MKL1888:Muscheln

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 11 (1888), Seite 911912
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Muscheln. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 911–912. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Muscheln (Version vom 23.02.2024)

[911] Muscheln (Muscheltiere, Blattkiemer, Lamellibranchiata Blainv., Acephala Cuv., Conchifera Latr.), die unterste Klasse der Mollusken (Weichtiere), deren Atmungsorgane gleich den Blättern eines Buches gestaltet und von der zweiklappigen Schale (daher „Bivalven“), der Muschel (Concha, daher Conchifera), umgeben sind (daher „Blattkiemer“). „Kopflose“ (Acephala) sind sie, da ihnen im Gegensatz zu den höhern Mollusken ein Kopf, d. h. ein besonderer Abschnitt des Körpers mit Augen, Mund, Tastern etc., abgeht. Derjenige Teil der M., welcher die Hauptmasse der Eingeweide birgt und darum als Rumpf bezeichnet werden könnte, liegt zu innerst. Von seinem obern Rand aus erhebt sich die Haut zu einer rechten und linken Falte, dem Mantel, bedeckt ihn auf den Seiten völlig und ragt unten noch über ihn hinaus, so daß ein Raum entsteht, in welchen die Kiemen hereinragen (s. Austern, Abbildung, S. 140). Vom Mantel wird die Schale abgesondert und zwar in der Art, daß Kalksalze zugleich mit einem organischen Stoff (dem Konchiolin) sich auf der Außenfläche des Mantels ablagern und mit dem Wachstum des Tiers gleichen Schritt halten. Der Mantel selbst ist auf der innern Seite mit Flimmern ausgestattet und trägt an seinem Rande die Drüsen zur Erzeugung der Schalensubstanz und zur Färbung derselben sowie manchmal Tentakeln und in einigen Fällen auch eine Anzahl Augen. Bei vielen M. legen sich die beiden Mantellappen mit ihren freien Rändern aneinander, jedoch bleiben noch zwei Schlitze offen, von denen der vordere zur Einfuhr, der hintere zur Ausfuhr des Wassers dient. Durch jenen, die sogen. Atemöffnung, gelangt das frische Wasser zu den Kiemen und zugleich der in ihm enthaltene Nahrungsstoff zum Mund, während die Exkremente, das Sekret der Nieren, die Geschlechtsprodukte und das verbrauchte Wasser durch die Ausfuhr- oder Kloakenöffnung entleert werden. In sehr vielen Fällen sind aber die Mantelränder fast ganz miteinander verwachsen und stellen so einen Sack dar, in welchem außer jenen Schlitzen auch noch eine Öffnung für den sogen. Fuß (s. unten) bleibt. Alsdann ist der Mantel häufig in der Richtung nach hinten so weit verlängert, daß die Atem- und Kloakenöffnung an das Ende zweier kürzerer oder längerer Röhren (Siphons) zu liegen kommen. Verwachsen nun diese in ihrer ganzen Ausdehnung miteinander und werden sie im Vergleich zur Schale sehr groß, so verändern sie die Gestalt des Tiers derart, daß es eher einem Wurm als einer Muschel ähnlich sieht; so die Bohrmuschel (Teredo, s. Tafel „Mollusken“). Was die Schale betrifft, so sind ihre beiden Klappen selten vollkommen gleich, bisweilen auffallend unsymmetrisch (Auster); die untere, größere erscheint dann tief gewölbt, die obere, kleinere flach, deckelartig; meist schließen ihre Ränder fest aneinander, können jedoch auch an verschiedenen Stellen zum Durchtritt des Fußes, des Byssus, der Siphons klaffen und selbst weit auseinander stehen. Stets sind sie an der Rückenfläche durch ein horniges Band verbunden, welches durch seine Spannung die Klappen zu öffnen strebt, wogegen ineinander greifende Zähne und Gruben des obern Schalenrandes (das sogen. Schloß) die feste Verbindung derselben befördern. Zu ihrem Schluß dienen ein oder zwei starke Muskeln, welche von Klappe zu Klappe quer durch das Tier hindurchgehen. Sie bestehen aus einer mehr sehnigen Portion, die in ihrer Wirkung dem Schalenband das Gleichgewicht hält, und einem stark muskulösen Teil, welcher das plötzliche Zuklappen der Schale