MKL1888:Würmer

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 16 (1890), Seite 768770
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Würmer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 768–770. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:W%C3%BCrmer (Version vom 04.04.2024)

[768] Würmer (Vermes, hierzu Tafel „Würmer“), eine der großen Abteilungen des Tierreichs, zu welcher man alle diejenigen Tiere rechnet, welche keinem der übrigen Stämme, also den Wirbel-, Glieder-, Weichtieren, Echinodermen, Cölenteraten und Protozoen, angehören, wohl aber zu den vier erstgenannten hinüberleiten. Darum gibt es keine vielgestaltigere Gesellschaft als die der W., und zugleich wird oft eine ganze Gruppe von einer einzigen Gattung repräsentiert. Die höchsten W. stehen in nahen Beziehungen zu den Arthropoden (Gliedertieren), vielleicht auch zu den Wirbeltieren; bei den niedern sucht man Anknüpfungspunkte für die Mollusken. Natürlich läßt sich eine scharfe Grenze nirgends ziehen, und darum schwankt der Umfang des Gebiets W. zur Zeit noch sehr. Im allgemeinen läßt sich indessen folgendes über die Organisation der W. sagen. Der Körper der W. ist seitlich symmetrisch, gestreckt, meist vielfach länger als breit, entweder abgeplattet oder rund, bei den niedern Formen gewöhnlich ohne Gliederung, bei den höhern segmentiert. Die Bedeutung der Segmentierung erläutern die Bandwürmer. Am Hinterende ihres als ungeschlechtliche Amme aufzufassenden Kopfes tritt eine Sprossenbildung auf; die zunächst Teile des Individuums (Segmente) bildenden Knospen werden allmählich selbständig, erhalten Geschlechtsorgane und lösen sich aus der Verbindung mit den übrigen. Bei den Ringelwürmern haben die Segmente dagegen ihre Selbständigkeit vollkommen aufgegeben; aber jedes derselben weist dadurch auf seine ursprüngliche Bedeutung als besonderes Individuum hin, daß es Abschnitte aller Organsysteme enthält, auf deren Zusammenhang die Bildung eines zusammengesetzten Individuums beruht. Eigentliche Gliedmaßen, d. h. gegliederte

[Ξ]

Würmer.
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4 5 14
11
12
[WS 1]

[1] Fischersandwurm (Arenicola piscatorum). 1/1. (Art. Fischersandwurm.)
[2] Röhrenwurm (Vermilia). 1/1. (Art. Röhrenwürmer.)
[3] Heteronereis Oerstedi. 1/1. (Art. Anneliden.)
[4] Sternwurm (Priapulus), vergr. (Art. Gephyreen.)
[5] Röhrenwurm (Hermella). 2/1. (Art. Röhrenwürmer.)
[6] Darmtrichine (Trichina spiralis). 64/1. a weiblich, b männlich. (Art. Trichine.)
[7] Weizenälchen (Tylenchus scandens), stark vergr. (Art. Aaltierchen.)
[8] Freie Trichine in der Muskelfaser.
[9] Eingekapselte Trichine in der Muskelfaser.
[10] Doppeltier (Diplozoon paradoxum), vergr. (Art. Doppeltier.)
[11] Spulwurm (Ascaris lumbricoides). Vergr. a Hinterende eines Männchens; b Vorderende von der Rückenseite; c von der Bauchseite; d Ei mit der äußern Hülle.
[12] Röhren der Hermella, nat. Gr.
[13] Leberegel (Distomum hepaticum) nebst Larve. 1/1. (Art. Leberegel.)
[14] Seeraupe (Hermione hystrix). 1/1. (Art. Seeraupe.)
[15] Vierauge (Tetrastemma obscurum). 7/1. (Art. Platoden.)

