Luiz de Camoens

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Autor: Leopold Katscher
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Titel: Luiz de Camoens
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 371–373
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[371]
Luiz de Camoens.
Zur dreihundertjährigen Feier des Todestages von Portugals größtem Dichter.
Eine biographische Skizze von Leopold Katscher.

Am 10. Juni dieses Jahres begeht Portugal eine große nationale Feier: die dreihundertste Wiederkehr des mutmaßlichen Todestages seines hervorragendsten Poeten, des edlen Sängers der „Lusiaden“. Ist es nicht betrübend, daß Camoens (portugiesisch Camões), einer der größten und berühmtesten Dichter aller Zeiten und Völker, „arm und elend leben und arm und elend sterben mußte“, wie es in seiner Grabschrift hieß? Und ist es nicht merkwürdig, daß man über Geburts- und Sterbejahr dieses wichtigen Mannes keine absolut verläßliche Daten besitzt, daß man auch nicht genau weiß, in welcher Stadt er geboren wurde?

Bessere Kunde hat man von der Abkunft unseres Helden. Sein Ururgroßvater hieß Vasco Pires de Camoens, war ein trefflicher spanischer Dichter und wanderte von der Provinz Galicien nach Portugal aus, um an den Kämpfen gegen Heinrich den Zweiten von Castilien theilzunehmen. Die Literaturgeschichte kennt ihn als eines der Häupter jenes Dichterkreises, dem die poetische Wiedergeburt der genannten Provinz zu danken war. Der Urgroßvater kämpfte in Afrika; der Großvater war Marinehauptmann und mit dem berühmten Entdeckungsreisenden Vasco de Gama verschwägert; der Vater führte ein abenteuerliches Leben und dürfte unseres Dichters Mutter, Anna de Sá e Macedo, wahrscheinlich 1523 geheirathet haben. Ob Luiz 1517 oder 1524 das Licht der Welt erblickte, ist streitig; man hat sich jedoch ziemlich allgemein für 1524 entschieden. Mit Homer hat Camoens nicht nur hinsichtlich der Eigenschaften seines großen Epos Aehnlichkeit, sondern auch hinsichtlich des Umstandes, daß sich eine ganze Reihe von Städten für seine Geburtsorte ausgeben; da er jedoch nur in Einer Stadt geboren sein konnte, hat man sich auf Grund gewichtiger Anhaltspunkte zu Gunsten Lissabons geeinigt, sodaß Coimbra, Alemquer und Santarem in den Winkel gestellt sind.

Im Alter von etwa drei Jahren wurde Luiz nach der portugiesischen Universitätsstadt Coimbra gebracht, wo er, wie es in einer seiner Canzonen heißt, seine Kindheit „heiter und zufrieden für sich verlebte und sich des Lebens freute“. 1537 begann er daselbst seine Studien. Die Thatsache, daß seine Werke eine gründliche classische Bildung verrathen – dieselbe tritt dem Schwunge seiner Leier zuweilen sogar hemmend in den Weg – beweist, daß sein Fleiß kein geringer war; mit besonderer Vorliebe verlegte er sich auf die Weltgeschichte und die Literatur des Alterthums, dessen Mythologie ihn oft zur kühnsten poetischen Begeisterung entflammte. Aber auch die großen italienischen Dichter las er eifrig, und ihr Einfluß auf seine dichterische Entwickelung ist unverkennbar; derselbe tritt namentlich in seinen ersten Versuchen hervor, deren allererster eine an seinen Oheim Bento de Camoens gerichtete Elegie auf die Leiden Christi war.

Um 1542 nach der Hauptstadt zurückgekehrt, wurde er trotz seiner Armuth und seiner Jugendlichkeit bei Hofe eingeführt, weil er adelig war, noch mehr aber seiner umfassenden Kenntnisse halber. Bei Hofe waren damals classische Studien in der Mode; selbst die Damen sprachen und schrieben Latein. Kein Wunder daher, daß Camoens mit seiner klösterlichen Erziehung im königlichen Palast gern gesehen wurde. Er verfaßte Frauen zuliebe manche Gedichte in der Manier der französischen Liebeslieder, allein diese Tändeleien gingen an ihm ohne tieferen Eindruck vorüber.

