Litterarische Skizzen/Die Kongregation der Mechitaristen

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Abowian Litterarische Skizzen
von Arthur Leist
Erzbischof Gabriel Aiwasowski
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VI.
Die Kongregation der Mechitaristen.



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[83] Es giebt wohl heute schwerlich eine zweite religiöse Genossenschaft, die sich einer so rührigen litterarisch-wissenschaftlichen Thätigkeit rühmen dürfte wie die der armenischen Mechitaristen. Wenigstens hat kaum eine zweite in verhältnismässig so kurzer Zeit und bei so geringer Zahl ihrer Mitglieder bedeutenderes geschaffen. Zudem hatte die Wirksamkeit des Mechitaristenordens bis heutigen Tages einen sehr bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung der neuarmenischen Litteratur und die Hebung der Wissenschaften, so dass also ein kurzes Bild der Entstehung und Wirksamkeit dieser Kongregation unter den in diesem Büchlein enthaltenen litterarischen Skizzen am Orte ist.

[84] Mamuk (als Geistlicher Mechitar genannt), der Gründer des Mechitaristenordens, wurde im Jahre 1676 in Sebastia in Kleinasien geboren. Als er fünf Jahre alt war, wurde er, wie es noch heute mehrfach bei Armeniern Sitte ist, einem Geistlichen in Unterricht gegeben. Im Alter von neun Jahren begann er schon manche Kirchendienste zu verrichten und nun übernahmen seine Erziehung zwei Nonnen, die in der Stadt für sehr fromm und gottesfürchtig galten und wahrscheinlich in dem Knaben die Neigung zum Priesterstande entwickelt haben mögen. Es wird erzählt, die beiden Nonnen hätten den Knaben durch Schilderungen eigener Traumerscheinungen, nach welchen er von Gott dazu bestimmt sei, als Mönch der Kirche zu dienen, zu einem asketischen Leben aufgemuntert. So trug er schon als zehnjähriges Kind ein härenes Gewand und legte sich die verschiedensten Entbehrungen auf. Als er fünfzehn Jahre alt war, wurde er in eins der Nachbarklöster unter die Zahl der Diakonen aufgenommen und erhielt bei dieser Gelegenheit den Namen Mechitar. Sofort begann er [85] sich mit dem Lesen der heiligen Schrift zu beschäftigen, aber da es ihm an einem guten Lehrer fehlte, bat er den gerade in seinem Kloster weilenden Erzbischof Michael, der für einen Gelehrten galt, ihm die Bibel zu erklären. Der Erzbischof nahm sein Anliegen an, forderte jedoch von ihm für den Unterricht gewisse Gegendienste, die in gewöhnlichen mit der Hauswirtschaft verbundenen Verrichtungen bestanden. Der Knabe ging darauf ein und folgte seinem neuen Lehrer nach Erserum, wo er zufällig mit einem Jesuiten bekannt wurde, der ihm viel vom Frankenlande, von dessen Existenz er keinen Begriff hatte, erzählte und ihm in Kürze die Grundsätze der römisch-katholischen Kirche darlegte. Diese flüchtig empfangenen Kenntnisse scheinen den Keim zu Mechitars späterem Glaubenswechsel gelegt zu haben, denn von jetzt an wurde er in seiner Religion wankelmütig und suchte bei jeder Gelegenheit mit katholischen Geistlichen in Berührung zu kommen. Der Dienst bei dem Erzbischofe Michael, der ihn von Erserum mit sich nach dem Patriarchensitze Etschmiadsin [86] genommen hatte, war für den jungen Mechitar eine schwere Geduldprobe, denn er musste neben verschiedenen den Mönchen zufallenden Obliegenheiten noch die schwersten Gartenarbeiten verrichten, von denen er nicht einmal befreit wurde, als er an einem in jenen Gegenden auch heute noch häufig vorkommenden Augenleiden erkrankte. Um seinen Plackereien ein Ende zu machen, entfloh er mit einem guten Freunde ins Sewansche Kloster auf den Geoktschasee, aber auch hier ward ihm die harte Behandlung, die er seitens seiner Oberen erfuhr, bald unerträglich und beide Freunde zogen nach Eriwan, wo sie sich einen Esel kauften und einer nach Erserum ziehenden Karawane anschlossen. In Hassan-Kaloh gab jedoch Mechitar schon seine Weiterreise auf, da ihm der Abt des dortigen Klosters den Vorschlag machte, bei ihm zu bleiben und in die Klosterschule als Lehrer einzutreten. Als solcher verweilte er hier anderthalb Jahre und während dieser Zeit hatte er Gelegenheit, sich mehr und mehr mit den Grundsätzen der katholischen Religion bekannt zu machen, denn in [87] der Gegend von Hassan-Kaloh befanden sich gerade mehrere katholische Missionäre, die durch ihre Propaganda das Volk und die armenische Geistlichkeit nicht wenig beunruhigten. Dazu machte er noch, als er von Hassan-Kaloh in seine Vaterstadt zurückkehrte, in Erserum die Bekanntschaft eines Mannes, der in Rom gewesen war und ihm viel über die Herrlichkeit der katholischen Kirche und die Macht des Papstes zu erzählen wusste. Diese Schilderungen machten einen mächtigen Eindruck auf ihn und nicht minder die Bücher, die er sich zu verschaffen gewusst hatte. Er bezog daher, um sich ganz seinen Studien und religiösen Betrachtungen widmen zu können, wiederum ein Kloster und hier verfasste er als achtzehnjähriger Jüngling ein schönes Kirchenlied „Ich flehe dich an, o Mutter Gottes!