Litteratur (Wünschelruthe Nro. 24)

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Autor: Sa.
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Titel: Litteratur
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aus: Wünschelruthe - Ein Zeitblatt. Nr. 24, S. 95-96
Herausgeber: Heinrich Straube und Johann Peter von Hornthal
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Vandenhoeck und Ruprecht
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Erscheinungsort: Göttingen
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Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Litteratur.




Die Sängerfahrt. Eine Neujahrsgabe für Freunde der Dichtkunst und Mahlerey, mit Beyträgen von L. Tiek, W. v. Schütz, M. v. Schenkendorf, Clemens Brentano u. A. gesammelt von Friedrich Förster, mit Kupfern aus dem Danziger Gemälde: das jüngste Gericht. Berlin 1818 Maurersche Buchh. 4.

Wir gestehen gern daß diese Neujahrsgabe uns sehr erfreut hat. Wir wüßten nicht daß anderswo so viele Dichter in so freundliche Gesellschaft unter sich getreten wären; es ist jedem so sein Platz im Nachen angewiesen, daß keiner unangenehm zu stehen braucht und bei dem Schwanken des Fahrzeugs in Gefahr käme hart aufzufallen und lästig zu werden; die Auswahl der Gedichte ist so glücklich getroffen, auch die Zusammenstellung bei aller anscheinenden Willkühr, daß nicht wie bei den Verwandten des Buches, den Taschenbüchern, der ganze Werth von einem oder zwei Aufsätzchen des Gratulanten in buntem Futteral und mit goldnem Schnitt abhängt, sondern wirklich hat Lust und Liebe hier zur Sache gethan und gesammelt. Daher die unterhaltende Mannichfaltigkeit. Liest man nun, da diese nicht so leicht ermüden läßt, ohne Aufhören ein ziemliches Stück darin fort, so ließe man sichs wohlgefallen jeden Tag im Jahre sein Liedchen hieraus vorsingen zu hören, so wohl wird einem zu Muthe dabei. Darum übersieht man auch gern was hier und da verborgen bleiben sollen, sich aber von selbst, so gut es kann und es der Raum verstatten will, vor dem gutgelaunten Leser versteckt. Das Bedeutendste machen der erste Akt des Donauweibes von Tiek, zwei Erzählungen von Arnim und Brentano und 16 serbische Volkslieder aus. Möchte doch Tieck uns hiermit das Versprechen geben, das ganze Schauspiel einst erscheinen zu lassen. Es ist dieß ein Stoff, der ihm wie keinem Andern zu Gebote steht, da wir ihm, wissen wir uns nur ihm ganz zu vertrauen, das Wunderbare glauben müssen wie Kinder die Mährchen; doch läßt er uns hierin im Vorliegenden nicht ganz so freien Zutritt als wir erwartet hätten. - Arnim erfreut uns mit einem Bilde eben vergangner Zeit, wo die Frauen nur lieben wollen was fürs Vaterland kämpft und ihre Herzen diesen Heldenbund so empfindlich schließen, daß selbst das Geliebte von feindlicher Uniform so entstellt, so entfremdet erscheint, daß erst der Tod, der diese wieder auszieht, ihnen ihre Grausamkeit an jenem kenntlich macht. Besonders treffend und erschütternd ist dieser Augenblick darin, als der gefangene Oberst an den Tisch tritt, Julie ihn halb erkennt, halb es unterdrückt, und nun das Brodt das nur für gemeine Soldaten bestimmt ist, welches sie ihm aber hinreichen wollen, durch einen Wink der Freundin abgehalten wieder aus der Hand legt, welche ihm Leben und Hoffnung errettet hätte; es greift diese Darstellung sicher und tief in die weibliche Natur, welche mehr leidend als thätig grausam erscheint[WS 1]. - Brentano beschenkt uns mit einer Geschichte von reicher, sinnvoller Darstellung. Wir bedauern daß der Dichter so karg mit seinen Produkten wird, erkennen aber zugleich im Publikum die eigne Schuld manches großen Verlustes; doch sollte die Liebe Vieler zu seinen Werken ihm eine spätere allgemeine Anerkennung sichern. - Die Vergleichung der vortrefflichen serbischen Volkslieder mit den deutschen, so weit die Anzahl sie zuläßt, macht uns die unsrigen noch lieber. Wenn diese erscheinen wie die unbewußt offene liegende Menschenbrust, in welcher die Natur selbst athmet um ihre Bedeutung im Menschen zu fühlen, so bricht bei jenen, wenn auch nur durch den heißeren Strahl der Sonne hervorgebracht, mehr thätige Leidenschaft hervor, die schon willkürlicher aber kühn sich die Brust der Natur öfnen will. - Außer diesen wäre noch eine große Anzahl anderer Gedichte anzuführen, die durch Kraft, Anmuth und Lieblichkeit vielfach anziehen und erfreuen, wovon wir besonders die von Bercht, das[WS 2] von Chamisso, welches Volks- und Wiegenlied überschrieben ist: Will auch mit, von Ludwiga [96] nennen, wie auch einige von Tiek, Förster, Loeben, Arnim.