Da machte er eines Tages die Bekanntschaft der schönen Catharina de Attayde, einer Ehrendame der Königin, und verliebte sich glühend in sie. Er feierte sie in zahlreichen Gedichten, unter denen die „siebente Canzone“ – eine der edelsten lyrische Perlen des Camoens – durch außerordentliche Gefühlsinnigkeit und Leidenschaftsgluth hervorragt. Catharinens Gegenliebe kann als der einzige eigentliche Lichtstrahl in dem sturmbewegten Leben unseres Helden gelten, aber das Glück dauerte nicht lange; denn der Ruhm, den sich der geniale Jüngling durch seine bisher noch ungedruckten Gedichte zu erwerben begann, erregte den Neid kleinlicher Geister, die seine Liebe zu Catharinen als Vorwand benutzten, um gegen ihn so lange zu intriguiren, bis er vom Hofe verwiesen wurde (1546). Beschleunigt wurde diese Maßregel dadurch, daß Camoens 1545 das Schauspiel „König Seleukus“ geschrieben hatte: eine Episode in demselben erinnerte an das Verfahren des regierenden Königs Manoel, der zur dritten Gemahlin die Braut seines eigenen Sohnes genommen.

Luiz hatte nun die Absicht, zunächst wieder nach Coimbra zu gehen, allein der Tod seines Oheims Bento vereitelte diesen Plan. Um eine seiner physischen Kraft und seiner warmen Vaterlandsliebe angemessene Beschäftigung zu wählen, vielleicht auch um seinen Kummer ob seiner Trennung von Catharinen zu betäuben, nahm er rasch entschlossen Seedienste und kämpfte mit seinen Landsleuten in Afrika gegen die Mauren, wobei er vor Ceuta durch ein feindliches Geschoß das rechte Auge verlor, ohne die Seelenruhe zu finden, deren Wiederkehr er von dem Schlachtgetöse erhofft hatte. In Ceuta verweilte er zwei volle Jahre, bis seine Lissaboner Freunde die Aufhebung seiner Verbannung vom Hofe durchsetzten, worauf er 1549 nach Lissabon zurückkehrte. Dort harrten seiner große Enttäuschungen; er begegnete dem alten Haß und Neid, und man verspottete den tapfern Mann, der für seine Nation geblutet, ob des Verlustes eines Auges. Er sah, daß er in der Heimath, wo bekanntlich Niemand als Prophet gilt, nichts zu erwarten habe; gleichwohl hielten ihn die Hoffnungen, die er hinsichtlich des Thronfolgers hegte, drei Jahre in der Hauptstadt zurück.

Wieder jedoch verdrängten ihn Verleumdungen aus der Nähe seines fürstlichen Gönners, der ihm nicht einmal eine Gelegenheit gab, sich gegen die meuchlerischen Einflüsterungen der feigen Ehrabschneider zu vertheidigen. Der Wunsch, sich zu zerstreuen, stürzte unsern Dichter in allerlei Abenteuer. Er übertäubte seine innere Unruhe, die Zerfahrenheit seines Gemüths durch einen zügellosen, ungestümen Muthwillen, den er häufig genug in nächtlichen Streifzügen mit Raufbolden und wüsten Gesellen bethätigte. Bald galt er als schlimmer Händelsucher, der ein sehr unordentliches Leben führte, und es ist bezeichnend genug, wenn er in seiner zweiten Ekloge von der Liebe behauptet, sie sei „keine Liebe, [372] wenn sie nicht auftritt mit Tollheiten, Unzukömmlichkeiten, Zwistigkeiten, Frieden und Krieg, Lust und Leid, Gefahren, bösen Zungen, Gemurre, Eifersucht, Zank, Mißtrauen, Furcht, Zorn, Tod und Verderben“. Sein ungestümes Treiben wurde ihm schließlich verhängnißvoll. Während der Frohnleichnamsprocession 1552 beleidigten zwei Masken den königlichen Stallmeister Borges und geriethen mit ihm in Streit. Zufällig kam Camoens herbei, erkannte in den Masken zwei seiner Freunde und prügelte Borges ohne weitere Untersuchung durch, was zur Folge hatte, daß er verhaftet und in Ketten gelegt wurde. Erst nach fast einem Jahre erhielt er die Freiheit wieder, doch unter der Bedingung, daß er als Soldat nach Ostindien gehen müsse. Am 7. März 1553 verließ er das Gefängniß, und schon zwei Wochen später schiffte er sich ein, um dieser Bedingung zu entsprechen.

