Lloyds

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Autor: Wilhelm F. Brand
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Titel: Lloyds
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 663–665
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Lloyds.

Soweit die Gesittung ihre Arme ausgestreckt – nein, weit darüber hinaus noch! – soweit die meerbefahrenden Träger der Kultur vordringen, bis an die äußersten Grenzen unseres Erdenrundes ist das Wort „Lloyd“ bekannt und hat sich trotz seiner befremdenden Form überall rasch eingebürgert. Und nicht nur das Wort ist bekannt, nicht nur die Anstalt, die zuerst unter dieser Bezeichnung ins Leben trat, sondern es giebt auch nur wenige schiffahrttreibende Völker, die nicht längst ihren eignen nationalen Lloyd sich begründet hätten. Deutschland selbst hat seinen „Norddeutschen Lloyd“, Oesterreich seinen „Oesterreich-Ungarischen Lloyd“ etc.

Was aber bedeutet das Wort ursprünglich? Es ist der noch heute im Englischen keineswegs ungewöhnliche Name eines Mannes. Und was war derselbe? Besitzer eines Kaffeehauses. Es war um das Jahr 1652, daß das erste „Coffee-house“ in London eröffnet wurde zum Verkauf des neuen Tranks, gewöhnlich genannt „Kauphy“, wie die damalige Schreibweise war. Diese „Kaffeehäuser“ erfreuten sich bald eines so erheblichen Zuspruchs, daß Karl II. darob besorgt wurde und sie sammt und sonders schließen ließ, nicht sowohl weil er den neuen Trank an sich für staatsgefährlich hielt, sondern weil dieser „Veranlassung gab zur Ansammlung von Männern, die, mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden, allerorten falsche, böswillige und schändliche Gerüchte ersannen und verbreiteten zur Schmähung Seiner Majestät Regierung und zur Störung von Ruhe und Frieden im Reiche.“

Die strengen Maßregeln dieses mit äußerster Willkür herrschenden Monarchen scheinen aber seine Regierung nicht überlebt zu haben. Es thaten sich bald wieder andere Räume auf, in denen dieser gefährliche Bohnentrank dargeboten wurde; und ein solches „Kaffeehaus“ wurde auch von einem Mr. Edward Lloyd gegründet, das wir zuerst im Jahre 1688 erwähnt finden und das, in Lombard Street, in unmittelbarer Nähe des Hafens gelegen, alsbald ein beliebter Sammelpunkt für Schiffskapitäne und Reeder wurde.

Für diese seine Gäste gab der unternehmende Mr. Lloyd bald ein besonderes Blatt heraus, „Lloyds News“, das nächst der amtlichen „London Gazette“ die älteste Zeitung Englands ist und natürlich in erster Reihe Schiffahrtsangelegenheiten zur Sprache brachte. Eine weite Verbreitung ist dem Blatte kaum nachzurühmen, da es fast ausschließlich in Lloyds Kaffeehaus selbst auslag. Hier stellten sich denn alle Leute, die mit überseeischem Handel und Schiffahrt zu thun hatten, aufs zahlreichste ein, ähnlich wie die alten Athener auf den Marktplatz strömten, um etwas Neues zu erfahren. Das Kaffeehaus wurde alsbald auch der anerkannte Mittelpunkt für Versicherungen von Schiffen und Schiffsladungen; und das ist noch bis auf diesen Tag die Thätigkeit, die sich zunächst an den Namen „Lloyds“ knüpft. Die Genitivform ist noch immer beibehalten, da eigentlich das Wort „Coffee-house“ zu ergänzen ist, obschon die großartige Anstalt, die sich unter dem Namen „Lloyds“ im Laufe der Zeit entwickelt hat, [664] längst aus dem bescheidenen Kaffeehaus ausgezogen ist und seit 1774[1] in den stolzen Räumen der Royal Exchange, im Herzen der City, in unmittelbarer Nähe der Bank von England, der Börse und des Mansion House, des Amtssitzes des Lord Mayors, Quartier genommen hat unter dem Namen „New-Lloyds“.