“ welches lange Zeit in den armenischen Kirchen gesungen wurde. Nach einer sechsmonatlichen Krankheit, während welcher er fast völlig blind war, beschloss er mit einem andern jungen Manne nach Jerusalem zu gehen und setzte auch seinen Entschluss ins Werk. In Aleppo [88] angekommen, änderte er jedoch seinen Plan, da ihm der Gedanke, Rom zu sehen, keine Ruhe liess und wahrscheinlich die Idee, sich dort auszubilden und dann als Geistlicher für sein Volk etwas grosses zu vollbringen, schon damals seinen Geist beschäftigte. Die in Aleppo sich aufhaltenden Jesuiten rieten ihm jedoch von seinem Vorhaben ab und zwar, weil er weder lateinisch noch italienisch verstand und daher seine Lage in der ewigen Stadt eine schwierige sein würde. Als er jedoch auf seiner Absicht bestand, gaben sie ihm ein Empfehlungsschreiben und er schiffte sich mit seinem Gefährten nach Italien ein. Auf Cypern erkrankte er am Fieber und musste dort längere Zeit in einem armenischen Kloster verbleiben, wo er von den Mönchen, die ihn seiner Romreise wegen für einen Abtrünnigen hielten, ziemlich hart behandelt wurde. Die hier erfahrene schlechte Behandlung war vielleicht auch der Grund, dass er nach seiner Genesung die Reise nach Rom nicht weiter fortsetzte, sondern in seine Heimat zurückkehrte, wo er auch im Jahre 1695 anlangte. Im nächsten [89] Jahre wurde er in einem Alter von zwanzig Jahren zum Mönche geweiht und schon jetzt begann er Gesinnungsgenossen in seine Nähe zu ziehen, obgleich er vielleicht mit sich selbst noch nicht über den Zweck dieser Vereinigung im klaren war. Um diese Zeit machte der Schüler der römischen Kongregation di propaganda fide, Chatschatur in Konstantinopel, wo er als Missionar wirkte, viel von sich reden und der Ruf seiner Gelehrsamkeit und Beredsamkeit drang auch nach Kleinasien in das Kloster, in welchem sich Mechitar befand. Sein unruhiger Geist vermochte die Eindrücke des Erzählten nicht gleichgültig hinzunehmen und um den berühmten Prediger und Gelehrten selbst zu sehen und zu hören, begab er sich nach Konstantinopel. Hier machte er Chatschatur den Vorschlag, mit ihm eine Ordensbrüderschaft zu gründen, deren Bestimmung es wäre, die Priestererziehung und Volksaufklärung zu fördern. Chatschatur schlug ihm seine Beihilfe ab, weshalb Mechitar nach Erserum zurückkehrte, ohne jedoch Ruhe zu finden, denn der Gedanke, einen Orden zu gründen [90] und durch diesen auf die sittliche und geistige Hebung seines Volkes einzuwirken, verliess ihn keinen Augenblick mehr. Im Jahre 1700 erschien er daher von neuem in Konstantinopel und zwar mit vier gleichgesinnten Mönchen, fand aber hier keineswegs das passende Feld für die Ausführung seines Planes, denn wegen der sehr kühnen Propaganda der Jesuiten herrschte unter den Armeniern der türkischen Hauptstadt grosse Aufregung. Um dem Treiben der Jesuiten Einhalt zu thun, wandte sich der Patriarch an die Regierung und diese verfolgte nun die schon katholisch gewordenen Armenier. Bei solchen Verhältnissen konnte also Mechitar nicht an die Ausführung seines Planes denken und um unterdessen in anderer Weise seine Absichten ins Werk zu setzen, begann er die Herausgabe religiöser Bücher und übersetzte selbst die „Nachfolge Christi“, die jedoch für die Geistlichkeit ein Stein des Anstosses wurde und unter dieser grosses Misstrauen gegen ihn wachrief. Deshalb zog er sich mit einigen seiner Gesinnungsgenossen in einen entlegenen Winkel von Pera zurück [91] und gründete hier eine Schule, für die er auch Schüler fand. Sein eigenmächtiges Vorgehen, sein für die Masse der armenisch-gregorianischen Geistlichkeit ziemlich dunkler Plan zog ihm jedoch immer mehr Anfeindungen zu und der Patriarch setzte ihn sogar auf die Liste der Abtrünnigen. Er musste seine Schule schliessen und suchte Zuflucht bei den Jesuiten, die ihn jedoch auch nicht bei sich haben wollten und ihn an die Kapuziner verwiesen.

