Literarische Weihnachtsneuigkeiten
[787] Literarische Weihnachtsneuigkeiten. Die zierlich gebundenen und goldschnittgeschmückten Novitäten der Weihnachtsliteratur beginnen sich auf unserem Büchertische zu mehren. Wie lustige bunte Vögel in üppiger Federpracht, flattert eines nach dem andern uns zu. Auf denn! Thun wir unsere Pflicht! Rechtzeitig darauf bedacht, daß dem vorsichtig wählenden Auge unserer Leser ein berathender Führer auf dem Büchermarkte des Christfestes nicht fehle, eröffnen wir heute eine kurze Umschau über die uns zunächst zur Besprechung vorliegenden literarischen Neuigkeiten, soweit sie sich zum Schmucke des Weihnachtsfesttisches eignen. Einen Hinweis auf die Novitäten der Prosadichtung sowie auf die neuesten Prachtwerte uns einstweilen vorbehaltend, registriren wir vorläufig einige neue Erscheinungen auf dem Gebiete der Poesie. Zwei Sammlungen lyrischer Gedichte mögen den Reigen eröffnen; die Namen beider Dichter sind unseren Lesern längst vertraut: Ernst Scherenberg und Alfred Friedmann.
Ernst Scherenberg, der patriotische Liedersänger, tritt mit „Neuen Gedichten“ (Leipzig, Ernst Keil) vor das Publicum. Die Eigenart unseres Dichters kennzeichnet sich durch das Zusammentreffen zweier Momente, die bei den Poeten der Gegenwart sich nicht gerade häufig vereinigt finden: er verfügt zugleich über die zu Herzen gehende Melodie echter und tiefer Empfindung, die sich im leicht geschürzten Liede anspruchslos austönt, und über den vollen und kräftigen Brustton eines männlich bewegten Pathos, dem er in vaterländischen Gesängen, in politischen Hymnen einen monumentalen Ausdruck leiht. Unser Dichter gehört ohne Frage zu den hervorragendsten Vertretern des heutigen lyrischen Parnasses in Deutschland, und man darf seinen Liedern daher die weiteste Verbreitung wünschen. Die vorliegende Sammlung zerfällt in die Abtheilungen: „Stimmungen“, „In der Krankheit“, „Sprüche und Sinngedichte“, „Vermischte Gedichte“ und „Zeitgedichte“ und enthält des Schönen und Bedeutenden vieles. Einige dieser Gedichte, wie das stimmungsvolle Lied „Ein Thurm einst ragte“, das sinnige Gedicht „Zwei Spätherbstrosen“ und das patriotische Festlied „Die Kaiserglocke“ sind lyrische Proben von dauerndem Werthe. Mögen Scherenberg’s „Neue Gedichte“ ein wirklicher geistiger Besitz von Alldeutschland werden!
Weniger tief in der Empfindung und geistig auf kleinere Ziele gerichtet als die Scherenberg’schen sind die sehr achtbaren „Gedichte“ von Alfred Friedmann (Leipzig, Wilhelm Friedrich). Unser Poet ist vor Allem ein gewandter und graziöser Versificator; seine Strophengebäude und seine Rhythmen zeigen vielfach neue eigenartige Erfindungen, und nach dieser Seite hin bilden seine „Gedichte“ eine wahre Musterkarte, allen Liebhabern solcher strophischen Neubildungen zur Freude. Liefe nur neben den meistens wirklich glücklich gebildeten Formen hier und da nicht einiges Manierirte mit unter! Was Friedmann’s Lebensanschauung und sein dichterisches Naturell betrifft, so ist er ein ausgesprochener Optimist, etwas von einem Mirza Schaffy in deutschem Gewande, wie er denn auch Friedrich Bodenstedt seine Sammlung widmet. Unser Dichter ist eine vornehme Natur, die einem edlen Schönheitscultus huldigt, und seine „Gedichte“ dürfen mit Recht allen denen empfohlen werden, welche in unserer poesielosen Zeit noch Sinn für das anmuthige Spiel mit schönen Formen und die feine Ciselirarbeit künstlerisch modellirter und zugespizter Gedanken haben.
Den beiden soeben besprochenen längst bekannten Lyrikern schließt sich in unserer heutigen Revue ein bisher noch wenig gewürdigter, junger lyrischer Epiker an: Hermann Eduard Jahn, dessen neueste Dichtung Slavina“ (Leipzig, Karl Reißner) uns vorliegt. Es ist der gewaltige Kampf des hereinbrechenden Christenthums gegen das Heidenthum, welchen uns der Dichter im Spiegel seines Epos schildert. Markige, heldenhafte Gestalten treten uns hier auf dem stürmischen Hintergrunde des Mittelalters und dem unwirthlichen, wüsten Boden des alten Wendenlandes an der Ostsee entgegen; das blutige Aufeinanderprallen der geschichtlichen Gegensätze alten und neuen Glaubens findet in der christlichen Slavina einerseits, in dem wendischen jungen Krieger Wlawslaw andererseits seine poetischen Hauptrepräsentanten, um welche die übrigen Gestalten der Dichtung sich künstlerisch gruppiren und dramatisch bewegen. Handlung und Charaktere sind in großen, kühn hingeworfenen Umrissen mehr skizzirt als gezeichnet, und das phantastische Colorit, das über dem ganzen Epos ausgebreitet liegt, stimmt auf’s Beste zu dem sagenhaften Inhalte desselben. Aber trotz aller düstern Beleuchtung und romantischen Einkleidung fehlt es Jahn’s „Slavina“ weder an plastischer Kraft der Gestaltung noch an präcisem Aufbau der sich correct entwickelnden Handlung: ein gesunder, kräftiger Realismus, der nur hier und da in eine etwas allzu ungenirte Sinnlichkeit überschlägt, hält in dieser Dichtung dem Phantastischen sehr glücklich die Wage. Von besonderer wilder Schönheit sind Jahn’s ganz in’s Lyrische getauchte Landschaftsbilder, welche das dämonische Colorit Ossian’scher Farbengebung nicht verschmähen. Es ist ein grotesker Freskenstil, in dem die Decorationen der Dichtung sich vor uns aufthun, wie denn gleich die das Ganze einleitende Schilderung einer Sturmnacht denselben Geist düsterer Naturmalerei athmet, den wir aus den Skaldenliedern des Nordens kennen. – Ohne hier auf die Einzelheiten des Jahn’schen Gedichtes eingehen zu können, stehen wir nicht an, „Slavina“ als das Werk eines Talentes zu bezeichnen, das für die leidenschaftlich bewegte lyrische Epik reich begabt ist. Wir dürfen von der literarischen Zukunft des jugendlichen Dichters das Beste erwarten.