Es geschah freilich erst nach mancherlei Kämpfen und Anfechtungen, daß nicht nur diese räumliche Veränderung, sondern vor allem auch eine damit verbundene Neugestaltung des Unternehmens sich vollzog; daß aus den so gut wie regellosen Ansammlungen von Männern, welche fast nichts als der Bohnentrank und die persönliche Bemühung dessen, der ihn braute, mit einander verband, eine gewaltige, wohl geordnete Genossenschaft wurde. Und es mag unserer Eitelkeit schmeicheln, daß es ein Mann deutscher Abkunft war, Johann Julius Angerstein, der sich bei diesen Umwandlungen solche Verdienste erwarb, daß sein Name wie der keines andern Mitgliedes von „Lloyds“ in den Jahrbüchern der Gesellschaft glänzt. Aber auch die politischen Zustände jener Zeit waren einem gedeihlichen Aufblühen derselben günstig. Die verheerenden Kriege, die England Ende des vorigen Jahrhunderts mit verschiedenen Seemächten führte, gefährdeten allen überseeischen Handel aufs empfindlichste. „Lloyds“ blieb der Hort aller Kauffahrer, die sich zu der Versicherung ihrer Schiffe wie ihrer Ladungen dahin drängten. Waren aber die Prämien vorher nur wenig abweichend von denen des heutigen Tages gewesen – je nach Entfernung, Schiff, Bemannung und anderen Einzelheiten von ¼ bis 1½ % steigend – so wuchsen sie z. B. im Jahre 1782 für eine einfache Reise nach New-York auf 16 %.

„Lloyds“ wurde auf diese Weise immer unentbehrlicher, immer einflußreicher. Es wurde eine Macht, die auch über das Gebiet der Schiffahrtsversicherung hinaus sich rührig zeigte. Als Henry Greathead, der Erfinder des Rettungsbootes, zu Anfang dieses Jahrhunderts um Geld verlegen war, womit er seine Erfindung hätte ausführen können, da setzten ihn auf Angersteins Anstiften die Mitglieder von „Lloyds“ durch reichliche Spenden in Stand, durch praktische Versuche seinen Gedanken zu erproben. Und als dieselben sich erfolgreich erwiesen, war es wiederum die Genossenschaft von „Lloyds“, welche die weitere Entwickelung und Verbreitung dieser segensreichen Erfindung in die Hand nahm, bis im Jahre 1824 eine zu diesem Zwecke gebildete Rettungsgesellschaft, die „National Life Boat Institution“, ins Leben gerufen wurde.

Als aber zu Anfang dieses Jahrhunderts Napoleonischer Uebermuth auch die Unabhängigkeit des britischen Inselreiches zu gefährden drohte, da trat die Genossenschaft von „Lloyds“ vollends aus ihrem eigentlichen Fahrwasser heraus durch Begründung des „Patriotic Fund“, der sich zur Aufgabe stellte, allen, die sich besonders um die Vertheidigung des Vaterlandes verdient gemacht hätten, in der einen oder andern Form eine Ehrengabe zuzuwenden. Wiederum war es Johann Julius Angerstein, der an der Spitze dieser neuen Bewegung stand; und ein wunderliches Geschick wollte es, daß der Mann, der als Mitbegründer dieses patriotischen Unternehmens genannt werden muß, Sir Francis Baring, gleichfalls deutscher Abkunft war. Die Gründung fand bei dem ganzen englischen Volke großen Anklang, und von allen Seiten strömten freiwillige Spenden herzu, die bis zum endlichen Sturze Napoleons die Höhe von mehr als 600 000 Pfund Sterling, also über 12 Millionen Mark erreicht hatten. Es wurden aus diesem Schatze Männern, die sich in der Vertheidigung des Vaterlandes hervorgethan hatten, oder deren Hinterbliebenen nicht nur beträchtliche Geldspenden zuerkannt, sondern auch Denkmünzen, Ehrensäbel u. dergl. überreicht, die, mit der Inschrift „From the Patriotic Fund at Lloyd’s Coffee House, London“ versehen, auch von den höchstgestellten Kämpfern des Landes als eine besondere Auszeichnung entgegen genommen wurden.

Alles das lag allerdings abseits von dem eigentlichen Wirkungskreis einer „maritimen Börse“, die aber auch als solche im Laufe der Zeit immer bedeutungsvoller wurde, während sie zugleich emsig an dem weiteren Ausbau ihrer eigenartigen klubähnlichen Genossenschaft arbeitete, die heute etwa tausend Mitglieder zählt.