[769] Anhänge, wie die Beine der Insekten, Krebse etc., kommen nicht vor, höchstens sogen. Fußstummel. Dagegen sind Borsten aller Art, auch Saugnäpfe, vielfach vertreten. Gewöhnlich unterscheidet man deutlich Bauch und Rücken; auf ersterm bewegt sich das Tier oder heftet sich mit ihm an fremde Gegenstände an; auch befindet sich dort meist die Mundöffnung. Körperabschnitte, wie Kopf, Brust etc., kommen gleichfalls noch nicht zum Vorschein; allenfalls kann man bei den höhern Würmern die ersten Körpersegmente, welche sich durch den Besitz von Augen, Fühlern etc. auszeichnen, Kopf nennen. Die Haut ist bei den niedern Würmern meist weich und häufig in der ganzen Ausdehnung mit Flimmerepithel versehen, bei höhern dagegen oft mit einer dicken Schicht Chitin oder eines chitinähnlichen Stoffes bedeckt und alsdann derjenigen der Gliedertiere ähnlich. Unter der Epidermis liegt die Muskulatur fast immer in Gestalt eines mit der Haut innig verbundenen Rohrs, des sogen. Hautmuskelschlauches, der aus gesonderten Schichten von Längs- und Ringmuskeln besteht und so die bekannten wurmförmigen Bewegungen der W. bewirkt. In einigen Gruppen treten aber zu diesen noch Muskeln, die schräg oder die vom Bauch zum Rücken quer durch die Leibeshöhle verlaufen, während in andern Abteilungen die Hautmuskulatur nicht mehr in Form eines Schlauches angeordnet ist, sondern nur noch gewisse Räume der Haut einnimmt. Ein Nervensystem wurde nicht überall mit Sicherheit nachgewiesen; wo es vorhanden ist, findet man ein oder zwei Ganglien in der Nähe des vordern Körperpols oberhalb des Schlundes und bei den höhern Würmern außer den Oberschlundganglien noch eine Bauchganglienkette, die sich bis an das Körperende fortsetzt und seitlich Nerven abgibt. Sie besteht aus zwei Längsstämmen, welche von Ganglien zu Ganglien durch quere Nerven verbunden sind und so das Aussehen einer Strickleiter haben (Strickleiternervensystem). Als Sehwerkzeuge treten einfache, mit Nerven zusammenhängende Pigmentflecke auf, denen sich bisweilen noch lichtbrechende Körper zugesellen; einige höhere W. besitzen aber sehr komplizierte Augen. Gehörorgane, vielleicht auch Geruchsorgane, sind gleichfalls vorhanden. Als Tastorgane fungieren bei den Eingeweidewürmern die mit Nerven in Verbindung stehenden Papillen der äußern Haut; die frei lebenden W. haben häufig fadenförmige Fühler (Cirren) am Kopf und an den Segmenten. In hohem Grad verschieden bei den einzelnen Gruppen ist die Einrichtung des Verdauungsapparats. Bei manchen Eingeweidewürmern fehlt er gänzlich, und so erfolgt die Ernährung endosmotisch durch die gesamte Körperbedeckung. Wo ein Darm vorhanden ist, unterscheidet man an demselben einen muskulösen Schlund, den Magen und Enddarm. Bei den Ringelwürmern zeigt er oft Einschnürungen mit Seitentaschen und Blindschläuchen, welche vielleicht eine Art Leber vorstellen. Der Mund liegt in der Regel am vordern Körperende oder in der Nähe desselben auf der Bauchseite, der After, welcher übrigens auch bei Vorhandensein eines Darms fehlen kann, am entgegengesetzten Leibesende. Wo der Ernährungssaft endosmotisch in das Körperparenchym eintritt, fehlen Blutgefäße, während bei den höchsten Formen ein vollständig geschlossenes, mit pulsierenden Stämmen versehenes System von Gefäßen vorkommt. Das Blut zeigt zuweilen eine gelbliche oder grünliche, häufiger rötliche, in einzelnen Fällen an Blutzellen gebundene Färbung. Die Respiration wird meistens durch die gesamte äußere Körperbedeckung vermittelt; aber bei den großen im Meer lebenden Borstenwürmern gibt es fadenförmige, büschelige oder verästelte Kiemen als Anhänge der Extremitätenstummel. Besondere Exkretionsorgane finden sich überall vor, sind aber gleichfalls einander im Bau nur wenig ähnlich. Bei manchen Würmern ist man sich über die Funktion der betreffenden Gebilde noch nicht im klaren und deutet sie auch wohl als Wassergefäßsystem, während sie im allgemeinen doch für Nieren gelten dürfen. Die exkretorischen Kanäle sind einfach oder verzweigt, münden direkt nach außen und entspringen da, wo keine Leibeshöhle vorhanden ist, also bei Bandwürmern etc., blind geschlossen in dem Gewebe des Körpers oder entstehen mit einer besondern, häufig trichterförmig erweiterten Öffnung in der Leibeshöhle. Vielfach übernehmen sie auch den Transport der Geschlechtsprodukte (Eier, Samen) nach außen. Bei den gegliederten Würmern sind sie in jedem Segment paarweise vorhanden (daher Segmentalorgane) und häufig schlingenförmig aufgerollt (daher Schleifenkanäle). Die Fortpflanzung geschieht bei den niedrigen Formen sehr allgemein durch Knospung und Teilung oder durch Bildung von Keimkörpern; doch beschränkt sich diese ungeschlechtliche Vermehrung häufig auf jugendliche, durch Form und Aufenthaltsort abweichende Entwickelungszustände (sogen. Ammen). Im übrigen sind die niedern W. vielfach Zwitter, besitzen aber oft äußerst komplizierte Einrichtungen für Eibildung und Begattung, während die getrennt-geschlechtigen Gruppen sich meist durch große Einfachheit des Apparats auszeichnen. (Über die Einzelheiten s. die verschiedenen Klassen der W.) Die Entwickelung ist selten einfach. Zahlreiche W. durchlaufen eine Metamorphose, und ihre Larven sind durch ein gleichförmiges Wimperkleid oder Wimperkränze und Wimperreihen ausgezeichnet. Bei den meisten Gliederwürmern enthalten sie von dem zukünftigen Wurm nur den Kopf und das letzte Körpersegment; die übrigen Segmente sprossen in der Richtung von vorn nach hinten dazwischen hervor und strecken sich allmählich in die Länge. Bei Band- und Saugwürmern gestaltet sich die Metamorphose zu einem komplizierten Generationswechsel, für welchen oft der verschiedene Wohnort der auseinander hervorgehenden Entwickelungsstadien und der Wechsel parasitischer und frei beweglicher wandernder Zustände bezeichnend sind. Alle W. leben in feuchter Umgebung, entweder im Wasser oder in nasser Erde oder auch im Innern andrer Tiere; keiner ist ein echtes Landtier. Ganze Gruppen sind Schmarotzer in oder auf Tieren, von deren Säften sie sich nähren. Fossile W. kennt man schon aus den obersilurischen Schichten, indessen finden sie sich häufig erst im Jura. Da übrigens die niedern W. meist nicht hart genug sind, um Versteinerungen zu liefern, so ist der Mangel derselben in den ältern Gesteinen nicht weiter auffallend.