besorgt. Auf der Innenfläche der letztern lassen sich die Ansatzstellen der Muskeln stets deutlich erkennen, wie denn auch derjenige Teil der Mantellappen, welcher den Klappen anliegt, eine Grenzlinie auf ihnen hinterläßt. Vom untern Ende der die Eingeweidemasse umhüllenden Haut- oder Muskelschicht springt nach außen ein besonderer Teil, der Fuß, hervor und kann meist aus der Schale weit herausgestreckt werden. Er dient als hauptsächliches Bewegungsorgan. Aus einer an ihm befindlichen Furche treten bei einzelnen M. lange Fäden einer seidenartigen Substanz, des Byssus (s. d.), hervor und werden mittels des Fußes entweder an die Gegenstände angeheftet, an denen sich die Muschel vor Anker legt, oder sogar zu einer Art Nest verwebt. Von den innern Organen besteht das Nervensystem aus den drei typischen Ganglienpaaren, welche symmetrisch angeordnet sind, und von denen das Oberschlundganglion verhältnismäßig wenig entwickelt ist. Paarige Gehörblasen liegen unterhalb des Schlundes; Augen finden sich teils als einfache Pigmentflecke am Ende der Atemröhre, teils in viel höherer Ausbildung am Mantelrand. Auch Tastorgane sind reichlich vorhanden. Die mit dem Wasser in die Mantelhöhle gelangten Nahrungsstoffe werden durch den Wimperbesatz von zwei Paar Hautlappen (sogen. Mundlappen) der Mundöffnung zugeführt und gelangen ohne weiteres, da Kauwerkzeuge fehlen, in die kurze Speiseröhre, von da in den kugeligen Magen und in den langen Darm, welcher auf einer frei in den Mantelraum hineinragenden Papille endet. Das Herz, welches in seine zwei Vorkammern das von den Kiemen kommende arterielle Blut aufnimmt und durch eine vordere und hintere Aorta aus der Kammer weiter befördert, liegt in der Mittellinie des Rückens und wird vom Darm durchbohrt; bei Arca sind zwei dicht nebeneinander gelegene Herzen vorhanden. Die Arterien lösen sich in ein kompliziertes System von Bluträumen auf, welches die Kapillargefäße vertritt. Von diesen geht das Blut teils sofort, teils nachdem es die Nieren passiert hat, in die Kiemen. Diese bilden in der Regel zwei Paar Blätter, welche hinter den Mundlappen entspringen und längs der [912] Seiten des Rumpfes nach hinten verlaufen. Sie sind von sehr zierlichem und kompliziertem Bau. Die Nieren, nach ihrem Entdecker das Bojanussche Organ genannt, sind paarige Drüsen, welche einerseits mit dem Herzbeutel, anderseits mit der Außenwelt in Verbindung stehen und nicht nur als Harnorgan funktionieren, sondern auch bei vielen M. Eier und Samen entleeren helfen. Die Geschlechtsorgane münden nämlich nur bei den höhern M. selbständig auf einer besondern Papille aus, während sie bei den niedern sich direkt in die Nieren öffnen. Sie sind gleich diesen paarig und bestehen aus einer einfachen Keimdrüse. Diese ist nur selten noch ein völliges Zwitterorgan und bereitet so Eier und Samen zugleich, zerfällt häufiger in einen männlichen und weiblichen Abschnitt, ist jedoch bei der großen Mehrzahl der M. entweder Eierstock oder Hode. Indessen auch die getrenntgeschlechtigen Tiere lassen äußerlich nur selten, innerlich zur Laichzeit schon durch die Farbe der Eier, resp. des Samens, sonst aber lediglich an der feinern Struktur der Keimdrüse ihr Geschlecht erkennen. Übrigens können auch, wie bei der Auster, die Individuen eine Zeitlang als Männchen und darauf als Weibchen fungieren. Die Befruchtung erfolgt gewöhnlich im Mantelraum, in welchem auch die Eier später noch längere Zeit verbleiben. In ähnlicher Weise bilden vielfach die Kiemenblätter die Brutstätte für die Embryonen. Die ins Freie gelangten Larven der Meeresmuscheln schwimmen mit einem großen Wimpersegel umher, welches später sich zu den Mundlappen rückbildet, und haben noch eine bedeutende Metamorphose durchzumachen. Die jungen Teich- und Flußmuscheln leben parasitisch an Fischen.