Jeder, der als solches angenommen zu werden wünscht, muß heute von sechs Mitgliedern eingeführt und dann vom Komitee erwählt worden sein, ein Eintrittsgeld von 100 Pfund Sterling und einen Jahresbeitrag von 12 Guineen (etwa 257 Mark), zudem aber eine Bürgschaft von 5000 Pfund erlegen, also schon ein kleines Vermögen, ehe er überhaupt daran denken kann, ein Geschäft zu machen. Dieses besteht nun darin, daß das Mitglied für einen von den Maklern angebotenen Versicherungsgegenstand, ein Schiff oder eine Ladung, gegen eine in jedem Fall besonders vereinbarte Prämie, einen bestimmten Antheil, gewöhnlich hundert oder ein paar hundert Pfund unterschreibt. Auf diese Weise ist die Gefahr des einzelnen immer nur geringfügig; denn obschon er jeden Tag vielleicht zwanzig- bis dreißigmal eine neue derartige Verbindlichkeit eingeht, so sind doch die eintretenden Verluste verhältnißmäßig immer nur unbedeutend. Ein gewisses Vermögen muß er freilich immerhin schon besitzen, und nur wenn er so unglücklich gewesen sein sollte, dieses bis auf den letzten Penny eingebüßt zu haben, kann die hinterlegte Bürgschaftssumme angegriffen werden.

Man sollte denken, dieses System der zerstückelten Versicherung für einfache Schiffsladungen u. dgl. müßte unendlich zeitraubend sein und eine Versicherung durch große Gesellschaften, wie es bei uns geschieht, in viel einfacherer Weise ausgeführt werden können; aber es ist alles so wohl geordnet, daß ein erfahrener Makler gar bald die nöthige Anzahl von Unterschriften gesammelt hat. Ueberdies ist die Schiffahrtsversicherung so verwickelt, daß sie sich nicht so wie eine Lebens- oder Feuerversicherung allgemeinen Regeln und Tabellen anpassen läßt, sondern besser in den Händen einzelner persönlicher Versicherer bleibt, von denen die einen diesen, die andern jenen Zweig der Versicherung besonders pflegen. So sagen wenigstens die Herren aus dem „Kaffeehause“. Wie dem aber auch sei, jedenfalls machen die zahlreichen Versicherungsgesellschaften, die auch in England bestehen, bei weitem nicht solch ausgedehnte Geschäfte wie „Lloyds“. Alle Gesellschaften aber des In- wie des Auslandes sind mit mancherlei Erkundigungen auf das „Kaffeehaus“ angewiesen, und auch in dieser Hinsicht nimmt dasselbe eine höchst bedeutungsvolle Stellung ein.

Zunächst ist es „Lloyds“, welches die Seetüchtigkeit aller englischen Schiffe prüfen und dieselben hiernach wieder klassifiziren läßt. Sodann ist das „Kaffeehaus“ der von der ganzen Welt anerkannte Mittelpunkt, wo alle Nachrichten über alle Schiffe aller Länder einlaufen und in „Lloyds List“, einer täglich erscheinenden Zeitung, veröffentlicht werden. Mehr als 60 000 Schiffe befahren unter allen Flaggen der Welt in diesem Augenblick das Meer. Sie alle sind bei „Lloyds“ sorgfältig eingeschrieben und zwar so, daß hinter jedem Namen genau der Tag verzeichnet steht, an welchem dasselbe einen Hafen verlassen hat oder in einem andern angekommen, ja selbst wann es von bestimmten Punkten der Küste aus gesehen oder von andern Schiffen auf offener See angesprochen worden ist. Alles das von 60 000 Schiffen! Welch ein Heer von Beamten und Vertretern muß diese Börse über die ganze Welt verbreitet aufweisen! Welch ein Treiben in dem „Kaffeehause“ selbst!