Im Jahre 1701 war sein Plan endlich reif und er begann nun ernstlich an die Gründung einer Kongregation zu denken, deren Zweck sein sollte: Förderung aller nötigen Wissenschaften und Hebung der Volksaufklärung. Die Zahl seiner Gesinnungsgenossen betrug zehn und diese wählten einstimmig Mechitar zu ihrem Oberen, legten das Gelübde des Gehorsams und der Treue ab und nahmen für ihren Bund die Regeln des heiligen Antonius an. Jetzt begannen jedoch die Verfolgungen von seiten der Geistlichkeit. Mechitar musste aus Konstantinopel fliehen, seine Schüler wurden [92] zerstreut und erst nach drei Jahren gelanges ihnen wieder, in der Morea zusammen zu kommen. Ihre Zahl war bereits auf sechzehn angewachsen und da Mechitar bei der venetianischen Regierung, unter der damals die Morea stand, Unterstützung zu finden hoffte, wandte er sich an dieselbe mit der Bitte, ihm ein Grundstück zur Errichtung eines Klosters zu schenken. Die venetianische Regierung willfahrte seiner Bitte und wies ihm in der Nähe der Festung Meton ein Grundstück, sowie eine kleine Fläche Ackerland an. Bis zur Vollendung des Klosters bezog er mit seinen Bundesbrüdern ein anderes Haus, führte strenge Disziplin ein und legte jedem besondere Beschäftigung und Pflichten auf. Der junge Orden hatte jedoch anfänglich viele Mühsale und Entbehrungen zu überstehen. In Folge des ungesunden Klimas erkrankten die meisten und auch Mechitar am Fieber, welches sie lange ans Krankenlager fesselte, so dass ihr Wohnhaus einem Krankenhause glich. Dabei waren die Einkünfte sehr gering und die Mönche mussten oft Hunger leiden.

[93] In Rom machte der ohne Wissen des Papstes entstandene Orden viel von sich reden, weshalb sich Mechitar beeilte die Bestätigung des heiligen Stuhles einzuholen, zu welchem Zwecke er eins seiner Mitglieder nach Rom schickte. Die Bestätigung liess jedoch lange auf sich warten, denn der Papst übergab die Sache dem Kardinalkollegium zur Untersuchung und dieses verschob die Entscheidung von Jahr zu Jahr. Während dieser Zeit lernte Mechitar eifrig lateinisch und italienisch und war überhaupt bestrebt, seine Kenntnisse zu vermehren. Erst nach sieben Jahren traf von Rom eine Entscheidung ein und zwar musste sich jetzt Mechitar mit seinen Schülern öffentlich zum Katholizismus bekennen, obgleich sie bis dahin in Wirklichkeit noch dem Gregorianismus anhingen und mit ihrem Orden rein nationale Zwecke verfolgten. Ihre religiöse Gemeine wurde nun vom Papste bestätigt, Mechitar zum Abte ernannt und dem neuen Orden die Regeln der Benediktiner vorgeschrieben. Auch war jetzt durch Unterstützungen der venetianischen Regierung das [94] Kloster ausgebaut worden, doch nicht lange sollte es seine Bewohner beherbergen.