Von dem aufsteigenden Gestirne Jahn’s zu der voll aufgegangenen Sonne des viel gefeierten, aber auch viel befehdeten Sängers der „Amaranth“, Oscar von Redwitz! Das Product des Dichters, auf welches wir hinweisen möchten, ist eine episch-lyrische Erzählung in graziös geschürzten Reimstrophen, die oft ein leiser humoristischer Hauch durchweht. Wir meinen die anmuthige Idylle „Ein deutsches Hausbuch“ (Stuttgart, J. G. Cotta). Diese soeben in zweiter unveränderter Auflage versandte Dichtung eroberte schon bei ihrem ersten Erscheinen im Fluge den deutschen Familientisch, und dort ist auch ihre rechte und echte Heimstätte; denn der ausgesprochen häusliche Ton des Buches, aus dessen leicht gewobenen Versen man mitunter förmlich das Knistern der Herdflamme, das trauliche Tiktak der Hausuhr herauszuhören meint, macht es besonders geeignet für die Lectüre im Familienkreise. Es ist kein neues Buch – es ist, wie gesagt, eine zweite Auflage, und so dürfen wir uns hier wohl ein Eingehen auf seinen bekannten Inhalt ersparen, der, kurz gesagt, die Geschichte zweier Herzen schildert, vom ersten Sichfinden an bis in die Zeit der hohen Greisentage hinein. Es ist viel Herzenswärme, viel wohlthuende Sinnigkeit in dieser Dichtung, und zugleich leuchtet uns aus den auf den verschiedensten Versfüßen sich bewegenden Capiteln manch Körnlein schlicht vorgetragener, aber echter Weisheit entgegen. Oscar von Redwitz hat mit dieser Idylle nicht nur ein wirkliches „Deutsches Hausbuch“, er hat eben deshalb auch ein gutes deutsches Volksbuch geschaffen, das gern gelesen werden wird überall, wo deutsche Herzen schlagen.
An den Hinweis auf diese Erzeugnisse der neuesten deutschen Dichtung fügen wir zum Schlusse noch eine kurze Betrachtung über zwei deutsche Aneignungen aus dem Gebiete der fremdländischen Literatur. Zuerst führen wir unsere Leser nach dem Norden, nach dem schönen Schweden.
Esaias Tegnér’s „Lyrische Gedichte“, herausgegeben zum hundertjährigen Geburtstage des Dichters und übersetzt von Gottfried von Leinburg (Leipzig, Oscar Leiner), haben soeben die Presse verlassen. Wie tief im deutschen Gemüthe die Liebe und das Verständniß für den großen schwedischen Dichter wurzelt, das hat sich gelegentlich seines in diesen Wochen auch bei uns in allen Gauen gefeierten Geburtsjubiläums in erfreulichster Weise gezeigt. Nicht nur in den Organen der Presse und den Versammlungssälen literarischer und anderer Vereine brachte man dem Sänger der „Frithjofs-Sage“ den verdienten Ehrenzoll dar, auch die Verzeichnisse des deutschen Büchermarktes nennen den gefeierten Namen des nordischen Dichters heute mehrfach bei Ankündigung neuer Uebersetzungen. Eines dieser Uebersetzungswerke liegt uns vor: Gottfried von Leinburg’s oben näher bezeichnete Verdeutschung von Tegnér’s „Lyrischen Gedichten“. Sind die größeren epischen und episch-lyrischen Dichtungen des Bischof’s von Wexiö, seine „Frithjof-Sage“, seine „Abendmahlskinder“, sein „Axel“, längst Eigenthum des deutschen Volkes, so gilt dies bisher durchaus noch nicht von seinen „Lyrischen Gedichten“, welche bis zur Stunde nur in unvollständigen oder der Form nach mittelmäßigen Uebertragungen zu uns gedrungen sind. Leinburg’s Verdeutschung derselben verdient daher um so größere Beachtung und um so wärmere Anerkennung. Der Uebersetzer, auf dessen vortreffliche Uebertragung von Tegnér’s „Kleineren epischen Gedichten“ (Leipzig, in gleichem Verlage) wir hier im Vorübergehen auszeichnend hinweisen, ist als gewandter und geistvoller Vermittler zwischen den nordischen Literaturen und dem deutschen Schriftthum längst rühmlich bekannt, und seine Uebertragungen Tegnér’scher, Oehlenschläger’scher und anderer Dichtungen Skandinaviens haben in der Welt der Leser wie der Kritiker gleiches Lob geerntet durch die große Sicherheit, mit der sie die richtige Mitte treffen zwischen pedantischer Treue und pietätloser Willtür in der Wiedergabe des Originals. Auch die vorliegenden „Lyrischen Gedichte“ halten diese glückliche Mitte inne; sie lesen sich leicht wie das Original selbst und bringen dessen Schönheit in virtuoser Weise zur Geltung. Biographische, kritische und sachliche Mittheilungen zu den Gedichten erhöhen den Werth dieser Ausgabe, und da die Ausstattung eine in jeder Beziehung elegante ist, so darf das Werk als für den Weihnachtstisch besonders geeignet bezeichnet [788] werden, was übrigens auch von Eugène Peschier’s soeben erschienenem „Esaias Tegnér. Sein Leben und Dichten mit einem Blüthenkranz aus seinen lyrischen Gedichten" (Lahr, Schauenburg) gilt, auf welches Werk wir bereits (vergl. den Artikel „Esaias Tegnér", „Gartenlaube" Nr. 45) kurz hinwiesen. – In der Spemann’schen Buchhandlung in Stuttgart erscheint soeben eine neue Ausgabe der „Frithjof-Sage", übersetzt von dem leider soeben heimgegangenen E. Lobedanz, mit einer ausführlichen Biographie des Dichters; das Werk liegt uns nicht vor, aber wir ergreifen gern die Gelegenheit es zu registriren.
