Litterarische Skizzen/Abowian
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[67] Abowian war zwar kein besonders hervorragender Schriftsteller, aber doch ist er in der neueren armenischen Litteratur nicht ohne Bedeutung, denn er war der Erste, der unter den transkaukasischen Armeniern europäische Bildung und Wissenschaft zu verbreiten suchte. Bis zu seinem Auftreten war bei diesen von einem Geistesleben nach europäischem Begriffe gar keine Rede, die Bildung der Jugend in den armenischen Schulen überschritt nicht die Grenzen, die ihr eine engherzige Geistlichkeit zog und gegen die europäische Kultur herrschte allgemeines Misstrauen. Abowians Verdienst ist es, unter seinen transkaukasischen Landsleuten den Glauben an die Unfehlbarkeit der alten Lebensgrundsätze und den Wert der [68] alten Unkultur einigermassen erschüttert zu haben.
Das Leben dieses Mannes, dessen Charakter, Intelligenz und Herzen einer unserer hervorragendsten Dichter, nämlich Bodenstedt, die grösste Anerkennung zollt, ist reich an interessanten Zügen und das Bild einer Emporkömmlingslaufbahn im besten Sinne. Wie viele Armenier, die sich aus Armut und völliger Bedeutungslosigkeit zu Reichtum und Ansehen emporschwingen, hat sich auch Abowian vom unwissenden Dorfknaben zum gebildeten und angesehenen Pädagogen und Schriftsteller emporgearbeitet.
Geboren wurde er im Jahre 1806 im Dorfe Kanaker bei Eriwan, wo seine Vorfahren lange Zeit hindurch erbliche Gemeineälteste waren. Seinen ersten Unterricht genoss er in der Klosterschule zu Etschmiadsin, dem Sitze des armenischen Katholikos oder Patriarchen. Von hier nahm ihn sein Pflegeherr, der Bischof Anton, nach Tiflis, wo er ihn im Narsesseminar unterbrachte, in welchem er bis zum Jahre 1828 verblieb, ohne sich jedoch an Kenntnissen besonders [69] bereichert zu haben, denn die Schule war eben eine dürftige. Über deren damaligen Zustand und Abowians Aufenthalt in derselben schreibt der bekannte Professor Nasarianz Folgendes: „Abowian war einer der erwachsenen Schüler und vielleicht der verständigste unter seinen Kameraden. Unter anderem zeichnete er sich durch ein vortreffliches Gedächtnis aus, aber wie wir alle trug auch er nicht besonders viel aus der Schule davon, was eben dem karg erteilten Unterrichte zuzuschreiben war. Leugnen lässt sich jedoch nicht, dass hier manches gesunde Samenkorn in die jugendlichen Gemüter gestreut wurde und Abowian verliess die Schule mit glühender Liebe zur Wissenschaft im Herzen.“
Von Tiflis kehrte er nach Etschmiadsin zurück und ging mit dem Gedanken um, sich zu seiner Fortbildung nach Venedig ins Kloster der Mechitaristen zu begeben, doch dieses Vorhaben vermochte er nicht auszuführen und er verblieb also in Etschmiadsin beim Katholikos. Zufälliger Weise besuchte diesen Ort gerade um jene Zeit der Dorpater Gelehrte Parrot, [70] welcher den Ararat zu besteigen beabsichtigte und zu diesem Zwecke den Patriarchen um einen der russischen Sprache kundigen Führer bat. Dieser schlug ihm seinen Liebling Abowian vor, mit dem auch Parrot seine Besteigung ausführte. Hierbei hatte er Gelegenheit, des Jünglings geistige Begabung und Verstand kennen zu lernen, und als er gar erkannte, wie sehr dieser von Wissensdurst erfüllt sei, schlug er ihm vor, ihm nach Dorpat zu folgen, woselbst er die Kosten für seine weitere Ausbildung selbst bestreiten werde. Abowian entschloss sich Parrot nach Europa zu begleiten. Allein nun türmten sich Hindernisse von allen Seiten auf, seine Verwandten wollten ihn nicht in solcher Ferne wissen, vor Allem aber fürchtete die Geistlichkeit, dass er seinem Glauben möchte untreu werden. Er überwand endlich Alles, da auch der Patriarch Ephrem (Ephraim) seine Einwilligung gab und als er nun vor ihm knieend und sein Gesicht in dessen Schoss verbergend und weinend lag, sprach der ehrwürdige Greis zu ihm: „Sohn, mein geistiger Sohn! Ist es dein Wille, [71] ein Abtrünniger zu werden, die Mutterkirche, deinen Vater, der ich jetzt bin, zu vergessen, die Eltern, das Land und den Glauben zu verleugnen, so sei sicher, dass Gott dir das einfachste Brot entziehen wird. Geschieht die Trennung vielleicht wegen Beleidigungen, so sag’ es mir, ich will Alles vergüten. Ich habe dich mit Tobias’ Vatergüte behandelt, weil du mir ein solcher Sohn warst wie der seine. Aber du willst uns verlassen, deine Jugend reizt dich dazu. Du sagst, du gehest für dein Vaterland, so sei es wie du willst! Wenn die Fremde dir Leiden und Kummer verursachen sollte, so musst du es mit Ergebenheit ertragen, weder Gott noch uns verklagen. Wirst du dein Vaterland, deine Religion nicht vergessen und thust du, was du sagst und kommst wieder, so bist du unser Liebling wie bis jetzt. Vielleicht findest du mich tot, dann segne mein Grab, meine Asche wird dort und ich im Himmel deine Worte hören und dich segnen.“ Abowian hat diese Worte nie vergessen, er hat sich die deutsche europäische Bildung zu eigen gemacht, wie selten ein [72] Asiate, allein er ist seinem angeerbten Glauben anhänglich und ein treuer Sohn seiner Kirche geblieben.[1] Die hier angeführten Abschiedsworte des Patriarchen zeigen deutlich, wie verschlossen die damalige armenische Welt noch war, welches Misstrauen die Geistlichkeit gegen die europäische Kultur hegte und in jeder Aufklärung durch abendländisches Wissen Gefahr für die Religion erblickte.