[Einteilung.] Man teilt die unzweifelhaften W. in sechs größere Gruppen: Plattwürmer, Rundwürmer, Kratzer, Rädertiere, Sternwürmer und Ringelwürmer. Von vielen Zoologen werden neuerdings auch noch die Bryozoen (Moostierchen), Tunikaten (Manteltiere) und Brachiopoden (Armfüßer), die man früher allgemein zu den Mollusken stellte, hinzugerechnet. Nun gehören diese Klassen gewiß nicht zu den Mollusken; da sie aber auch mit den Würmern in keinem sonderlich engen Zusammenhang stehen und, falls man sie zu ihnen gesellt, die Charaktere der W. nur noch schwankender machen würden, so ist im Vorstehenden keine Rücksicht auf sie genommen [770] worden, vielmehr wird jede Abteilung für sich besprochen. Wegen der Platoden (Plattwürmer), Nematoden (Rundwürmer), Akanthokephalen (Kratzer), Gephyreen (Sternwürmer), Rädertiere und Anneliden (Ringelwürmer) s. die betreffenden Artikel und vgl. auch die Tafel „Würmer“. Besondere, mit den eben genannten Gruppen nicht ohne Zwang vereinbare kleinere Familien, die oft nur aus einer einzigen Gattung bestehen, sind die Pfeilwürmer (Oesthelminthes) oder Sagitten (Sagitta Slab.), die Chätosomiden, die Myzostomiden (Myzostoma Leuck.), die Enteropneusten (Balanoglossus Delle Chiaje) u. a. Die Onychophoren oder Peripatiden (Peripatus Guild.) gehören nach den neuesten Untersuchungen nicht mehr zu den Würmern, sondern zu den Gliederfüßlern. Der im Meeressand lebende Balanoglossus ist dadurch interessant, daß er mit dem zu einer korbartigen Kieme umgestalteten vordern Teil des Darms ähnlich den Tunikaten (s. d.) atmet und auch sonst manche Abweichung von dem gewöhnlichen Bau der W. zeigt. Die Litteratur s. bei den einzelnen Gruppen.