Und nun von dem ernsten Barden des Nordens zu dem feurigen Sänger des Südens!
Wir finden unter den eingegangenen Novitäten ein Buch, das den Titel führt:
„Ariost’s: Rasender Roland. Die schönsten Episoden des Gedichtes nach der Uebersetzung von Johann Diederich Gries.“ (Leipzig, Bibliographisches Institut.) „Die ganze Richtung unseres so beschäftigten Zeitalters,“ so heißt es in der Einleitung zu dieser Ausgabe der italienischen Dichtung, „läßt den Einzelnen selten dazu kommen, Gedichte zu lesen, und gar Gedichte von solcher Länge, wie der ‚Rasende Roland‘ sie im Originaltext hat. Es schien daher gerathen, zumal auch mancherlei leere Stellen mit unterlaufen, den Kern der Dichtung in einer Auswahl der schönsten Episoden zu geben, in welche sowohl Bojardo als Ariost ihre Roland-Epen zerlegt haben. Auf diese Weise dürfte es möglich sein, dem ‚Rasenden Roland‘ den verdienten größeren Kreis von Freunden zu erwerben, dessen er nachweislich in Folge seines allzu weitgedehnten Umfanges bisher entbehrte.“ Diese Worte kennzeichnen die Absicht der Ausgabe als eine sehr beachtenswerthe. Wir brauchen nur noch hinzuzufügen, daß die Auswahl unter Zugrundelegung der altbekannten trefflichen Gries’schen Uebersetzung mit vielem Geschick getroffen worden und daß dem zwei Bände umfassenden Werke Biographien des Dichters und des Uebersetzers wie eine Inhaltsangabe der Roland-Gedichte von Bojardo und Ariost vorangeschickt wurden. Durch die farbenprächtige, klanggewaltige Darstellungsweise und den bunten, gestaltenreichen Inhalt seiner Dichtungen ist Ariost, wie kaum ein anderer Poet der apenninischen Halbinsel geeignet, uns ein Repräsentant des feurigen italienischen Temperaments zu sein, und schon diese typische Eigenschaft seiner Poesie empfiehlt ihn uns Deutschen als ein dankbares Studienobject. Das gediegen ausgestattete Werk erfüllt alle Bedingungen, um den deutschen Weihnachtstisch würdig zu schmücken.
[802] Anknüpfend an unsere neuliche Besprechung poetischer Novitäten des Weihnachtsbüchertisches, werfen wir heute im Nachstehenden einen flüchtigen Blick auf besonders beachtenswerthe Neuigkeiten der Prosadichtung.
Dem Herzen unserer Leser am nächsten dürfte das Werk einer ihnen längst vertrauten Dichterin stehen: „Waldblumen“ von W. Heimburg (Leipzig, J. M. Gebhardt’s Verlag). Das ist ein Strauß duftiger Noveletten-Blumen, wie ihn eben nur die liebenswürdige Verfasserin von „Lumpenmüllers Lieschen“ in dem Garten ihrer Dichtung zu pflücken vermag – acht jener zart gewobenen, bei aller Einfachheit so inhaltschweren Herzensgeschichten, wie unsere Freunde sie als specifisch „Heimburgisch“ seit Jahren kennen: „Sommerfäden“, „Melanie“, „Friede auf Erden“, „Hermann und Dorothea“, „Ein treues Frauenherz“, „Johannes“, „Ihr Heinrich“ und das unsern Lesern bekannte „Unterm Schlosse“. Was die Heimburg’schen Erzählungen vor anderen ähnlichen Erzeugnissen so vortheilhaft auszeichnet, Innigkeit und Wärme der Empfindung bei großer Schlichtheit des Ausdrucks, Sicherheit und Natürlichkeit in der Führung der Handlung bei anspruchsloser Ursprünglichkeit in der Wahl der Motive – das giebt auch diesen „Waldblumen“ das charakteristische Gepräge. Es ist nichts Gemachtes, nichts Manierirtes in den Menschenbildern, welche unsere Erzählerin uns zeichnet; sie sind alle erlebt, beobachtet und in warmer Dichterseele gehegt und groß gezogen, diese Jünglinge und Greise, diese Backfische und alten Jungfern, diese thatkräftigen Männer und wackeren Hausfrauen; sie bewegen sich wie wirkliche Menschen, und wir verkehren mit ihnen, als hätten wir lange unter ihnen gelebt, als wären sie unsere Freunde von Alters her. Ein auch nur oberflächliches Eingehen auf die in dem neuesten Sammelwerke W. Heimburg’s zusammengefügten Erzählungen müssen wir uns an dieser Stelle leider versagen und uns damit begnügen, den im „Walde“ echtester Herzenspoesie gewachsenen „Blumen“ die besten Wünsche mit auf den Weg in’s große Publicum zu geben; ihr würziges Aroma wird keinen Leser berauschen oder betäuben, jeden aber erquicken und erfrischen, wie alle wahre Poesie, die zugleich Natur ist.
