MKL1888:Silurische Formation
[978] Silurische Formation (hierzu Tafel „Silurische Formation“), älteste Schichtenfolge der Petrefakten führenden Gesteine, die Zurechnung der unter dem Namen der kambrischen Formation (s. d.) auch wohl als selbständig ausgeschiedenen untersten Abteilung vorausgesetzt. Überlagert wird das Silur durch die jüngere devonische Formation (s. d.). Die Gesteine der Silurformation sind: Sandsteine, Konglomerate, Grauwacken, Thonschiefer (Alaunschiefer), welche, wie die sie begleitenden Kalke, Dolomite und Mergel, samt den gelegentlich auftretenden Kieselschiefern, auch in ihrer petrographischen Beschaffenheit den sedimentären Charakter deutlich an sich tragen. Eng verknüpft mit ihnen treten aber in einigen Gegenden (Schottland, Norwegen) auch Gesteine auf (und zwar zum Teil selbst versteinerungsführend), welche sich petrographisch von den Gneisen, Glimmer- und Hornblendeschiefern der azoischen Formationen in nichts unterscheiden und doch ihren Lagerungsverhältnissen nach der silurischen Formation zugezählt werden müssen: ein noch zu lösendes Problem der Petrogenese. Als untergeordnete Gesteine der Silurformation finden sich Anthracite und, teils erbohrt, teils durch das Auftreten von starken Solen wahrscheinlich gemacht, Steinsalzlager.
Die Verbreitung der Silurformation ist zunächst in Großbritannien eine bedeutende. Der Teil von Wales, den die alten Silurer bewohnten, hat ihr den Namen gegeben; außerdem tritt sie in Cornwall, Irland und Schottland auf. Auf dem europäischen Kontinent ist sie in Portugal, Spanien und Frankreich (Bretagne) entwickelt. Deutschland besitzt im Harz, im Frankenwald, im Fichtelgebirge und in den Sudeten silurische Gesteine an der Oberfläche anstehend. In den Alpen zieht sich ein schmaler Zug silurischer Schichten westöstlich, bei Schwaz in Tirol beginnend, bis in die Gegend von Wiener-Neustadt und findet, durch Tertiärbildungen oberflächlich unterbrochen, seine Fortsetzung nördlich von Preßburg, während im Murthal bei Murau und Graz isolierte Partien den azoischen Gesteinen aufgelagert sind. Ein reichgegliedertes Silurbecken besitzt Böhmen zwischen Pilsen und Prag und über beide Orte nach SW. und NO. noch hinweggreifend. Über sehr bedeutende Horizontalstrecken verbreitet treten silurische Gesteine in Rußland auf, südlich vom Finnischen Meerbusen, im W. bis auf die Inseln Dagö und Ösel sich erstreckend im Anschluß an die schwedischen Vorkommnisse auf Gotland und Öland, im O. bis zu den Ufern des Ladogasees. Die Gesteine dieser russischen Ablagerung zeigen einen bei so alten Materialien auffallenden Zustand der Unreife: anstatt der Sandsteine sind Sande, an der Stelle der Thonschiefer plastische Thone entwickelt, welche man nach ihrer petrographischen Beschaffenheit für viel jünger halten würde, wenn nicht die organischen Reste ganz zweifellos auf ein silurisches Alter hinwiesen. Außerdem tritt in Rußland die Silurformation als ein schmaler Streifen auf, der die azoischen Gesteine des Urals nach O. und W. garniert. Skandinavien besitzt silurische Territorien bei Christiania und am Mjösensee in Norwegen sowie im südlichen Schweden. Ganz besonders mächtig aber und weitverbreitet sind die Silurschichten jenseit des Ozeans, in Nordamerika.