Gern nahm ich daher jüngst die Einladung eines mir befreundeten Mitglieds von „Lloyds“ an, unter seiner Führung diese Stätte in dem Royal Exchange zu besuchen. Am Eingang standen einige Portiers in so alterthümlichen scharlachenen Talaren, daß man wähnen konnte, dieselben seien schon zu der Zeit, da Mr. Lloyd seinem Kaffeehaus vorstand, in Brauch gewesen. Wir gelangten alsbald in eine geräumige Halle, wo ein reges Treiben herrschte, wie es eben an bedeutenden Börsen zu beobachten ist. Hier werden die Geschäfte abgeschlossen. Doch merkwürdiger waren noch die Nebenräume. In dem einen derselben waren die letzten Listen, die immerwährend einströmenden Telegramme zur Schau gestellt. In einem andern befanden sich allerhand Specialkarten, Abbildungen aller möglichen Flaggen und Signale, sowie eine erhebliche Anzahl umfangreicher Folianten, in denen alle Einzelheiten bezüglich sämmtlicher 60 000 meerbefahrenden Schiffe bis auf den gegenwärtigen Augenblick mit größter Genauigkeit verzeichnet standen. Dazwischen waren mancherlei wunderbare Reliquien aufgestellt, vornehmlich Gegenstände, die unter besonders bemerkenswerthen Umständen mit gestrandeten Schiffen auf den Meeresgrund gesunken und diesem durch der Taucher Kühnheit wieder abgerungen worden waren. So sah ich hier die Schiffsglocke der verunglückten „Lutine“, die, reich mit Schätzen beladen, im Jahre 1798 von Harwich nach Hamburg segelte und an der [665] holländischen Küste Schiffbruch erlitt. Münzen und Gold- und Silberbarren im Werthe von anderthalb Millionen Pfund Sterling oder 30 Millionen Mark sollen sich an Bord des Schiffes befunden haben. Und so ist es wohl begreiflich, daß bei der holländischen Küstenbevölkerung wunderbare Gerüchte umgehen von den in ihrer Nähe versunkenen Schätzen, welche die Sage im Laufe der Zeit noch um das Zehnfache vergrößert hat. Erstaunlich aber klingt es gleichwohl, daß – allerdings mit mehrfachen Unterbrechungen – bis auf diesen Tag, also nahezu hundert Jahre lang, fortgesetzt Rettungsversuche angestellt werden. Viele Schätze, die tief im Sande vergraben lagen, sind ans Tageslicht befördert worden, aber es scheint, daß die Unkosten der Hebung doch noch größere Summen verschlingen. Immerhin aber stehen der Untergang der „Lutine“ und die ins Unendliche sich erstreckenden Bergungsversuche einzig in ihrer Art da, und wohl mag sich die Theilnahme für das Schiff bei den Männern von „Lloyds“ von Geschlecht zu Geschlecht vererben, um so mehr, als sie die rechtmäßigen Eigenthümer der versunkenen Schätze sind.

Was aber den tiefsten, den erschütterndsten Eindruck auf den Besucher der maritimen Börse machen dürfte, ist ein unscheinbar aussehender Foliant, „das schwarze Buch“ genannt, in welchem sämmtliche Unglücksfälle zur See von allen Ecken und Enden der Welt, sobald die Nachricht davon einläuft, verzeichnet werden. Und kaum ein Tag geht vorüber, daß nicht ein Unglück oder doch ein Unfall der einen oder andern Art geschäftsmäßig mit kurzen Worten hier eingetragen wird. Was für Bilder des Schreckens, des Heroismus, der Selbstentäußerung, freilich auch wohl feiger Selbstsucht und unentschuldbarer Fahrlässigkeit steigen da auf dem Hintergründe jener kurzen Aufzeichnungen vor uns empor! Kein Wunder, wenn auch die Börsenmänner auf dieses Buch mit Bangen blicken! Sie können die Schrecken nicht bannen, den Qualen nicht vorbeugen. Doch den Schaden an Geld wenigstens zu ersetzen, mancher Noth, welche die Schiffahrt mit sich bringt, abzuhelfen, das gelingt ihnen immerhin, und das ist die vornehmlichste Aufgabe dieser segensreichen Anstalt. Wilh. F. Brand.



  1. Man giebt gewöhnlich das Jahr 1771 an; in diesem Jahre faßten die Mitglieder den Beschluß, aus ihren seitherigen Räumen auszuziehen, aber es dauerte noch drei Jahre, bis der Umzug nach der Royal Exchange erfolgen konnte.