Neben die warmblütige Idyllenpoesie W. Heimburg’s stellen wir das Erstlingswerk einer Feder, welche sich in ganz anderen Bahnen bewegt. Hier tritt uns nicht, wie dort, das einfach und unmittelbar sich gebende Gefühl als schaffendes und bewegendes Element entgegen – hier steht vielmehr der reflectirende Gedanke im Mittelpunkte der Dichtung. Wir meinen A. Leschivo’s zweibändigen Roman „Der Ring der Wahrheit“ (Leipzig, Julius Klinkhardt). Ein Werk, das vorwiegend aus Reflexion geflossen, hat an und für sich etwas Kühles. Das ist hier aber nur in bedingter Weise der Fall; denn zu der kühlen Abstraction tritt im „Ring der Wahrheit“ ein halbwegs ausgleichendes Moment hinzu, das dem Geiste gewissermaßen sein Fleisch verleiht: die Leidenschaft – aber es ist die Leidenschaft nicht des Herzens, sondern eben des reflectirenden Geistes – und so bleibt trotzdem eine gewisse „Blässe des Gedankens“ in dem Romane zurück. Zu viel Gedachtes, zu wenig Gestaltetes! Leschivo bekundet ohne Frage ein höchst beachtenswerthes Talent, das weit über das romanschriftstellerische Mittelmaß hinausragt. Er ist ein Seelenkenner von ungewöhnlicher Spürkraft: „Der Ring der Wahrheit“ ist ein durchaus psychologischer Roman, oft edel in der Sprache, in einzelnen Details sehr interessant und seiner ethischen Grundidee nach – wir wollen sie nicht verrathen – fein angelegt und geistvoll durchgeführt. Nur hätten wir, wie bereits angedeutet, der dichterischen Veranschaulichung dieser Grundidee etwas mehr Körperlichkeit, wir hätten ihr außerdem etwas weniger Aufwand von Personal und Decoration gewünscht. Was wir bei den künftigen Werken des noch nicht voll ausgereiften Dichters zum Durchbruch gelangt sehen möchten, das ist: in der Charakterzeichnung mehr Fleisch und Blut des wirklichen Lebens, im Aufbau der Handlung schärfere und knappere Linien und vor Allem ein größeres Zurücktreten der Idee zu Gunsten der Plastik und des Realismus in Gestaltung und Darstellung.
Plastik und Realismus sind in hohem Grade einem andern zweibändigen Romane eigen: „Auf ewig gebunden“ von C. del Negro (Leipzig, Ed. Wartig). Wir haben hier ein Sittengemälde aus dem modernen Rom vor uns, ein nach dem Leben entworfenes Zeitbild, welches in seinen Consequenzen auf eine erbarmungslose Verurtheilung des Clerus und der römischen Aristokratie hinausläuft. Der Schilderung der verkommenen Gesellschafszustände im neuen Rom stellt der Roman mit richtigem Tactgefühl in einer Nebenhandlung ein rührendes und ergreifendes Bild aus dem römischen Volksleben versöhnend gegenüber, und diese Contrastirung bildet den Hauptreiz und den poetischen Hebel der geschickt erfundenen und sicher durchgeführten Fabel der Erzählung. Wir lernen die in Kabalen und Intriguen verstricte, in Wollust und Ehrsucht versunkene Aristokratie der „ewigen Stadt“ verachten und richten uns auf an jenen anderen Charakteren, welche dem Leben der vornehmen Salons der italienischen Residenz fern stehen und das Ideal des Guten und Schönen repräsentiren. Die Verkettung der Gestalten dieser beiden Gesellschaftskreise durch ein fein ersonnenes Bindeglied der Handlung ist eine höchst geschickte. In „Auf ewig gebunden“ lebt alles und bewegt sich alles – alles interessirt; es entrollt sich vor uns ein buntes, reizvolles Nebeneinander interessanter Charaktere und lebhaft anschaulicher Situationen; es entrollt sich auf einem künstlerisch ausgeführten Hintergrunde von frappant wirkendem Local- und Zeitcolorit. Aber hinter diesem plastischen Leben des Romans steht groß und schön die social moralische Tendenz desselben, die in dem knapp und effectvoll zusammengefaßten Schlußaccorde ihren präcisen Ausdruck findet. Die sterbende Heldin spricht diese Tendenz aus: „Nur die Arbeit adelt und bringt Segen“ – und diese einfache Schlußtendenz wirkt um so überzeugender, als wir den ganzen Roman hindurch Blicke gethan haben in das üppige, sittenverderbte Rom und somit um so empfänglicher sind für die eindringliche Wahrheit, welche der Schluß predigt. – Der del Negro’sche Roman hat seine unverkennbaren Schwächen: er hat Incorrectheiten in der Composition, Längen in der Darstellung. Unwahrscheinlichkeiten in der Motivirung, Unebenheiten im Stil; auch hält er in den Schilderungen der sybaritischen Tiberstadt vielleicht nicht immer jene Schönheitslinien maßvoller und kühler Darstellung inne, welche wir Deutschen – zumal unsere Frauen – nun einmal von der Romanliteratur fordern, ob mit Recht oder Unrecht fordern, möge hier unentschieden bleiben. Jedenfalls wird „Auf ewig gebunden“ allen Denen eine willkommene Lectüre sein, welche einen Blick thun wollen in das heutige vornehme Leben der einstigen Weltmetropole, und ihnen sei das geistvolle Buch warm empfohlen!
Lebt in den Romanen von Leschivo und del Negro ein gewisser Kriticismus, der das Menschenherz und die menschliche Gesellschaft unter sein scharfes Secirmesser nimmt, so betreten wir mit den „Novellen“ von Marie Landmann (Berlin, Alexander Duncker) wieder den Boden jener stimmungsvollen Erzählungen, jener „stillen Geschichten“, in denen W. Heimburg’s anmuthiges Talent wurzelt. Die Landmann’schen Novellen, sieben an der Zahl, sind die Erzeugnisse eines feinsinnigen Talentes, das ohne jede kokette Effecthascherei in ansprechender und ausgereifter Form tief empfundene und edel gedachte Seelengemälde entwirft: diese Novellen verdienen die Beachtung der deutschen Leserwelt in vollem Maße, und es ist namentlich die weibliche Jugend, an welche sie sich wenden.