Die M. sind ausnahmslos Bewohner des Wassers, zu vier Fünftel des Meers. In letzterm sind manche Arten an bestimmte Tiefen gebunden, während andre nur die Strandzone bevölkern und sich mittels ihres Byssus zuweilen so hoch anheften, daß sie nur zur Flutzeit unter Wasser sind. Einzelne Arten sind in vertikaler wie in horizontaler Richtung überall verbreitet. Meist leben sie frei und kriechen dann mit Hilfe ihres Fußes mehr oder weniger geschickt umher oder schnellen sich mit demselben vom Boden auf, schießen auch wohl durch den Rückstoß des plötzlich aus der Kloake entleerten Wassers fort oder bewegen sich durch rasches Auf- und Zuklappen der Schale, gewissermaßen fliegend, oft über größere Flächen hinweg. Doch setzen sich viele frühzeitig mittels ihres Byssus für immer fest oder wachsen gar mit der einen Schale auf Felsen und Gesteinen an, wobei sie sich häufig in großen Gesellschaften zu sogen. Bänken (s. Auster) vereinigen. (Über die eßbaren M. s. die Artikel Frutti di mare“,Clams“, „Messerscheide“, „Miesmuschel“, „Auster“.) In den tropischen Meeren ist die Muschelfauna am reichsten vertreten und nimmt von da nach den Polen zu ab. Fossil erscheinen Muscheltiere schon im Silur. Man kann im allgemeinen annehmen, daß die Formen ohne Siphons die ältern sind; ihre Zahl wird in jüngern Formationen im Verhältnis zu den mit Siphons versehenen geringer. Die Süßwassermuscheln erlangen in der Tertiärformation eine bedeutendere Entwickelung, kulminieren aber erst in der Gegenwart. Von den etwa 14,000 beschriebenen Arten sind 8–9000 fossil. Unter den letztern sind die einmuskeligen die zahlreichsten, während von lebenden Formen die meisten mit Siphons versehene Zweimuskler sind.

[Einteilung.] Man teilt die Muscheltiere nach dem Vorhandensein oder Fehlen der Siphons, der Zahl der Schließmuskeln etc. in eine große Anzahl Familien ein, von denen die hauptsächlichsten hier kurz genannt werden mögen. Die Ostreidae oder Austern mit nur einem Schließmuskel, sehr kleinem oder auch gänzlich verkümmertem Fuß und meist sehr ungleichen Schalenklappen enthalten die wichtige Gattung Ostrea (Auster, s. d.), die ausgestorbenen Exogyra (s. Tafel „Kreideformation“) und Gryphaea (s. Tafel „Juraformation I“). Ihnen nahe verwandt sind die Pectinidae (Pilger- oder Kammmuscheln, s. d.) mit vielen Augen am Mantelrand. Zu den Aviculidae oder Perlmuttermuscheln mit zwei Schließmuskeln gehören Meleagrina, die echte Perlmuschel (s. d.), und viele andre, auch fossile Gattungen (Avicula und Posidonomyia, s. Tafel „Triasformation I“; Inoceramus, s. Tafel „Kreideformation“). Von den Mytilidae oder Miesmuscheln sind die bekanntesten Mytilus (Miesmuschel, s. d.), Pinna (Steckmuschel[WS 1], s. d.), Lithodomus (Steindattel, s. d.) und Dreissena (Wandermuschel, s. d.). Die Arcadae oder Archemuscheln enthalten die noch lebende Gattung Arca (Arche, s. Tafel „Dyasformation“) und die ausgestorbene Cardiola (s. Tafel „Silurformation“). Zu den Trigoniadae gehört Trigonia (s. Tafel „Kreideformation“). Unter den Unionidae oder Najades, den Flußmuscheln, zeichnen