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 994996
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[994] Würmer. Das Gesetz der allmählichen Übergänge findet nirgends eine reichere Beispielsammlung als unter den Würmern, die man schon längst wie eine Art von Zwischenreich, welches alle andern Tierklassen verbindet, oder aus dem alle höhern Tiere hervorgegangen sind, zu betrachten sich gewöhnen mußte. Es finden sich Beziehungen engster Art zu den niedrigsten Tieren wie auch zu den Echinodermen, Weichtieren, Gliedertieren und Wirbeltieren. In dem Würmerreich selbst erhebt sich der Organismus von einer völlig ungegliederten, frei lebenden Magenröhre, einem einfachen Freßsack, zu den höchst gegliederten Formen der höhern Ringelwürmer, die den Gliedertieren so nahe stehen, daß manche Zoologen sie unter dieselben einreihen wollten, während die Sackwürmer zu dem ehrenvollen Rufe gelangt sind, den Ahnen der Wirbeltiere nahezustehen. Unter den den innern Zusammenschluß vermittelnden Gruppen hat in neuerer Zeit diejenige der sogen. Urringelwürmer (Archannelidae) Aufmerksamkeit erregt, eine Gruppe von Würmern, die äußerlich durch den Mangel aller Gliederung des Körpers in Ringe, der Stummelbeine und Borsten sowie häufig auch der gesonderten Ganglien des Bauchmarks ganz von den eigentlichen Ringelwürmern verschieden erscheinen. Darum hatte Oskar Schmidt auch einen kleinen, vor bald 50 Jahren von ihm an den Küsten der Färöerinseln entdeckten, später auch bei Ostende und im Mittelmeer gefundenen, gesellig unter Steinen lebenden, orange bis ziegelroten Wurm (Dinophilus vorticoïdes) in die Nähe der Strudelwürmer gestellt, bis die Auffindung von fünf Paar getrennten Nierenkanälen (Nephridien) durch E. Meyer ergab, daß es sich hier um Vorbildungen echter Ringelwürmer wie bei den Riesenregenwürmern (vgl. Bd. 17, S. 700) handelt. Und zwar zeigte sich in der Verknüpfung mit andern Organsystemen noch obendrein eine große Ähnlichkeit des Verhaltens mit demjenigen bei Peripatus (Bd. 17, S. 650), den man als der Urform der Gliedertiere nahestehend betrachtet. [995] Es deutet sich dadurch an, daß die Archanneliden, zu denen man noch die Gattungen Polygordius, Protodrilus und Histiodrilus rechnet, nicht nur als Ausgangsgruppe der Oligochäten, Polychäten und allenfalls der Gephyreen zu betrachten sind, sondern auch den Ahnen der Gliedertiere nahe treten.

Eine am andern Ende des Wurmreichs stehende Gattung, der Eichelwurm (Balanoglossus), hatte die wunderbarsten Schicksale in Bezug auf ihr Umherirren im System erfahren. Sie geht aus einer rädertierartigen Larve (Tornaria) hervor und besitzt in ausgewachsenem Zustand einen Kiemenkorb, ähnlich demjenigen der Tunikaten und niedersten Wirbeltiere (Amphioxus u. Neunaugenlarve), und wurde deshalb von Gegenbaur zum Vertreter einer eignen, zwischen Rädertieren und Tunikaten stehenden Würmerklasse (Enteropneusta) erhoben, worauf sie Huxley mit den Tunikaten zur Gruppe der Pharyngopneusta verband. Diese hohe Stellung blieb allerdings nicht unangefochten, denn A. Agassiz betrachtete sie als zwischen Nemertinen und Röhrenwürmern stehend, und Metschnikow wollte sie gar wegen der Ähnlichkeit der Larvenform mit den Echinodermen zum Typus der Ambulacraria vereinen. Nunmehr hat V. M. Schimkewitsch in einer von der Petersburger Zoologischen Gesellschaft veröffentlichten Arbeit die Ansichten von Gegenbaur und Häckel bestätigt und die Gruppe als Mittelglied zwischen Würmern und Chordaten proklamiert. Bisher kannte man von dieser interessanten Gattung nur einige kleine, im Mittelmeer und an der nordamerikanischen Küste lebende Arten von 10–20 cm Länge, nunmehr hat aber Fritz Müller eine weit über meterlange Riesenform an der brasilischen Küste entdeckt. Er kannte dessen Larve seit mehr als 25 Jahren, ohne daß es ihm gelingen wollte, das erwachsene Tier, welches in halbmetertiefen mäandrischen Gängen im Meeressand lebt, aufzufinden. Es waren ihm aber am Strande bei Armaçao zur Ebbezeit große Exkrementhaufen aus gräulichweißem Sande, den menschlichen in Größe und Form ähnlich, der vielgewundene Kotstrang bis 2 cm dick, aufgefallen, und er vermutete alsbald, daß sie von einem Balanoglossus herrühren möchten. Nach vieler Mühe gelang es, das Tier zu entdecken und unversehrt den unterirdischen Gängen zu entwinden. Es hat die für ein in engen unterirdischen Gängen lebendes Tier unverständliche Eigenschaft, zu phosphoreszieren; vielleicht kommt es des Nachts hervor und läßt sein Licht draußen leuchten.