Hier schließt sich ungezwungen ein Hinweis an auf drei durch gediegenen Inhalt und einschmeichelnde Darstellungsform ausgezeichnete Publicationen des Karl Krabbe’schen Verlages in Stuttgart: auf die gesammelten Erzählungen: „Wollt Ihr’s hören?“ von Adelheid Wildermuth und „Was das Leben bringt“ von Therese Devrient, sowie auf die Novelle „Die Erbin von Roseneck“ von Agnes Wilms – sämmtlich für Töchter des deutschen Mittelstandes bestimmt und sich auf jenem etwas nüchternen Niveau der moralisirenden Erzählung bewegend, welches man von der pädagogischen Belletristik nun einmal fordern muß. Hohen Flug der Gedanken und hinreißende Leidenschaft wird man hier vergebens suchen, aber man wird in den theils recht anmuthigen kleinen Erzählungen desto mehr gesundes Denken und einfache Herzenstöne finden – und das ist auch etwas werth.
Hierher gehören ferner, wenngleich sie im Stilgeschmack auf einer höheren Stufe stehen, die „heiteren und ernsten Silhouetten“ des häuslichen Lebens: „Er, Sie und Es“ von Helene Stöckl (Leipzig. C. A. Koch’s Verlag) und Emil Peschkau’s Novellen „Friedburg“ und „Zwei Tanten“ (Frankfurt a. M., C. Koenitzer), sowie desselben Verfassers „Ein- und Ausfälle“ (Frankfurt, ebendaselbst), drei beachtenswerthe Büchlein, welche wir zu dem Besten rechnen dürfen, das in diesem Genre jüngsthin auf dem Büchermarkte erschienen ist.
Eine Reihe von theils höchst bedeutsamen und originellen Geschichten und Skizzen veröffentlicht Ferdinand Groß unter dem Titel „Heut’ und gestern“ (Wien, Karl Konegen) – ein Quodlibet von bunt durch einander geworfenen Federzeichnungen, Studien, Einfällen, Portraits und Essays, welche die Feder des gewandten Feuilletonisten und feinen Beobachters verrathen. Möchte das amüsante Buch recht viele Freunde finden!
Zum Schlusse unserer heutigen Uebersicht registriren wir noch zwei Publicationen, die sich an allbekannte Namen knüpfen, aber nicht als Novitäten im eigentlichen Sinne des Wortes betrachtet werden können: F. W. Hackländer’s „Ausgewählte Werke“ (Stuttgart, Karl Krabbe) fanden mit dem soeben ausgegebenen neunzehnten und zwanzigsten Bande („Der Roman meines Lebens“) nunmehr ihren Abschluß, und Ernst Wichert’s imposanter und brillanter Geschichtsroman „Heinrich von Plauen“ (Leipzig, Karl Reißner) liegt in zweiter Auflage vor. Es möge hier genügen, diese beiden elegant ausgestatteten neuen Ausgaben der bekannten Werke unsern Lesern in Erinnerung zu bringen.
[818] Wir beschließen heute unsern Ueberblick über die uns vorliegenden Novitäten für den Weihnachtsfesttisch mit einer Nachlese aus dem Gebiete der Romanliteratur und einem gedrängten Hinweis auf einige hervorragende Prachtwerke und illustrirte Kinderbücher. - Zuerst also zwei Prosadichtungen:
Eines der liebenswürdigsten Bücher, die jedem Familientisch zur Abendlust gereichen und folglich auch den Weihnachtstisch würdig schmücken, sind die „Altfränkischen Bilder und Geschichten aus dem Erinnerungsschatz meiner alten Tante“ (Coburg, I. G. Riemann’sche Hofbuchhandlung). Hier haben wir ein Muster von Memoiren aus dem Bürger- und Beamtenleben im patriarchalischen Kleinstaat, die bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück und nahe bis zur Gegenwart heranreichen. Aus einem protestantischen Pfarrhause, in welchem sich die städtische Bildung der lieblichen Pfarrtöchter mit bäuerlicher Beschäftigung verbindet, werden wir nach der Residenz Coburg und sogar in den erbprinzlichen Haushalt geführt. Er war sehr einfach, ja fast noch mehr als dies. Das Prinzeßchen Victoria hatte in den Unterrichtsstunden ein ausgewaschenes rosa Kattunkleidchen an, das mit Stücken neuen Kattuns ausgebessert war, und die Prinzen hatten gleichfalls in den Beinkleidern, da, wo sie von den Knieen durchgearbeitet waren, große Stücke eingesetzt, und es waren schon ziemlich lange junge Herrchen, als sie noch mit stark ausgebesserten Stiefeln einhergingen. Das könnte den Leser gleichgültig lassen, aber es erhält Bedeutung durch das, was aus diesen Kindern geworden ist. Das Prinzeßchen mit dem geflickten Kattunkleidchen wurde die Mutter der Königin Victoria, und von den Prinzen wurde der Aelteste Herzog Ernst der Erste von Coburg-Gotha, der zweite der Vater des Königs von Portugal und der Jüngste erster König von Belgien. - Die Fürsten waren damals mächtiger im Lande als jetzt, aber sie standen doch dem Volke näher. Dazu gab’s noch viele Originale, auch unter den Frauen, von denen das Buch die ehrwürdigsten, wie die ergötzlichsten Beispiele vorführt. - Auch die Geistiggroßen sind gut vertreten. An ihrer Spitze stehen Friedrich Rückert und Christian von Stockmar, König Leopold’s Freund. - Hinsichtlich Schad’s, des gewesenen Banzer Mönchs, ist die alte Tante im Irrthum. Er hieß nicht Bruder Placidus, sondern Pater Roman, und wurde nach seiner Flucht aus dem Kloster nicht Clavierspieler in Petersburg, sondern Professor erst in Jena, dann in Charkow, und starb in Jena 1834, wie dies in der „Gartenlaube“ 1869, Nr. 1, erzählt ist. - Wahrhaft erhebend und tiefergreifend äußert sich der Patriotismus der alten Tante in den Befreiungskriegen. Man muß an sich halten, die prachtvolle Stelle hier nicht abzuschreiben. Noch im hohen Alter sagte sie oft: „Ihr wißt gar nicht, Ihr junges Volk, was Freude ist; wer den Einzug unserer Truppen in Paris (1814) erlebt hat, der weiß es.“ - Die herrliche Frau hätte es verdient, noch 1870 mit uns zu jubeln.