Es tritt dieß Buch recht frisch unter uns; ungetrübt und wohlthuend, was der Poesie nur möglich, hat es den Eindruck nach dem jüngst siegerrungenen Frieden in sich bewahrt; man hat die geliebten Waffen, müde der Anstrengung, aus der Hand gelegt, um mit dem Saitenspiel auch dem Innern Ruhe zu gewinnen. Indem man sich der Gegenwart ganz hingiebt, sich von der Vergangenheit trennt und leicht genießen will, erscheint das Gewöhnliche selbst einer anziehenden Betrachtung werth, und so kommt es, daß auch Unbedeutendes im Gesange nicht unwillig aufgenommen wird. Dabei wird jede Gelegenheit die schweren Opfer durch freudige, freie zu ersetzen, benutzt; und da wir durch unsern Helden wieder inniger mit der Vorzeit verbunden sind, tritt auch diese erwacht und stärkend anschaulich uns näher; und Worte die ungeduldig ans Schwerdt schlagen und früher wohl begeistert hätten, als man es entblößte, sind nun beruhigende Erinnerungen daß man es zu führen weiß. Nur Tiecks Gedicht: bei der Abreise einer Freundin, tritt durch seine Stimmung ernst in die Mitte wie ein Weiser, der das Leben überschauend Heil und Unheil in seinem Busen wägt und kräftig an die Freundschaft mahnt. Die geistlichen Lieder stimmen beruhigend mit ein, worunter uns die des vortreflichen verewigten Schenkendorf besonders rührend sind, als das letzte was er für uns noch lebend aus den Händen gab; er ist es wohl werth für so reichen Fährlohn, daß Sänger und Sängerinnen mit Liedern ihn über die Fluthen der Zeit begleiten und das Steuer einem Engel in die Hand gehen.

Eine sehr willkommene Gabe ist uns die Nachbildung des Danziger jüngsten Gerichts und mehrerer einzelnen Theile desselben. Der nicht sehr gelungene Umriß des Ganzen verdient Nachsicht, da die Arbeit, wie wir erfahren, das Unternehmen eines einzigen Kunstfreundes war, und die Erinnerung derer, die das Bild gesehen, auch hierdurch genugsam[WS 3] angeregt werden wird; die Abbildung des h. Michael hingegen ist zu loben, und die Umrisse der einzelnen Köpfe, auf dem Bilde selbst durchgezeichnet, ganz vorzüglich. Wir enthalten uns aller überflüssigen Urtheile über das herrliche Meisterwerk selbst und fügen nur hinzu daß wir besonders durch den so tiefen als lieblichen Charakter der Köpfe überzeugt sind, daß es ein Werk der Brüder van Eyk ist[1]. Die beigefügten Bemerkungen sind verdienstlich, die Nachricht aus dem unkritischen Cavalier aber beweist nichts als daß schon damals der Küster das Bild als ein Werk der van Eyk gezeigt hat, und es ist ja bekannt genug, daß es bis auf die neuesten Untersuchungen dafür gegolten hat, wo es denn dem Hugo van der Goes oder gar dem Mich. Wohlgemuth zugetheilt worden. Es muß sogar aus der frühern Zeit der Brüder seyn, wie die größere Strenge und Alterthümlichkeit der Composition, der Goldgrund[WS 4], die Chorkleider der Engel und andre Eigenheiten, von denen Johann wenigstens späterhin abwich, beweisen. - Es folgt ein Aufsatz von Helmina von Chezy: Ueber die Gemäldesammlung der Herrn Boiserce und Bertram[WS 5], der auch allerdings dankenswerth ist, da noch immer so wenig triftiges über die große Angelegenheit der deutschen Kunst gesagt ist. Die Verfasserin schwankt zwischen den zwei Hauptpartheien der Bewunderer der altdeutschen Malerei, zwischen denen welche die äußerliche Schönheit als eine angenehme Zugabe zu der innern oder der des Gemüths, dem eigentlichen Ziel der Malerei, betrachten, und denen welche überzeugt sind, daß diese sich durchaus erst in jener aussprechen könne. Sie neigt sich indessen zu der ersten Meinung, und scheidet sich hierin gewissermaßen von uns, da wir in der Hauptsache der letztern beistimmen. Die Beschreibungen der Bilder sind lebendig, und die vortreftichsten richtig herausgehoben. Indeß läugnen wir nicht, daß wir in den Beschreibungen von Fr. v. Helwig im deutschen Museum, obgleich dort weniger ein System im Auge gehalten ist, eine eigenthümlichere und unbefangnere Ansicht wahrnehmen, wobei wir keineswegs den Werth der gegenwärtigen verkennen.

Sa.

  1. Die Jahrzahl 1367 aus dem Leichensteine, welche auf sie nicht passen würde, bezieht sich gewiß nicht auf das Alter des Bildes, sondern auf den Tod irgend jemandes dessen Andenken der Künstler hier anregen wollte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: graumsamer scheint. Siehe Druckfehler S. 116.
  2. Vorlage: des. Siehe Druckfehler S. 116.
  3. Vorlage: genügsam. Siehe Druckfehler S. 116.
  4. Fehlt in der Vorlage Siehe Druckfehler S. 116.
  5. Vorlage: Bertrano. Siehe Druckfehler S. 116.