MKL1888:Kirche

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kirche“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 747756
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Kirche. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 747–756. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kirche (Version vom 19.05.2023)

[747] Kirche bezeichnet im Gegensatz zu den Tempeln der Alten, den Moscheen der Mohammedaner und den Synagogen der Juden das der christlichen Gottesverehrung geweihte Gebäude (s. Kirchenbaukunst), dann bald die Gemeinschaft der christlichen Gläubigen im Gegensatz zu andern Religionsgenossenschaften, bald den äußerlichen Organismus derselben, wie er sich in bestimmten Gesellschaftsformen, Kultus und Verfassung darstellt, bald ganz allgemein die ausschließlich religiöse Gemeinschaftsform selbst, in welchem Sinn auch von einer jüdischen, mohammedanischen etc. K. gesprochen werden kann, bald auch wieder die zum Christentum sich bekennende Bevölkerung eines einzelnen Landes oder Staats (Landeskirche) in Hinsicht auf ihre besondere Verfassung etc., bald endlich eine einzelne Partei der Christen, sofern sie als eine besondere, durch Glaubenssymbole und Rechte, auch wohl Zeremonien von andern sich unterscheidende größere Religionsgesellschaft angesehen wird, so römisch-katholische, griechisch-katholische, lutherische, reformierte K. im Gegensatz zu Sekte. Auch die Etymologie des Wortes ist streitig, wenngleich jetzt die meisten Gelehrten den Ursprung desselben auf das griechische Kyriakón (Herrenhaus, Haus), in welchem sich die Gemeinde des Herrn zu seinem Dienst versammelt, zurückführen. Da sonach weder Sprachgebrauch noch Etymologie zu einem irgend sichern Resultat verhelfen, so hilft nur eine teils begriffliche, [748] teils historische Ableitung zur Orientierung in dem Gewirr von Ansichten und Meinungen, den das schon nach Luthers Urteil „blinde, undeutliche“ Wort veranlaßt hat.

I. Lehre von der Kirche.

Wenn die Religion ein wesentliches Moment in dem geistigen Gesamtleben der Menschheit ist, wie sie sich denn in dem bisherigen Verlauf der Geschichte als umfassendstes Thema derselben erwiesen hat: so wird es auch als eine dem Menschengeist innewohnende allgemeine Notwendigkeit bezeichnet werden müssen, daß er sich behufs Lösung dieses Teils seiner Aufgabe eine eigne, also ausschließlich religiöse Gemeinschaftsform schafft, im Unterschied zu politischen, sozialen, wissenschaftlichen, künstlerischen Gemeinschaftsformen. In diesem rein idealen Sinn ist die K. der Organismus des religiösen Lebens der Menschheit überhaupt. Wirklich vorhanden ist diese Ecclesia (s. d.) immer nur in einer Gemeinde, wie Staat und Volk immer nur in einer Nationalität mit bestimmter Staatsform. Während aber in der vorchristlichen Zeit das religiöse und das politische Leben der Menschheit ununterscheidbar zusammenfallen und ineinander aufgehen, hat das Christentum eine über die nationalen Gegensätze übergreifende, auf geistigen Zusammenschluß der Menschheit abzweckende, rein religiöse Gemeinschaft eingeführt, und es ist daher kein Zufall, daß dem Wort K. trotz seiner allgemeinen Bedeutung doch eine spezifische Beziehung auf die christliche Religion anhaftet (s. Christentum). Der leitende Gedanke bei der theoretischen Durchbildung des Begriffs der K. ist der eines gesellschaftlichen Wunders, welches dem Wunder der Person Christi als des menschgewordenen Gottessohns entspricht und seine Fortsetzung darstellt. In diesem Sinn führen die Briefe an die Epheser und Kolosser das sonst von Paulus gebrauchte Bild vom Leib, darin Christus der Geist ist, dahin weiter, daß die K. als eine die irdische und überirdische Welt umfassende Gemeinschaft der Geister erscheint, wovon der im Himmel erhöhte Christus das Haupt ist. Damit war die Vorstellung eines sinnlich-übersinnlichen Organismus gegeben, welcher sein eigentliches Wesen in der überirdischen Welt, seine irdische Erscheinung aber in den einzelnen Gemeinden und in der Gesamtheit aller dieser einzelnen Gemeinden hat. Dies das wesentliche und stehende Schema, in welches dann alle christlichen Religionsgenossenschaften und Lehrbegriffe ihre eigentümlichen Auffassungen vom Wesen der K. hineingezeichnet haben, indem sie bald mehr das eine, bald mehr das andre Moment hervorheben oder ihre Sonderstellung durch die Eigentümlichkeit der Verbindung beider Momente bezeichnen. Dieselbe als ein Verhältnis fast durchgängiger Einerleiheit aufzufassen, ist von jeher der hervorstechende Charakterzug des Katholizismus (s. d.) gewesen. Dieser versteht unter K. unmittelbar die irdische Erscheinung selbst, die mit wunderbaren Kräften aus der übersinnlichen Welt ausgestattete, angeblich von Christus selbst gestiftete Heilsanstalt, deren wesentliche Organe die Bischöfe als Nachfolger der Apostel sind. Die K. ist ihm die christliche Gesellschaft schlechthin. Daß außer ihr, die am liebsten unter dem Bild einer Mutter oder einer Arche Noah, eines Schiffleins Christi gedacht wurde, keine Rettung zu finden, in ihr aber die Fülle des Heils sei, wurde sowohl den Heiden als den Häretikern gegenüber einstimmig behauptet. Cyprian und Augustin sind die Hauptschöpfer dieses Kirchenbegriffs, auf dessen Ausbildung namentlich das Aufblühen der K. unter dem Schutz des Staats sowie der Sieg des Augustinismus über die Lehre der Pelagianer, Manichäer und Donatisten einwirkten. Im Streit mit den letztern erkannte Augustin in der K. die Gesamtheit aller Getauften und beförderte durch kecke Vereinerleiung des in der Wirklichkeit gegebenen Organismus mit dem Reiche Gottes die katholische Weltanschauung, welche, von der Theologie der römischen Bischöfe auf den dortigen Primat ausgedehnt, die Hierarchie des Mittelalters vorbereiten und vollenden half. Das geschichtliche Gewächs des den Weltstaat sich dienstbar machenden und die Nationen erziehenden Katholizismus wurde hier gleichsam mit Haut und Haaren zum Glaubensgegenstand erhoben. Dem Katholizismus ist die K. die unmittelbar gegenwärtige Erscheinung der überirdischen Ordnung Gottes, begabt mit sichtbarem Oberhaupt, unfehlbarer Lehre, wunderbaren Gnadenmitteln, über alle sonstigen Ordnungen des Menschenlebens so erhaben wie der Geist über das Fleisch, aus himmlischen Regionen herabgesenkt auf die Erde, um möglichst viele Menschen auf Erden kraft der Sakramente zu retten und in die übersinnliche Welt emporzuheben. In diesem vom römischen Katechismus aufgenommenen Unterschied von streitender und triumphierender K. begegnet uns die letzte schwache Spur einer Unterscheidung von Wirklichkeit und Ideal. Aus der notwendigen Unterscheidung im Gegenteil eine Trennung zu machen, die ideale Gemeinschaft loszureißen von der empirischen K., war der gemeinsame Gedanke aller reformatorischen, aber auch aller schwärmerisch aufgeregten Sekten des Mittelalters. Der Gegensatz zwischen äußerlicher und innerlicher Auffassung des Begriffs der K. trat in dem Kampf zwischen Katholizismus und Protestantismus in der Weise hervor, daß nach römisch-katholischer Ansicht die K. in der sichtbaren, unter dem Papst als ihrem Oberhaupt vereinigten Gemeinschaft der auf ein äußerliches Bekenntnis und auf einen und denselben Gebrauch der Sakramente hin Getauften, also in der empirischen rechtlichen Abgrenzung der Glaubensgemeinschaft, nach protestantischer Ansicht aber vornehmlich in der „Gemeinschaft der Heiligen“ (s. d.) besteht, an die, als an die der Erlösung durch Christus entsprechende Gesamtwirkung, man glaubt, die man aber nicht sieht. Nach der einen Ansicht gelangt der einzelne durch die K. zu Christus, nach der andern durch Christus zur K. Doch lenkt auch die protestantische Dogmatik vom absoluten Idealismus ein, indem sie unsichtbare und sichtbare K. unterscheidet und beide im Zusammenhang miteinander hält durch die Lehre von den Merkmalen der wahren K. Als solche gelten, zumal dem Luthertum, reine Lehre und stiftungsgemäße Sakramentsverwaltung. Da immer wird „Gemeinschaft der Heiligen“ stetig erzeugt und die unsichtbare K. am meisten gefördert, wo in einer sichtbaren das Wort Gottes unverfälscht gelehrt, die Sakramente einsetzungsgemäß verwaltet werden, d. h. die lutherische K. erschien als der verhältnismäßig adäquateste Ausdruck der Idee der K. Die reformierte Lehre unterscheidet sich davon nur durch Aufnahme ethischer Merkmale und disziplinarer Bestimmungen. Gegen die Anknüpfungspunkte, welche dieser protestantische Kirchenbegriff im katholischen fand, bildeten zunächst wieder die Mystiker und Enthusiasten in ähnlicher Weise wie die mittelalterlichen Sekten eine fortwährende Opposition. Anderseits offenbarte allmählich der Protestantismus eine grundsatzmäßig auf Umsetzung des Christentums aus der [749] kirchlichen in die weltlichen Form gerichtete Tendenz; die Religion selbst fing an, sich von der Theologie zu emanzipieren, und es fiel der K. immer schwerer, ein sicheres und klares Bewußtsein von ihrer Existenz in sich zu tragen. Die Periode der Aufklärung sah geradezu in jeder Selbständigkeit des kirchlichen Lebens dem Staat gegenüber etwas Hierarchisches. Dieser Mangel an allgemein kirchlichem Leben aber bewirkte, daß in den einzelnen der Gemeinschaftstrieb sich um so stärker regte, und so entstanden Kirchlein in der K., z. B. die Brüdergemeinde, während andre, z. B. Swedenborg, an der Gegenwart verzweifelnd, die K. eines neuen Jerusalem in ihre idealvisionäre Welt hineinbauten. Die Reaktion des 19. Jahrh. aber belebte sofort auch wieder den Kirchenbegriff in allen christlichen Denominationen, und so hat namentlich auch die neuere protestantische Theologie seit Schleiermacher das Dogma von der K. zu bearbeiten und es selbst über die noch unvollkommenen Anfänge im Reformationszeitalter hinauszuführen versucht. Mit der Ausbildung des Dogmas hält auch die Ausbildung des Kirchenrechts und der Kirchenverfassung gleichen Schritt.

II. Geschichtliche Entwickelung der christlichen Kirche.
(Vgl. hierzu die Beilage „Zeittafel der Kirchengeschichte“)
Erste Periode: bis auf Konstantin den Großen.

Eine richtige Würdigung des kirchengeschichtlichen Prozesses setzt vor allem Einsicht in die religionsgeschichtlichen Thatsachen voraus, daß die Wirkungen der schöpferischen Persönlichkeiten, nach welchen die großen Epochen der religiösen Entwickelung benannt zu werden pflegen, nur sehr teilweise zusammenfallen mit dem, was auf ihren Namen hin gethan und gewirkt, gesprochen und gedacht wird. Auch die christliche Kirchengeschichte stellt nichts weniger als geradlinige Entwickelung von Jesus oder von Paulus aus dar, sondern einen der kompliziertesten Prozesse, welche wir kennen. Die christliche K. ist im eminenten Sinn des Wortes „das Ding mit den vielen Ursachen“, davon die Philosophie weiß, und es bedarf einer nicht eben alltäglichen Vorurteilslosigkeit und Unbefangenheit, um jedem der hier mitwirkenden Faktoren das Seine zu geben. Das Evangelium Jesu und die gemeinsame apostolische Verkündigung kommt hier allerdings in erster Linie, darum aber nichts weniger als in einziger Weise in Betracht. Denn mit dieser Predigt vom Reiche Gottes (s. d.) ist noch lange nicht dasjenige gemeint gewesen oder gar ins Leben gerufen worden, was man K. nennt. Im Gegenteil war es der Grundirrtum einer dogmatisch bedingten Geschichtsdarstellung und zwar ebenso auf protestantischer wie auf katholischer Seite, daß die Entstehung der K. mit der Entstehung des Christentums (s. d.) gegeben gewesen sei. Die christlichen Gemeinden waren vielmehr ursprünglich lediglich Verbände zu einem heiligen Leben auf Grund einer gemeinsamen Hoffnung und Sehnsucht nach demnächstiger Weltvollendung durch den wiederkehrenden Messias. Von seinen Sprüchen, die zu kühnem Gottvertrauen und alles aufopfernder Bruderliebe mahnten, von seinen Gleichnissen, die das leise Nahen einer göttlichen Lebensordnung, eines „Himmelreichs“, abbildeten, von seinen Weissagungen, welche demselben Reich ein „Kommen mit Macht“ noch innerhalb der Lebzeiten der Zuhörer in Aussicht stellten, zehrten diese Gemeinschaften. Die eigne Produktionskraft aber that sich Genüge und wirkte sich aus in einem kräftig pulsierenden Leben des Enthusiasmus, der Inspiration, der Prophetie, welches sich auch durch die grundsatzmäßige Gebundenheit an die Autorität des Alten Testaments nicht sehr beengt fühlte. Die ersten Christengemeinden waren Gemeinschaften von Inspirierten mit beweglichen, mannigfaltig nüancierten Verfassungsformen, die bald mehr an die jüdischen Synagogenverbände, bald mehr an die griechischen Kultvereine und römischen Kollegien erinnerten. Das Gemeindeleben selbst trug ein hervorstechend sozialistisches, aber durch und durch religiös bedingtes Gepräge; der heidnischen Kulturwelt stand es in Erwartung eines baldigen Weltendes durchaus ablehnend gegenüber.