Eine sehr beachtenswerthe Gabe der jüngsten Zeit ist: „Die Rose von Urach“. Historischer Roman von Franz Siking. (Mannheim, F. Nemnich.) Um das Leben einer einfachen Försterstochter, der frischen, liebreizenden Waldrose, gruppirt der nach ihr benannte Roman jene Scenen aus dem Hof- und Intriguanten-Treiben, welche mit der unglücklichsten Zeit des Schwabenvolkes beginnen und versöhnend enden mit der Rettung des Fürsten und des Landes durch Hand und Herz der zur Landesmutter erhobenen Franziska von Hohenheim. Die geschichtlichen Gestalten, vom Herzog Karl selbst bis zu jenen gewaltthätigen Männern, welche das Volk „Schwabens Landplage“ nannte, sind mit Portraittreue dargestellt, und die Schilderungen des Hofes und des Adels verrathen ebenso viel ernstes Studium, wie die Bilder aus dem Volke, denen man ansicht, daß sie mit genauer Kenntniß des schwäbischen Volksherzens ausgeführt wurden. Ein Held der Wahrheit, wie der Pastor Theuring, der selbst einem Herzog Karl Achtung abzwingt und ihn zur Einkehr in sich zu bewegen vermag, ist eine herzerhebende Erscheinung, wie kein gewöhnliches Talent sie in’s Leben ruft. Und wenn wir die schöne Waldrose selbst, die Emmy Theuring, vom höchsten Glück der Liebe bis zum tiefsten Wehe der Verlassenheit versinken und in Sehnsucht nach dem würdigen Gatten dahin siechen sehen, so hat doch Muth, List und Treue eines Mannes aus dem Volke sie davor bewahrt, als Betrogene und Entehrte unterzugehen: sie stirbt mit der reinen Würde einer Gattin und Mutter, und nach ihr waltet „die Hand der Vergeltung“. Wir freuen uns, ein solches Werk empfehlen zu können, um so mehr, als wir aus der Feder F. Siking’s bereits eine historische Erzählung für die „Gartenlaube“ erworben haben.
Aus der Zahl der uns vorliegenden Prachtwerke heben wir die folgenden mit Auszeichnung hervor:
„Goethe’s Werke, illustrirt von ersten deutschen Künstlern“. Herausgegeben von Heinrich Düntzer (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt). Ein dankenswerthes Unternehmen, das sich den in demselben Verlage erschienenen früheren illustrirten Prachtausgaben bedeutender Dichter (Shakespeare und Schiller) als drittes würdig anschließt. Es liegen uns bis jetzt fünfzehn Lieferungen des Werkes vor, und wir dürfen auf Grund derselben diese Goethe-Ausgabe als eine literarisch-künstlerische Publication bezeichnen, die, was elegante Ausstattung und ästhetischen Werth betrifft, alle Achtung verdient, wenngleich wir uns nicht verhehlen können, daß die Illustrationen, die theilweise von bedeutenden Meistern herrühren, von einigermaßen ungleichem Werthe sind; neben ganz Vorzüglichem, wie es die Zeichnungen zum West-östlichen Divan sind, steht einiges Minderwerthige. Trotzdem aber hält sich alles hier Gebotene auf der achtbaren Höhe eines edlen Geschmackes, und dürfen wir daher die Aufmerksamkeit unserer Leser auf das Werk nachdrücklich hinlenken.
„Gustav Freytag-Gallerie“. Nach den Originalgemälden und Cartons der ersten Meister der Neuzeit photographirt in 30 Blättern von F. Bruckmann in München. Mit begleitendem Texte von Johannes Proelß und Julius Riffert (Leipzig, Edwin Schloemp). Die längst im Buchhandel befindlichen, beliebten und bekannten Kunstblätter sind hier zu einem geschlossenen Werke vereinigt, in welchem sich zur Veranschaulichung des reichen poetischen Schatzes, welchen Gustav Freytag der deutschen Literatur zugeführt hat, die bildliche Darstellung mit der des literarischen Essayisten (Proelß-Riffert) verbindet. Es wird uns somit in dieser Textausgabe ein vollständiges Bild von des Dichters Enwickelungsgang und Bedeutung in artistisch reicher Form vorgelegt, womit die Verlagshandlung gewiß dem Bedürfnisse kauflustiger Besucher des Weihnachtsbüchermarktes in jeder Weise entgegenkommt.
„Rom in Wort und Bild“ von Rudolph Kleinpaul (Leipzig, Schmidt und Günther). Diese Schilderung der „ewigen Stadt“ und der Campagna zeigt sich mit jeder neu ausgegebenen Lieferung ihrer Aufgabe mehr und mehr gewachsen: in Text und Illustrationen ein anschauliches und instructives Bild der Trümmer des alten und der Prachtbauten des neuen Rom zu bieten. Die durchaus auf Selbstanschauung und eingehenden Studien beruhenden Schilderungen werden durch eine Reihe von Bildern geschmückt, welche ausnahmslos eine gute technische Herstellung documentiren und dem Verständnisse des den Text studirenden Lesers auf das erfreulichste zu Hülfe kommen. Alle Freunde Roms werden in dem Kleinpaul’schen Werke eine willkommene Lectüre finden.
„Griechenland in Wort und Bild“. Eine Schilderung des hellenischen Königreiches von A. von Schweiger-Lerchenfeld (Leipzig. Schmidt u. Günther). Ein Werk, welches sich dem soeben erwähnten in Idee und Anlage eng anschließt. „Es soll,“ heißt es in der Einleitung, „dem Leser in großen und erschöpfenden Zügen ein Gemälde der hellenischen Welt vorführen, und zwar vorwiegend, wie sie sich heute darstellt. Auf dieser reellen Unterlage soll dann die Erinnerung an das antike Leben ihre verschollenen Herrlichkeiten aufbauen, die Landschaften beleben, den Zusammenhang der Erscheinungen zwischen Ereigniß und Schauplatz herstellen und die Lücken zwischen Vorstellung und Wirklichkeit überbrücken.“ Das vollendet vorliegende Werk hat dieses Programm auf’s Beste verwirklicht und ist eine Publication von dauerndem Werthe.