Die Zeit, welche Abowian in Dorpat verbrachte, war für ihn sehr nutzbringend, er erwarb sich dort gründliche Kenntnisse und erlernte die deutsche Sprache, die er, wie Haxthausen erzählt, so gut sprach und schrieb, dass niemand in ihm einen Fremden erkennen konnte. Sein bester Freund, Ratgeber und Beschützer war natürlich in Dorpat der Professor Parrot, der keine Mühe scheute, seine Bildung zu fördern, sowie die edelsten Eigenschaften seines Gemütes zu entwickeln. Dabei liebte er ihn wie ein Vater und that alles [73] Mögliche um sein Heimweh zu mildern. Ziemlich charakteristisch für das Verhältnis Parrots zu seinem Pfleglinge ist das folgende kleine Ereignis. Eines Tages sah der Professor einen Mann ins Polizeiamt gehen, in dem er der Kleidung nach einen Armenier zu erkennen meinte. Er ging ihm also nach und erfuhr nun, dass er sich nicht getäuscht habe. Sofort lud er ihn zu sich ein und lässt Abowian rufen. Dieser kam baldigst, aber als die Familienmitglieder Parrots seine Grussworte ziemlich trocken und karg erwiderten, wurde er verlegen und glaubte schon durch irgend welches Versehen diese Missstimmung hervorgerufen zu haben, als sich plötzlich die Thür öffnete und der Professor mit dem aufgefischten Armenier hereintrat und im freundlichsten Tone zu ihm sagte: „Hier haben Sie einen Armenier!“ Die Anwesenden klatschten nun laut Beifall und teilten in herzlicher Weise die Freude Abowians, der diese unerwartete Begegnung mit einem seiner Landsleute in so weiter Fremde in einem seiner gefühlvollsten Gedichte beschrieben hat.
[74] Im Jahre 1836 kehrte Abowian reich an Kenntnissen und Liebe zur Wissenschaft in den Kaukasus zurück und ging hier mit dem Gedanken um, ein armenisches Schullehrerseminar zu gründen. Sein Vorhaben war jedoch nicht leicht auszuführen, weshalb er Tiflis verliess und sich nach dem Patriarchensitze Etschmiadsin begab, um sich dort um eine Lehrerstelle am armenischen Priesterseminar zu bewerben. Hier traf er jedoch auf unüberwindliche Schwierigkeiten, denn die Geistlichkeit weigerte sich einem Manne ein Lehramt anzuvertrauen, der seine Bildung unter protestantischen Deutschen genossen hatte und also nach ihrer Meinung von Häresie angesteckt sein musste.
Nach dieser Abfertigung von seiten seiner Glaubensgenossen wandte er sich an die Regierung und erhielt das Amt eines Lehrers und Schulinspektors. Da jedoch eine solche Stellung nicht ganz seinen Wünschen entsprach, verliess er sie bald wieder und gründete in Tiflis eine Privatlehranstalt, aus der mehrere tüchtige Männer hervorgegangen sind. [75] Durch Wort und Schrift Aufklärung und Kenntnisse unter seine Landsleute zu bringen, war ja sein ganzes Streben und er stand daher seinem Amte mit aufrichtiger Liebe und Hingebung vor. Im Jahre 1843 wurde ihm die Inspektorstelle der Eriwaner Kreisschule übertragen, in der er mehrere Jahre verblieb, nämlich bis 1848, wo er durch die Verwendung des Patriarchen zum Inspektor des Tifliser armenischen Priesterseminars ernannt wurde. Um diese Zeit ereilte jedoch den thätigen, edlen Mann der Tod. Eines Tages ging er aus und ist nicht mehr zurückgekehrt.