Erst etwa seit Mitte des 2. Jahrh. sehen wir die zielbewußtern, von praktischern Trieben beseelten und allmählich vom Bewußtsein einer Weltmission durchdrungenen unter diesen Gemeinden im römischen Weltreich allmählich sich zusammenfinden in jener nach außen immer weiter reichenden, nach innen immer fester gefügten Konföderation, welche sich die „Großkirche“, die „allgemeine“, die „katholische Kirche“ (s. d.) nannte. In der Mitte des 3. Jahrh. steht dieselbe wesentlich ausgewachsen und fertig vor uns. Aber wie ganz andre Züge weist das Christentum nunmehr in dieser neuen Gestalt auf, in welcher die ursprüngliche Abgeschlossenheit gegen die Welt, wenn nicht in der Theorie, so doch faktisch bereits aufgegeben war! Was uns hier entgegentritt, das ist ein mit festen, hierarchisch gegliederten Verfassungsformen ausgestattetes Gemeinwesen, eine Kultusanstalt mit Opfer und Priestertum, neben der alttestamentlichen jetzt auch eine neutestamentliche Offenbarungsurkunde, ein nicht bloß von Propheten, sondern auch von Aposteln geschriebener Kanon (s. d.), ein bereits in Taufbekenntnis und Glaubensregel formulierter Glaube, eine eigentliche Theologie (s. d.), und in dem allen ist zumeist griechisch-römischer Geist spürbar, nicht etwa jüdischer. Der hellenische Geist ist in der Abwandlung, die er damals erfahren hatte, zu allen Poren des neuen Gemeinwesens eingeströmt, der ursprüngliche Enthusiasmus, die aus eigner Fülle schöpfende apokalyptische Begeisterung ist verduftet. Eine K. ist geworden, welche nicht mehr lediglich eine Gemeinschaft der Hoffnung und der Zucht, des Glaubens und Liebens, sondern vor allem einen Staat im Staate darstellt, nominell gegründet auf das Evangelium Jesu, thatsächlich eine ganz eigentümliche Organisation religiös empfindender, von gemeinsamen Idealen zehrender Massen, die sich berufen wußten, in der großen Konkurrenz der verschiedensten Religionsweisen, Kulte, Mysterien und Schulen, welche sich um den geistigen Besitz des römisch-griechischen Weltreichs stritten, die Palme davonzutragen. Demnach repräsentierte die „Großkirche“ eine hierarchische Heilvermittelungsanstalt für die Massen, und die sittlichen Anforderungen an ihre einzelnen Mitglieder erlitten notwendigerweise eine immer größere Einbuße an Idealität. Aus den Gemeinden des Urchristentums schloß eine Todsünde aus; nur Aspiranten des Himmelreichs kamen in Betracht, nicht Weltbürger, Staatsdiener, Gelehrte, Industrielle, Künstler, Soldaten etc. In der Gemeinschaft der katholischen K. dagegen konnte jeder seine Stelle finden, sofern er nur sich gewissen Ordnungen und Regeln unterwarf, gewisse Bekenntnisse anerkannte, gewisse Übungen praktizierte. Individuelle Inspiration, Prophetie auf eigne Hand war nunmehr verboten, wie auch Kundgebungen einer allzu unbedingten Hingebung dem Mißtrauen verfielen, ohne daß darum die höchsten Güter des Christentums geradezu unzugänglich geblieben wären. Die K. ist das für eine Rolle in [750] der Weltgeschichte eingerichtete und insofern das säkularisierte, das mit dem Instinkt der Weltherrschaft versehene, allerorts praktisch zurechtgelegte Christentum. Nichts ist begreiflicher, als daß das Römerreich nicht freiwillig abdankte zu gunsten der sich anmeldenden geistigen Großmacht; es waren bekanntlich gerade die echtesten Erben und Fortleiter der alten Traditionen römischer Politik, welche in der christlichen K. eine Todfeindin erkennen und sie bis aufs Blut bekämpfen zu müssen glaubten. Aber eigenste Kraft und eine Verkettung günstiger Umstände verhalfen letzterer zum Sieg. Ein genialer Eroberer that den kühnen Wurf; er stellte sich anfänglich über die Parteien, um je länger, desto mehr in der christlichen K. die eigentliche Trägerin aller zukunftsvollen Mächte zu erkennen und in ihrer bereits bestehenden Einheit die Unterlage einer erst herzustellenden Einheit des Reichs zu suchen. Die Bischöfe der K. sollten den wankenden Kaiserthron stützen, ihm im Glauben der Völker den eingebüßten Kredit wieder verschaffen. Was Konstantin (306–337) wollte, das war eine handliche Staatskirche. Aber nur in der östlichen Hälfte des Reichs konnte seine Idee Durchführung finden, und zwar war es wesentlich das Dogma, bei dessen Ausbildung die byzantinischen Kaiser und fast mehr noch ihre Frauen sich beteiligten.

Zweite Periode: bis auf Karl den Großen.

Wir schreiten damit von der ersten Epoche der alten K. hinüber zu der zweiten. Die Ansätze des dogmenbildenden Prozesses hatte schon jene gesehen (s. Dogma, Dogmatik, Dogmengeschichte). Die Verweltlichung des Christentums auf dem Gebiet der Lehre und Vorstellung war eingeleitet worden von der Gnosis (s. d.). Ihr ist die kirchliche Theologie nur nachgewachsen. Sie hat in mildern, populärern Formen, in gemäßigtem Tempo wiederholt, was die Gnosis in kühnen Sprüngen gewagt hatte: eine Darstellung der neuen Weltanschauung mittels der Formen griechischer Religionsphilosophie und Mysterienweisheit. Während aber von der kirchlich werdenden Christenheit vor allem das ganze Judentum als Religion mit Beschlag belegt, die ganze alttestamentliche Geschichte als Vorgeschichte der K. in Anspruch genommen wurde, rechnete der Gnostizismus dieses Alte Testament vielmehr in das von ihm noch viel heftiger als von der K. verworfene Judentum ein und ging deshalb der K. mit Bildung eines eignen, eines neutestamentlichen Kanons sogar voran. In den Wirren des mit der Gnosis geführten Kampfes erfuhr die K. erstmalig das Bedürfnis, ihr einfaches Taufbekenntnis durch Erweiterungen zu erläutern und in eine die kirchlich korrekte Überlieferung fixierende Glaubensregel umzuwandeln. An diese Glaubensregel setzt sich sofort die noch ganz embryonale und fragmentarische Theologie der antignostischen Kirchenväter, eines Justinus, Irenäos, Tertullian, an. Erst durch das Medium der als „Neues Testament“ kanonisierten Schriften der apostolischen und nachapostolischen Epoche im Verein mit der Glaubensregel werden jetzt auch die treibenden Ideen des Urchristentums selbst in dieser K. eine wirksame Macht. Aber den gut christlichen Elementen, mit welchen auf diesem Weg das Dogma ausgestattet wurde, halten die sich mehrenden griechischen die Wagschale. Hand in Hand mit der im Verlauf des 3. Jahrh. sich vollziehenden Umbildung der K. in einen heiligen Staat erfolgt eine Umsetzung der Glaubensregel in die hellenisch fundamentierte, aus der Stoa und aus dem Platonismus abzuleitende Religionsphilosophie eines Clemens und Origenes. Den Kristallisationspunkt für diesen Prozeß bildet die von Tertullian, Hippolyt u. a. in die Glaubensregel eingeführte Lehre vom Logos (s. d.), mit welcher der Kern der kirchlichen Weltanschauung ins Dasein getreten ist. Denn damit war die Anweisung gegeben, das Göttliche in Christus als die im Weltbau und in der Geschichte der Menschheit verwirklichte Vernunft Gottes zu denken; s. Christologie. Der Menschwerdung des Logos entspricht aber als ihr Erfolg schon bei Irenäos die Vergöttlichung des Menschen. Je länger, desto mehr rückt dieser Gedanke in den Mittelpunkt der Theologie der Kirchenväter (s. d.), und in gleichem Maß wird der einfach religiöse und sittliche Inhalt des Evangeliums durch einen dicken Überwurf von Metaphysik und Theosophie verdeckt. Mysteriöse, aber reale Umbildung des Menschen in unvergängliches Wesen, abgebildet in den geheimnisvollen Naturvorgängen der Sakramente (s. d.) und bewerkstelligt durch ihren Genuß, sollte die Gabe Gottes in Christus sein. Dieser symbolischen Magie eines zum guten Teil den heidnischen Mysterien nachgebildeten Kultus entsprach ein Erlöser, welcher in seiner Person die menschliche Natur mit der göttlichen vereinigt, genauer jene vergottet hat. Dies führt auf Wesenseinheit des Sohns mit dem Vater, auf Doppelnatur Christi, kurz auf alle jene Formeln, welche seit dem Konzil von Nicäa dem eigentlich dogmenbildenden Zeitalter einleuchtend und annehmbar erschienen, um die höchste Anschauung vom Werte der christlichen Religion und der durch sie vermittelten Heilsgüter auszudrücken. S. Nicäisches, Nicäisch-Konstantinopolitanisches, Chalcedonisches Glaubensbekenntnis.

Einer irrtümlichen Geschichtsphilosophie entsprungen ist die oft gehörte Meinung, diese und ähnliche Formeln hätten unter den Bedingungen, welche bei der dogmatischen Entfaltung des christlichen Bewußtseins maßgebend und wirksam gewesen sind, gerade so ausfallen müssen, wie sie thatsächlich ausgefallen sind. In Wahrheit hätte sich die Andacht der K. aber z. B. mit dem gottähnlichen Christus des Arianismus ebensogut befriedigen können wie bei dem gottgleichen des Athanasius, und wie die Dinge zu Nicäa lagen, hat sogar alles zu der erstern Formel gedrängt. Daß die letztere siegreich wurde, ist dem persönlichen Eingreifen des Konstantin wie später des Theodosius zu verdanken. Ebenso hatte im Nestorianisch-Eutychianischen Streit bereits der Monophysitismus den Sieg in den Händen, als er ihm nachträglich auf der vierten ökumenischen Synode durch das im Bund mit dem römischen Bischof erfolgende Einschreiten der Kaiserin Pulcheria wieder entwunden wurde. Gegenteils ist der monophysitische Rückschlag, welcher dann auf der fünften ökumenischen Synode eintrat, das persönliche Werk Justinians und Theodoras gewesen. Der monotheletische Streit ist durch die Politik des Kaisers Heraklios hervorgerufen und in seinem Verlauf ganz durch die Kaiser Constans und Constantinus Pogonatus bestimmt worden. Den Bilderstreit haben erstmalig und endgültig die beiden Kaiserinnen Irene und Theodora abgeschlossen. Das Abendland ist dieser Entwickelung des Dogmas, wie es der zweiten Hälfte der Geschichte der alten K. ihr bezeichnendes Gepräge verleiht, nur einfach zustimmend gefolgt, und was es Selbständiges auf diesem Gebiet leistete, die Sünden- und Gnadenlehre des Augustinus, das hat im kirchlichen Leben und in der theologischen Praxis keineswegs zu einer so großen Entfernung von der griechischen Theologie geführt, als es gemäß dem [751] harten Wortlaut der Augustinischen Sätze, die ja nur sehr bedingt und abgeschwächt zur Annahme gelangt sind, scheinen mochte.

Während so der unendliche Streit um die Glaubensbegriffe K. und Staat zugleich in beständiger fieberhafter Erregung erhielt, wurde das klassische Heidentum systematisch vernichtet, vielfach unter Anwendung derselben brutalen Mittel, welche in den vorkonstantinischen Zeiten gegenüber der jungen Pflanzung in Anwendung gekommen waren, welche den großen Bau des Weltreichs zu durchwuchern und zu zersprengen drohte. Statt dessen hat sie dieses Weltreich in den letzten Jahrhunderten seines Bestandes, wenigstens von außen, mit einem neuen Blätter- und Blütenschmuck umgeben; sie hat es mit ihrem Duft erfüllt, aber seinen Zerfall schließlich nicht aufzuhalten vermocht, eine Thatsache, die seit der Eroberung Roms durch Alarich schon den Kirchenvätern zu denken gab. Außerdem war das Christentum so sehr identisch mit der römischen Staatsreligion, es war so sehr Reichsreligion geworden, daß es in dem mächtigsten Staat, welcher noch neben dem Imperium bestand, in Persien, wo es weit um sich gegriffen hatte, gerade aus nationalen und politischen Gründen unterdrückt und so seiner Ausdehnung im Osten schon vor den Zeiten des Islam ein Ziel gesetzt wurde. Dieser hat dann über die ganze Christenheit des Morgenlandes, soweit er sie nicht einfach vernichtete, ein Leichentuch gebreitet, unter welchem sie einen langen, vielleicht ewigen Winterschlaf angetreten hat. S. Griechische Kirche.

Die Schicksale des Christentums sollten sich im Abendland entscheiden. Alles hing davon ab, ob das Schiff der K. den Zusammenprall der alten römischen und der neuen germanischen Strömung der Weltgeschichte, wie solcher in der Völkerwanderung erfolgte, aushalten, oder ob es, wie das staatliche Fahrzeug, darin zerschellen würde. In der That vollzog sich der Übergang in das neue Fahrwasser aufs glücklichste. Ja, es schien, als ob die K. erst in den germanischen, bez. romanischen, in zweiter Linie auch in den slawischen Völkerschaften, die sich jetzt vor dem Kreuz beugten, den richtigen und entsprechenden Naturboden gefunden habe, auf welchem ihre Saaten ein unverkümmertes und dabei zugleich auch wieder verhältnismäßig originelles Gedeihen finden sollten. An die Stelle der Hellenisierung des Christentums trat jetzt seine Germanisierung. Nicht bloß wuchsen aus dem altgemanischen Heidentum zahlreiche Anschauungen und Sitten hinüber in den christlichen Glaubens- und Kultuskreis (darunter namentlich mancherlei Teufels- und Hexenspuk), sondern auch germanische Rechtsbräuche erwiesen sich wirksam wie in der Dogmatik (z. B. Versöhnungslehre des Anselmus), so auch in der Ausbildung des Kirchenrechts (z. B. Ehewesen); auch was dem Christentum in Bezug auf Hebung und Wertung des weiblichen Geschlechts nachgerühmt wird, ist wenigstens teilweise zur germanischen Erbschaft zu schlagen.

Dritte Periode: bis auf Innocenz III.

Damit sind wir aus den Zeiten der alten K. in diejenigen des Mittelalters hinübergetreten. Was sich in jenen als ein fortschreitender Prozeß darstellt, das ist jetzt zur vollendeten, innerhalb des katholischen Rahmens nicht mehr rückgängig zu machenden Thatsache geworden: die gänzliche Entmündigung der Gemeinde zu gunsten der Priesterschaft. Diese allein stellt die K. im aktiven Sinn dar; die Laien sind bloß Objekt des priesterlichen Handelns. Nur Priester können der Lehre und Sakramente warten; alles Heil für die Welt ist daher an das Priestertum geknüpft und außer der K. überhaupt kein Heil. Das ursprüngliche Wahlrecht der Gemeinden war schon vor Konstantin vielfach erschüttert; selbst nachher wurden jedoch noch Stimmen gehört, die von einem allgemeinen Priestertum aller Christen vor Gott wußten. Je länger, je mehr beschränkte sich jedoch die Laienthätigkeit in den obern Schichten auf Beteiligung an byzantinischen Hofkabalen und Palastrevolutionen, in den untern auf gelegentliches Tumultuieren und Losschlagen im Interesse irgend eines geistlichen Zugführers. Aber es gab auch ernstere Geister in dieser Laienwelt, und die urchristliche Idee der Weltentsagung und Weltfeindschaft schuf sich, als ihr von seiten eines von den Lasten des Staates befreiten, in Glanz und Machtfülle gekleideten Klerus immer weniger entsprochen wurde, bald eine neue Form christlicher Lebensführung im Kloster (s. d.). Von Haus aus galten die Mönche durchaus als Laien; sie vertraten jene der Welt abgewandte Seite des Christentums, jene urchristliche „Vollkommenheit“, welche nicht bloß das in seiner Masse stets unvollkommene Kirchenvolk, sondern auch der in die Geschäfte dieser Welt immer tiefer verwickelte Klerus nicht mehr darstellen und verwirklichen konnte. Bald aber empfingen die Klosteräbte die Priesterweihe und fingen die Klöster an, Pflanzschulen des Klerus zu werden, wie das wenigstens in Bezug auf die höhere Geistlichkeit in der griechischen K. bis auf den heutigen Tag so geblieben ist. Thatsächlich hat der Klerus die anfänglich bedenklich erscheinende Konkurrenz des Mönchtums rasch, wenn auch nie vollständig besiegt. In den dogmatischen Kämpfen der Reichskirche sehen wir stets ganze Heere von Mönchen für das Ansehen dieses oder jenes Patriarchen ins Feld rücken, und z. B. auf der Räubersynode haben ihre Knüttel und Fäuste einen blutigen Sieg erfochten. Die Kehrseite zu einer solchen akuten Bethätigung des Mönchtums bildete im Orient die chronische Beschäftigung der Kontemplation, der klösterliche Quietismus, welcher sich bemühte, sich auf dem Weg ekstatischer Halluzinationen in wenigstens momentanen Vorgenuß eines rein jenseitigen Heils zu versetzen. Das edlere, kulturfreundliche Mönchtum dagegen, welchem insonderheit Britannien und Deutschland ihre Christianisierung, ganze Schichten der Bevölkerung Belehrung und Unterweisung, Werke des klassischen Altertums Erhaltung, Wüsteneien Urbarmachung verdanken, ist eine Schöpfung des Abendlandes. Ganz besonders in den Anfangszeiten des Mittelalters erwiesen sich die Benediktiner (s. d.) als die praktisch wirksamsten Vertreter des christlichen Gedankens in den Formen, wie die Zeit ihn zu verstehen vermochte. Überall bilden damals die Klöster die Mittelpunkte des kirchlichen Lebens, die Ausgangspunkte der Mission (s. d.), die Pflegestätten der Wissenschaft, die Herde auch aller weltlichen Kultur, bevor auf diesem letztern Gebiet einzelne gewaltige Herrscher, wie Karl und Alfred, mit selbständigem Programm vorangingen. Aber auch in solchem Fall war nachhaltige Wirksamkeit nur im engen Verein mit der K. möglich, deren Würdenträger im Rate der Großen saßen, deren Diener die ausübenden Organe lieferten auch für die Kulturmission des Staats, soweit eine solche zu den bewußt ergriffenen Aufgaben der Zeit gehörte.