An Rom und Griechenland fügt sich zwanglos an: „Palästina in Bild und Wort“. Herausgegeben von Georg Ebers und H. Guthe (Deutsche Verlagsanstalt, Leipzig und Stuttgart). Ein Prachtwerk im vollsten Sinne des Wortes, auf welches wir bereits im vorigen Jahre die Aufmerksamkeit unserer Leser hingelenkt. Der soeben erschienene erste Band enthält 21 Stahlstiche und an 300 Holzschnitte, welche fast ohne Ausnahme als Meisterwerke der vervielfältigenden Kunst bezeichnet zu werden verdienen. Aber nicht allein diese geschmackvolle, echt künftlerische Ausstattung und der Reiz der Geschichte sowie der biblischen Legende gestaltet das Buch zu einer äußerst anziehenden Erscheinung, sondern auch der textliche Theil desselben bietet einen fesselnden und gediegenen Inhalt. Der Name Georg Ebers bürgt schon allein für eine wahrheitsgetreue und meisterhafte Schilderung jenes „heiligen Landes“. Der Umstand aber, daß einer der Herausgeber, Hermann Guthe, im vorigen Jahre um wissenschaftlicher Forschungen willen Palästina bereiste, hat es noch ermöglicht, daß in diesem Werke überall den neuesten Zuständen in maßgebendster Weise Rechnung getragen wird. Wir finden in dem ersten Bande Schilderungen von Jerusalem und Bethlehem, von Judäa und Galiläa, von Sichem und Samaria, sowie von Damascus, Palmyra und Ba’albek. In dem geschmackvollen Einbande, welchen die Deutsche Verlagsanstalt ihren Abonnenten liefert, ist dieses Prachtwerk wohl geeignet, selbst den anspruchsvollsten Weihnachtstisch zu schmücken.
„In der Sommerfrisch“. Federzeichnungen von Hugo Kauffmann (Stuttgart, Bonz u. Comp.) und „A Hochzeit in die Berg’“. [819] Zeichnungen von Hugo Kauffmann (Stuttgart, ebendaselbst) – beide Werke mit Dichtungen in oberbaierischer Mundart von Karl Stieler. Wo sich Kauffmann und Stieler zusammenthun, ein Zeichner von so feinem instinctivem Gefühl für alles Volksthümliche und Charakteristische und ein Dichter von so innigem Verständnisse für die Eigenart seines Heimathsvolkes, da kann das Resultat kein anderes sein, als es hier in der That geworden ist: ein ebenso lebenswahres wie poesievolles, ebenso kräftiges wie zartsinniges Werk. Solche Werke sind die beiden oben bezeichneten gemeinsamen Hervorbringungen Stieler’s und Kauffmann’s in jeder Linie, in jeder Zeile. Es läßt sich gar nichts Anmuthigeres und Herzerwärmenderes denken, als diese auf das Sauberste ausgestatteten zwei Bücher – wahre Cabinetsstücke für den Weihnachtstisch.
„Wilhelm der Erste, deutscher Kaiser“. Mit einer einleitenden Dichtung von Julius Wolff und Illustrationen von A. von Heyden. (München, Friedrich Bruckmann’s Verlag.) Ein schönes und würdiges Lorbeerreis für die Stirn unseres Kaisers Barbablanca! Zwanzig Lichtdruckportraits aus den Jahren 1862 bis 1882, welche Wilhelm den Ersten in allen Lebensaltern darstellen, und zwar von seinem fünften Jahre an bis heute. Das schwungvolle, warme Gedicht Julius Wolff’s und die arabeskenartigen einrahmenden Zeichnungen A. von Heyden’s verleihen dem schätzenswerthen Album einen erhöhten Reiz. Patriotische Leser und Beschauer werden ihre Freude haben an diesem Kaiserbuche.
„Die deutsche Bühne, deren geschichtliche Entwickelung in Bild und Wort von einem Weimaraner“ (Dresden, Wilhelm Streit), darf allen Freunden der dramatischen Kunst als ein illustrirter Führer durch die allgemeine Geschichte des Theaters empfohlen werden. Das Buch erhebt keinen Anspruch auf wissenschaftliche Bedeutung, sondern will nur anregend unterhalten; es bietet dem Publicum den großen Stoff der Bühnengeschichte wohl zum ersten Male in leicht übersichtlicher und allgemein lesbarer Form. An wirklich Neuem enthält der Artikel „Italien“ mancherlei. Der Bericht über das Weimarer Liebhabertheater ist hier zum ersten Male im Original gegeben, wie auch die Mittheilungen über das verdeckte Orchester dem Leser viel des Interessanten bringen.
Eine anmuthige Weihnachtsgabe bringt uns ferner der Friedrich Bruckmann’sche Verlag in München. Es sind dies „Deutsche Lieblings-Lieder“. Mit zehn Vollbildern in Phototypie und zahlreichen Textbildern nach Alexander Zick. Die Auswahl der Lieder wurde sehr glücklich getroffen, und wir bedauern sehr, daß es uns unmöglich ist, den Reiz der größeren Illustrationen unseren Lesern vor Augen zu führen. Im „Blumengruß“ und „Mailied“ ist es dem Maler vor Allem gelungen, den poetischen Hauch, der in diesen kurzen Gedichten des Altmeisters Goethe weht, auch über die Gestalten seiner Bilder zu zaubern.
Hieran fügen wir den Hinweis auf das illustrirte Werk „Culturgeschichtliches Bilderbuch aus drei Jahrhunderten.“ Herausgegeben von Georg Hirth, dessen erster Band uns vorliegt. Es ist dies ein „Bilderbuch für Erwachsene“, und zwar für Solche, die der historischen Entwickelung der Kunst ein besonderes Interesse entgegenbringen. Der Herausgeber bietet uns Facsimilewiedergaben von Kupferstichen, Holzschnitten und Radirungen alter Meister, wie Dürer, Bergckmair, Cranach, Holbein, Schäufelein, Behaim etc. Wir erachten es für unsere Pflicht, den hohen kunsthistorischen Werth dieses seltenen Werkes ganz besonders zu betonen. Möchte doch demselben die Gunst des Publicums nicht fehlen!