Die nähere Gliederung der Silurformation trägt insofern einen lokalen Charakter an sich, als die in dem einen Land aufgestellte Schichtenfolge sich niemals weit verfolgen oder Schicht für Schicht mit der Entwickelung in einem andern Land parallelisieren läßt. Dagegen gelingt wenigstens ganz allgemein die Durchführung einer Teilung in eine obere und eine untere Abteilung des Silurs im engern Sinn des Wortes und der kambrischen (s. d.), oft als selbständig unterschiedenen Formation im Liegenden dieser beiden Abteilungen. Die Trilobitengeschlechter Paradoxides, Trinucleus und Ellipsocephalus gehören neben Lingula prima ausschließlich dem Kambrium und dem Untersilur an, wo auch die Frequenz der Graptolithen kulminiert, während Calymene Blumenbachii, Pentamerus Knightii, Hypanthocrinus decorus und Cardiola interrupta für obersilurische Schichten charakteristisch sind. Der kambrischen Formation gehören unter anderm in Thüringen die Phykodenschichten und die Saalfelder Griffelschiefer, der Fukoidensandstein Schwedens, die Obolusschichten in Rußland, die Longmyndgruppe, die Lingula Flags und die Tremadocschiefer in England an, während die amerikanischen Geologen in dieser Abteilung takonische und akadische Schichten sowie den Potsdamsandstein unterscheiden. Böhmens Silur gliedert Barrande in acht mit A bis H bezeichnete Etagen, von denen A, B und C der kambrischen Formation zuzuzählen sind, in der zuletzt genannten die sogen. Primordialfauna eingeschlossen. Zum Untersilur werden gezählt die Dachschiefer des Fichtelgebirges, die Leimbacher Schiefer in Thüringen, die Vaginatenkalke Nordeuropas, in England die Llandeilo Flags, die Caradoc- und die untere Llandoverygruppe, in Nordamerika die Quebec-, Trenton- (mit den Utikaschiefern), Hudson- und Cincinnatigruppe. Im böhmischen Silur entspricht ungefähr Barrandes Etage D mit der sogen. zweiten Fauna dem Untersilur, nur spielt sich hier eine eigentümliche Anomalie ab. In mehreren Niveaus der Etage D stellen sich nämlich Schichten ein, die, obgleich konform eingelagert, eine entschieden obersilurische Fauna enthalten. Für Barrande sind diese Schichten Kolonien, ihre Reste eingewanderte Tiere benachbarter Silurbecken, welche ihrer Fauna nach in der Entwickelung schon weiter vorgeschritten waren und durch Niveauänderungen vorübergehend mit dem großen Silurbecken Böhmens in Verbindung standen. Die Gegner der Barrandeschen Erklärung (so namentlich Lipold) nehmen Lagerungsstörungen an, ein keilartiges Einklemmen jüngerer Schichten zwischen ältere (vgl. unten unter Litteratur). Zum Obersilur zählt man außer Barrandes böhmischer Etage E in England die obere Llandoverygruppe, die Wenlock- und die Ludlowstufe, in Nordamerika die Niagaragruppe mit der Clintonuntergruppe und die Salinagruppe. Bestimmte am Harz entwickelte Schichten (die Tanner Grauwacke und die Wieder Schiefer) wurden früher ebenfalls dem Obersilur zugerechnet, sind aber neuerdings unter dem Namen Hercin als eine besondere Facies des Unterdevons gedeutet worden, welcher auch die Tentakulitenschichten Thüringens und die böhmischen Etagen F bis H mit der sogen. dritten Fauna beizuzählen sein würden.
Flora und Fauna der silurischen Formation sind fast ausschließlich marin: einige Landpflanzen (Lepidodendron) gehören zu den seltensten Funden; die oben erwähnten Anthracitflöze sind wahrscheinlicher von Fukusbänken abzuleiten. Das tierische Leben ist ein überraschend formenreiches: zählt doch Barrande über 10,000 silurische Arten. Von niedern Tieren sind außer Schwämmen besonders einige Abteilungen der Korallen (Hydrozoa) wichtig. So bilden vor allen die Graptolithen ein vorzügliches Leitfossil, da sie einesteils auf silurische Schichten beschränkt sind und schon im Devon vollständig verschwinden,
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[1] a Graptolithus Beckii. b Graptolithus latus. (Art. Graptolithen.)
