Märchen (Tucholsky)
[5] Märchen.
Es war einmal ein Kaiser, der über ein unermeßlich großes, reiches und schönes Land herrschte. Und er besaß wie jeder andere Kaiser auch eine Schatzkammer, in der inmitten all der glänzenden und glitzernden Juwelen auch eine Flöte lag. Das war aber ein ganz merkwürdiges Instrument. Wenn man nämlich durch eins der vier Löcher in die Flöte hinein sah – o! was gab es da alles zu sehen! Da war eine Landschaft darin, klein, aber voll Leben: Eine Thomasche Landschaft[1] mit Böcklinschen Wolken[2] und Leistikowschen Seen[3]. Rezniceksche Dämchen[4] rümpften die Nasen über Zillesche Gestalten[5], und eine Bauerndirne Meuniers[6] trug einen Armvoll Blumen Orliks[7] – kurz, die ganze moderne Richtung war in der Flöte. Und was machte der Kaiser damit? Er pfiff drauf.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Thomasche Landschaft: Hans Thoma (1839–1924), deutscher Maler und Graphiker.
- ↑ Böcklinschen Wolken: Arnold Böcklin (1827–1901), Schweizer Maler, Zeichner, Graphiker und Bildhauer.
- ↑ Leistikowschen Seen: Walter Leistikow (1865–1908), deutscher Maler und Graphiker.
- ↑ Rezniceksche Dämchen: Ferdinand von Rezniček (1868–1909), österreichischer Maler, Zeichner und Illustrator.
- ↑ Zillesche Gestalten: Heinrich Zille (1858–1929), deutscher Maler, Zeichner und Photograph.
- ↑ Bauerndirne Meuniers: Constantin Meunier (1831–1905), belgischer Bildhauer und Maler.
- ↑ Blumen Orliks: Emil Orlik (1870–1932), böhmischer Maler, Graphiker, Photograph und Kunsthandwerker.
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