„Von allen Zweigen“ (Berlin, H. W. Müller). Unter diesem Titel veröffentlicht Sophie Verena eine beachtenswerthe Anthologie neuerer lyrischer Gedichte, welchen unsere besten Zeichner eine ansehnliche Reihe von Illustrationen hinzugefügt haben. Sind die meistens dem Gebiete der sangbaren Lyrik entnommenen Gedichte mit vielem kritischem Geschicke und Verständnisse ausgewählt und gruppirt, so verdienen die zeichnerischen Beiträge, unter denen wir die von Meister Woldemar Friedrich besonders auszeichnend hervorheben, zum großen Theil das Lob poetischer Empfindung und künstlerischer Ausführung. Wir legen diese elegant ausgestattete Anthologie namentlich den deutschen Frauen warm an’s Herz.
„Original-Radirungen Düsseldorfer Künstler“ (Wien, Gesellschaft für vervielfältigende Künste). Ein reiches Leben und große Fülle der Gegenstände tritt uns in den künstlerisch auf’s Feinste ausgeführten Bilderheften des Düsseldorfer Radirclubs entgegen. Diese Original-Radirungen leisten an Feinheit der Ausführung etwas geradezu Bewunderungswürdiges. Die Düsseldorfer Künstler, welche sich vor vier Jahren bekanntlich zu einem eigenen Radirclub vereinigten, haben sich unlängst mit der „Gesellschaft für vervielfältigende Kunst“ in Wien in der Weise zusammen gethan, daß die genannte Gesellschaft die Platten der bereits ausgegebenen drei Jahrgänge der „Original-Radirungen“ als Eigenthum erworben hat und in Zukunft jährlich ein Heft mit mindestens zehn Platten der ausübenden Mitglieder des Clubs veröffentlichen wird. Zu dem soeben zur Ausgabe gelangten vierten Hefte, das mit den drei bisher erschienenen Heften ein imposantes Ganze bildet, finden wir die bekanntesten Namen der Düsseldorfer Schule mit zehn prächtigen Radirungen vertreten. Es geht ein vorwiegend realistischer Zug durch die Publicationen des Düsseldorfer Radirclubs; die Naturwahrheit in der Ausführung jeder Linie dieser ebenso präcis radirten, wie exact gedruckten Bilder deckt sich auf das Trefflichste mit dem Naturalismus der Sujets. Das Werk wendet sich an feinere Kunstkenner. Mögen diese es nicht unbeachtet lassen!
Als letztes, aber darum nicht als geringstes, heben wir aus der Reihe der heute von uns registrirten Prachtwerke hervor: den zweiten und letzten Theil des von der „Gartenlaube“ schon früher in seinem ersten Theile gewürdigten Werkes „Die Hohenzollern und das deutsche Vaterland“ von Dr. R. Graf Stilfried Alcantara und Professor Dr. Bernhard Kugler (München, Friedrich Bruckmann’s Verlag), illustrirt von den ersten deutschen Künstlern. Dieser Theil umfaßt den Zeitraum vom Tode Friedrich’s des Großen bis zur Gegenwart. Wir empfehlen das treffliche Werk der allgemeinen Beachtung.
Unter den Bilderbüchern für unsere Kleinen sticht uns besonders lockend in die Augen ein schönes Liederbuch von F. Werckmeister, mit Reimen von Victor Blüthgen: „Jung Mieze“ (Berlin. Photographische Gesellschaft). Die höchst liebreizenden, geschmackvoll colorirten Werckmeister’schen Zeichnungen und die im besten Sinne des Wortes naiven, eine wahrhaft bestrickende Anmuth athmenden Verse unseres allbeliebten Mitarbeiters Victor Blüthgen bilden ein anziehendes Ganze, dem so leicht kein Kinder- und – fügen wir es nur gleich hinzu! – auch kein Frauenherz widerstehen wird; denn nicht nur für die Kleinen ist „Jung Mieze“ geschaffen, auch für die Harmlosen unter den Großen, und das sind ja meistens unsere Frauen. Möge das prächtige Buch auf keinem Weihnachtstische fehlen!
„Das Kind und seine kleine Welt“ nennt sich eine Sammlung von zweiunddreißig Originalzeichnungen in Farben von Wilhelm Claudius, mit Versen von Johannes Trojan (Dresden, C. C. Meinhold und Söhne), das in Wort und Bild dem Werckmeister-Blüthgen-Buche an Werth nicht viel nachsteht. Daran fügen sich:
„Allerlei nette Pflanzen“. Heitere Kinderlieder von Schmidt-Cabanis, mit farbigen Bildern von Lothar Meggendorfer (München, Braun und Schneider), ein Werkchen, das in den Zeichnungen zwar viel burlesker und derber gehalten ist, als die eben erwähnten beiden Bücher, dem Texte nach aber so viel des Ergötzlichen und Humorvollen, des zart Empfundenen und Originellen bietet, daß wir uns freuen würden, diese „Netten Pflanzen“ zu Weihnachten in tausend und abertausend Kinderhänden zu sehen. Endlich:
Wer für ein illustrirtes Kinderbuch nur wenig Geld ausgeben kann und doch etwas wirklich Anmuthiges seinen Kleinen bieten möchte, dem empfehlen wir das reizende Büchlein: „Für kleine Leute. Bilder und Reime von L. v. Kramer“ (München, Fr. Bassermann); es wird am Weihnachtsabend Alt und Jung gewiß Freude bereiten.
Und damit der Gesang unter den lichterstrahlenden Weihnachtsbäumen nicht fehle, lenken wir zum Schluß die Aufmerksamkeit unserer Leser auf ein musikalisches Kinderbuch, auf das „Weihnachts-Album für die musikalische Jugend“ von Karl Seitz (Quedlinburg, Chr. Friedr. Vieweg), das eine reiche Auswahl von Gesang- und Clavierstücken bietet, unter deren Componisten wir den Namen Karl Reinecke’s und anderer bekannter Tondichter begegnen.