Seite:Franz Lieber-Lincoln oder McClellan.djvu/2

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Ein anderer Theil der Chicagoer Versammlung waren Leute, welche die sogenannten Staaten-Rechte über Alles setzen, die offen heraus sagen, daß der Amerikaner kein Vaterland hat, und der Einzel-Staat über dem Lande steht; daß jeder Staat das Recht hat, sich loszureißen und ein eignes Reich zu bilden; daß wir demnach kein Recht haben, einen solchen Staat zu zwingen, in der Union zu bleiben. Sie sind unwahr, und sie wissen, daß sie unwahr sind. Was hätten dieselben Leute gethan, wenn Ohio oder Massachusetts sich plötzlich losgerissen und zu einer Monarchie erklärt hätte? Was sagen in diesem Augenblicke die Regenten in Richmond von den Männern in Nord-Carolina, die eine Ausscheidung ihres Staates von der sogenannten Conföderation wünschen? Sie nennen sie Rebellen. Wie kommt es, daß bis zu diesem Tage Leute aus Missouri und Kentucky im Congreß zu Richmond sitzen? Sind ihre Staaten je abgefallen? Sie sitzen da, weil Missouri und Kentucky Sklaven haben oder hatten. Sklaverei ist also für diese Feinde der Union das Prinzip der Vereinigung des Landes, aber Staatssouveränität ist nicht das Prinzip des Rechtes, abzufallen. Warum gingen alle diese Herren für General Jackson, als der alte Held Süd-Carolina bedrohte, es mit Waffengewalt in der Union zu halten? Und ist diese Lehre von der Staatssouveränität demokratisch? Ich schäme mich fast, Deutschen diese Frage vorzulegen. Die Demokratie ist immer und in allen Ländern für die Einheit des Vaterlandes gewesen, – für das ganze Land, einer großen Nation würdig. Alle Pumpernickel-Reiche, all’ die kleinen „Raubstaaten,“ wie man sie jetzt in Deutschland nennt, sind immer der Demokratie ein Ekel und ein Gräuel gewesen.

Allerdings hat jeder Staat in Amerika seine Rechte, und muß sie haben; aber so hat jeder einzelne seine Rechte. Ja, die Menschenrechte, die in einem freien Lande jeder Mann für sich behält, sind weit wichtiger und machen eine größere Summe aus, als die Staaten-Rechte, aber der Einzelne ist deswegen kein Souverän. Wißt Ihr, daß das Wort Souveränität auch nicht ein einziges Mal in der großen Verfassung der Vereinigten Staaten vorkommt? Das Wort Souveränität wurde erst später eingeschmuggelt. Wer denn ist Souverän in Amerika, wenn es nicht die Staaten sind? – Niemand. Kein Mensch, keine Corporation, kein Congreß, kein Beamter, Niemand ist souverän in einem freien Lande. Die Vereinigten Staaten sind souverän jedem andern souveränen Staate gegenüber. Wir sind souverän, wenn wir mit England oder Frankreich verhandeln, oder wenn wir Krieg führen, aber im Lande selbst ist Niemand souverän.

Dies ist keine neue Theorie, oder überhaupt eine Theorie. Es ist eine Thatsache. Als vor zweihundert Jahren die berühmte Bill of Rights im englischen Parlamente debattirt wurde, erklärte der größte Jurist Englands, daß das englische Recht den Ausdruck souverän nicht kenne. Niemand sei souverän in England. Er that es, weil die vertriebene Dynastie fortwährend von der souveränen Königsgewalt sprach.

Aber ist es nöthig, mit Deutschen über diese Kleinstädterei zu reden? Staatssouveränität fürwahr! Haben wir nicht genug von dieser Waare im alten Vaterlande? Wenn ein Deutscher ein Ragout von Staaten wünscht, so braucht er wahrlich nicht nach Amerika zu kommen. Hat er nicht souveräne Staaten und Stäätlein genug zu Hause?

Was sind die höchsten Ideen, die den Deutschen in Deutschland beleben? Es ist Einheit Deutschlands und Bürgerfreiheit; und hier soll er eine Stimme für Leute geben, welche die Zerstückelung des Landes und Sklaverei befördern?

Deutsche Arbeiter! Warum habt Ihr Eure Heimath, Eure Familien, Eure Jugendfreunde verlassen, um nach dem fernen Amerika zu wandern? – Weil Ihr gehört hattet, daß die Vereinigten Staaten ein Land seien, in dem Ihr und Eure Kinder alle Rechte eines freien Bürgers besitzen würdet, wo Geschick und

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Franz Lieber: Lincoln oder McClellan?. [s. n.], New York [1864], Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Franz_Lieber-Lincoln_oder_McClellan.djvu/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)