Unter den zahlreichen neuen Formen von Ringelwürmern, welche die Challenger-Expedition den Forschern gebracht hat, ist wohl die merkwürdigste die Syllis ramosa, welche von den bisher bekannten Syllis-Arten und von allen andern Anneliden dadurch abweicht, daß sie nicht wie andre Ringelwürmer (und wie es z. B. auch Syllis prolifera thut) in zwei oder mehr hintereinander belegene Sproßstücke zerfällt, die dann einen neuen Kopf oder Schwanz oder beides bilden, sondern vielmehr durch seitlich am Körper heraussprossende und mit demselben vereinigt bleibende Stücke weiter wächst. Es kommt also dadurch ein verzweigter Wurmstock zu stande, der um so mehr einem pflanzlichen Gewächs ähnlich ist, als die Syllis-Arten allgemein außer den Fußstummeln mit langen Rückencirren versehen sind und kriechenden, beblätterten Pflanzen gleichen. Im übrigen muß ein solcher Wurmstock schwer beweglich sein, und er führt wahrscheinlich im Innern von Schwämmen ein seßhaftes Leben. Aus den Seitensprossen entstehen später sich loslösende Geschlechtstiere, die frei ausschwärmen und die Art verbreiten.

Eine solche, zu einer bestimmten Zeit eintretende Vermehrungsweise durch Teilung gibt allem Anschein nach zu dem in neuerer Zeit vielfach geschilderten massenhaften Auftreten einer verwandten Polychäte der Südsee Anlaß, des Palolowurmes (Lysidice viridis), der an ganz bestimmten Novembertagen an den Küsten der Samoa- und Fidschi-Inseln erscheint und von den Eingebornen als ein besonderer Leckerbissen betrachtet wird. Es ist ein ca. 25 cm langer und 1–2 cm dicker Borstenwurm, der dadurch ausgezeichnet ist, daß er nur drei Fühler besitzt, nämlich einen unpaaren Stirnfühler und zwei Seitenfühler, während die verwandten Eunice- und Diopatra-Arten mehr Fühler besitzen. Die Männchen sind weiß bis ockergelb, die Weibchen indigblau bis grün. Das Merkwürdigste an ihnen ist das plötzliche Erscheinen des sonst in den Korallenriffen lebenden Tieres an der Oberfläche des Meeres, welches von den Eingebornen nach astronomischen Kennzeichen berechnet wird. Es tritt mit dem Beginn des letzten Mondviertels im November ein und zwar kurz vor Sonnenaufgang, am ersten und dritten Tage nur spärlich, am zweiten aber nach Milliarden. Einen Monat früher, ebenfalls zur Zeit des letzten Mondviertels, erscheinen auch Palolos, aber nur in geringerer Menge. Churchward hat in seinem Buche „My consulate in Samoa“ (Lond. 1888) den einem Volksfest gleichenden Hauptfang in der bevorzugten Nacht mit lebhaften Farben beschrieben. Von allen Inseln des Archipels kommen dann Männer und Frauen in ihren Kanoes schon am Abend an den bevorzugten Stellen zusammen, und es entwickelt sich ein Treiben wie bei einem südlichen Nachtfest. Endlich gegen Anbruch der Morgendämmerung wird es still, und alles blickt in höchster Spannung auf den vom niedrigen Wasser bespülten, spaltenreichen Saum des Gestades. Plötzlich steigen wie auf ein gegebenes Zeichen die langen, in den verschiedensten Farben schillernden W. aus allen Rissen und Löchern ringsumher an die Oberfläche, und bald ist der ganze Strand mit einer dicken, wimmelnden Schicht des Gewürms bedeckt. Laut jauchzend und sich einander durch Zuruf ermunternd, greift alt und jung in das Gewimmel hinein, hascht, was sich haschen läßt und füllt die bereit gehaltenen Töpfe. In der That haben sie auch keine Zeit zu verlieren, denn sobald die Sonne ihre ersten Strahlen über das Meer schickt, stürzen die Tiere, wie von einer dämonischen Macht herabgezogen, wieder in ihre Löcher und Spalten zurück, und binnen wenigen Minuten sind sie verschwunden. Die Eingebornen aber rudern, wenn der Fang ergiebig war, in rosigster Stimmung zu ihren Angehörigen zurück. In allen Dörfern werden Feste und Schmäuse veranstaltet; halten doch die Kanaken den Palolowurm für eine der größten Delikatessen ihrer durch allerlei Meertiere reichbesetzten Tafel. Sie verzehren die W. meist roh, und sie haben einen scharfen, seefischartigen Geschmack und werden, da die Körper der Weibchen voller Eier sind, einem Wurmkaviar verglichen. Die dort anwesenden Europäer versuchen das vielgerühmte Gericht dann wohl gekocht, wo es wie grüner Spinat aussieht.