sich Anodonta (Teichmuschel, s. d.), Unio (Malermuschel) und Margaritana (Flußperlmuschel) besonders aus. Alle bisher genannten Gruppen entbehren der Siphons, während die folgenden sie zum Teil in ansehnlicher Länge besitzen. Zu den Chamidae gehört die fossile Gattung Diceras (s. Tafel „Juraformation I“); nahe verwandt sind die Tridacnidae oder Riesenmuscheln (s. d.), während die ebenfalls hierher gerechnete Familie der Hippuritidae oder Rudistae gänzlich ausgestorben ist (Gattungen Caprina und Hippurites, s. Tafel „Kreideformation“). Unter den Herzmuscheln (s. d.) oder Cardiadae sind die eßbare Gattung Cardium und die fossile Conocardium (s. Tafel „Steinkohlenformation I“) bemerkenswert. Ferner sind noch von den Cyprinidae die Gattungen Astarte (s. Tafel „Juraformation I“), Crassatella (s. Tafel „Tertiärformation I“) und Cardita (s. Tafel „Triasformation“) zu nennen. Bewohner des Süßwassers sind die Cycladidae. Die Myacidae oder Klaffmuscheln haben ihren Namen von dem Umstand, daß die Schalen an beiden Enden offen stehen; sie graben sich so tief in Schlamm und Sand ein, daß nur die langen Siphons herausragen. Zu ihnen gehören Solen (Messerscheide, s. d.), Mya, Panopaea etc. Als die am weitesten, allerdings nur sehr einseitig entwickelten M. können die Tubicolidae und Pholadidae betrachtet werden, die sich zum Teil in Holz und Stein tief einbohren (s. Bohrmuscheln) und auf den ersten Blick kaum noch für M. gehalten werden. Vgl. Cuvier, L’histoire et l’anatomie des Mollusques (Par. 1817); Keber, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Weichtiere (Königsb. 1851); Adams, The genera of the recent Mollusca (Lond. 1853–58); Hanley, Catalogue of recent bivalve shells (das. 1856).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 641643
korrigiert
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[641] Muscheln. Über die Augen und das Sehen der M. hat Rawitz in einer vergleichenden Arbeit über den Mantelrand der Akephalen bemerkenswerte Aufschlüsse gegeben. Der aus der Schalenspalte hervorblickende Mantelrand stellt bei diesen kopflosen und von ihrer Schale dicht umschlossenen Tieren denjenigen Körperteil vor, der den Verkehr mit der Außenwelt vermittelt, und auf ihm sitzen daher auch die Augen, mitunter in großer Zahl auf seiner gesamten Ausdehnung. Das Merkwürdige ist nur die große Verschiedenheit der Organisation dieser Augen. Bei vielen M., z. B. auch bei der in Venedig und Triest als Nahrungsmittel auf die Märkte kommenden Noahs Arche (Arca Noae), finden sich einfache grubenförmige Einsenkungen, in deren Zellen sich Pigment einlagert, welches einen lichtbrechenden runden Körper einschließt. Rawitz und auch Carrière in seiner Arbeit über Molluskenaugen (1890) bezweifeln, daß man diese Bildung bereits für ein Auge erklären könne, zumal auch ein zu diesen Gebilden führender Nerv nicht gefunden werden konnte. Indessen finden sich ähnliche nervenlose Augenflecke, die wohl nur hell und dunkel unterscheiden mögen, auch noch bei andern niedern Tieren und sind dort gewöhnlich als Augen gedeutet worden.