In dieser ersten Hälfte des Mittelalters bietet die abendländische K. überhaupt vielleicht den befriedigendsten Anblick dar, welchen sie im ganzen Verlauf ihrer Existenz erreicht hat. Ihre Aufgabe und Stellung in der Welt war ihr ein für allemal gestellt und [752] in Augustins Büchern „vom Staate Gottes“ zum klassischen Ausdruck gekommen: als dem bereits gegenwärtigen Reiche Gottes, der Verwirklichung der obersten sittlichen Idee, dem höchsten Gut haben ihr sich alle andern Lebenssphären einfach unterzuordnen, und namentlich kann auch der Staat nur durch solche Unterordnung unter ein höheres Ziel Absolution für seine sündigen Ursprünge und niedrig menschlichen Zwecke finden. So kam die K. dazu, die Bewähr für ihre göttliche Mission bald genug im Sieg über den Staat zu suchen. Zwar in den Jahrhunderten nach Karl d. Gr. erscheint auch sie vielfach in den allgemeinen Verfall hineingezogen, durch welchen die karolingischen Kulturansätze so rasch wieder verschüttet und begraben worden sind. Das dunkle Jahrhundert ist auch für die K. ein solches gewesen. Der Papst (s. d.), dessen Machtstellung bald den hervorragendsten Gradmesser für die Tiefe und Kraft der von der K. auf das Völkerleben ausgehenden Wirkungen darstellen sollte, erscheint zu Anfang dieses Zeitraums noch als Lehnsmann des Kaisers und wird auch im weitern Verlauf mehr als einmal nach dessen Willen gewählt, ja geradezu von ihm ein- oder auch abgesetzt. Zugleich sah sich der Nachfolger St. Peters in alle die Parteihändel und blutigen Raufereien hineingerissen, welche damals die Geschicke Italiens entschieden, und das halbe Jahrhundert der Pornokratie steht in der Geschichte da wie eine bittere Satire auf alle Heiligkeits- und Unfehlbarkeitsansprüche, welche der römische Stuhl, ja die christliche K. überhaupt erheben mochte.

Aber die Not der Zeit, welche das Übel geschaffen hatte, brachte auch die Heilung; sie stärkte den Einheitsdrang der K., und bald war diese Glaubens- und Verfassungseinheit dasjenige Ideal der Völker des christlichen Abendlandes, welches der Verwirklichung am nächsten gebracht schien. Aber doch nicht das einzige unter den realisierten Idealen. Ein andres war ihm sogar zuvorgekommen; es war wieder das Mönchtum, aus dessen Schoß erst jenes stahlharte Papsttum hervorgegangen ist, welchem in der zweiten Hälfte des 11. Jahrh. der Sieg beschieden war. Das karolingische Zeitalter kennt die Klöster zumeist als Lehen und Erben weltlicher Herren; die hohe Geburt und Stellung vieler Äbte, die Gelehrsamkeit, die in nicht wenigen Klöstern ihren Sitz aufgeschlagen hatte, die Reichtümer, die sich hier ansammelten, boten keine Entschädigung für die zunehmende Einbuße an innerm Gehalt. Aber jener Geist der Weltverachtung und Entsagung, daraus das klösterliche Leben ursprünglich hervorgegangen war, entsprach so manchen Neigungen auch der germanischen und romanischen Völker, welche sich jetzt an der Spitze der Christenheit bewegten. Nimmermehr vermochte ein herabgekommenes, verwildertes Mönchtum auf die Dauer seinen Kredit zu behaupten. Daher eine lange Reihe von mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen, dem Kloster seine Stellung und Bedeutung durch Erneuerung und Schärfung der Regel des heil. Benedikt zu sichern, endlich die energische Konzentration innerhalb des Ordens selbst durch die Kongregation von Cluny, daraus jener Hildebrand hervorgegangen ist, in dessen Persönlichkeit und Schöpfungen das mönchische Ideal der Weltverleugnung mit dem kirchlichen Ideal der Weltbeherrschung sich verbinden sollte. So hat von Cluny aus das Mönchtum sich des kirchlichen Regiments bemächtigt; es hat zuerst die Weltkirche dem eignen Vollkommenheitsideal angenähert, um sich dann selbst in der Gestalt der Bettelorden diesem erneuerten Papsttum unter Innocenz III. als wirksamstes Organ der Mission, Volksbelehrung und Ketzerbekämpfung zur Verfügung zu stellen.

Diese unter dem monarchischen Haupt zusammengefaßte K. war jetzt fragelos die erste Macht der Zeit. Sie allein spendete den Völkern des Abendlandes jahrhundertelang sämtliche geistige Nahrung und sittliche Bereicherung. Während auf staatlichem und bürgerlichem Gebiet die Christenheit sich möglichst differenzierte und nicht bloß jede Nation, sondern auch jeder Stand, jede Stadt, jede Genossenschaft danach strebte, möglichst für sich da zu sein, hielt die allenthalben in wesentlich gleichen Kultusformen zur Erscheinung kommende K. kraft derselben immer strenger hierarchisch zugespitzten Verfassung die auseinander strebenden Massen zusammen. In alle Verhältnisse des mittelalterlichen Staats ragte sie hinein, in alle Völkerkämpfe und Bürgerkriege mischte sie sich, oft genug nur, um ihr eignes Interesse zu wahren, aber nur selten, ohne in diesen zerrissenen Menschenhaufen die Ahnung erweckt und aufgefrischt zu haben, daß sie alle im Grund eine christliche Völkerfamilie zu bilden und gewisse Heiligtümer hoch zu halten und zu wahren haben, welche der damaligen Menschheit ohne die einseitig religiöse Fassung, darein die K. sie gebracht hatte, nur allzu leicht verloren gegangen wären.

Vierte Periode: bis zur Reformation.

In der zweiten Hälfte des Mittelalters, von den Zeiten der kulminierenden Papstmacht an, treten Licht und Schatten sich schon viel schärfer entgegen. Der Glanz des abendländischen Priesterstaats wirkt blendender, zumal seit dem Sieg über die Hohenstaufen; aber auch die Opposition nimmt weitere Dimensionen an, zeigt ein immer ernsteres und entschlosseneres Gesicht. Im Beginn der Periode tritt uns die K. auf dem großen Laterankonzil von 1215 unter dem Präsidium des Papstes Innocenz III. (1198–1216) auf der höchsten Staffel der Machtvollkommenheit entgegen, die sie je erstiegen hat. Die von den Päpsten ins Leben gerufenen Kreuzzüge hatten das Ansehen des Statthalters Christi an ihrem Teil gesteigert und teilweise selbst im Orient befestigt. War auch Jerusalem wieder verloren gegangen, so war dafür in Konstantinopel das lateinische Kaisertum aufgerichtet, und der byzantinische Patriarch ward in Rom ernannt. Die gleichfalls von hier aus geleiteten Könige Europas verglich Innocenz mit dem Monde, der sein Licht von der Sonne, die in Rom strahlt, zu Lehen trägt. Der K. und ihrer Herrlichkeit dienten die Waffen der Völker; sogar das Rittertum nahm religiöse Farbe und Weihe an in den geistlichen Ritterorden. Der K. diente aber auch die Wissenschaft in der Scholastik. Hat die letztere sich auch nicht mehr produktiv auf dem Gebiet der Glaubenslehre erwiesen (es sei denn im Artikel von den Sakramenten, der erst im Verlauf des Mittelalters allseitige Durchbildung empfing), so bestand doch der höchste Triumph dieser spezifisch mittelalterlichen Schulgelehrsamkeit wie in einer vollendeten Technik des Denkens, so weiterhin in der Dienstbarmachung und Ausbeutung dieser formalen Fertigkeit im Interesse der Kirchenlehre. Als Albert d. Gr. und Thomas von Aquino (1224–74) den großen Denker des Altertums, Aristoteles, der für das spätere Mittelalter die Summe alles erreichbaren menschlichen Wissens repräsentierte, glücklich vor den Triumphwagen der K. gespannt hatten, schien in der Geschichte des menschlichen Forschens, Wissens und Könnens ein Höchstes und Letztes erreicht, und es blieb nur der Wunsch übrig, die Sonne der [753] katholischen Herrlichkeit möge dauernd im Zenith verharren.

Bereits aber konnte man die Eitelkeit eines solchen Begehrens ahnen. Dasselbe Konzil von 1215, welches einen allgemeinen Gottesfrieden heiligte, um die Kräfte der Christenheit ganz wider den Islam zu sammeln, mußte doch schon einen guten Teil dieser Kräfte hergeben, um in nächster Nähe Italiens die Waldenser und Albigenser zu bekämpfen. Mit Entsetzen erregender Wut und Grausamkeit wurde diese erste allgemeinere, von einem großen und gebildeten Volksstamm getragene Opposition niedergetreten. Um sie auf die Dauer niederzuhalten, haben Päpste und Konzile sofort die Inquisition ins Leben gerufen mit der furchtbaren und unentrinnbaren Härte ihres Gerichtsverfahrens, mit ihren dunkeln, engen Mauerzellen, darin die einen lebendig begraben, mit ihren Holzstößen, darauf die andern lebendig verbrannt wurden. Immer furchtbarer traten seit jenen Tagen die menschenfeindlichen, dämonischen Züge im Angesicht derselben K. hervor, in welcher die christlichen Völker ihre gemeinsame geistige Mutter zu verehren gewohnt und verpflichtet waren. Es ist keineswegs eine leere Phrase der Aufklärung gewesen, wenn der christlichen K. nachgesagt wurde, daß sie es zeitweilig vermocht habe, in der Menschenbrust eine jeglicher Menschlichkeit Hohn sprechende Glaubenswut, einen Fanatismus und Mordgeist zu entzünden, welcher jeder Vergleichung mit dem, was andre Kulturreligionen hierin geleistet haben, spottet. Was der alte Römerstaat in den drei ersten Jahrhunderten an der Christenheit gesündigt hat, das kommt kaum noch in Betracht gegenüber dem, was beispielsweise unter Innocenz III. und seinen Nachfolgern in Südfrankreich oder was unter Karl V. und Philipp II. in den Niederlanden geschah. Dieser zunehmende Blutgeruch war es nicht zum wenigsten, was edlere Geister der K. entfremdete, vorher noch der bei gesteigertem äußern Glanz immer greller in die Augen stechende Kontrast zwischen der Hoffart und Machtstellung des Klerus und dem nie ganz erloschenen Gedächtnis an den ursprünglichen Sinn der Stiftung Jesu. Das „arme Leben Jesu“, die „Nachfolge Jesu“, das waren untötbare Vorstellungen und Forderungen, welche den nachhaltigsten Impuls lieferten zum Verdruß über diese Völker und Fürsten bald mit List, bald mit Gewalt bändigende, alles im Himmel wie auf Erden dem eignen Vorteil opfernde Hierarchie. Schon jetzt hätten die Kaiser und Könige in ihrem Kampf gegen die Übergriffe des Papsttums viel ausrichten können, wenn sie die gärende Empörung in den Volksgeistern entfesselt oder wenigstens hätten gewähren lassen. Aber ihnen waren diese Mächte, in deren Auftreten eine neue Zeit von fern sich ankündigte, fast noch unheimlicher als den Päpsten selbst. Die Besten machen davon keine Ausnahme. Friedrich I. Barbarossa inaugurierte seine Kirchenpolitik damit, daß er den gefährlichsten und geistesmächtigsten Feind, welchen das Papsttum während des ganzen Mittelalters in Italien zu bekämpfen hatte, dem Blutgericht des Papstes auslieferte: Arnold von Brescias (1155) Schicksal war typisch. Mitten in seinem Krieg mit Gregor IX. (1227–41) gab Friedrich II. das furchtbare Gesetz „über die Verbrennung der Ketzer“, in dessen Folge die Scheiterhaufen noch in der Reformationszeit rauchten. Bei einem so widerspruchsvollen Vorgehen verstand sich eigentlich die Niederlage der Staatsmacht von selbst; hinwiederum ist auch der Kurie ihr Sieg tödlich geworden. Wie die unbeschränkte Macht in Menschenhänden einst den Cäsarenwahnsinn erzeugt hatte, so ließ sie jetzt die Päpste vielfach jene Rücksichten vergessen, welche auch die auf schwindelnder Höhe stehenden Sterblichen, vor allem aber diejenigen, welche ihre Stellung religiösen Motiven verdanken, den sittlichen Mächten schulden. Hatte früher die K. in nicht seltenen Fällen ihren Schild über das vergewaltigte Recht gehalten, war sie ein Hort der Schutzlosen und Geringen gegen den rohen Despotismus der Machthaber gewesen, hatte sie im Namen des göttlichen und menschlichen Rechts die Großen dieser Erde vor ihren Richterstuhl citiert, so lag die Sache schon im 13. und 14. Jahrh. vielfach umgekehrt. Kaiser und Könige fanden gegenüber den Anmaßungen des römischen Stuhls ihren wirksamsten, nur leider in wenigen Fällen ganz ausgenutzten Beistand in dem bürgerlichen Selbstgefühl, in dem Sinn für nationale Ehre und Selbständigkeit, in dem unbestochenen Rechtsbewußtsein ihrer Unterthanen. Seitdem vollends zuerst das Papsttum in Avignon zum Werkzeug der französischen Politik herabgesunken war, dann während des Schismas das ganze Heilsbedürfnis und Seligkeitsinteresse der Christenheit nur deshalb dazusein schien, um unter den raffiniertesten Vorwänden und erlogensten Aushängeschildern zweien Gegenpäpsten die Kassen zu füllen und die Mittel zu liefern, sich gegenseitig zu bekriegen, seitdem Reservationen, Präventionen, Devolutionen, Kommenden, Annalen und anderweitige Rechtstitel erfunden waren, um die Vergebung von Kirchenämtern zu einer unerschöpflichen Quelle von Reichtümern für den Stuhl Petri werden zu lassen, war der Glaube der Völker an diesen heiligen Stuhl nicht bloß, sondern auch an die vielen heiligen Stühle, welche von dort aus an zahlungsfähige Bewerber vergabt wurden, erschüttert. Mächtiger erhob sich von Jahr zu Jahr der Ruf nach Reformation der K. an Haupt und Gliedern. Das Papsttum selbst mußte das aufgedrungene Programm vollziehen helfen, und so kam es zu den großen Reformkonzilen von Pisa, Konstanz, Basel, um deren Frucht freilich die Völker hinterher durch die schlaue Diplomatie der Kurie, zumal des vom Episkopalismus zum Kurialismus übergelaufenen Äneas Sylvias, schmählich betrogen worden sind. Zwar ging es nicht überall so rasch wie in Deutschland, wo Kaiser Friedrich III. den Rückzug eröffnete, aber schließlich haben die reformierenden Konzile des 15. Jahrh. für alle christlichen Nationen ihre Bedeutung eingebüßt neben dem restaurierenden Konzil des 16. Jahrh., dem Trienter, dessen Beschlüsse trotz des oft längere Zeit fortgesetzten Widerstrebens einzelner Staaten zuletzt für die gesamte katholische Christenheit maßgebend geworden sind.