Im Jahre 1715 brach zwischen der Türkei und der Republik Venedig ein Krieg aus und Mechitar flüchtete sich vor den einrückenden Türken mit den meisten seiner Schüler nach Venedig, wo sie sich durch Messelesen ihren Unterhalt verdienten. Als endlich die Morea völlig von den Türken erobert und mithin das dortige Kloster für den Orden verloren war, kam Mechitar beim Senate um die Erlaubnis zur Errichtung eines Klosters in Venedig ein, aber seine Bitte wurde nicht gewährt. Da fiel sein Augenmerk auf die völlig unbewohnte Insel San Lazzaro, und nach langen Bemühungen erhielt er endlich im Jahre 1717 die Erlaubnis, sich mit seinen Genossen dort niederzulassen, wobei ihnen der Senat die ganze Insel zum Eigentume übergab. Jetzt schien ihre Zukunft gesichert, aber da die kleinasiatischen Katholiken nicht aufhörten, in Rom ihre Bestrebungen zu verdächtigen und ihnen vorwarfen, gegen die römisch-katholische Kirche feindlich gesinnt zu sein, so zögerte der Vatikan mit der neuen [95] Bestätigung und Mechitar wurde sogar nach Rom berufen, wo er auf alle ihm gemachten Vorwürfe eine schriftliche Erklärung abgeben musste. Diese befriedigte das Kardinalkollegium und die neuen Ordensbrüder erhielten das Recht, als Missionäre nach Kleinasien zu gehen, jedoch unter der Bedingung, dass jeder von ihnen erst von zwei Kardinälen geprüft werden sollte.

Jetzt bekam nun Mechitar freie Hand und mit dem ihm eigenen Eifer machte er sich an die Errichtung des Klosters, dessen Bau jedoch nur stückweise ausgeführt werden konnte, da es an den nötigen Geldmitteln fehlte. Er selbst war der Baumeister und Leiter aller Arbeiten und legte hierbei seltenes Verständnis an den Tag. Der Bau des grossartigen Klosters währte zwanzig Jahre und wurde erst nach seinem Tode zu Ende gebracht. Angestrengte Arbeit zerrüttete endlich des Greises Gesundheit und er starb im Jahre 1749 in einem Alter von 74 Jahren. Als er sich dem Tode nahe fühlte, berief er seinen Sekretär Matthäus zu sich, gab ihm Hinweisungen über [96] die Wahl seines Nachfolgers und ermahnte die Ordensbrüder einig zu sein und in seinem Geiste fortzuwirken. Eben derselbe Matthäus schrieb bald darauf seine Lebensbeschreibung, aber bis jetzt ist dieselbe noch nicht im Druck erschienen, und zwar aus Rücksichten gegen die römische Kurie, da in derselben gesagt sein soll, Mechitar wäre nur durch die Umstände gezwungen worden, sich zum Katholizismus zu bekennen.

Wie man aus seinem thatenreichen Leben ersieht, war Mechitar von seltener Energie und Ausdauer. Dabei war er jedoch milde, tolerant und von grösser Herzensgüte. Er vergass gern jede Beleidigung und wies sie stets mit einem „Lawtsche!“ (Das ist nicht schön!) von sich. Ausserordentlich war seine Wissbegierde und meistens gelang es ihm auch, dieselbe seinen zahlreichen Schülern einzuflössen. Obgleich die Gründung des Mechitaristenordens sein Hauptverdienst ist, sind doch auch seine litterarischen Arbeiten, die er entweder selbst oder im Verein mit seinen Schülern ausführte, von hoher Bedeutung. Er selbst verfasste oder [97] übersetzte einige zwanzig Werke und gab andere von seinen Schülern geschriebene heraus. Neben einigen Büchern theologischen Inhalts sind die bedeutendsten die „Grammatik der alt-armenischen Sprache“, die „Grammatik der neu-armenischen Sprache“, die „Bibelübersetzung“ und schliesslich das „Armenische Wörterbuch“, ein Werk von hohem Werte, durch welches die armenische Sprache gerettet wurde. Die Herstellung des Wörterbuches nahm viele Kräfte in Anspruch und währte eine lange Reihe von Jahren, denn es mussten mehr als tausend alte Manuskripte durchgelesen, geprüft, ihr Wörterschatz verglichen und geordnet werden. Neben jedem Worte steht die griechische und lateinische Bedeutung, sowie eine Reihe von Beispielen aus alten Schriftstellern. In der Herausgabe von Büchern hatte Mechitar ausschliesslich nur einen nationalen Zweck vor Augen, denn er wollte vor allem die armenische Sprache wieder neu beleben, durch die Verbreitung der Litteratur- und Geschichtskenntnis unter seinem Volke das Nationalgefühl wach rufen und schliesslich durch [98] die Verbreitung wissenschaftlicher Bücher die allgemeine Bildung fördern. Da er jedoch in Rom fortwährend nationaler Tendenzen verdächtigt wurde und man dort seinen Katholizismus noch keineswegs für fest hielt, so musste er, um den Verdacht abzulenken, auch eine Reihe theologischer, vom Papste approbierter Werke herausgeben. In der Vorrede seiner Bibelübersetzung sagt er übrigens: „Obgleich ich mich Rom unterwerfe, so wird doch die Liebe zu meinem Volke und mein Arbeitseifer zum besten desselben nie in mir erschwachen.“