Bei andern Archen-Arten, z. B. der Archen-Kammmuschel (Pectunculus) u. a., finden sich dagegen zusammengesetzte Augen von dem Bau der Insektenaugen, nur viel einfacher. Bei der Milcharche (Arca lactea) zählte Rawitz deren 200–300, als dem bloßen Auge unsichtbare schwarze Pünktchen, während sie bei Pectunculus die Größe einer Stecknadelspitze erreichen, so daß sie eben noch erkennbar sind. Sie erheben sich als halbkugelförmige Körperchen aus [642] dem Mantelrand, sind mit einer durchsichtigen Hautschicht bedeckt und setzen sich aus einer größern Anzahl von stark lichtbrechenden, in Pigment gebetteten Kristallkegeln zusammen, von denen jeder wie beim zusammengesetzten Insektenauge ein Einzelauge (Ommatidium) vorstellt, mit dem Unterschiede, daß jedes Ommatidium der M. nur aus einer einzelnen Zelle besteht, im Gegensatze zu den sehr kompliziert gebauten und meist in viel größerer Zahl zusammengedrängten Ommatidien in den Facettenaugen der Insekten. Auch bei diesen zusammengesetzten Augen der M. treten Fasern des Sehnervs zu den einzelnen Ommatidien, aber aus dem einfachen Bau ist auf keine hohe Leistungsfähigkeit zu schließen; jedenfalls reicht sie nicht an diejenige der Insektenaugen heran. Durch Versuche konnte nur so viel festgestellt werden, daß diese M. (die Arcaceen) hell und dunkel gut zu unterscheiden vermögen. Die große Anzahl ihrer Augen dürfte dadurch zu erklären sein, daß sie an Felsen festsitzen und sich nicht beliebig drehen und wenden können; auf der gesamten Oberfläche des Mantelrandes verteilt, gestatten sie dem Tiere, wie ein hundertäugiger Argus nach allen Seiten gleichzeitig auszuschauen und beim Herannahen einer Gefahr rasch die Schalen zu schließen.

Allein mit diesen zusammengesetzten Augen ist die Höhe der Organisation, welche dieser Sinn am Mantelrand erreichen kann, nicht erschöpft. Noch weit vollkommenere Augen, welche trotz ihrer großen Zahl an die Bildung der Wirbeltieraugen wenigstens von fern erinnern, fand Rawitz bei der Kammmuschel (Pecten). Auf breiten Stielen sitzen hier bis gegen 100 knopfförmige Augen am Mantelrande. Sie besitzen eine große, auf der durchsichtigen vordern Zellhaut mit der Basis aufsitzende stumpf kegelförmige Linse, am Grunde der Augenkapsel eine Netzhaut, welche aus den Sehzellen mit nach hinten gerichtetem Stäbchen besteht und dahinter noch, wie so viele Wirbeltieraugen, eine Glanzschicht (Tapetum), durch welche der metallische Glanz der Kammmuschelaugen hervorgerufen wird. Höchst auffallend und unverständlich sind die Innervierungsverhältnisse dieser Augen, sofern der hinzutretende Nerv sich in zwei Äste spaltet, von denen nur einer direkt an die Hinterfläche des Auges und von da durch die Ganglienzellen direkt zu den Sehzellen tritt, während der andre Ast von der Seite her zwischen Linse und Netzhaut in das Auge mündet. Die Abwendung der Stäbchen vom Lichte nach der hintern Augenfläche entfernt diese Augen von denen der Schnecken und Kopffüßer, bei welchen die Stäbchen umgekehrt gerichtet sind, und nähert sie der Bildung des Wirbeltierauges. Der Grund, warum Organe von so bedeutsamer Ausbildung dennoch in großer Zahl vorhanden sein müssen, erklärt sich nach Rawitz vielleicht aus ihrer Wirkungsweise. Nach angestellten Versuchen schienen diese Augen nämlich wegen der Kleinheit ihres zentralen Gesichtsfeldes kleinere, ruhende Gegenstände, auch wenn sie dicht herangebracht wurden, kaum wahrzunehmen, während größere Gegenstände schon in weiterer Entfernung gesehen wurden. Der Beobachter erklärt sich dies dadurch, daß wahrscheinlich mehrere Augen zusammenwirken müssen, um das Bild eines Gegenstandes zu entwerfen. Um bemerkt zu werden, muß ein Gegenstand größer sein als ein Auge, oder er muß in schneller Folge mehrere Augen decken. Es würde also durch Zusammensetzung der Bilder vieler Einzelaugen ein musivisches Sehen wie in dem einzelnen Facettenauge der Insekten erreicht werden.