Fünfte Periode: bis zum Westfälischen Frieden.

Damit sind wir in die Epoche der Reformation (s. d.) übergetreten. Die Vorbedingungen zu der großen Wendung der Dinge, in deren Folge die abendländische Christenheit bis auf den heutigen Tag in zwei feindliche Heerlager geteilt erscheint, lagen nicht bloß auf dem negativen Gebiet der bittern Enttäuschung ob des Scheiterns der mit so großer Kraft und Zuversicht unternommenen Reformbestrebungen, der flammenden Empörung ob der ungescheut und offen zu Tage tretenden Entwürdigung aller Heiligtümer, die zuletzt in der Verkäuflichkeit der Gnaden gipfelte, des unabwendbaren Bankrotts der Scholastik, welche sich längst schon, statt an der Beweisbarkeit der Glaubenswahrheiten, an deren schlechthinniger Unbeweisbarkeit ergötzte, um daraus den rein supernaturalen und unbegreiflichen Charakter [754] des kirchlichen Wissensschatzes herzuleiten und mit Aufstellung der Lehre von einer doppelten Wahrheit, einer philosophischen und einer theologischen, zu enden. Zu den unverjährbaren Rechten des menschlichen Denkens, welchem die scholastische Scheinwissenschaft zur Last und zum Ekel geworden war, kam das aus dem Grab jahrtausendelanger Vergessenheit wieder erwachende Altertum, der klassische Studiendrang, die Kunstblüte der Renaissance, eine geistige Bildung, die unabhängig von der K. dastand und bei ihrem ersten Auftreten sich dessen auch mit jugendlichem Übermut bewußt war und rühmte. Aber auch die Völker traten jetzt aus der gleichmäßigen Weise des Denkens und Strebens, zu welcher die mittelalterliche K. sie erzogen hatte, wieder hervor, grenzten sich gegeneinander ab und erzeugten nationale Sondergüter. Insonderheit war Deutschland in den Tagen des ersten Auftretens Luthers in einer mächtigen nationalen Bewegung begriffen, die, von den besten Geistern geleitet u. befürwortet, von einem gewaltigen Zug im Herzen des ganzen Volkes getragen, fähig gewesen wäre, die deutsche Frage zu lösen, wenn im entscheidenden Augenblick nicht in Kaiser Karl V. ein Mann ohne jegliches Verständnis für nationale und religiöse Freiheit an die Spitze des Reichs getreten wäre. Er, dem Deutschland nur eine Domäne war, und dem das Ziel der Weltgeschichte in der Errichtung einer allmächtigen habsburgischen Hausmacht zu liegen schien, ist hauptsächlich verantwortlich zu machen für das Unglück Deutschlands, welchem dieselben glorreichen Tage der Erhebung, daraus die Reiche des Nordens ein politisch wie religiös geeintes Staats- und Volkswesen als bleibenden Gewinn davontrugen, nichts eingebracht haben als fortgesetzte Zerstückelung, heillose Zerklüftung und das ganze Elend, welches sich an das Gedächtnis des Dreißigjährigen Kriegs und seiner Folgen knüpft.

Wie wenig die Reformation eine Schöpfung einzelner neuerungssüchtiger oder eitler Geister gewesen ist, wie sehr sie einer unaufhaltsamen Geburt aus dem Schoß einer erfüllten Zeit glich, sieht man schon daran, daß sie gleichzeitig von zwei verschiedenen Ausgangspunkten aus unternommen, von zwei Männern ins Leben gerufen worden ist, die sich gegenseitig nicht kannten und verstanden. S. Lutherische Kirche, Reformierte Kirche. In Deutschland war es noch einmal das Mönchtum, welches seiner niemals ganz verleugneten oppositionellen und antiklerikalen Tendenz sich bewußt wurde. In der Klosterzelle zu Erfurt ist der reformatorische Gedanke geboren worden; er faßte sich zunächst in denjenigen Bestandteilen der Lehre teils des Apostels Paulus, teils des heiligen Augustinus zusammen, welche nur pro forma und gleichsam honoris causa von der kirchlichen Überlieferung mitgeführt, ihrem Geist und Wesen, nicht selten sogar auch ihrem Buchstaben nach verleugnet und unwirksam gemacht worden waren. Gleichwohl ist der Sinn, in welchem Luther (1483–1546) diese Sätze (von der Alleinwirksamkeit Gottes, von dem allgenugsamen Heilswert des Leidens Christi, von der Rechtfertigung aus Gnaden durch den Glauben allein etc.) geltend machte, ein durchaus neuer, weltbewegender. Er bedeutete die in der Gewißheit der göttlichen Gnade gegebene religiöse Selbständigkeit und sittliche Selbstverantwortlichkeit des Individuums, die Beseitigung der klerikalen Bevormundung und des Garantiensystems der K., die Anerkennung des Staats, der Wissenschaft, der Ehe, überhaupt des weltlichen Berufs als göttlicher Ordnungen, die Beseitigung des religiösen Wertes alles sittlich leeren Thuns, des Klosterlebens, der Wallfahrten etc. An die Stelle des doppelten Lebensideals, dafür die Existenz des Mönchtums Zeugnis ablegt, tritt ein einheitliches, welches im Rahmen des geordneten Lebensberufs durch Gottvertrauen und Menschenliebe verwirklicht werden soll. Sofern damit eine gewisse Verweltlichung des Christentums im besten Sinn des Wortes gegeben, die einseitig religiöse Beurteilung und Erfassung der Lebensaufgabe zu gunsten des sittlichen Moments aufgehoben und der Mensch zwar ganz direkt nur auf Gott verwiesen, aber ebendamit zugleich auch wieder auf seine eignen Füße gestellt erschien, kam dieser neuen Theologie ein verwandter Zug im Humanismus entgegen. Vorwiegend humanistisch gebildet waren die andern Reformatoren, Zwingli voran, Melanchthon am gründlichsten, zugleich juristisch auch Calvin. Hatte die Reformation daher auch von Haus aus nichts gemein mit aufklärerischen Tendenzen, wie es an solchen selbst im Mittelalter nie ganz gefehlt hatte, so erschien sie doch im Bund mit allen neuaufstrebenden geistigen Mächten, und insofern langt der Protestantismus (s. d.) selbst weit hinaus über die zunächst nur der Zurechtstellung und Sicherung religiöser Erfahrungen geltenden Reformation. Luther selbst war sich der Tragweite der von ihm hervorgerufenen Bewegung der Geister von Haus aus gar nicht und wohl niemals vollständig bewußt. Er glaubte ein treuer Sohn der K. zu sein, als er ihre Mißbräuche angriff, und bei wenig mehr Verständnis für das innere Recht seiner Sache, bei wenig mehr Achtung für das auf Luther hörende deutsche Volk, bei wenig mehr Geschmeidigkeit und Loyalität in der praktischen Behandlung der Sache wäre es der Kurie ein Leichtes gewesen, wenigstens die sächsische Reformation in Bahnen zu erhalten, welche eine schließliche Wiedervereinigung so gut hätten erhoffen lassen, als solches zuvor gegenüber der hussitischen Reformation in Böhmen möglich gewesen war. Selbst noch zu Lebzeiten des später immer unversöhnlicher werdenden Reformators war man sich auf dem Religionsgespräch zu Regensburg ganz nahe gekommen. Aber jetzt erfolgte in Rom selbst der plötzliche Umschwung. An die Stelle der humanistisch angehauchten, ihre Stellung im europäischen Staatensystem lediglich nach den politischen Interessen des Kirchenstaats nehmenden Päpste traten andre, welche ihre Aufgabe wieder im rein kirchlichen Sinn verstanden. Der abgefallene Teil der Christenheit sollte mit Gewalt zur Mutterkirche zurückgeführt, der treu gebliebene durch unübersteigliche Schranken von der protestantisch gewordenen Hälfte geschieden werden. In diesem Sinn sind die Beschlüsse des Konzils von Trient (1545–63) ausgefallen; in diesem Sinn haben sich neue Orden, die Jesuiten voran, den tridentinischen Katholizismus zur Verfügung gestellt; in diesem Sinn ist allenthalben in Europa die Gegenreformation (s. d.) eingeleitet worden.

Daß letztere so überraschend gute Geschäfte machte und namentlich halb Deutschland wieder zur Rückkehr in die alten Verhältnisse brachte, daran war außer der unglaublichen Rührigkeit und Rücksichtslosigkeit, welche die nunmehr alle ihre Aufgaben nur noch im Gegensatz zum Protestantismus erfassende K. an den Tag legte, die Unfähigkeit des Gegners schuld, mit welchem diese K. es zu thun hatte. Einer kraftvollen und entschlossenen Zusammenfassung aller protestantischen Mächte in seinem Herrschaftsgebiet wäre schon Karl V. bei der großen Zersplitterung seiner Interessen und Kräfte nicht gewachsen gewesen. Daß es [755] dazu nicht gekommen ist u. nicht kommen konnte, dafür sorgte Luther, als er um seines „Est“ willen in Marburg die dargereichte Bruderhand Zwinglis zurückstieß, als er alle politischen Pläne des Landgrafen von Hessen mit seiner Theorie von der Christenpflicht des leidenden Gehorsams durchkreuzte, als er nach allen Richtungen jene unheilvolle sächsische Politik einleitete, die selbst noch im Dreißigjährigen Krieg ihre Freundschaft sogar einem mit Feuer und Schwert wütenden Fanatiker auf dem Kaiserthron fast aufgedrungen hat. Dafür sorgten ferner die lutherischen Theologen, als sie, während die reformierten Christen in Italien, Frankreich und England Verfolgungen erlitten und eine glorreiche Heldenzeit feierten, diese selben Bekenner und Blutzeugen verketzerten, die Flüchtlinge verjagten, alle an Calvin sich annähernden Richtungen und Bestrebungen innerhalb der sächsischen K. mit barbarischer Roheit niedertraten, alle Gläubigen, die sich nicht an das 1000 Jahre zuvor entstandene dogmatische System des Byzantinismus gebunden erachteten, der bürgerlichen Obrigkeit zur Ausrottung mit Feuer und Schwert empfahlen. Die ganze Betriebsamkeit dieser Theologie ging während der zweiten Hälfte der Reformationszeit und auch durch das ganze 17. Jahrh. auf in widerwärtigen und unfruchtbaren dogmatischen Kämpfen, in innern und äußern Kriegen um die Herrlichkeit der „reinen Lehre“, wobei sich nicht selten zeigte, wie noch im Beginn des Dreißigjährigen Kriegs der Hofprediger des Kurfürsten von Sachsen bezeugte, daß die K. des lautern Wortes sich viel eher mit den Katholiken vertragen könne als mit den „Calvinisten, welche auf 99 Punkten mit den Arianern und Türken übereinstimmten“. Es gibt viele dürre Partien der Kirchengeschichte, aber wenige, wo das Treiben der offiziellen Vertreter des Christentums kläglicher, ja verächtlicher erschiene.

Man würde es insofern ein verdientes Schicksal nennen können, wenn der deutsche Protestantismus im Dreißigjährigen Krieg, in den er sich ebenso kopflos hineintreiben ließ, wie er ihn dann planlos und stets mit zersplitterten Kräften geführt hat, unterlegen wäre. In der That hat er seine Rettung auch allein dem Eingreifen der Kronen Schwedens und Frankreichs zu verdanken gehabt. Der Westfälische Friede (1648), welcher als die letzte unter den großen Epochen der Kirchengeschichte gilt, brachte dem Deutschen Reich eine zweifache Staatsreligion nach dem Grundsatz voller gegenseitiger Rechtsgleichheit, wobei die Reformierten den Katholiken gegenüber als Protestanten angesehen wurden. Aber nur notgedrungen, weil die Völker in Verzweiflung nach Frieden schrieen und alle Kriegsmittel erschöpft waren, erkannten beide Kirchen ihren Besitzstand gegenseitig an. Im Lauf des Kriegs selbst waren allerdings fast nur noch politische Gesichtspunkte an die Stelle der ursprünglich wirksamen religiösen getreten, und die großen Kriege, welche seit 1648 Europa erschüttert haben, finden ihre Erklärung im Widerstreit nicht mehr der konfessionellen, sondern der staatlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Interessen. Aber im Bewußtsein des Volkes sind doch die schlesischen Kriege Friedrichs d. Gr. und der deutsche Krieg von 1866 vorwiegend unter dem Gesichtspunkt des katholisch-protestantischen Antagonismus aufgefaßt worden. Der Papst hat seinen Protest gegen den Westfälischen Frieden im Protest gegen den Wiener Frieden fortgesetzt, und die Rede, daß der Dreißigjährige Krieg nur unterbrochen, nicht beendet sei, taucht im neuen Deutschen Reich mit größerer Keckheit auf, als sie jemals im alten vernommen worden war.

Sechste Periode: bis zur Gegenwart.

Die das 17. Jahrh. füllende Periode der Orthodoxie läßt die treibenden Gedanken der Reformation, ihre Welt- und Lebensauffassung nur noch in äußerst verkümmerter Gestalt erkennen. Es war die Folge der aufgenötigten Streitlage wider die römische Kirche einerseits, wider den Anabaptismus und die radikale Reformation anderseits, es war aber nicht minder auch die Folge selbstgeschaffener Wirrsale und endloser, selbstmörderischer Lehrstreitigkeiten im Innern, wenn wenigstens die lutherische Kirche Deutschlands nur als Staats- und Landeskirche, richtiger als eine staatlich eingeführte und aufrecht erhaltene, die Laienwelt beherrschende theologische Schule Bestand gewonnen hatte. Nur in der andächtigen Litteratur, zumal im Kirchenlied, offenbarte sich noch etwas von der Ursprünglichkeit evangelischer Religiosität. Im übrigen schien sich die Kraft der reformatorischen Bewegung im Dogmatismus erschöpft zu haben; Erstarrung und Veräußerlichung bedrohten die neue Kirchenbildung, welche dem Feind Widerstand geleistet hatte, mit Verödung in sich selbst.