Schweren Herzens trennte er sich von seinem trotz alledem und alledem geliebten Lissabon. Nach seiner eigenen Aussage murmelte er beim Betreten des Schiffes Scipio Afrikanus' Worte: „Undankbares Vaterland, du wirst meine Gebeine nicht besitzen.“ Von den vier bis fünf Schiffen, aus denen die betreffende Flotte bestand, erreichte nur dasjenige, auf welchem sich Camoens befand, den Bestimmungsort Goa; die übrigen gingen in Folge furchtbarer Stürme zu Grunde. Die Ankunft in Goa erfolgte Ende September nach mehr als sechsmonatlicher Fahrt. Trotz der traurigen Stimmung, die Camoens dort vorfand, und trotz der schändlichen Zustände, die in Indien herrschten, behagte es ihm anfänglich in seiner neuen Heimath recht gut; denn er traf hier viele Bekannte aus Portugal, sogar einige Verwandte, und sah sich geachteter und ruhiger als zu Hause. Bald jedoch wurde er der Ruhe überdrüssig und begann sich über den Mangel an Raufbolden und schönen Damen zu beklagen. Aber obgleich „hier alle Damen alt sind, ein elendes Portugiesisch sprechen und für Liebesabenteuer keinen Sinn haben“, verliebte er sich in eine Mulattin, deren schwarzem Teint er die schönsten Verse widmete.

Vier oder sechs Wochen nach seiner Ankunft in Goa schiffte er sich mit dem Vicekönig Alfonso de Noronha ein, um an dem zum Schutz des Königs von Cochin unternommenen Seekriegszuge theilzunehmen, von welchem die Lusitanen nach etwa einem Jahre als Sieger nach Goa zurückkehrten.

Wenige Monate später (1555) machte Camoens unter dem Admiral Manoel de Vasconcellos eine neue Flottenexpedition mit, die ihm so viele Widerwärtigkeiten eintrug, daß er sein Loos in einer Elegie als ein sehr bitteres beklagte. Nach seiner abermaligen Rückkunft schrieb er zur Feier des Amtsantrittes des neuen Vicekönigs das alsbald zur Aufführung gebrachte Schauspiel „Der Volksfreund“. Der Amtsantritt des neuen Vicekönigs Francisco Barreto führte indirect eine schmerzliche Wendung in des Dichters Leben herbei. Bei den nicht enden wollenden Festlichkeiten und Gelagen trat nämlich die Verderbtheit aller Stände so sehr zu Tage, daß Camoens die schreckliche Satire „Das Turnier“ schrieb und nach Lissabon schickte, wobei er den Wunsch äußerte, sie möge entweder gar nicht oder anonym veröffentlicht werden. Dennoch wurde die Sache ruchbar; der Verfasser machte sich Feinde, und der Vicekönig bestrafte ihn, indem er ihn als „Ober-Intendanten der Güter verstorbener und abwesender Landeskinder“ nach Macao versetzte – dem äußersten Punkte, den Europäer bislang im Osten besetzt hatten. Als Vorwand diente die angebliche Absicht, dem nothleidenden Camoens Gelegenheit zu Geldverdienst zu geben. Während der im März 1556 begonnenen Reise nach Macao litt er an der Küste von Cambodja Schiffbruch, rettete sich aber schwimmend und hielt dabei das Manuscript der bereits in Goa begonnenen „Lusiaden“ mit der Linken aus den Fluthen.