Über die Entwickelungsgeschichte unsrer häufigsten Süßwassermuscheln (Unioniden), zu denen die gewöhnliche Malermuschel, die Teichmuschel und die Flußperlmuschel gehören, hat Schierholz in den Schriften der Wiener Akademie eine wertvolle, die vielen Rätsel dieser seit den Tagen Leeuwenhoeks viel beobachteten Entwickelungsgeschichte aufklärende Arbeit veröffentlicht. Zunächst mag hier bemerkt werden, daß Neumayr in einer seiner letzten Arbeiten (1889) den sehr wahrscheinlichen Anschluß der Unioniden an die Dreiecksmuscheln (Trigonien) des Meeres betont hat, mit denen sie in der Beschaffenheit des Schlosses, in der starken Entwickelung der Perlmutterschicht und in andern Eigenschaften übereinstimmen, so daß wir als Ahnen der Unioniden ins Süßwasser übergesiedelte Trigonien anzusehen hätten. Es entspricht der heute herrschenden Ansicht, die Süßwassertiere (Schwämme, Quallen, M., Fische etc.) von Meerestieren herzuleiten, aber bei der Übersiedelung der Trigonien scheint die Anpassung an das Süßwasserleben nicht so leicht geschehen zu sein, wie bei andern Süßwassermuscheln, z. B. den Cykladen, denn die jungen Unioniden vermochten sich nur durch eine länger ausgedehnte Brutpflege und nachheriges Schmarotzertum bei Fischen zu erhalten, und dadurch sind ihre frühesten Entwickelungsstufen sehr verändert und fast unkenntlich gemacht worden. Die Eier gelangen nämlich in den Raum zwischen den beiden Blättern der äußern Kiemen, werden dort befruchtet und entwickeln sich mit Überspringung des bei andern M. so charakteristischen Kreiselstadiums (der Trochophoraform) der frei schwimmenden Larven bald zu kleinen zweischaligen Muscheltierchen, die, von der Eihaut umschlossen, manchmal zu mehreren Hunderttausenden in den äußern Kiemen eines Tieres gefunden werden und früher für einen Schmarotzer (Glochidium parasiticum) desselben gehalten wurden. Diese Glochidiumlarve, wie man sie nun unter Beibehaltung des ihr mißverständlich beigelegten Namens nennt, gleicht einer sehr kleinen und einfach gebauten zweischaligen Muschel ohne Fuß und Kiemen, besitzt dagegen besondere Organe, die der erwachsenen Muschel fehlen, nämlich scharfzähnige Schalenhaken an den Rändern, einen aus der geschlossenen Schale herausragenden und von der Tiefe des Schließmuskels aufsteigenden „Larvenfaden“ und mehrere auf den beiden Innenflächen aufsitzende Haarwärzchen, die als Sinnesorgane zu betrachten sind. Diese Glochidiumlarve entwickelt sich noch innerhalb der Eischale aus der Kreisellarve, die dort ihre bei andern Muschelarten im Freien vollbrachten Tänze ausgeführt hat, und tritt erst nach dem Ausstoßen der jungen Tiere aus den Kiemen der Mutter durch Zerplatzen der Eihäute frei hervor.