Nunmehr sind es zwei aufeinander folgende, sich gegenseitig aufhebende Schwingungen, welche auf der Linie der kirchlichen Entwickelung von der Mitte des 17. bis zum Ausgang des 19. Jahrh. unterschieden werden können. Zunächst eine solche, welche die konfessionelle Spannung ermäßigt, teilweise aufhebt in der Richtung auf Wahrung der gemeinsamen Kulturgüter, dann eine solche, welche unter mehr oder weniger grundsätzlicher Mißachtung der letztern auf Wiederherstellung des kirchlichen Bewußtseins bis in seine extremsten, unverträglichsten Spitzen hinaus losarbeitet. Die erstere Strömung erzeugte sich zuerst in England aus dem Widerwillen an den religiös motivierten Exzessen der Revolution und Reaktion; sie trug sich über nach Frankreich, wo im schroffen Kontrast zu der erbarmungslosen Protestantenverfolgung Ludwigs XIV. und Ludwigs XV. die bis zum Atheismus und Materialismus fortschreitende Aufklärung der Encyklopädisten zu einer Großmacht heranwächst, die sich in der Revolution zeitweilig als nicht bloß im Grundsatz kirchenfeindlich, sondern auch thatsächlich kirchenzerstörend bewähren sollte. In Deutschland brachte der Rückschlag auf die Glaubenswut, der man den mörderischen Krieg verdankt hatte, zuerst die mildere Form des Pietismus (s. d.), nachher die Popularphilosophie und den Rationalismus (s. d.). Auf Einschläferung der konfessionellen Gegensätze wies aber auch die Thatsache hin, daß infolge schon der schlesischen, mehr noch der französischen Kriege, besonders seit 1803 Territorien geschaffen wurden, welche Katholiken und Protestanten in großer Zahl umfaßten, so daß an die Stelle des althergebrachten Staatskirchensystems mehr und mehr die Forderungen traten, welche sich aus dem Wesen eines paritätisch gewordenen Staats ergaben. Zur vollen und reinlichen Durchführung ist dieses moderne System schon deshalb nicht gekommen, weil der Kampf gegen das je länger, desto unverhohlener wieder mit allen mittelalterlichen Ansprüchen auftretende Rom in beständigen Schwankungen verlief. Gewöhnlich mit viel Ungeschick und selten mit Glück geführt, hat dieser Kampf die besten Kräfte verzehrt, ohne daß Aussichten auf einen andern Frieden vorhanden wären als einen solchen, der mit gründlicher Unschädlichmachung der einen oder andern Partei verbunden wäre.

Aber nur als großes Kulturprinzip betrachtet, steht der Protestantismus in unbedingtem Gegensatz [756] zu dem je länger, desto ausschließlicher römisch gewordenen, von dem Geiste des Jesuitismus und vielfach auch von seinen Händen geleiteten Katholizismus, bez. Ultramontanismus. In theologischer Beziehung dagegen hat sich protestantischerseits wenigstens in der offiziellen Kirchlichkeit als Gegenschlag auf Aufklärung und Rationalismus, Revolution und Radikalismus zunächst unter den Auspizien der romantischen Geistesströmung und der auf die Napoleonische Ära folgenden Restaurationspolitik eine so weit gehende Rückbewegung vollzogen, daß die Lebensbedingungen beider Richtungen, der ultramontan-katholischen und der orthodox-protestantischen, vielfach dieselben geworden sind. Die nämliche Staatsräson begünstigte beide zugleich; dieselben einflußreichen Persönlichkeiten halfen beiden immer wieder auf, so oft auch Geschichte und Naturwissenschaften das Todesurteil über sie gesprochen haben mochten; dieselbe Trägheit und Stumpfheit der großen Massen ist es, worauf beide ihr Machtgefühl, ihre Siegesgewißheit, ihre Verachtung aller der mannigfachen Mächte gründen, die ihnen im geschulten und gebildeten Bewußtsein der Zeit unversöhnlich gegenüberstehen. Aber unter letztern Mächten ist eine, welche schon jetzt der K. den Rang im Herzen der Völker streitig macht und ihr vielleicht auch auf die Dauer gewachsen bleiben dürfte: es ist der Drang nach nationaler Selbständigkeit, wie er seit der Losreißung Nordamerikas, seit der französischen Revolution, seit der italienischen und deutschen Staatenbildung zum Mittelpunkt aller Weltereignisse, zur Signatur der neuern Zeit geworden ist. Als eine der mächtigsten Wirkungen dieses Zuges der Zeit berührt die Auflösung des Kirchenstaats (1870) unsre unmittelbare Gegenwart. Aber auch der französische Klerus wird auf die Dauer seines Gallikanismus (s. d.) nicht vergessen bleiben können, und in Deutschland wird sich trotz alles guten Willens, sie zurückzudrängen, immer wieder aufs neue die Frage stellen, wer Herr ist – Kaiser oder Papst.

Eine Gefahr von ganz andrer Art wieder hat die K. in jener unsichtbaren Macht vor sich, welche die verselbständigte, dem religiösen Gängelband angeblich oder wirklich entwachsene Sittlichkeit der modernen Menschheit, das mehr künstlerisch und wissenschaftlich als religiös gesättigte Kulturleben der Gegenwart, die alle Dogmatik im Grundsatz verwerfende neuere Philosophie und moderne Weltanschauung, der historische Sinn unsrer Zeit, der das Christentum im Zusammenhang mit der allgemeinen Geistesentwickelung des Geschlechts und nach Analogie andrer Weltreligionen zu verstehen sucht, konstituieren. Thatsächlich wird die von Strauß aufgeworfene Frage: „Sind wir noch Christen?“ von vielen Tausenden, welche sich äußerlich zur K. halten, mit nein beantwortet, und ebenso sind ihrer Tausende, welche die Frage zwar aufrichtig bejahen, aber doch der Meinung sind, das Christentum werde die K. überleben, die K. des 18. und 19. Jahrh. sei nur noch der Mond, nicht mehr die Sonne, und zwar der Mond im abnehmenden Licht; sie müsse allmählich einige ihrer Funktionen an die staatliche, andre an die künstlerische Gemeinschaft übergeben etc. Wenn solche Stimmen recht behalten sollten, so ständen wir jetzt so ziemlich vor dem Ende der lebendigen Kirchengeschichte; künftige Jahrhunderte würden nur noch Verwesungsgeruch empfinden, wo frühere erquickenden Lebensduft atmeten. Zieht man jedoch diejenigen Triebe und Instinkte in Betracht, welche die ungeheure Mehrheit auch der zivilisierten Menschheit als zugkräftig empfindet, von welchen sie sich thatsächlich bestimmen läßt, so erscheinen derartige Fragen wenigstens für jedwede für uns absehbare Zukunft doch nur fast als rein akademische Erörterungen. Die Zeiten des „Kulturkampfes“, zumal des beendeten, sind jedenfalls solche, die noch ganz und voll in die Kirchengeschichte hineingehören und ebenso reichlichen wie ernsthaften Anlaß bieten, diese Kirchengeschichte, welche das Verständnis der Gegenwart eröffnet, sich recht genau anzusehen und ihre Weisungen verstehen zu lernen.

[1]

Zeittafel der Kirchengeschichte.[WS 1]
Welt, Kirche und Staat Innerkirchliches, Verfassung und Kultus Wissenschaft und Lehrbildung; Opposition
Kampf und Sieg des Christentums bis Konstantin d. Gr.
1) Apostolisches Zeitalter.
38–58 Missionsthätigkeit des Paulus. Bildung einzelner Gemeinden von Jerusalem über Antiochia bis Rom. Primitives Chaos. „Älteste“ (Presbyter) und sonstige „Vorsteher“; daneben „Jüngere“. Bischöfe und Diakonen. Das Alte Testament als heiliger Religionskodex. Prophetie. Urapostolische, Paulinische, judaistische Verkündigung. Streit um das Gesetz. Paulusbriefe und Apokalypse.
64 Neronischer Schrecken.
70 Zerstörung Jerusalems.
2) Nachapostolisches und apologetisches Zeitalter.
96 Clemens.   Johanneische Ära und Litteratur.
98–117 Trajan. Christentum religio illicita. Die „Lehre der Apostel“. Verbindung der Lokalgemeinden durch wandernde Apostel und Propheten. Entstehung des Episkopats, zumal in Rom. Aussonderung des Judenchristentums (Ebionitismus) und Kampf gegen die Gnosis. Apostolische Väter. Regula fidei.
117–188 Hadrian. Bar-Kochba. Die ersten Apologeten.
147 Marcus Aurelius Antoninus Mitregent, 161–180 Kaiser. Celsus. Die Märtyrerkirche: Justin, Polykarp, die gallischen Gemeinden 177. Montanismus. Aufhören der Prophetie in der Kirche, dafür Scheidung zwischen Klerus und Laien. Osterstreitigkeiten und Synoden. Viktor von Rom exkommuniziert die Kleinasiaten. Ignatianische Litteratur: der Name „Katholische Kirche“. Apologien von Justin, Tatian, Melito, Athenagoras, Theophilus, Minucius Felix. Brief an Diognet. Bildung eines neutestamentlichen Kanons.
3) Der alte Katholizismus.
Christliche Gemeinden allenthalben im römischen Reich, auch bei Kelten und Germanen, Skythen und Persern. Bischöfe als Nachfolger der Apostel und Träger der Tradition. Vorrang der römischen Gemeinde als der einzigen apostolischen des Abendlandes. Verschiedene Richtungen und Schulen: Abendländer (realistisch, traditionell): Irenäus, Hippolytus, Tertullian und Cyprian. Alexandriner (idealistisch, gelehrt): Clemens, Origenes und Dionysius (die Lehrer der Katechetenschule).
192–211 Septimius Severus. 202 Verfolgungsedikt. Theokratie und Synkretismus, orientalische Kulte, Mithrasdienst und andre Mysterien.
222–235 Severus Alexander. Julia Mammäa.
249–251 Decius. Schisma des Novatianus in Karthago, der Novatianer in Rom. Streit über Ketzertaufe. Rivalität des Neuplatonismus und des Christentums. Lehrstreitigkeiten, betreffend die Christologie: Monarchianismus, Modalismus, Subordinatianismus; Praxeas, Sabellius, Paul von Samosata.
250–280 Systematische Verfolgung. Lapsi. Confessores. 40jähriger Friede, Kirchenbauten.
Cyprians Bischofskirche: extra ecclesiam nulla salus. Ausbildung der Hierarchie: ordines majores et minores.
283–305 Diokletian.
303–311 Größte und letzte Verfolgung. Anfänge des ägyptischen Mönchtums. Verbreitung des Manichäismus von Persien aus.
311–313 Toleranzedikte. Konstantin d. Gr. 311 Ausbruch des donatistischen Schismas: die Heiligkeit der Kirche im Widerstreit mit ihrer Einheit und Allgemeinheit. 313 Arianischer Streit.
311 Staatliche Bevorzugung des Christentums.

Die Staatskirche des römischen Reichs bis auf Karl d. Gr.
1) Epoche der trinitarischen Streitigkeiten.
Das Christentum Staatsreligion im römischen Reich, dafür verfolgt in Persien und Armenien. Machtstellung des Klerus, Reichtum der Kirche, Glanz des Kultus, Ausbildung der Liturgie, zunehmender Heiligen- und Reliquiendienst, Wallfahrten nach Jerusalem (Helena). 325 Nikäa. Erstes der ökumenischen Konzile. Athanasius. Semiarianismus (Eusebios von Nikomedia). Ausscheidung der Ultraathanasianer (Marcellus von Ankyra und Photinus) und Ultraarianer (Eunomius und Aetius). Häresien der Audianer, Massalianer, Macedonianer. Kirchenväter: in Palästina Eusebios von Cäsarea und Cyrillus von Jerusalem, in Syrien Ephräm, im Abendland Hilarius und Ambrosius, in Kappadokien Basilius und die Gregore (von Nazianz und von Nyssa) Gegensatz der alexandrinischen (Didymos,
337 Konstantin wird getauft und stirbt. Unter seinen Söhnen ist das Abendland athanasianisch, das Morgenland arianisch, bez. semiarianisch. 340 Anfang des Klosterlebens in Ägypten. Verbreitung des Mönchtums über Syrien, Kleinasien, Armenien und das Abendland.
361–363 Reaktion des Heidentums unter Julian. 343 Synode zu Sardica: Primat des römischen Bischofs Julius I. Gegenüber dem Hierarchismus und Asketismus gesündere christliche Sitte erfolglos vertreten durch Jovinianus.
364–378 Valens arianischer Beherrscher von Ost-Rom.

[2]

