirt wurde, erklärte der größte Jurist Englands, daß das englische Recht den Ausdruck souverän nicht kenne. Niemand sei souverän in England. Er that es, weil die vertriebene Dynastie fortwährend von der souveränen Königsgewalt sprach.
Aber ist es nöthig, mit Deutschen über diese Kleinstädterei zu reden? Staatssouveränität fürwahr! Haben wir nicht genug von dieser Waare im alten Vaterlande? Wenn ein Deutscher ein Ragout von Staaten wünscht, so braucht er wahrlich nicht nach Amerika zu kommen. Hat er nicht souveräne Staaten und Stäätlein genug zu Hause?
Was sind die höchsten Ideen, die den Deutschen in Deutschland beleben? Es ist Einheit Deutschlands und Bürgerfreiheit; und hier soll er eine Stimme für Leute geben, welche die Zerstückelung des Landes und Sklaverei befördern?
Deutsche Arbeiter! Warum habt Ihr Eure Heimath, Eure Familien, Eure Jugendfreunde verlassen, um nach dem fernen Amerika zu wandern? – Weil Ihr gehört hattet, daß die Vereinigten Staaten ein Land seien, in dem Ihr und Eure Kinder alle Rechte eines freien Bürgers besitzen würdet, wo Geschick und [3] Fleiß ihren Lohn findet, und wo Euern Kindern kein Privilegium eines andern im Wege steht, das höchste Ziel zu erreichen. Nun denn, wollt Ihr, daß die Union nicht ein Land der schmählichsten Unterdrückung für den Arbeiter werde, viel schlimmer als die bedrückten Länder Europa’s, so schließt Euch nicht der unheilvollen Partei an, welche den Landeigenthümern des Südens die Herrschaft über die Union in die Hände geben will.
Wißt Ihr auch, was diese Sklavenhalter-Aristokratie will? – Ihr glaubt vielleicht, sie kämpfe nur für den Besitz ihrer Sklaven? Die Sklavenhalter des Südens kämpfen für das alte Privilegium der Landbesitzer, den Arbeiter, sei er weiß oder schwarz, zum Werkzeuge seiner Macht, seines Genusses und seiner Arroganz zu machen. Der Arbeiter soll die ganze Last des Staates tragen, aber keine Rechte in demselben haben. Er soll gehorchen, der Reiche allein soll herrschen. Hört, was die Führer der Secession sagen:
„Kein Staat kann bestehen, in dem die Arbeiterklasse politische Rechte hat. Die Besitzer des Bodens und des Capitals müssen allein regieren und die Herren der Arbeitskräfte sein;“
und – prägt es Euch ein:
„Das Capital hat ein inwohnendes Recht, Arbeit (das heißt den Arbeiter) als Eigenthum zu besitzen.“
Wollt Ihr, daß eine solche Herrschaft über Euch errichtet werde, so stimmt für McClellan. Wollt Ihr gleichberechtigte Bürger eines freien Landes bleiben, so stimmt für Lincoln, der war, was Ihr seid, ein ehrlicher Arbeiter.
Ein anderer Theil der Convention zu Chicago bestand aus denen, die zu glauben scheinen, daß Alles abgemacht ist, wenn man nur aus vollem Halse schreit: „Constitution! Constitution!“
Wir kennen die Constitution so gut wie jene Herren, und achten sie höher wie uns scheint; denn es ist wohl zu bemerken, daß die sogenannte demokratische Partei in den letzten Jahren immer die Constitution bei Seite gesetzt hat, wenn es ihr Vortheil zu bringen schien. War die Nullification etwa constitutionell? War es constitutionell, wenn Douglas kurz vor der letzten Präsidentenwahl dem Süden[1] versprach, für ein Gesetz zu stimmen, nach welchem jede Discussion der Sklaverei mit schwerer Strafe belegt werden sollte? War es constitutionell, daß zwanzig Jahre lang und vielleicht mehr, die Briefsäcke im Süden aufgerissen wurden, um zu sehen, ob nicht Abolitionssachen darin seien? War es constitutionell, daß man das Recht der Petition verweigerte? Ist Secession constitutionell? Ist es der Constitution gemäß, daß die Chicago Leute behaupten, der Präsident habe das Recht und die Pflicht, einen Staat zu entlassen, wenn dieser es fordert? Ist es constitutionell, zu behaupten, daß Secession zu den „reservirten Rechten der Staaten“ gehöre? Ist es constitutionell, zu proklamiren, daß unser ganzes Staatengebäude nur für eine Klasse von Menschen bestehe, – eine Classe, die durch die Hautfarbe bestimmt ist? Die alten Heiden hatten eine höhere Ansicht vom Staate und den Pflichten der Regierung. Ist es constitutionell, unsere ganze Regierung als eine bloße Conföderation oder League zu schildern – die armseligste aller Regierungen?