Als er starb, hinterliess er noch einige verschiedene Wissenschaften betreffende Werke im Manuskripte, sowie eine vortrefflich eingerichtete Schule, die für lange Zeit die Pflanzstätte tüchtiger Gelehrter werden sollte.

Nach seinem Tode erhielt die Kongregation zu seinem Andenken den Namen der Mechitaristen und unter diesem ist ihr Ruhm in die weite Welt gedrungen. Mechitars nächster Nachfolger war Stepanos Melkonian, ein Konstantinopeler, der fünfzig Jahre lang Abt war und sich um die Kongregation grosse [99] Verdienste erworben hat. Er wirkte ganz im Geiste seines verstorbenen Lehrers fort und hielt, wenn er auch äusserlich sich dem Papste unterwürfig zeigte, dennoch zur gregorianischen Kirche, wie überhaupt seine ganze Wirksamkeit einen nationalen Charakter hatte. In Folge seiner Hartnäckigkeit, mit der er auf der Befolgung der von Mechitar vorgeschriebenen Grundsätze bestand, kam es unter den Mönchen zur Entzweiung und mehrere von ihnen, die die entgültige, aufrichtige Unterwerfung unter die Oberhoheit der römischen Kurie anstrebten, schieden aus dem Kloster aus und gründeten in Triest eine Filiale. Diese und andere Zwischenfälle erregten von neuem das kaum eingeschlummerte Misstrauen des päpstlichen Stuhles und Melkonian wurde trotz seiner grossen Verdienste in jeder Auszeichnung umgangen und starb 1800 in einem Alter von 100 Jahren als gewöhnlicher Mönch. Für die wissenschaftlich-litterarische Thätigkeit des Ordens sorgte er nicht minder als Mechitar, und um die Herausgabe von Büchern zu erleichtern, kaufte er im Jahre 1788 die beste damals in [100] Venedig bestehende Buchdruckerei und brachte sie im Kloster unter. Seine Zeit war reich an tüchtigen armenischen Gelehrten, die alle insgesamt aus der Klosterschule hervorgegangen und dann Mitglieder der Kongregation geworden sind. Die bedeutendsten unter ihnen waren: Tschamtschian, der Verfasser einer „Geschichte Armeniens“ in drei starken Bänden, Indschidschian, der Verfasser eines umfangreichen Werkes über die Altertumskunde Armeniens, Awgerian, der mit Byron befreundet war und diesem Unterricht in der armenischen Sprache erteilte, Agonz, Dschadschagian, Papasian u. s. w. Alle diese Namen sind noch heute die grössten Zierden des Mechitaristenordens.

Auf Melkonian folgte als Abt der eben erwähnte Agonz, welcher, da er sich anfänglich den römischen Eingebungen gegenüber ziemlich empfänglich zeigte, vier Jahre nach seinem Amtsantritte zum Erzbischöfe in partibus ernannt wurde. Innerlich hielt jedoch Agonz und die meisten Mönche noch zur armenischen Nationalkirche und mehrere von ihnen schlugen sogar vor, nach England überzusiedeln, um [101] dort des römischen Druckes ledig, frei und unbehelligt die nationale Sache betreiben und womöglich eine Wiedervereinigung mit der gregorianischen Kirche bewerkstelligen zu können. Um diese Zeit ereignete sich jedoch ein Zwischenfall, der sie zwang, die Maske abzuwerfen. Tschamtschian hatte nämlich eine Schrift „Wahan hawato“ (Glaubensschild) verfasst, in welcher er die gregorianische Kirche als dem ursprünglichen Christentum am nächsten stehend, gegen den von der evangelischen Reinheit abgewichenen Katholizismus verteidigt. Diese Schrift wurde ihm, als er im Bade war, gestohlen und nach Rom geschickt. Die römische Kurie, die stets Milde zu üben wusste, wo diese für ihre Zwecke notwendig und politisch war, liess trotz dieser Entdeckung die Mechitaristen unbehelligt, ja, der Papst erklärte öffentlich, dass Tschamtschian ein guter, aufrichtiger Christ sei. Die Mechitaristen stellten nämlich schon damals ein tüchtiges Kontingent von Missionaren, die der römischen Kirche durch ihre Propaganda in Kleinasien nicht geringen Nutzen brachten. Dieses Kontingent [102] fürchtete nun die Kurie zu verlieren, falls sie gegen die Mechitaristen streng vorginge und sie veranlasse, sich nach einem anderen Zufluchtsorte umzusehen.