Über die Ursache des auf so kurze und bestimmte Zeit beschränkten massenhaften Auftriebs sind verschiedene Meinungen ausgesprochen worden; zusammengehalten mit dem Eierreichtum der Weibchen klingt es nicht unwahrscheinlich, daß sie zum Zweck [996] der Befruchtung in die Höhe kommen. Es wird aber von andrer Seite auf das bestimmteste versichert, daß der weitaus größte Teil der Individuen, die bei dem Auftrieb an der Oberfläche des Meeres angetroffen wurden, aus kopflosen Hinterleibsabschnitten bestand. Es kann danach mit einiger Wahrscheinlichkeit vermutet werden, daß sich wie bei vielen verwandten Borstenfüßern auch hier, und zwar zu einer bestimmten Zeit, der mit den Eiern erfüllte hintere Körperabschnitt von dem vordern nachsprossenden, eierlosen ablöst und, obwohl kopflos, munter schwimmend, die Art verbreitet, während die Kopfstücke wieder in ihre Spalten zurückgehen und dort regenerieren. Es wird versichert, daß mitunter (durch Verspätung der Entwickelung?) die W. ausbleiben, aber dann genau 4 Wochen später bei demselben Mondstand erscheinen.

Über die Eingeweidewürmer, bei denen eine ähnliche Ablösung der hintern, mit Eiern gefüllten Glieder eine sehr häufige Erscheinung ist, werden beständig die eigentümlichsten Entwickelungsformen, Wanderungen und Wirtswechsel neu entdeckt, aber eine der merkwürdigsten Lebensgeschichten wird wohl diejenige des Leucochloridium paradoxum bleiben, die durch eine 1889 erschienene Arbeit von Heckert völlig aufgehellt wurde. Schon seit langem war es bekannt, daß die Fühler einer auf feuchten Gebüschwiesen nicht selten vorkommenden Bernsteinschnecke (Succinea amphibia) oft einen merkwürdigen Gast beherbergen. Statt im normalen Zustand schlank und ruhig vorgestreckt zu werden, erscheinen sie dann dick keulenförmig aufgetrieben und nur ein durchscheinendes Futteral zu bilden für einen lebhaft grün und weiß gebänderten, vorn braun marmorierten Schlauch, der wie eine lebendige Insektenlarve beständig ruckweise vor- und rückwärts drängt und dabei seine Farbenringe abwechselnd zusammenschiebt und erweitert. Schon ältere Beobachter hatten vermutet, daß es dabei auf eine Täuschung insektenfressender Vögel, namentlich von Singvögeln, abgesehen sei, und Zeller machte in neuerer Zeit den Versuch, Singvögeln die mit Leucochloridien behafteten Schnecken anzubieten. Und wirklich schnappten Rotkehlchen, Schwarzköpfchen und andre Grasmücken begierig nach den bunten, beweglichen Würmern, rissen sie mit einem Zuge aus dem Schneckenfühler heraus und verzehrten sie mit Behagen, ja sie thaten ihre Vorliebe für diese zarten W. dadurch kund, daß sie dieselben zwischen Mehlwürmern und ähnlichen Leckerbissen zuerst hervorsuchten. Schon Siebold hatte erkannt, daß die Schläuche junge Distomenlarven, d. h. den Leberegeln unsrer Haustiere verwandte Schmarotzer, enthalten. Als nun Zeller die von ihm infizierten Singvögel nach etwa einer Woche tötete, fand er dieselben und zwar namentlich junge Nistvögel mit einem schon länger bekannten Saugwurm, dem Distomum macrostomum, behaftet, der in der Kloake derselben lebt. Ohne Zweifel gelangen dann die Eier desselben mit den Exkrementen der Vögel ins Freie, doch war die