Welt, Kirche und Staat Innerkirchliches, Verfassung und Kultus Wissenschaft und Lehrbildung; Opposition
379–385 Theodosius. Gewaltsame Unterdrückung des Heidentums. Kaiserliche Edikte gegen die Häretiker. Weihnachtsfest verbreitet sich von Rom aus; Zunehmen der Feste; das Kirchenjahr. Synesius, Isidor von Pelusium) und der antiochenischen Schule (Diodor von Tarsos, Chrysostomos, Theodorus).
385 Erste Ketzerhinrichtung: Priscillianus. Koordination der Metropolen Rom und Konstantinopel; daneben die Patriarchate von Alexandria, Antiochia und Jerusalem. Zusammenwirken abendländischer und morgenländischer Hierarchie bei Gelegenheit der Ausbildung des Dogmas; dessen spekulative Elemente sind das Werk dieser, die ethischen das Werk jener. 381 Zweites ökumenisches Konzil in Konstantinopel. Nikäisch-Konstantinopolitanisches Symbol.
394–404 Origenistische Streitigkeiten: Epiphanius, Rufinus, Hieronymus. Abschluß des Kanons im Morgenland durch Athanasius, im Abendland durch Augustinus.
2) Epoche der christologischen und pelagianischen, bez. semipelagianischen Streitigkeiten.
408–450 Theodosius II. im Osten. Eifersucht der Patriarchate von Alexandria und Konstantinopel. Augustinus beendet den donatistischen, führt den pelagianischen, eröffnet den semipelagianischen Streit.
423–455 Valentinian III. im Westen. Arianische Kirchen germanischer Völkerschaften in Südgallien, Spanien, Nordafrika. Nestorianische Kirche in Persien und Indien. Patrick in Irland. Die altbritische Kirche unterliegt den Angelsachsen.
Klostergelehrsamkeit in Südgallien (Johannes Cassianus, Vincentius von Lerinum): Semipelagianismus.
428–433 Nestorianischer Streit.
431 Drittes ökumenisches Konzil zu Ephesos.
440–461 Leo I., Bischof von Rom.
445 Kaiserliches Edikt über Roms Vorrang. 433 Cyrillus von Alexandria unterschreibt Theodorets Vermittelungsformel.
448–451 Eutychianischer Streit.
476 Untergang West-Roms durch Odoaker. Seither Übergangsstadium infolge der Völkerwanderung; Zerfall der Alten Welt. 451 Leo I. bringt den christologischen Streit zum Abschluß. 451 Viertes ökumenisches Konzil zu Chalcedon. Seither Verfall der griechischen Kirche infolge fortgesetzter christologischer Schismen.
493–526 Theoderich, arianischer Beherrscher Italiens. 475 Semipelagianische Synoden in Lyon und Arles.
496 Der Frankenkönig Chlodwig wird katholischer Christ. 482 Henotikon des Kaisers Zeno. Zerspaltungen der Monophysiten.
498–502 Kampf um den römischen Bischofstuhl zwischen Laurentius und Symmachus, von Theoderich entschieden.
527–565 Justinian, Kaiser in Ost-Rom.
529 Reaktion des Augustinismus (ohne Prädestination) auf den Synoden von Orange und Valence.
529 Entstehung des Benediktinerordens.
533 Ende des Vandalenreichs in Afrika.
Die Mystik des Dionysios Areopagita.
554 Ende des Ostgotenreichs in Italien. 537–555 Vigilius, Bischof von Rom. 544–553 Dreikapitelstreit. Die beiden Fulgentius.
554 Unterwerfung des Vigilius unter Kaiser und Konzil.
559 Sueven werden katholisch. 553 Fünftes ökumenisches Konzil in Konstantinopel.
Monophysitische Kirchen in Ägypten, Syrien, Armenien, Mesopotamien. Altbritische Mission in Schottland. Kirchenrechtliche Sammlungen in Konstantinopel.
587 Der Westgotenkönig Rekkared wird katholisch. 589 Synode zu Toledo: Auftauchen des Zusatzes „Filioque“ bezüglich der Lehre vom Heiligen Geist.
590–604 Gregor I., Bischof von Rom. Vorübergehende Machtstellung des Papsttums. Ausbildung der Messe, des Kirchengesangs, des Kultus. Streit mit dem Bischof von Konstantinopel um den Titel eines ökumenischen Patriarchen.
597 Beginn der römischen Mission unter den Angelsachsen.
Sammelgelehrsamkeit des Isidorus von Sevilla.
Columban und Gallus am Oberrhein.
610–641 Kaiser Heraklios.
3) Rückzug des Christentums vor dem Islam.
622 Hedschra.   622 Heraklios veranlaßt die monotheletische Frage. Maximus Confessor.
636–641 Araber erobern Syrien und Ägypten. Seither fortschreitender Rückgang des Machtgebiets der griechischen Kirche. 625–638 Der Monothelet Honorius Bischof von Rom.
638 „Ekthesis“ des Kaisers Heraklios zu gunsten des Monotheletismus.
648 „Typos“ des Kaisers Constans II. will den Streit aus der Welt schaffen.
642–668 Constans II. 649 Lateransynode Martins I.
664 Oswin von Northumberland wird römischer Christ.
669–683 Konstantin IV.
Rupert, Emmeram und Willibrord. 678–681 Bischof Agatho von Rom. 680 Sechstes ökumenisches Konzil in Konstantinopel. Paulicianer im oströmischen Reich. Maroniten in Syrien.
711 Westgoten in Spanien unterliegen den Arabern. 692 Concilium Quinisextum.
Untergang der britischen Missionskirche in Deutschland, dafür Romanisierung der deutschen Kirche durch Bonifacius.
Sammelgelehrsamkeit des Beda Venerabilis in England und des Johannes von Damaskus in Syrien.
742 Erstes deutsches Nationalkonzil.
745 Bonifacius, Erzbischof von Mainz. Chrodegang, Bischof von Metz. Kanonisches Leben. 726 Leo der Isaurier eröffnet den Bilderstreit. Für Bilder Johannes von Damaskus und die Gregore (II. und III.) in Rom.
752 Pippin, König der Franken. 754 Synode zu Konstantinopel gegen Bilder.
756 Gründung des Kirchenstaats durch Schenkung des Exarchats.
768 Karl der Große. 787 Siebentes ökumenisches Konzil in Nikäa für Bilder.
772–808 Sachsenkriege und Mission unter den Sachsen.
799 Synoden in Rom und Aachen in Sachen des Adoptianismus.
795–816 Papst Leo III.

[3]

Welt, Kirche und Staat Innerkirchliches, Verfassung und Kultus Wissenschaft und Lehrbildung; Opposition
Die mittelalterliche Papstkirche bis zu ihrem Triumph unter Innocenz III.
1) Neubegründung des Kaisertums und neue Rechtsstellung des Papsttums.
800 Kaiserkrönung Karls d. Gr. Seither erstrebte Zusammenfassung der abendländischen Völker unter dem Kaisertum (bleibt zuletzt Theorie) und Papsttum (wird mit der Zeit Wirklichkeit). Verbindung von Kirche und Staat im karolingischen Reich. Reichstage = Synoden.  
Verfrühte Kulturblüte. Klosterschulen: Alkuin, Hrabanus Maurus, Walafried Strabo. Verdeutschung des Christentums in der Litteratur: „Heliand“ und „Krist“.
Neues Kirchenrecht auf Grund von Fälschungen: Donatio Constantini (Begründung des Kirchenstaats) und der Isidorischen Dekretalen (Konzentration der Kirche im Papsttum, Zurückstellung der Metropoliten, Unabhängigkeit des Klerus vom Staat).
826 Harald von Jütland getauft. Mission des Ansgar in Jütland und Schweden. Bistum Hamburg und Bremen.
Erster Abendmahlsstreit (Paschasius und Ratramnus), Vergöttlichung der Jungfrau Maria, Prädestinationsstreit (Gottschalk). Einführung der spekulativen Mystik durch Johannes Scotus Erigena.
Papst Nikolaus I. 858–867 bewährt die päpstliche Machtstellung gegen Lothar II. von Lothringen, den Metropoliten Hinkmar von Reims und den Patriarchen Photius von Konstantinopel.
862 Cyrillus und Methodius bekehren die Mähren.
867–869 Erster Bruch zwischen Rom (Nikolaus I.) und Konstantinopel (Photius).
871–901 Alfred d. Gr. in England.
904–962 Pornokratie. Niedergang des Papsttums. Verwilderung des Klerus und Mönchtums.
2) Erhebung des Kaisertums über das Papsttum.
902 Kaiserkrönung Ottos I. Deutsch-römisches Reich. 963 Synode zu Rom. Der Kaiser bestätigt die Schenkungen, wahrt sich aber das Bestätigungsrecht bei Papstwahlen. Das Papsttum abermals in den Händen italienischer Faktionen: Crescentius. Neue Bildungstriebe. Ottos I. Bruder Bruno; Ratherius von Verona. Blüte der Wissenschaften im arabischen Spanien (Cordova). Paulicianer nach Thrakien verpflanzt.
966 Micislaw von Polen getauft.
967 Wiederherstellung des Christentums in Böhmen.
972 Einführung des Christentums in Ungarn.
980 Begründung des Christentums in Rußland. 991 Synode zu Reims. Fränkischer Klerus gegen Papsttum. Reform des Mönchtums und des Papsttums von Cluny aus.
997–1038 Stephan der Heilige in Ungarn. Christentum in Siebenbürgen und der Walachei. 999–1008 Der gelehrte Papst Silvester II.
Das Papsttum in den Händen der Grafen von Tusculum. Älfric von Canterbury, Notker von St. Gallen, Fulbert von Chartres.
1002–24 Kaiser Heinrich II., der Heilige.
Einführung bes Christentums in Schweden und Norwegen, Befestigung in Dänemark durch Knut d. Gr. Bogomilen (entstanden aus Paulicianern und Massalianern) im oströmischen Reich.
1041 Gottesfriede (Treuga Dei).
1046 Synode von Sutri. Heinrich III. besetzt den päpstlichen Stuhl.
1039–56 Kaiser Heinrich III.
3) Erhebung des Papsttums über das Kaisertum.
1048–54 Leo IX. eröffnet die Reihe der Papae Hildebrandini. 1054 Endgültiger Bruch zwischen Rom und Konstantinopel. Berengar von Tours, Zweiter Abendmahlsstreit. Lanfranc und seine theologische Schule zu Bec.
1056–1106 Kaiser Heinrich IV. 1059 Neue Form der Papstwahl. Macht der Pataria. Marienkultus, Rosenkranz, Flagellanten, Cölibat.
1058–61 Nikolaus II. Peter Damiani.
1073–85 Gregor VII. Kampf gegen Simonie. Adam von Bremen, Lambert von Hersfeld. Katharer in Norditalien.
Gregorianisches Kirchenrecht mit neuen Fälschungen: Universalmonarchie des Papstes mit dem Recht, weltliche Fürsten abzusetzen.
1077 Heinrich IV. in Canossa. Anfänge der römischen Rechtsstudien in Italien. Ausbildung der Scholastik in Frankreich: der Realist Anselm von Canterbury, der Nominalist Roscellin, der Neuerer Abälard. Romanische Mystik vertreten durch Bernhard von Clairvaux und die Viktoriner (Hugo, Richard, Walter).
1088–99 Urban II.
1096–99 Erster Kreuzzug. Streit zwischen Heinrich I. von England und Erzbischof Anselm.
1122–56 Petrus Venerabilis in Cluny. Grammont, Citeaux, Clairvaux. Kartäuser und Prämonstratenser. Geistliche Ritterorden.
1099–1118 Paschalis II.
1106–25 Heinrich V.
1122 Wormser Konkordat: Verzicht des Kaisertums auf geistliche Hoheitsrechte.
1140 Fest der unbefleckten Empfängnis. Griechische Theologen: Euthymius Zigabenus, Eustathius von Thessalonich.
1123 Erste Lateransynode: Übergewicht der Kirche. Blüte des romanischen Kirchenbaues. Studium generale in Paris: Anfänge des Universitätswesens.
Die Stürmer Peter von Bruys und Arnold von Brescia.
1138–52 Konrad III. in Deutschland. Beginn des Kampfes zwischen Guelfen und Ghibellinen. Otto von Freising.
Begründung des kanonischen Rechts durch Gratianus. Die Sententiarier Petrus Lombardus, Alanus ab Insulis. Sieben Sakramente.
1142–62 Heinrich der Löwe. Christianisierung der Slawen. Infolge der Kreuzzüge weiteres Steigen der päpstlichen Macht, aber auch des Heiligen- und Reliquiendienstes, des Ablaßwesens.
1147–49 Zweiter Kreuzzug.
1152–90 Kaiser Friedrich I.
1154–59 Hadrian IV. Beginn des Kampfes zwischen dem Papsttum und den Hohenstaufen. Geistliche Ritterorden in Spanien.
1164 Synode von Clarendon. Streit zwischen Heinrich II. von England und Thomas Becket.
1157 Erich der Heilige in Schweden christianisiert die Finnen.
1159–81 Alexander III. 1179 Drittes Laterankonzil. Die Waldenser. Apokalyptische und pantheistische Regungen: Joachim von Floris, Amalrich von Bena.
1187 Eroberung Jerusalems durch Saladin.
1189–92 Dritter Kreuzzug.
1198–1216 Innocenz III.

[4]

Welt, Kirche und Staat Innerkirchliches, Verfassung und Kultus Wissenschaft und Lehrbildung; Opposition
Verfall des mittelalterlichen Katholizismus.
1) Der romanische Katholizismus auf seiner Höhe (13. Jahrhundert).
1200 Interdikt über Frankreich. Innocenz III. Vicarius Christi, nicht mehr Petri; die Bischöfe Vikare des Universalbischofs; in seinen Dienst treten die neuen Bettelorden. Weltliche Machtstellung des Papstes, der zugleich als Gedankenmonarch fungiert. Die geistliche Polizei der Inquisition. Massenhafte Ketzervertilgung mit Feuer und Schwert. Universitäten Cambridge und Oxford.
1201 Unterwerfung Philipp Augusts von Frankreich. Allmähliches Bekanntwerden des Aristotelismus unter anfänglichem Widerstand der Kirche. Alle Wissenschaft im Dienste der Kirche. Katharer in Italien, Frankreich, Deutschland.
1202–1204 Vierter Kreuzzug.
1204 Aragonien päpstliches Lehen.
1204–61 Lateinisches Kaisertum in Konstantinopel.
1205–29 Kreuzzug gegen die Albigenser.
1208 Interdikt über England.
1210 Kaiser Otto IV. gebannt.
1213 England päpstliches Lehen. Kreuzzug der Kinder.
1215 Friedrich II. in Aachen gekrönt. 1215 Viertes Laterankonzil. Ohrenbeichte und Transsubstantiation.
1216–27 Honorius III. Triumph romanisch-kathol. Frömmigkeit in den Stiftungen des Dominikus und Franz von Assisi.
1217 Kreuzzug des Königs Andreas II. von Ungarn. 1222–24 Universitäten zu Padua und Neapel, Kulturblüte in Unteritalien und Sizilien unter Friedrich II.
1223 Bestätigung der Franziskaner.
1226–70 Ludwig IX., der Heilige, in Frankreich. 1229 Konzil zu Toulouse. Inquisition und Bibelverbot. Sieg des Aristotelismus in der Scholastik. Kampf der Universitäten (Paris) gegen das Eindringen der Bettelmönche. Die Summisten.
1227–41 Gregor IX. St. Elisabeth und Konrad von Marburg. Antonius von Padua. Dekretalen Gregors IX.
1228–29 Fünfter Kreuzzug des Kaisers Friedrich II.
Franziskaner: Alexander von Hales und Johannes Bonaventura. Dominikaner: Albertus Magnus und Thomas von Aquino (Lehre von Kirche und Staat, von päpstlicher Unfehlbarkeit). Höhepunkt der Scholastik. Stiftung der Sorbonne. Vincentius von Beauvais. Roger Bacon. Raimundus Lullus.
1230–83 Deutschritter unterwerfen Preußen; Christentum in Livland und Esthland. 1233 Dominikaner im Besitz der Inquisition.
1234 Kreuzzug gegen die Stedinger. Höhepunkt des Kampfes zwischen Kaiser und Papst; Guelfen und Ghibellinen in Italien. Spiritualen und Joachimiten im Franziskanerorden: die wieder erwachende Idee des Urchristentums im Widerspruch mit der Kirchenherrlichkeit.
1243–54 Innocenz IV. 1245 Konzil zu Lyon.
1244 Abermaliger Verlust Jerusalems. 1248 Gründung des Doms zu Köln. Die Gotik.
1249–53 Sechster Kreuzzug Ludwigs IX. Deutsche Volkspredigt Bertholds von Regensburg.
1254–73 Interregnum in Deutschland. 1264 Fronleichnamsfest.
1265–68 Clemens IV. schenkt Neapel und Sizilien an Karl von Anjou. 1269 Pragmatische Sanktion: französische Nationalkirche.
1268 Untergang der Hohenstaufen. 1274 Konzil zu Lyon. Rudolf von Habsburg verzichtet auf alle kaiserlichen Hoheitsrechte gegenüber dem Papsttum, bestätigt die frühern Schenkungen an dasselbe. Ende der Weltstellung des deutschen Kaisertums.
1270 Neuer Kreuzzug Ludwigs IX.
1285–1314 Philipp IV., der Schöne, von Frankreich.
1291 Verlust von Tripolis und Ptolemais. Ende der Kreuzzüge. Anfänge der deutschen Mystik.
1294–1308 Bonifacius VIII. Beginn des Streits zwischen ihm und Philipp IV. Beghinen und Begharden: Apostelorden in Italien, Niedergang des Katharertums in Italien.
2) Erniedrigung des Papsttums angesichts des erwachenden Staats- und Nationalitätsgedankens (14. Jahrhundert).
1302–1303 Die drei französischen Stände erklären die Unabhängigkeit der Krone Frankreichs. Dagegen schroffe Formulierung der Ansprüche des päpstlichen Absolutismus in der Bulle Unam sanctam. 1300 Einführung des Jubeljahrs. Jährliche Verfluchung der Ketzer am Gründonnerstag. Beginnende Auflösung der Scholastik: Duns Scotus gegen Thomas von Aquino; Scotisten und Thomisten. Erneuerung und Sieg des Nominalismus seit Wilhelm von Occam. Zusammenfassung der mittelalterlichen Weltanschauung bei Dante. Begründung der italienischen Litteratur durch ihn, Petrarca und Boccaccio. Durandus Thomas von Bradwardina, Buridan.
Jacopone da Todi: „Stabat mater“.
1307–14 Prozeß und Vertilgung des Templerordens.
1305–14 Clemens V. eröffnet die Reihe der französischen Päpste. 1309–77 „Babylonische Gefangenschaft“: Papst in Avignon.
1309 Verlegung der päpstlichen Residenz nach Avignon; die Johanniter auf Rhodos. 1311–17 Konzil zu Vienne. Zurücknahme der Bullen Bonifacius’ VIII.
Verfolgung der Fratricellen, Begharden, Beghinen, Lollharden Brüder und Schwestern vom freien Geist und andrer oppositioneller Regungen. Vollkommene Verweltlichung des nur juridische Ansprüche erhebenden, auf Gelderwerb und hierarchische Macht bedachten Papsttums. Ausbildung des kanonischen Rechts. Extravaganten. Begründung des Kurialsystems (gegen Ludwig den Bayern).
1314 Friedrich von Österreich und Ludwig der Bayer. Zurücktreten der romanischen Frömmigkeit hinter der germanischen.
1316–34 Johann XXII. Deutsche Mystik im Dominikanerorden: Meister Eckart, Tauler, Suso. Die Gottesfreunde. In den Niederlanden Ruysbroek und die Brüder vom gemeinsamen Leben (Gerhard Groot).
1324 Interdikt über Deutschland.
1328 Kaiserkrönung Ludwigs in Rom. Auf seiner Seite die Minoriten (Occam). Gelehrte Gegner des päpstlichen Absolutismus.
1335 Christentum unter den Lappen. Deutsche Universitäten.
1347–78 Kaiser Karl IV.
Zerfall des Kirchenstaats. Rienzi. 1349 Schwarzer Tod. Geißlerzüge. Ansätze zur Reform in Böhmen: Waldhausen, Milicz, Matthias von Janow. Wiclef tritt in England für Nationalitätsprinzip und Wiederherstellung des Christentums auf, Peter d’Ailly, Johannes Gerson und Nikolaus von Clemanges wirken in Frankreich für Reform der Kirche und Theologie.
1366 England wirft den päpstlichen Lehnszins ab. Höhepunkt des päpstlichen Raub- und Erpressungssystems, zumal des Ablaßwesens.
1378 Beginn des päpstlichen Schismas: die romanischen Völker für Avignon, die germanischen für Rom.
St. Birgitte und St. Katharina von Siena.
1387 Gegenseitige Exkommunikation beider Päpste. 1394 Die Sorbonne dringt auf Beseitigung des Schismas.