Um dieselbe Zeit kam es zu langen Streitigkeiten zwischen der Venediger Kongregation und der Filiale in Triest, die einen Teil des durch Beiträge reicher Armenier bedeutend gewordenen Klostervermögens verlangte, aber ihre nicht ganz unrechten Forderungen zurückgewiesen sah. Um sich nun Unterhaltsmittel zu verschaffen, schickten die Triester zwei ihrer Mitglieder nach Ostindien, wo damals sehr reiche Armenier wohnten. Hier wandten sie sich an den in Madras wohnenden sehr wohlhabenden Kaufmann Raphael Gharamian, der ihnen auch eine ansehnliche Summe unter der Bedingung überwies, zwei wertvolle Geschichtswerke, die er selbst bestimmte, ins Armenische zu übersetzen und herauszugeben sowie eine Schule zu gründen.

Bald darauf starb Gharamian und im Jahre 1816 auch sein Schwiegersohn, der reiche Samuel Muradjan, welcher die Venediger Mechitaristen [103] zu Vollstreckern seines Testamentes bestimmte, in welchem er vier Millionen Franken zur Gründung einer armenischen Schule vermachte. Der Sohn des verstorbenen Muradjan kam selbst nach Venedig, da er sich aber hier überzeugte, dass die Mechitaristen nicht mehr den Idealen seines Vaters entsprachen und mehr konfessionelle als nationale Zwecke verfolgten, so weigerte er sich die Summe auszuzahlen. Es kam deshalb zum Prozesse, der lange Jahre währte und endlich zu Gunsten der Mechitaristen entschieden wurde. So gelangten sie nun in Besitz eines bedeutenden Vermögens, welches in ihren Händen keineswegs dem armenischen Volke zum Heil wurde, denn uneingedenk des ausdrücklichen Wunsches Muradjans, eine armenische Schule zu gründen für Schüler aller Konfessionen, errichteten sie in Paris die Muradjan-Schule, in welche sie nur Katholiken aufnahmen. Nach Schliessung derselben fällt auf die Verwendung der Zinsen des Muradjankapitals eine Hülle und es scheint, dass dieses Geld heute nur dazu dient, die Kosten der katholischen Propaganda in [104] Kleinasien zu decken, was allerdings Muradjan nicht bezweckt hatte.

Nach Agonz, der im Jahre 1824 starb, wurde Somalian zum Abte des Venediger Klosters gewählt. Dieser Mann war keineswegs Papist, sondern armenischer Patriot und bestand hartnäckig auf der Beibehaltung des armenischen Ritus im Gottesdienste, sowie er auch ein Gegner der katholischen Propaganda war, die seit lange die Armenier Kleinasiens in zwei feindliche Lager teilte. Mehrere tüchtige und gelehrte Missionäre, die bis dahin in Armenien geweilt hatten, berief er nach Venedig zurück und verwandte sie hier zu wissenschaftlichen Arbeiten. Er begann eine lange Reihe der vorzüglichsten armenischen Manuskripte zu veröffentlichen und förderte sehr nachhaltig die philologischen Studien. Die Früchte dieser waren mehrere gediegene Wörterbücher und Grammatiken alter und neuer Sprachen. Auch liess er lateinische, griechische und französische Klassiker ins Armenische übersetzen und gründete eine Monatsschrift, die noch bis heute besteht. In den [105] unter seiner Leitung von der Kongregation veröffentlichten Büchern vermied er sorgsam jeden Angriff gegen die gregorianische Kirche, sowie er auch jeder Verherrlichung der römisch-katholischen aus dem Wege ging. Auf diese Weise erwarben sich die Mechitaristen eine grosse Popularität unter dem armenischen Volke und ihre Bücher fanden viel Verbreitung. Von grosser Wichtigkeit sind auch die von Somalian gegründeten Schulen und zwar die Muradjansche in Paris und die Rafeliansche in Venedig. Aus der letzteren gingen mehrere tüchtige Leute hervor, die im Jahre 1846 in Konstantinopel einen nationalen Verein gründeten.