Trotz aller Fährlichkeiten wohlbehalten in Macao angelangt, hatte er alle Hände voll zu thun. Bei seiner Redlichkeit und seinem Muthe war er der richtige Mann, um den zahlreichen Unterschlagungen des Vermögens portugiesischer Kaufleute, die in der Fremde gestorben waren, Einhalt zu thun; als Baccalaureus besaß er auch die für sein Amt erforderlichen juristischen Kenntnisse. In Macao hatte er die ruhigste und materiell beste Zeit seines Lebens, und so konnte er sich denn freien Geistes dem Dienste der Muse widmen. In einer in der Nähe der Stadt liegenden Felsengrotte, welche die Portugiesen jener Colonie noch heute mit Stolz als „Camoens-Grotte“ zeigen, entstand der größte Theil der unsterblichen Heldendichtung „Os Lusiadas“ („Die Lusiaden“), in der er mit unvergleichlicher Schönheit die Größe seines Vaterslandes, die ruhmvollen Thaten seiner Nation verewigte – jenes poetische Monument, ohne das die portugiesische Literaturgeschichte keinen einzigen weltberühmten Namen aufzuweisen hätte.

Zwei Jahre verbrachte Luiz in Macao, und er wäre noch länger dort geblieben, hätte man nicht auf's Neue in Goa gegen ihn intriguirt; er wurde seines Amtes entsetzt und abberufen, um sich gegen die wider ihn erhobenen Beschuldigungen zu vertheidigen. Die über seine Verwaltung angestellte Untersuchung ergab seine Unschuld. Er kam nach Goa ebenso arm zurück wie er es verlassen hatte, und mußte wieder Schulden machen. Erschütternd wirkte auf ihn die Nachricht von dem Tode seiner noch immer heißgeliebten Catharina de Attayde.

Als sich ihm nach einiger Zeit Gelegenheit bot, nach Portugal zurückzukehren, ließ ihn einer seiner unbezahlt gebliebenen Gläubiger in's Gefängniß werfen, wo er seinen Trost in der Poesie suchte. Er wurde zwar bald in Freiheit gesetzt, allein die günstige Gelegenheit zur Heimkehr war versäumt. Den ihm zur Wiedererlangung der Freiheit gratulirenden Freunden gab er ein Banket, bei dem jeder Teller statt eines Gerichtes ein Gedicht enthielt – der unbemittelte Dichter konnte den Leuten eben nur geistige Nahrung bieten. Nun schien Camoens wieder einmal Glück haben zu sollen; den der 1561 ernannte Vicekönig Francisco Coutinho de Redondo, der ihn noch vom Lissaboner Hofe her kannte, that sehr viel für ihn, und der intime Umgang mit dem hervorragenden und edeln Dichter Heitor da Silveira bereitete ihm zahllose genußreiche Stunden. Allein schon nach zweieinhalb Jahren starb jener mächtige Gönner, und alsbald begann die dunkelste Periode in Camoens' Leben. Zwar war ihm auch der nächste Vicekönig, der schon in Ceuta mit ihm freudschaftlich verkehrt hatte, zugethan, und er versprach ihm eine ziemlich einträgliche Stelle in Chaul, die aber bis jetzt noch besetzt war. Allein drei Jahre wartete er vergebens auf das Freiwerden dieses Postens; die Zeit wurde ihm lang, und er fing an, sich ernstlich nach Portugal zurückzusehnen. 1567 erbot sich Pedro, der Neffe Francisco Barreto's, ihn mitzunehmen und lieh ihm zur Tilgung der dringlichsten Schulden eine größere Summe; aber während der Reise erzürnte sich Pedro gegen Camoens aus unaufgeklärten Gründen so sehr, daß er ihn, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern, in Sofala (Mozambique) aussetzte, wo er zwei Jahre in größter Noth verlebte, auf die Unterstützung von Freunden angewiesen. Hier vollendete er die „Lusiaden“ und die aus einer langen Reihe kleinerer Gedichte bestehende Sammlung „Der Parnaß“. Im Winter 1569 sammelten einige Freunde das Geld und die Wäschstücke, deren er zur Abfahrt nach Lissabon bedurfte, welche im November erfolgte.