Das Hauptwerk Abowians ist der Roman „Werk Hajastani“ (Die Wunden Armeniens), welches für die neuere armenische Litteratur schon in sprachlicher Hinsicht von hoher Bedeutung ist, denn es bildet gewissermassen die Grundlage zur neuen Litteratursprache. Auch sein Inhalt ist, wenn er auch durch den Mangel an Zusammenhang und andere Ungenauigkeiten dem eines Romanes nicht entspricht, dennoch wertvoll, da er eben eine [76] Reihe Bilder giebt, in denen alle Schattenseiten des damals noch ganz asiatischen und verknöcherten Lebens der Armenier aufgezeichnet sind.
Die Handlung fällt in die Zeit, als das heutige Eriwansche Gouvernement noch unter persischer Herrschaft stand, nämlich in die ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts. Im ersten Bilde schildert Abowian die gewaltsame Entführung eines schönen armenischen Mädchens durch persische Faraschen oder Polizeisoldaten, denn das Mädchen ist so unglücklich gewesen, dem Sardar oder Pascha zu gefallen und dieser forderte sie nun für seinen Harem. Da sich solche Fälle unter der Perserherrschaft sehr oft ereigneten, so gehörten sie in der That zu den schmerzlichsten Wunden des armenischen Lebens. Bei dem Mädchenraube kommt es natürlich zwischen den Armeniern und persischen Soldaten zum blutigen Kampfe, in welchem mehrere der letzteren getötet werden. In Folge dessen müssen diejenigen, die am Kampfe teil genommen, fliehen und um der Rache des Sardaren zu entgehen, als [77] obdachlose Flüchtlinge umherirren. Da die Schuldigen entkommen, wendet sich nun die Wut des persischen Gewaltigen gegen die unschuldigen Bewohner des Dorfes, von wo er die Unglückliche[WS 1] entrissen und Jung und Alt müssen für die Kühnheit der Entflohenen büssen. Die Letzteren finden zwar bei den meisten ihrer armenischen Landsleute gastfreundliche Aufnahme, aber auch zugleich Misstrauen und Ärger über ihr tollkühnes Verfahren, denn die Furcht vor der Rache des Sardaren hatte längst in allen Mut und Gefühl persönlicher Würde erstickt. In einem weiteren Bilde schildert der Verfasser den Kampf mit einer Räuberbande und bei dieser Gelegenheit beschreibt er auf wahrhaft packende Weise die Ruinen der alten Königsstadt Ani. Schliesslich im letzten Abschnitte ist das Ende der Perserherrschaft und die Einnahme Eriwans durch die Russen dargestellt und mit dem letzten Ereignisse findet der in der Schilderung persisch-armenischer Zustände gipfelnde Roman seinen Abschluss. Die Hauptsache, die Abowian mit diesem Romane bezweckte, ist [78] die Schilderung des damaligen elenden Lebens seines Volkes in jeglicher Hinsicht. Von einer geistigen Regung war nicht die geringste Spur vorhanden, jede sittliche Erhebung der Jugend wurde vom Volke selbst gehemmt, denn dieses hatte längst das Gefühl eigener Würde verloren und das einzige, wodurch es von Zeit zu Zeit aus dem Schlummer aufgerüttelt wurde, war die Perserfurcht.
Heute, da sich die Lebensverhältnisse der Armenier längst geändert haben, besitzt natürlich Abowians Werk nicht mehr denselben Wert wie früher, aber doch hat es seiner Sittenschilderungen wegen, die uns mit dem Leben aller Schichten der Bevölkerung bekannt machen, auch heute noch eine vor allem etnographische Bedeutung.
Auch als Dichter hat sich Abowian versucht, aber er war keineswegs ein Sänger voll Kraft und die meisten seiner Gedichte sind so sentimentalisch und gefühlsschwärmerisch, dass sie heute nur von wenigen gelesen werden. Der Einfluss der deutschen Romantik ist übrigens in ihnen leicht zu erkennen; sie war ja [79] Abowians poetische Schule und hat ohne Zweifel viel zur Entfaltung seiner sentimentalen Natur beigetragen.
Als er noch in Dorpat weilte, schrieb er seine „Jugenderinnerungen“, die er dem bekannten deutschen Reiseschriftsteller Haxthausen schenkte und die, wie aus des letzteren darnach abgefassten Schilderungen zu ersehen ist, sehr viel Interessantes über das armenische Volksleben enthalten. Sein Verkehr mit Deutschen war auch nach seiner Rückkehr in die Heimat ein reger. Haxthausen, Wagner, Abich und vor allem Bodenstedt haben während ihres Aufenthaltes in Transkaukasien in ihm einen geistreichen Freund und Führer gefunden, dem sie manche schöne Seite ihrer Werke verdanken.
- ↑ „Transkaukasia“ von Haxthausen. Erster Band.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Unglücklichen