Nunmehr tritt die Larvenentwickelung in ein zweites, erst von Schierholz genau beobachtetes Stadium, bei welchem die Larven als Fischschmarotzer ihr Dasein fristen, und wobei dann die gedachten Organe in Thätigkeit treten. Vermittelst der sich verschlingenden Fädchen der ausgestoßenen und ausgeschlüpften Glochidien bilden sich kleine, leichter aufzuwirbelnde und an Wasserpflanzen haftende Bündel, die sich am Körper vorüberstreichender Fische festheften. Wenn die Larven im weit aufgeklappten Zustande von dem Fischkörper gestreift werden, mögen die erwähnten Sinneshaare der innern Wärzchen durch den empfangenen Reiz die Auslösung der Schließmuskelkraft bewirken, durch die sich die Schalen plötzlich schließen und die erwähnten Schalenhaken in die [643] Fischhaut, Flossen oder Kiemen einschlagen, um sich so an dem Fische zu befestigen. Die Zahl der schmarotzenden Muschellarven, die sich an einem Fische festsetzt, kann unter Umständen sehr groß werden; Schierholz beobachtete einen 13 cm langen Barsch, der allmählich 2400 Anodontenlarven aufnahm. Dabei besteht ein gewisser Unterschied zwischen den Larven der Teichmuscheln (Anodonta) und der Flußmuscheln (Unioniden) darin, daß sich die Unio-Larven infolge ihrer weniger scharfen Hakenbewaffnung nur an den Kiemen, die Anodonta-Larven noch außerdem an den Flossen und auf der Haut befestigen. Am häufigsten trifft man solche mit Glochidien besetzten Fische Ende März und April, nachdem das Laichen der M. im März stattgefunden hat. Aus der Epidermis des Fisches wächst eine neue Eihülle um den Schmarotzer, in welcher das Tier in 4–5 Wochen seine weitere Entwickelung vollendet. Dieselbe beginnt mit der Rückbildung des nun überflüssig gewordenen Larvenfadens und der Sinnespapillen; es bilden sich Fuß und Kiemen aus, endlich lösen sich auch die Schalenhaken ab, die Tiere verlassen ihre Wirte und beginnen als anfangs sich lebhaft bewegende M. ihr freies Dasein, und man sieht dem kleinen Tiere nicht mehr an, welch wechselvolles, aber träges Dasein es bis dahin geführt hat.

Eine weiter dem Schmarotzerleben angepaßte Muschel hat Völtzkow im Darm einer an der Nordküste von Sansibar entwickelten Seewalze (Synapta-Art) entdeckt und als Seitenstück der durch ihre abenteuerliche Deutung berühmt gewordenen Holothurienschnecke (Entoconcha mirabilis) Johannes Müllers Entovalva mirabilis getauft. Ihre Umwandlung ist aber bei weitem nicht so weit vorgeschritten wie bei der Wunderschnecke. Sie hat ihre zweiklappige Schale behalten, doch kann dieselbe nicht mehr geschlossen werden, sondern klafft weit auseinander; der Mantel wächst weit über sie hinweg und umschließt sie zuletzt vollständig. Eine mächtige Entwickelung gewinnt der Fuß der Muschel, welcher als ein Keil von der Größe des gesamten übrigen Tieres zwischen den Schalenklappen und sie bedeckenden Mantelhälften hervorragt und mittels einer saugnapfähnlichen Bildung zum Festhaften an der Magenwand wie auch an festen Körpern dient, wenn man die Muschel aus dem Körper des Wirtes herausnimmt; sie bewegt sich dann lebhaft ruckweise vorwärts. Am hintern Ende des Tieres vereinigen sich die beiden über die aufgeschlagenen Klappen hinauswachsenden Mantelhälften zu einem glockenförmigen Brutraum für die Jungen des hermaphroditischen Tieres, aus welchem sie als Kreisellarven hervortreten, dann wahrscheinlich entleert werden und für einige Zeit ein freies Leben im Meere führen, bevor sie wieder in die Holothurie einwandern. Aus der nicht sehr weit vorgeschrittenen Anpassung läßt sich schließen, daß die Einwanderung erst in einem spätern Stadium stattfindet; zufällig ins Freie gelangte erwachsene Wundermuscheln wußten trotz des Widerstrebens der Holothurie bald wieder durch den Mund in den Magen zu gelangen, nachdem sie kurze Zeit auf dem äußern Körper umherkrochen. Mit dieser Muschel fand Völtzkow öfters zugleich eine Schmarotzerschnecke in der Holothurie (s. Schnecken, Bd. 19), so daß der kleine Kreis schmarotzender Weichtiere gleich um ein paar Arten vermehrt worden ist.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Stockmuschel