Am 7. April 1570 betrat Camoens nach siebenzehnjähriger Abwesenheit wieder den Boden seiner Heimath – „arm und verlassen, mit dem nackten Leben“, wie es bei Homer von Odysseus heißt. Ueberdies hatten Kerker und Ketten seinen Mannesmuth beträchlich gebeugt, und keine liebende Seele erwartete seine Heimkehr. Er mußte vom Mitleid Fremder leben; denn er besaß nichts, als sein „Lusiaden“-Manuscript. Und dennoch sind die schönsten Stellen dieses Epos diejenige, welche die Seligkeit des Gedankens an eine Heimkehr in's Vaterland behandeln. Wie verändert fand unser Patriot dieses Vaterland, und besonders die Hauptstadt! Die Pest hatte kurz vor seinem Eintreffen eine furchtbare Ernte gehalten; eine Geld- und Handelskrise war ausgebrochen; das Land wurde schlecht verwaltet; das frühere angenehme, ritterliche, literarische Hofleben hatte einem Getriebe religiöser Unduldsamkeit und politischer Ränke Platz gemacht. All diese Umstände erzeugten eine düstere Stimmung, die sich natürlich auch des warmfühlenden Camoens bemächtigte. Es stand zu befürchten, daß bei solchen Zuständen die „Lusiaden“ keine große Beachtung finden würden. Zum wenigsten hatte der Poet bei Hofe zwei Gönner, die ihm (September 1571) beim Könige das Druckprivilegium erwirkten, sodaß „Die Lusiaden“ im Juli 1572 in den Buchhandel kamen, und obschon sofort eine Anzahl Gegner über ihn herfielen, indem sie ihm den Vorwurf machten, er habe zahlreiche neue Wörter und Formen geschaffen, erzielte das Werk einen riesigen Erfolg. Noch in demselben Jahre wurde eine zweite Auflage nöthig, und Pedro da Alcazova Carneiro beantwortete die Frage, welchen Hauptfehler er an den „Lusiaden“ zu tadeln finde, mit dem hübschen Worte: „Den sehr großen, daß [373] sie zu lang sind, um auswendig gelernt, und zu kurz, um ewig gelesen zu werden.“

Des Dichters Ruhm stieg sehr hoch; Tasso bezeichnete ihn als den Einzigen, der in jenem Jahrhundert ihm die Palme streitig machen könne. Dennoch blieb seine Person selbst ziemlich unbeachtet. Der König hatte zwar die Widmung der „Lusiaden“ angenommen, ließ sich den Autor jedoch nicht vorstellen, sondern speiste ihn mit einer auf drei Jahre berechneten und nachträglich auf weitere drei Jahre verlängerten Rente von 15,000 Reis (66 Mark) ab, die aber sehr unregelmäßig, zuweilen gar nicht ausgezahlt wurde und ihren Empfänger auch im günstigsten Falle nicht hätte ernähren können. Für die „Lusiaden“ erhielt er nichts; das Manuscript des „Parnaß“ war ihm von Neidern gestohlen worden – der arme Mann litt also die bitterste Noth, und sein treuer javanesischer Sclave Antonio, der ihm in Macao beigegeben worden war und ihn seither nicht wieder verlassen hatte, soll des Nachts für ihn betteln gegangen sein. „Mein Antonio,“ sagte er einmal zu einem Edelmann, „verlangt zwanzig Reis (circa neun Pfennig) für Kohlen von mir, und ich kann sie ihm nicht geben. Ich sehe mich in großem Elend und habe für nichts mehr Sinn, zu nichts mehr Lust.“