Somalian starb im Jahre 1846, worauf Georg Hürmüsian zum Abte gewählt wurde. Dieser Mann war zwar noch Patriot, aber er besass nicht die Kraft, die Selbständigkeit und das nationale Wesen des Ordens gegen die Angriffe Roms zu verteidigen. Besonders schwach erwies er sich den Hassunisten gegenüber, einer katholisch-armenischen Partei, die nicht auf hörte auf die gehässigste Weise die armenischen Tendenzen des Ordens zu bekämpfen [106] und ihn der Häresie zu beschuldigen. Bis jetzt hatte sich die Kurie mit der Unterwerfung des Ordens unter ihre Oberhoheit begnügt, aber nun forderte sie durch die Eingebungen Hassuns, des fanatischen Führers der armenisch-katholischen Partei, dazu angespornt, vollständige Einverleibung und endgültige Katholisierung des Ordens. Die Mechitaristen vermochten sich gegen diese Angriffe und Forderungen nicht zu erwehren, und als die Hassunisten im Jahre 1848 in Konstantinopel eine Broschüre veröffentlichten, in welcher sie die Mechitaristen Scheinkatholiken nannten und sie der geheimen Zugehörigkeit zur gregorianischen Kirche beschuldigten, antwortete der Mechitarist Arsen Bagratuni im Namen der Kongregation, dass deren Mitglieder aufrichtige Katholiken seien und mit der gregorianischen Kirche nichts gemein hätten. Mit dieser Erklärung begnügte man sich in Rom indes nicht und Hürmüsian, der Abt der Venediger Kongregation, sah sich veranlasst, eine Zuschrift an die Kurie zu richten, in welcher er sich endgültig und vollständig von der gregorianischen Kirche lossagte. [107] In Folge dieses Bruches mit der armenischen Nationalkirche schieden vier angesehene Männer aus dem Orden aus, nämlich der vor einigen Jahren verstorbene Philologe Aiwasowski, der zuletzt in Tiflis armenischer Bischof war, Theodorian und die Gebrüder Galfajan, von denen der eine, Ambrosios, ein tüchtiger Philologe, der andere, Koren, gegenwärtig in Konstantinopel Bischof ist.

Die Kongregation nahm nun die Regeln des Jesuitenordens an und verlor somit ihre bisherige Bedeutung sowie auch das Ansehen, das sie bis dahin im armenischen Volke genossen hatte. Die Pariser Muradjan-Schule und die Rafelian-Schule in Venedig wurden geschlossen und es ist bis heute noch nicht bekannt, wo das von Muradjan vermachte Kapital hingekommen ist. Wie allgemein angenommen wird, scheint es nach Rom gewandert zu sein und dient dort zu Propagandazwecken, nämlich zur Unterhaltung katholischer Missionare unter den Armeniern Konstantinopels und Kleinasiens.

Die Triester Filiale kämpfte anfänglich schwer um ihr Dasein und um sich daher einen Stützpunkt zu verschaffen, suchte sie [108] sich durch eifrigen Katholizismus bei der Kurie gut anzuschreiben, was ihr auch gelang. Sie erhielt einen eigenen vom Papste bestätigten Abt und bildete somit eine besondere Kongregation, obgleich sie den Namen der Mechitaristen beibehielt. Im Jahre 1811 siedelte sie nach Wien über, wo sie ein Kloster mit einer Druckerei gründete und auf dem Gebiete der Wissenschaft und Litteratur eine ziemlich rege Thätigkeit entwickelte, wenn diese auch mit der der Venediger Mechitaristen nicht zu vergleichen ist. Eine gewisse Bedeutung erlangte die Wiener Kongregation zu Ende der zwanziger Jahre, als Asarian ihr Abt war. Dieser führte strenge Zucht in dem Orden ein und suchte durch die Gründung einer tüchtigen Schule die Venediger zu übertreffen. Er sorgte besonders für den Unterricht der Naturwissenschaften und der neuen Sprachen, während im St. Lazaruskloster mehr die klassischen Sprachen betrieben wurden. Nach Asarians Tode verlor auch die Wiener Kongregation ihre ursprüngliche Bedeutung, denn sie begann mehr konfessionelle als national-kulturelle Zwecke zu verfolgen und sank [109] somit zu einem gewöhnlichen Klosterorden herab.