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[979] andernteils in einigen Etagen der Silurformation, namentlich in gewissen Thonschiefern (Graptolithenschiefern) und Kalken, in größter Menge gefunden werden (Graptolithus und Retiolites, s. Tafel „Silurische Formation“). Die Korallenabteilungen der Tabulata und Rugosa sind ebenfalls durch zahlreiche Gattungen und Arten vertreten; den letztern gehört die ausschließlich auf die Silurformation beschränkte Catenipora escharoides Goldf. = Halysites catenularia L. (s. Tafel) an. Mehrere silurische Schichten Norwegens, Schwedens und Rußlands sind fast nur aus Korallenresten zusammengesetzte Kalksteine. Von Stachelhäutern (Echinodermata) findet man Seesterne und Seeigel nur in einigen wenigen Formen; dagegen liefern unter den drei Ordnungen der Liliensterne die der Cystideen und die echten Krinoideen zahlreiche Arten, während die Hauptentwickelung der Blastoideen erst in jüngere Perioden der paläozoischen Formationsgruppe fällt. Unter den Cystideen nennen wir Echinosphaerites aurantium, von den echten Krinoideen (Unterabteilung der Tafellilien, Tessalata) den Hypanthocrinus decorus (s. Tafel). Bei den Weichtieren liegt der Schwerpunkt der Entwickelung während der Silurperiode im schroffen Gegensatz zur Jetztwelt in den Cephalopoden und den Brachiopoden, während unsre Meere fast nur von Muscheltieren und Schnecken bevölkert sind. Von Kopffüßern ist im Silur zwar nur die Familie der Nautileen vertreten, diese aber in sehr zahlreichen Spezies und Individuen. Barrande beschreibt über 1600 Arten, welche alle denkbaren Aufwickelungsformen darstellen (s. den ganz gestreckten Orthoceras und den widderhornartig gebogenen Lituites der Tafel). Zwei Arten der bis zur Periode der Jetztzeit erhaltenen Gattung Lingula und eine Art des auf paläozoische Gesteine beschränkten Geschlechts Pentamerus repräsentieren auf der Tafel die Brachiopoden, Cardiola die Muscheltiere, Bellerophon die Schnecken. Eine Gattung der Flossenfüßer, Tentaculites (s. Tafel), erfüllt gewisse Thonschiefer in ebensolcher Häufigkeit wie die Graptolithen (Tentakulitenschiefer). Die eigentümlichen, oft meterlangen Gebilde der Nereiten (s. Tafel) werden als Gangspuren von Ringelwürmern gedeutet. Die Krebstiere liefern in der Abteilung der Trilobiten für die ältern Formationen äußerst charakteristische Formen, welche von der Dyasformation ab für immer verschwinden. Calymene, Trinucleus, Paradoxides und Ellipsocephalus (s. Tafel) gehören ausschließlich der silurischen Formation an, in welcher der Formenreichtum der Trilobiten kulminiert, um während der Devonperiode schon entschieden abzunehmen, bis die Steinkohlenformation nur noch wenige unansehnliche Arten aufzuweisen hat. Wirbeltierreste kommen nur in der obern Abteilung der Silurformation vor und gehören Knorpelfischen an, deren Flossenstacheln und Schuppen mitunter zu einer förmlichen Knochenlage (Bonebed) aufgehäuft sind.
Eruptives Material ist an vielen Stellen eng mit silurischen Gesteinen verknüpft. Weite, mit der Schichtung vollkommen konkordante Einlagerungen namentlich von Diabasen beweisen die Gleichalterigkeit dieser Gesteine mit den silurischen Bildungen im Harz, in Böhmen, England, Norwegen und Schweden. In gleicher Weise treten anderwärts Diorite und Melaphyre (am Obern See in Amerika), Felsitporphyre und Syenitporphyre (Böhmen, Norwegen) auf, während in Gangform, also von jüngerm Alter als das durchsetzte Silurgestein, Granit, Syenit und Porphyr bekannt sind.
An technisch wichtigen Substanzen ist das Silur reich. In Lager- und Stockform kommen Eisenerze (Roteisenstein in Böhmen und New York, Magneteisen in Thüringen, Spateisenstein in den Alpen, Brauneisen in Nordamerika), Zinkerz (Nordamerika) und Bleiglanz (Nordamerika) vor. Häufig sind Alaunschieferschichten, und die oben erwähnten Anthracitflöze werden in Portugal, Schottland und Irland abgebaut. Steinsalzlager sind in Kanada bekannt, und im Staat New York sowie in Indien entspringen stark gesalzene Solen silurischen Schichten. Von Gängen im Silur seien die Harzer, im Hercyn aufsetzenden Eisen-, Kupfer- u. Silbererzgänge (St. Andreasberg), die Bleiglanzgänge am obern Mississippi und die mit Eruptivgesteinen eng verknüpften Kupfervorkommnisse am Obern See in Nordamerika erwähnt (näheres bei Geologische Formation).
Vgl. Murchison, Silurian system (Lond., 2 Bde.) und die populäre Bearbeitung dieses Werkes unter dem Titel: „Siluria“ (5. Aufl., das. 1872); Sedgwick, Synopsis of the classification of the British palaeozoic rocks (mit McCoy, das. 1855); Angelin, Palaeontologia suecica (Lund 1851–54); Kjerulf, Die Geologie des südlichen und mittlern Norwegen (deutsch von Gurlt, Bonn 1880); Murchison, Verneuil und Keyserling, Geology of Russia (Lond. 1845, 2 Bde.); Barrande, Système silurien du centre de la Bohême (Prag 1852–81); Derselbe, Défense des Colonies (das. u. Par. 1861–70); Lipold, Über Barrandes Kolonien (Wien 1863); Kayser, Fauna der ältesten Devonablagerungen des Harzes (Berl. 1879); Reusch, Die Fossilien führenden Schiefer von Bergen in Norwegen (deutsch von Baldauf, Leipz. 1883).
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Die Nummerierung der Figuren ist in der Vorlage nicht vorhanden und wurde zur Orientierung eingefügt.