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Welt, Kirche und Staat Innerkirchliches, Verfassung und Kultus Wissenschaft und Lehrbildung; Opposition
3) Die Reformbestrebungen und ihre Vereitelung.
1410–15 Johann XXIII., Geschöpf der Synode von Pisa. 1409 Konzil zu Pisa: 3 Päpste statt 2. 1410 Exkommunikation des Joh. Huß.
1410–37 Kaiser Siegmund. 1414–18 Konzil zu Konstanz: Abstimmung nach Nationen. 1414 Abendmahl in beiderlei Gestalt in Prag.
1417–31 Martin V., Geschöpf der Synode von Konstanz, zerstört deren Bestrebungen.
1415–16 Feuertod des Huß und Hieronymus.
1431–47 Eugen IV. siegt über die Synode von Basel. 1431–42 Konzil zu Basel. Hussitische Bewegung und Hussitenkriege.
1433 Prager Kompatktaten mit den Kalixtinern.
1437 Spaltung des Konzils durch Verlegung nach Ferrara. Siechtum der Scholastik. Ansätze zu neuer Theologie bei Raimund von Sabunda und Nikolaus von Cusa. Mystisch-asketische Andacht des Thomas von Kempen.
Ziele der Reformbewegung: Durchbrechung des päpstlichen Absolutismus zu gunsten des Synodalregiments, d. h. der kirchlichen Aristokratie und der Universitäten; Streben nach Nationalkirchen im Gegensatz zum römischen Universalepiskopat und Infallibilität, aber auch zum idealistischen Kirchenbegriff des Wiclef und Huß. Die Päpste vereiteln die Erfolge der Konzile durch Separatkonkordate mit den einzelnen Nationen, zumal mit dem Deutschen Reich unter Friedrich III. Umwandlung der Taboriten in Mährisch-Böhmische Brüder.
1438 Pragmatische Sanktion von Bourges.
1439–42 Florentiner Konzil.
1439–93 Kaiser Friedrich III. 1440 Platonische Akademie zu Florenz. Wiedererwachen des klassischen Altertums. Blüte des italienischen Humanismus. Kunst der Renaissance.
1453 Fall Konstantinopels.
1458–64 Pius II., früher Parteigänger des Baseler Konzils.
1471–84 Sixtus IV. Beginn des Nepotismus. Erfindung der Buchdruckerkunst.
Reformtheologen: Goch, Johann von Wesel, Johann Wessel.
1484–92 Innocenz VIII.
1492 Fall Granadas. Ferdinand der Katholische und Isabella.
1492–1503 Alexander VI. Orgien der Inquisition in Spanien, der Hexengerichte in Deutschland. Franz von Paula. 1498 Feuertod Savonarolas.
1503–13 Julius II. Neuer Kirchenstaat.
Deutscher Humanismus: Erasmus und Reuchlin. Dessen Kampf mit den Dominikanern in Köln.
1513–21 Leo X. 1512–17 Fünftes Laterankonzil.
1516 Französisches Konkordat (Aufhebung der Pragmatischen Sanktion).
Volksprediger: Geiler von Kaisersberg.

Die Kirchenspaltung bis zu ihrer endgültigen Feststellung im Westfälischen Frieden.
1) Das Zeitalter der Reformation bis zum Westfälischen Frieden.
  1517 Luthers Auftreten gegen Tezel. Litterarische Vorbereitung der Reformation durch schonungslose Aufdeckung der Schäden des kirchlichen Lebens. Flugschriften und Satiren.
1518 Zwingli gegen Samson. Melanchthon in Wittenberg.
1519–56 Kaiser Karl V. 1519 Zwingli in Zürich. Leipziger Disputation: aus theologischen Zänkereien werden große Prinzipienkämpfe.
1510–66 Sultan Soliman I. 1520 Luthers Reformationsschriften. Beginn der deutschen Bibelübersetzung.
1521 Reichstag in Worms. Luther geächtet.
Zwickauer Propheten in Wittenberg.
1524 Erstes deutsches Gesangbuch.
1522 Bildersturm in Wittenberg. Luthers Rückkehr. Fehde zwischen Erasmus und Luther.
1522–23 Hadrian VI. Lutherische Theologen: Spalatin, Jonas, Amsdorf, Bugenhagen, Brenz, Speratus, F. Myconius. Schweizer Theologen: Öcolampadius, Judä, O. Myconius. Vermittelnd zwischen beiden: Rhegius, Blarer, Bucer, Capito.
1523 Die ersten Blutzeugen in den Niederlanden.
1524–34 Clemens VII. 1525 Abschaffung der Messe in Zürich: einfacher Gottesdienst.
1525 Umwandlung des Ordensstaats Preußen in ein evangelisches Fürstentum. Kurfürst Friedrich der Weise stirbt: Johann der Beständige.
Deutscher Bauernkrieg. Konservative Wendung der Reformation Luthers und beginnende Auseinandersetzung mit Zwingli. Beider gemeinsamer Gegensatz gegen die radikale Reformation der Wiedertäufer, Antitrinitarier, Schwärmer, Chiliasten etc. Synode von Homberg: unpraktisches Verfassungsideal. Luthers „deutsche Messe“.
Katholische Theologen: Eck, Emser und Cochläus. Antitrinitarier: Denk und Hetzer. Schwärmer: Hoffmann und Schwenkfeld.
Reformation in Deutschland ermöglicht, weil Karl V. teils durch Frankreich, teils durch den Papst im Schach gehalten.
Abendmahlsstreit zwischen Luther u. Zwingli.
1526 Reichstag in Speier günstig für Lutheraner. Zwinglis Machtstellung in Zürich und politische Pläne.
1527 Reformation in Schweden. Einnahme und Plünderung Roms durch das deutsch-spanische Heer. Zwei protestantische Lehrtypen.
1528 Visitationen. Konstituierung des lutherischen Kirchentums in Kursachsen. Beginnendes Sonderleben der deutschen und der schweizerischen Reformation: vergeblicher Vereinigungsversuch in Marburg. Luthers Großer und Kleiner Katechismus.
1529 Reichstag in Speier, den Evangelischen ungünstig; daher „Protestanten“. Türken vor Wien. Symbolische Fixierung des lutherischen Lehrbegriffs in der Augustana und Apologie; des süddeutschen in der Tetrapolitana; Zwinglis Fidei ratio.
1530 Reichstag in Augsburg.
1531 Bündnis zu Schmalkalden. Zwingli fällt. Siegeslauf der Reformation durch Norddeutschland; der Katholizismus gehalten durch König Ferdinand, Bayern und die geistlichen Fürstentümer. Reformatorische Bewegungen in Spanien und Italien: Valdez, Paleario, Ochino, Vergerius.
1532 Religionsfriede zu Nürnberg (provisorisch bis zum Konzil). Friedrich der Großmütige in Sachsen.
1533 Heinrich VIII. von England läßt sich scheiden und kündigt dem Papste den Gehorsam.
1534 David Joris in den Niederlanden: ermäßigte Wiedertäuferei. Bullinger in Zürich, Viret in Lausanne, Farel in Neuchâtel und Genf. Calvins Institutio religionis christianae: Prädestinationslehre.
1534 Württemberg evangelisch unter Herzog Ulrich. 1533–35 Das Reich der Wiedertäufer in Münster.
1534–49 Paul III. mit noch meist rein weltlicher Politik gegen Karl V. 1534 Supremat des Königs in der englischen Kirche. Cranmers vorsichtige Reformation.
1536 Calvin in Genf. Kirchenstaat, Kirchenzucht, Presbyterialverfassung.
1537 Schmalkaldische Artikel.
1538 Heilige Liga zu Nürnberg.

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Welt, Kirche und Staat Innerkirchliches, Verfassung und Kultus Wissenschaft und Lehrbildung; Opposition
1539 Reformation im Herzogtum Sachsen und in Kurbrandenburg. 1540 Der Jesuitenorden bestätigt: Hauptschlag gegen die Reformation. 1541 Regensburger Reichstag, Religionsgespräch und Interim.
1542 Der Jesuit Xaver in Indien. 1542 Inquisition in Italien: Ausrottung der Ketzerei daselbst. Calvins Katechismus.
1543–46 Reformversuch in Köln.
1545–63 Konzil zu Trient in drei Perioden. Umschwung des Papsttums. Neuerer Katholizismus.
1546–47 Schmalkaldischer Krieg. Sieg des Kaisers. Definitive Scheidung der abendländischen Christenheit im Lehrbegriff.
1547–53 Eduard VI. in England: Reformation.
1548 Reaktion im Augsburger und im Leipziger Interim.
Höhepunkt der türkischen Macht in Ungarn.
1551–52 Collegium Romanum und Germanicum in Rom. Innere Streitigkeiten der Lutheraner (antinomistische, adiaphoristische, osiandristische, majoristische, synergistische).
1550–55 Julius III. kaiserlich.
1552 Passauer Vertrag durch Moritz von Sachsen. Umwandlung des wilden in den zahmen Anabaptismus (Mennoniten).
1553–58 Die blutige Maria in England. 1553 Servets Flammentod in Genf. Calvinischer Terrorismus. 1554 Katechismus des Jesuiten Canisius.
1555–98 Philipp II. von Spanien. 1555 Augsburger Religionsfriede: Gleichberechtigung der katholischen und lutherischen Reichsstände. Das Reservatum ecclesiasticum als Keim neuen Haders.
1555–59 Paul IV. Protest gegen den Religionsfrieden. Inquisitionsfurie.
2) Die katholische Gegenreformation.
1556–64 Kaiser Ferdinand I. Die Jesuiten leiten in Deutschland von Köln, Ingolstadt und Wien aus das Werk der Gegenreformation ein. 1558 Konfutationsbuch. Kampf der anticalvinischen, gnesio-lutherischen Partei (Flacius) gegen den Philippismus. Theodor Beza, Calvins Kollege und Nachfolger in Genf.
1558–1608 Elisabeth von England.
1559–65 Pius IV.
1559 Erste reformierte Synode in Paris. 1559 Uniformitätsakte in England: Anglikanische Kirche.
1560 Reformation in Schottland. Knox. Strenger Presbyterialismus in Schottland; in England als Puritanismus: Reformation durch die Gemeinde im Gegensatz zur Reformation durch das Königtum. Scheidung beider Elemente unter Elisabeth. Johannes a Lasco Reformator von Ostfriesland und Polen.
1561 Fürstentag in Naumburg. 1566 Confessio Scotica.
1562 Beginn der 30jährigen Religionskriege in Frankreich. Religionsgespräch zu Poissy: Beza und der Kardinal Guise.
39 Artikel in England und Confessio Belgica.
1563 Gegenreformation in Bayern.
1564–76 Kaiser Maximilian II. Der Widerwille gegen das immer enger um sich selbst sich abschließende, auf prinzipielle Durchführung des reformatorischen Gedankens verzichtende Luthertum veranlaßt Übertritte zur reformierten Kirche: Pfalz, Bremen, Anhalt. Heidelberger Katechismus.
1566–72 Pius V., fanatischer Inquisitor. 1564 Professio fidei Tridentinae und Index librorum prohibitorum.
1565 Bruch zwischen Reformierten und Socinianern in Polen.
1566 Catechismus Romanus. Confessio Helvetica.
1572–85 Gregor XIII., Kalenderverbesserung. 1574 Niederlage des Philippismus (Kryptocalvinismus) in Sachsen. Schreckensherrschaft Albas in den Niederlanden. 1567 Bannbulle gegen den Augustinismus des Bajus.
1572 Pariser Bluthochzeit mit päpstlicher Jubelfeier. 1574–77 Arbeit am Konkordienwerk: Andreä und Chemnitz.
1576–1612 Kaiser Rudolf II. 1578 Gegenreformation in den österreichischen Erblanden. 1580 Das Konkordienbuch: Krönung der lutherischen Orthodoxie. Seither in der lutherischen Kirche Zurückstellung der Differenzen, die vom Katholizismus trennen, hinter denen, welche dem Calvinismus gelten.
1582 Jesuiten in China.
1585–90 Sixtus V. Reform des Kirchenstaats. 1584 Gegenreformation in den deutschen Bistümern.
1587 Maria Stuarts Ende. Religiös-politischer Freiheitskampf der Niederlande unter den Oraniern: hier, in Frankreich und in England führt die reformierte Kirche die Aufgaben des Protestantismus konsequent durch.
1586 Ratio studiorum des Jesuitengenerals Aquaviva.
1598 Das Edikt von Nantes.
Der Protestantismus erscheint um 1600 im romanischen Europa fast ganz unterdrückt, im germanischen, wo er um 1550 fast die Alleinherrschaft besessen hatte, bedeutend zurückgedrängt, der Katholizismus durch Tridentinum, Papsttum und neue Orden, zumal Jesuiten, neugestaltet. 1586–91 Nachspiel der kryptocalvinistischen Händel in Sachsen.
1588–1611 Unentschiedener Streit zwischen Jesuiten (Molinisten) und Dominikanern über die Gnadenlehre.
1593 Heinrich IV. von Frankreich wird katholisch.
1590–92 Vulgata.
1597 Gegenreformation in Kärnten, Steiermark, Krain. Kirchengeschichte des Baronius. Kepler aus Graz vertrieben.
3) Die großen Religionskriege und ihre Folgen.
1606 Interdikt über Venedig. 1608 Moritz von Hessen-Kassel wird reformiert. 1605 Catechismus Racoviensis (Socinianer).
1607 Max I. von Bayern nimmt die Reichsstadt Donauwörth.
Venezianisch-päpstliche Kontroverse geführt durch Kardinal Bellarmin und den Serviten Sarpi.
1608 Protestantische Union unter Friedrich IV. von der Pfalz.
1609 Katholische Liga unter Max I. von Bayern. Waffenstillstand zwischen Spanien und den Niederlanden. Franz von Sales und Frau von Chantal. Neue Philosophie durch F. Bacon und R. Cartesius, Naturphilosophie und Theosophie des Jakob Böhme.
1613 Kurfürst Johann Siegmund von Brandenburg wird reformiert. 1610–11 Remonstranz und Kontraremonstranz in Holland.
1611–32 Gustav Adolf von Schweden.
1617 Der Orden der Piaristen. Bedrohung der reformierten Orthodoxie durch Arminianismus und Socinianismus. Unterdrückung des Arminianismus.
1612–19 Kaiser Matthias. 1618–19 Synode von Dordrecht. Streng prädestinatianische Staatskirche in Holland. Oldenbarneveldts Hinrichtung.
1618–48 Dreißigjähriger Krieg.
1618–24 Böhm.-pfälzische Periode.
Arminianische Theologen: Episcopius, Hugo Grotius.
1619–87 Kaiser Ferdinand II. 1620 Die ersten Pilgerväter in Nordamerika.
1620–28 Letzter Hugenottenkrieg. Höhepunkt der lutherischen Scholastik: Johannes Gerhard. Lutherische Mystik des Johannes Arnd und Joh. Val. Andreä. Neue Theologie des G. Calixtus. – Reformierte Gelehrsamkeit.
1623 Die bayrische Kur. 1621 Definitive Ordnung des Konklave. Gegenreformation in Böhmen.
1623–44 Urban VIII.
1625–29 Dänische Kriegsperiode. 1622 Die römische Propaganda gegründet.
1625–49 Karl I. von England.