weitere Entwickelung bisher unbekannt. Bei den meisten andern Distomeen sind sowohl der aus den Eiern ausschlüpfende Embryo als auch die aus den Sporenschläuchen austretenden Cerkarien mit Schwimmapparaten (Wimpern oder Schwimmschwänzen) versehene Larven, die nach dem Freiwerden im Wasser leben und von da in die Körper der Zwischenwirte (meist Schnecken) gelangen, die dann von Vögeln, Schafen, Rindern etc. gefressen werden, in deren Eingeweiden, namentlich in den Lebern, die Tiere geschlechtsreif werden und wieder Eier produzieren. Bei der neu untersuchten Art war aber die Entwickelung in vieler Beziehung sehr verschieden. Die Eier entwickelten sich im Wasser nicht, und erst als Heckert sie auf Salatblätter verteilte und den Schnecken vorsetzte, wurden sie verzehrt und die leeren Eierhülsen ausgeschieden. Aber im Darme der bald danach getöteten Schnecken wurden die Embryos nicht mehr vorgefunden; sie entwickeln sich beispiellos schnell (in 10–15 Minuten nach der Aufnahme) zu kleinen, infusorienartigen Wesen, die sich mittels eines spitzen vordern und hintern Körperanhanges alsbald durch die Darmwandung bohren und in den Nachbarorganen, zumeist in der Leber, ansiedeln. Hier schwellen sie erst wie die andern Saugwürmer zu einem Keimschlauch an, der aber nur bis zum Ende der zweiten Woche etwa die kugelige Gestalt bewahrt, sich dann vielfach verzweigt und an der Spitze dünner Äste die vorher erwähnten, bunten Maden oder Räupchen ähnlichen Sporenschläuche treibt. Ein paar derselben dringen in die Fühler, treiben dieselben mächtig auf, werden von den Vögeln herausgerissen und verzehrt, worauf die Wunden vernarben, die Fühler sich regenerieren und von neuem mit inzwischen herangewachsenen Schläuchen gefüllt werden. Dieses Spiel kann sich öfter wiederholen, denn die sogen. Amme kann 2–3mal in der Schnecke überwintern, so daß aus einem Ei eine sehr zahlreiche Brut hervorgehen kann. Es ist dies nötig, denn wie es scheint, kommen die Cerkarien nur dann fort, wenn sie von jungen Vögeln gefressen werden, so daß ein ansehnlicher Teil der Vernichtung durch ältere Vögel, die vielleicht mit einem tötenden Magensaft versehen sind, entgegengeht. Da die Cerkarienschläuche direkt von den Vögeln verzehrt werden, so haben die in ihnen enthaltenen Cerkarien nicht nötig, sich frei zu bewegen, und sind daher auch nicht wie bei andern Saugwürmern mit Schwimmschwänzen versehen, um, wenn auf andre Weise aus dem Schlauche befreit, im Wasser leben zu können. Sie werden daher wahrscheinlich auch zu Grunde gehen, wenn die Schnecke stirbt oder getötet wird, ohne in den Magen junger Sylvien oder andrer Vögel, in deren Magen sie gedeihen, zu kommen. Daher ist die Zahl infizierter Bernsteinschnecken nicht überall gleich groß, und Heckert fand in der Umgegend von Leipzig an der einen Örtlichkeit schon auf 50–70 Schnecken, an der andern erst auf 500 ein von dem Schmarotzer besetztes Exemplar. Die günstigsten Örtlichkeiten für ihre Entwickelung dürften feuchte Wiesen mit Gebüsch sein, in denen viele Grasmücken nisten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Nummerierung der Figuren ist in der Vorlage nicht vorhanden und wurde zur Orientierung eingefügt.