Die litterarisch-wissenschaftliche Thätigkeit der Mechitaristen war bis in die letzten Jahre eine sehr rege. Durch ihre rastlose Mühwaltung und Dank der Talente, die der Orden an sich zu ziehen wusste, wurde die armenische Litteratur und Wissenschaft auf eine den modernen Zeitanforderungen entsprechende Stufe erhoben und mit solchen Schätzen bereichert, auf deren Erwerbung sie ohne die Mitwirkung der Mechitaristen vielleicht noch lange hätte warten müssen. Die Zahl edler von ihnen im Zeitraume von 1715–1882 herausgegebenen Werke beträgt 883 in 1105 Bänden. Die Venediger Kongregation allein veröffentlichte bis 1882 – 157 Werke über Theologie u. s. w., über Philosophie und Moralwissenschaft 63, allgemeine Geschichte und Geographie 52, armenische Geschichte und Geographie 48, armenische klassische Litteratur 43, fremde Litteratur 76, Poesie 76, Naturwissenschaften u. s. w. 64, Philologie 48. Unter den philosophischen Werken befinden sich nur solche, die von der katholischen Kirche anerkannt werden, mithin [110] sind aus ihrer Zahl alle Werke der modernen Denker ausgeschlossen. Umsomehr findet sich Gediegenes unter den Geschichtswerken, wie z. B. Bossuet, discours sur l’histoire universelle, Cäsars Commentarien, Djelal, „Geschichte Ludwig X VI.“, Eusebius von Cäsarea „Chronik“, Faust von Byzanz, „Geschichte Armeniens“, Giragos, „Geschichte Armeniens“, Indschidschian, „Armenische Altertümer“, Plutarch, „Leben berühmter Männer“, Rollin, „Römische Geschichte“ und „Geschichte des Altertums“, Tschamtschian, „Geschichte Armeniens“, Tacitus u. s. w. besonders viele Neudrucke armenischer Geschichtsschreiber.

Die Serie von Büchern rein litterarischen Inhalts enthält beinahe ausschliesslich nur berühmte Meisterwerke alter und neuer Schriftsteller und zwar grösstenteils in vorzüglichen Übersetzungen, worunter sich jedoch nur sehr wenige aus dem Deutschen befinden, denn die deutsche Sprache wurde bis heute in der Venediger Mechitaristenschule nicht gelehrt, weshalb sie auch den meisten der schriftstellernden Mönche unbekannt ist. Sorgfältig gepflegt wird sie dagegen in der Wiener Mechitaristenschule [111] und die Zahl der von den Wienern herausgegebenen Übersetzungen deutscher Werke ist ziemlich bedeutend.

Von grossem Werte sind die Arbeiten der Mechitaristen auf dem Gebiete der Sprachwissenschaft, was bei der auffallenden Leichtigkeit, mit welcher die Armenier fremde Sprachen erlernen, wohl niemand befremden wird. Hauptsächlich wurde von ihnen die armenische Sprache, die türkische, französische, italienische und englische, weniger die deutsche betrieben. Für alle diese Sprachen haben sie gute Grammatiken und Wörterbücher verfasst, unter denen das armenische „Wörterbuch der Wörterbücher“ als ein wahrer Schatz obenan steht.

Im Ganzen genommen haben die Mechitaristen geradezu eine Litteratur geschaffen, denn diese Benennung verdient wohl mit Recht eine Sammlung von mehr als acht hundert alle Wissenschaftszweige umfassenden Werken, von denen fast kein einziges wertlos ist, denn sie wussten stets nur das Gediegene aus fremden Sprachen zu wählen und bewiesen bei der Abfassung von Originalwerken nicht nur Tüchtigkeit, Talent, sondern auch seltene Gelehrsamkeit [112] Dabei pflegten sie neben dem Nützlichen auch das Schöne, bereicherten die armenische Litteratur mit den grossartigsten Schöpfungen der Weltlitteratur und trugen durch eigene dichterische Leistungen zur Hebung der armenischen Litteratur Bedeutendes bei. Es seien hier nur die Dichter Alischan, Bagratuni und Hürmüsian erwähnt, die als Meister der Sprache und begabte Sänger der armenischen Litteratur zur wahren Zierde gereichen.

Zudem geben sie schon seit mehr als vierzig Jahren eine wissenschaftlich-litterarische Monatsschrift heraus, die heute schon an vierzig starke Bände zählt und des Gediegenen nicht wenig enthält.

Und alle diese bedeutenden, einem ganzen Volke zum Nutzen gereichenden Geistesschöpfungen sind die mittelbare Frucht der Ausdauer, der Begeisterung und patriotischen Gesinnung eines einzigen aus dem Dunkel einer kleinasiatischen Stadt hervorgegangenen Mannes!