Die wenigen Gedichte, die er noch schrieb, enthielten lauter bittere Klagen. Bald starb auch der wackere Antonio, sodaß der kranke, nothleidende Dichter gänzlich vereinsamte. Die ihm bekannt werdende Verehrung, die das Ausland ihm in viel höherem Maße zollte, als Portugal, bildete seinen einzigen Trost; im Uebrigen hatte er jede Hoffnung aufgegeben. Den Todesstoß versetzten ihm die Nachricht von der Niederlage seiner Landsleute bei Alcazar-Quivir und die Usurpirung des portugiesischen Thrones seitens des Königs von Spanien. Der Niedergang seines Volkes erschütterte ihn tief, und die Anstrengungen, die er im Verein mit anderen Patrioten machte, um die Verschmelzung der beiden Nachbarländer zu verhüten, waren das letzte Aufflackern seiner geistigen Kraft. Er starb, wie er prophezeit, mit dem Vaterlande – am 10. Juni 1580, kurz nachdem eine spanische Armee Portugal besetzt; wenigstens haben sich die Mehrzahl der Camoens-Forscher, sowie die Portugiesen selbst aus guten Gründen für 1580 als Todesjahr entschieden, während Manche das Jahr 1579 vorziehen. Die Sanct Annen-Kirche, in welcher der Dichter begraben wurde, stürzte bei dem berühmten Lissaboner Erdbeben von 1755 ein, und bis vor wenigen Jahren dachte Niemand daran, ihm ein Denkmal zu setzen. Er hatte verlassen und unbeachtet geendet „in einem Spitale,“ wie ein Zeitgenosse berichtet, „ohne daß er ein Betttuch gehabt hätte, sich zu bedecken, nachdem er in Indien triumphirt und 5500 Seemeilen zurückgelegt hatte.“

Beinahe wäre Deutschland zu der Ehre gekommen, die Gebeine des großen Poeten zu beherbergen; denn einige Jahre nach dessen Tode schrieb, wie Pedro Mariz berichtet, „ein deutscher Edelmann nach Lissabon, er würde, falls er wüßte, daß Camoens kein prächtiges Grabmal besäße, mit der Stadt unterhandeln, um die Erlaubniß zu erlangen, die Gebeine nach Deutschland zu bringen, wo er dem Dichter ein herrliches Denkmal setzen lassen würde.“ Mit Rücksicht auf die Würde der Nation lehnte die Stadtbehörde den Vorschlag ab.

Was Camoens, abgesehen von seiner gewaltigen Bedeutung als Dichter, zu Portugals echt nationalem Sänger macht, ist sein unerschütterlicher Patriotismus. Und doch fangen die Portugiesen erst jetzt an, ihn gebührend zu würdigen. Weit mehr wurde er, wie bemerkt, jederzeit im Auslande anerkannt, vornehmlich in Deutschland. Humboldt nannte ihn den „Homer der lebenden Sprachen“; von seinen Werken sind zahlreiche deutsche Uebersetzungen erschienen, und seine Schicksale wurden von deutschen Dichtern dramatisch (von Halm) und novellistisch (von Tieck) dargestellt.

Aus zehn Gesängen von zusammen 1102 achtzeiligen Strophen (Stanzen oder ottave rime) setzt sich das „Die Lusiaden“ betitelte Heldengedicht zusammen, das Avé-Lallemant mit Recht als ein „historisches Feenmärchen“ bezeichnet. In keinem andern Epos sind Wahrheit und Dichtung auf so wunderbare Weise mit einander verschmolzen, wie hier. Den Inhalt bilden die für den Glanz der Nation so wichtigen Entdeckungsfahrten Vasco de Gama's. die Geschichte der Glanzperiode Portugals und die Verherrlichung der heldenmüthigen Eigenschaften, welche die Portugiesen bis zur Mitte des sechszehnten Jahrhunderts kennzeichneten. Die zauberhaften Schilderungen von Völkerschaften, Ländern, Meeren und Seeschlachten, sowie die hochpoetische Verwerthung der altgriechischen Götterwelt entrücken den Leser der „Lusiaden“ förmlich der Wirklichkeit. Kraftvoll und kernig ist die Sprache, wenn von den Helden des Epos, anmuthig und lieblich, wenn von den in die Geschicke der letzteren vielfach eingreifenden Gestalten der hellenischen Mythologie die Rede ist. Wir wollen es nicht versuchen, den Inhalt des großartigen Camoens'schen Hauptwerkes hier wiederzugeben – die „Lusiaden“ wollen, um mit Lessing zu sprechen, „weniger gelobt und mehr gelesen“ sein. Nun denn, Niemand kann den bevorstehenden Gedenktag würdiger begehen, als indem er am 10. Juni „Die Lusiaden“ zur Hand nimmt und von der ersten bis zur letzten Zeile durchliest. Er feiert damit nicht nur Camoens, sondern er verschafft sich auch einen auserlesenen poetischen Genuß.