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Welt, Kirche und Staat Innerkirchliches, Verfassung und Kultus Wissenschaft und Lehrbildung; Opposition
1629 Fall La Rochelles. Richelieu. Restitutionsedikt. Daillé, Chamier. Der Amyraldismus von Saumur. Gegen ihn und Calixt letzte Versuche zur Symbolbildung in beiden protestantischen Kirchen.
1630–34 Schwedische Kriegsperiode. 1631 Verdammung des Gallikanismus Richers.
1635–48 Französisch-schwedische Periode.
Stiftungen des Vinzenz von St. Paul.
1637–57 Kaiser Ferdinand III. 1638 Schottischer Covenant gegen Karls Prinzipien von göttlichem Recht des Königtums und Bischoftums. 1633 Galileis Widerruf.
1640–88 Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst.
1642 Beginn des jansenistischen Streits.
1640–58 Das Lange Parlament. 1643–49 Westminster-Synode.
1643–1715 Ludwig XIV. von Frankreich.
1648 Westfälischer Friede unter päpstlichem Widerspruch. Gleichberechtigung der Evangelischen (Lutheraner und Reformierten) und der Katholiken im Deutschen Reich. 1645 Thorner Religionsgespräch (Socinianer ausgeschlossen).

Die Kirche im Kampf mit den modernen Ideen.
1) Beginn der Zersetzung (von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts).
1653–58 Cromwell Protektor. Sieg der radikalen Reformation. Independentismus: durchaus demokratisches Verfassungsprinzip; Autonomie der Einzelgemeinde. Daneben das Quäkertum: die reinste Form der spiritualistisch-mystischen Reformation: Fox. Fortentwickelung des Puritanismus in Amerika; Verfolgung der Dissenters unter der Restauration in England. Herrschaft der Heiligen in England: Milton, Baxter, Führer der Presbyterianer.
1655 Christine von Schweden katholisch.
Als Gegenschlag der Naturalkismus bei Herbert von Cherbury und Hobbes, theologisch ausgebildet als Deismus.
1656 „La question du fait“ im jansenistischen Streit.
1658–1705 Kaiser Leopold I. Mystizismus der Labadisten, Theosophie der Gichtelianer.
1660–82 Karl II. Hochkirchliche Reaktion in England.
1670 Tractatus theologico-politicus von Spinoza.
1662 Neue Uniformitätsakte.
1673 Testakte. Vergeblicher Gewissenskampf des Jansenismus gegen den Jesuitismus. Lutherische Andachtslitteratur: P. Gerhardt, Ch. Scriver. Jansenistische Litteratur: Pascal und Quesnel. Mystik und Quietismus von Molinos und Antoinette Bourignon.
1681 Dragonaden in Frankreich. Die Quäker kolonisieren Pennsylvanien.
Beginn der hundertjährigen Religionsverfolgung in Frankreich; Zersetzung des katholischen Glaubens in den gebildeten Kreisen unter dem Einfluß des englischen Deismus.
1682 Deklaration des französischen Klerus: Gallikanismus.
1683 Türken vor Wien. 1682 Gravitationsgesetz: Prämisse zu neuer Weltanschauung. Ausgebildeter Deismus, Gegensatz zu dem Supernaturalismus der Dogmatik; historische Kritik; Moralreligion: Loke, Shaftesbury, Woolston, Tindal, Hume.
1685 Widerruf des Edikts von Nantes. Refugiés.
1685–88 Jakob II. in England katholisch.
1689 Toleranzakte unter Wilhelm III. von England. 1694 Universität Halle: Burg des Pietismus. Beginn der Zersetzung der lutherischen Orthodoxie in den pietistischen Streitigkeiten: Spener, Francke, Thomasius, Arnold, Buddeus, Bengel, Ötinger. Anderseits die natürliche Theologie Wolfs auf Grund der Philosophie von Leibniz.
1701 König Friedrich I. von Preußen. 1698 Anfänge von Franckes Waisenhaus in Halle. Aufhören der konfessionellen Gesichtspunkte in der europäischen Politik.
1705 Anfang der protestantischen Mission (Indien).
1713 Bulle Unigenitus.
1713–40 Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Pietismus 1722 Jansenistische Kirche in Holland. Zinzendorfs Brüdergemeinde in Herrnhut.
1715–74 Ludwig XV. in Frankreich. 1729 Auftreten des Methodismus in England. Dagegen in der Kirche Latitudinarismus infolge der Erlahmung der dogmatischen Interessen. Arminianische Gelehrsamkeit in Holland: Clerc.
1740–58 Benedikt XIV. Blüte der katholischen Gelehrsamkeit (Mauriner Kongregation) und Kanzelberedsamkeit in Frankreich: Bourdaloue, Bossuet, Fléchier, Fénelon, Massillon.
1740–80 Maria Theresia in Österreich.
1740–88 Friedrich II. von Preußen. Aufklärung.
2) Allgemeiner Rückgang von Kirche und Dogmatik (bis zu den Befreiungskriegen).
1759 Jesuiten aus Portugal: Pombal. 1763 Hontheim (Febronius) für Selbständigkeit der katholischen Kirche Deutschlands. Französisches Geistesleben unter dem Einfluß Voltaires, Rousseaus und der Encyklopädisten. Naturalismus und Materialismus.
1764 Jesuiten aus Frankreich.
1765–90 Kaiser Joseph II.
1767 Jesuiten aus Spanien und Neapel. In Preußen wird „jeder nach seiner Façon selig“. 1764 Nicolais Allgemeine deutsche Bibliothek. Sieg des religiösen Subjektivismus und der Aufklärung in Deutschland. Kampf der Popularphilosophie gegen Autoritätsprinzip, Dogmatismus und Tradition. Lessings Vernunftreligion, Herders Humanitätsreligion. Gleichgültigkeit der deutschen Nationallitteratur gegen alles Kirchliche. Auflösung der historischen Elemente der Dogmatik durch die Kritik Semlers. Grammatisch-historische Interpretation Ernestis. Biblische Wissenschaft: J. D. Michaelis und G. Eichhorn. Vertiefung der allgemeinen Weltanschauung durch Kant. Unter seinem Einfluß Gegensatz des Rationalismus und Supernaturalismus in der Theologie. Religionsphilosophie: Jacobi, Fichte, Schelling.
1768 Jesuiten aus Parma. 1771 Swedenborgs Kirche des neuen Jerusalem.
1768–74 Clemens XIV.
1774–92 Ludwig XVI. 1773 Dominus ac redemptor noster. Aufhebung des Jesuitenordens. Nationale und aufklärerische Bestrebungen im deutschen Katholizismus.
1774–99 Pius VI.
1775–88 Nordamerikanischer Freiheitskampf.
1786–97 Friedrich Wilhelm II. von Preußen. 1777 Illuminaten in Bayern.
1781–89 Josephinismus in Österreich.
1789–95 Französische Revolution.
1786 Emser Punktation und Synode von Pistoja.
1788 Wöllnersches Religionsedikt in Preußen.
1796–1801 Christentum in Frankreich abgeschafft.
Vernichtung des französischen Kirchenguts.

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Welt, Kirche und Staat Innerkirchliches, Verfassung und Kultus Wissenschaft und Lehrbildung; Opposition
1794 Robespierres Fest des höchsten Wesens.    
1795 Missionsgesellschaft zu London.
1797–1840 Friedrich Wilhelm III. von Preußen.
1800–1823 Pius VII.
1801 Französisches Konkordat: Wiederaufrichtung des Katholizismus. 1803 Reichsdeputations-Hauptschluß. Säkularisation der geistlichen Fürstentümer in Deutschland. Erste Regungen des Gegensatzes zum Geiste des 18. Jahrh. in der französischen und deutschen Litteratur. Hier früher Hamann, Lavater, Matthias Claudius, später die katholisierende Romantik, dort die Emigrantenlitteratur: Chateaubriand.
1804–14 Kaiser Napoleon I.
1806 Ende des römischen Reichs deutscher Nation.
1809 Napoleon wegen Abschaffung des Kirchenstaats im Bann.
3) Wiederbelebung im 19. Jahrhundert.
1813–14 Befreiungskriege. Unitarier in England geduldet. Allgemeine Reaktion gegen Subjektivismus, Aufklärung und Revolution, überhaupt gegen den Geist des 18. Jahrh.
1814 Pius VII. zieht in Rom ein.
Wiederherstellung der Jesuiten.
1815 Heilige Allianz. Protest des Papstes gegen den Wiener Kongreß.
Neue Theologie, gemischt aus Romantik, ästhetischen und wissenschaftlichen Elementen, durch Schleiermacher. Aus dessen Schule zur Linken A. Schweizer, H. Krause, L. Jonas u. a., zur Rechten die Vermittelungstheologen K. J. Nitzsch, J. Müller, Ullmann, Twesten, Dorner u. a. Daneben Wiederbelebung der metaphysischen Elemente der Dogmatik durch Schelling und besonders Hegel. Aus dessen Schule zur Rechten Daub, Marheineke, zur Linken D. F. Strauß und L. Feuerbach. Wiederbelebung der Orthodoxie durch Hengstenberg, des Pietismus durch Tholuck. Blüte biblischer Wissenschaften: De Wette, Ewald, Winer, Reuß. Kirchengeschichtliche Studien durch Neander, Gieseler, Hase. Aufschwung der katholischen Theologie durch Hermes, Möhler und Döllinger.
1817 Päpstliche Verdammung der Bibelgesellschaften. Evangelische Union in Preußen.
Sieg der Romantik auf dem Gebiet der kirchlichen Kunst.
1822–29 Leo XII.
1829–30 Pius VIII. Irvingianismus, Puseyismus, Ritualismus in England.
1831–46 Gregor XVI.
Kampf des Papsttums mit dem Aufstand der italienischen Patrioten.
1833 Lamennais: demokratischer Ultramontanismus in Frankreich.
1834 Gustav-Adolf-Stiftung in Leipzig.
Verfolgung der Altlutheraner in Preußen.
1837–40 Preußischer Kirchenstreit.
1840–61 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Seither durchgreifende Reaktion in Kirche und Theologie. 1840 Klöster und Kirchengut in Spanien eingezogen.
Freikirchen in Schottland, Waadtland, Frankreich.
1835 Leben Jesu von Strauß. Die kritische Schule in Tübingen: Baur, Schwegler, Zeller, Köstlin, Hilgenfeld.
1846 Evangelische Allianz. Erfolglose Generalsynode in Preußen: zur Linken Sydow, zur Rechten Stahl, in der Mitte K. J. Nitzsch.
1847 Sonderbundskrieg.
1844 Deutschkatholizismus; Lichtfreunde auf protestantischem Boden; beider gemeinsamer Ausgang in den Freien Gemeinden.
1848 Revolution und Reaktion. 1848–72 Deutsche Kirchentage.
1850–87 Der Mormonenstaat Utah.
1852 Evangelische Kirchenkonferenz in Eisenach.
1850 Kardinal Wiseman Primas von England. 1854 Das Dogma von der unbefleckten Empfängnis.
Beginn des Kampfes gegen die Reaktion. Protestantische Kirchenzeitung.
1860–64 Sklavenbefreiungskrieg in Nordamerika.
1864 Päpstlicher Syllabus. 1865 Deutscher Protestantenverein: Schenkel, Bluntschli, Rothe, H. Lang, K. Schwarz, O. Pfleiderer.
1870 Aufhören des Kirchenstaats. Deutsch-französischer Krieg. 1869–70 Vatikanisches Konzil. Konsequente Durchführung des jesuitisch-römischen Systems in der ganzen katholischen Kirche. Niedergang des nationalen Gedankens im deutschen Katholizismus.
1870 Das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit. Altkatholizismus. Niedergang der deutschen katholischen Theologie.
1871 Kaiser Wilhelm I.
1872–78 Preußischer Kulturkampf.
1872 Jesuiten aus Deutschland.
1873 Falks Maigesetze. Einführung einer Synodalverfassung in den altpreußischen Provinzen.
Neue Standpunkte auf dem Gebiet der Religionsphilosophie und Dogmatik Ritschl und seine Schule; Lipsius. Dagegen die lutherische Orthodoxie, vertreten durch Luthardt, Kahnis, Delitzsch, Philippi, Zöckler u. a. Hofmanns Schule. Gemeinsamer Vernichtungskampf der lutherischen Konfessionalisten und der Partei der „positiven Union“ (Hofpredigerpartei in Preußen) gegen die freie Theologie. Stöcker.
1878 Leo XIII. Rückzug der preußischen Kirchenpolitik. Dafür Konflikt des Papstes mit der französischen Republik unter Gambetta und Ferry. Höhepunkt der äußern und der innern Mission in der protestantischen, der Pius-, Bonifacius- und Vincentiusvereine in der katholischen Welt.
1879 Erste Generalsynode in Preußen.
1880 Jesuiten aus Frankreich. 1883 Lutherfest in der protestantischen Welt.
1887 Annäherung zwischen Kaiser und Papst. Sozialdemokratisches Gegenbild von Religion und Kirche.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Es gibt eine 4-seitige Version dieser Beilage in Antiquaschrift (9. Band, Neuer Abdruck 1890 Biodiversity Heritage Library).