Wir halten die Constitution in hohen Ehren, aber sie ist kein Gott. Das Land, die Nation, die Freiheit, die wir lieben – die stehen alle weit über der Constitution, und was nie vergessen werden muß, die Rebellion des Südens hat einen Zustand hervorgebracht, für welchen die Constitution nie berechnet war und nicht berechnet werden konnte. Sollen wir denn die Hände in den Schooß legen, wie Präsident Buchanan es that und erklären: Ich kann nichts thun, das Land zu retten, denn die Constitution gibt nicht an, wie ich es thun soll? – So lautete der Bericht seines General-Anwalts der Ver. Staaten. Gott behüte! [4] Wir sind eine Nation, wir wollen Ein Volk sein und das Land muß erhalten werden; eben wie das Leben eines Kranken gerettet werden muß, ob das Receptbuch genau paßt oder nicht. Die Constitution hat nicht das Volk erschaffen, das Volk hat die Constitution gemacht. Aber ist denn die Constitution verletzt worden? Die genaue Beantwortung, meine Landsleute, würde eine lange Discussion erfordern, die hier nicht Statt finden kann. Gesetzt aber, daß einige Dinge vorgefallen seien, die nicht genau nach den bestehenden Gesetzen gerechtfertigt werden können, so nehmt hier den Ausspruch eines Mannes, der dreist genug ist, zu sagen, daß er die Geschichte der Vergangenheit und der Gegenwart wohl eben so gut kennt, wie irgend ein Chicago Herr. Ich sage es wohl überdacht, daß nie ein Bürgerkrieg stattgefunden hat, ja nie auch nur ein gewöhnlicher Krieg, in welchem die Regierung den tausendsten Theil von Freiheit erlaubt hat, den die Feinde der Regierung und Freunde des Feindes bei uns genießen, und den wir genießen würden, wenn unsere Opponenten die Zügel der Regierung in der Hand hätten.
Es ist die sogenannte demokratische Partei, die diesen Bürgerkrieg hervorgebracht hat, und nun sagt sie, sie allein könne ihn beendigen. Warum? Wohnt eine mysteriöse Gewalt oder Kenntniß in einem Manne, sobald er sich „Demokrat“ in Amerika nennt? Sie wollen Frieden schließen, den Rebellen alles aufgeben; sie wollen die Rebellen „wärmer als je bei der Hand nehmen,“ und ihnen „alle mögliche erhöhte Garantieen geben“ – kurz gesagt, sie gehören zu jenen Leuten im Norden, die unglücklicherweise immer die Lakaien des Südens gespielt haben – die glauben, daß es eine Ehre ist, die Befehle eines arroganten Sclavenbesitzers zu erfüllen. Ist das demokratisch?
Freunde, laßt uns für Lincoln stimmen. Manche von Euch glauben ohne Zweifel, daß er einiges gethan hat, was Ihr mißbilligt; daß er zuweilen nicht rasch genug gehandelt hat; aber die einfache Frage vor dem Volke ist, soll Lincoln oder McClellan unser Präsident sein? Ihr müßt zwischen diesen Beiden wählen. Kein anderer kann erwählt werden; und welcher Deutsche soll da zweifelhaft sein, oder welcher Deutsche könnte da gleichgültig sich des Stimmens enthalten. Jener ist national, dieser ist es nicht. Jener ist für Freiheit und für die Abschaffung des Schandfleckens dieses Jahrhunderts, – er ist gegen die Sklaverei, die dieses Unheil des Bürgerkriegs hervorgebracht hat; Dieser ist für Sklaverei; Jener ist offen und aufrichtig; ist es Dieser? Jener ist für alle Bürger dieses großen Landes, ob sie hier geboren sind oder nicht; Dieser ist großentheils durch Knownothings ernannt. Jener ist ein wahrer Demokrat, ein Mann des Volkes; Dieser ist keiner, wenigstens ist der Haufe, der ihn ernannt hat, alles eher, als demokratisch gesinnt. Jener hat in unerhörten Schwierigkeiten das Schiff wenigstens so gelenkt, daß wir dem Hafen nahe sind; Dieser, an der Spitze eines der größten Heere dieses Zeitalters, that nichts als zaudern, als er, wie der Feind jetzt zugesteht, dem Kriege hätte ein Ende machen können.
Es läßt sich verstehen, warum einige sehr reiche und einige sehr arme Deutsche, die Anstellungen wünschen, sich für General McClellan bemühen; aber von jedem, der nichts der Art erwartet und aufrichtig für die Ehre, Einheit und Freiheit des Vaterlandes stimmen will, und der sich nicht durch den Namen Demokrat täuschen läßt, muß man erwarten, daß er für Lincoln stimmen werde, wenn er ruhig die große Lage der Dinge und die Charaktere der beiden Männer überlegt.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Sünden