Martin Greif’s Gedichte
[751] Martin Greif’s Gedichte. Martin Greif gehört nicht zu den Dichtern, die dem Zeitgeschmacke huldigen; er singt wie’s ihm ums Herz ist, und gerade das kennzeichnet ja den echten Dichter, daß er einzig und allein der Stimme seines Herzens Gehör schenkt. Dadurch erlangen aber seine Lieder einen dauernden Werth, denn was er in ihnen denkt und fühlt, und wovon er uns singt, das hat auch Jedem von uns wohl bereits des Oeftern das Herz bewegt. In fast allen seinen Gedichten kommt eine gewisse Schwermuth zum Ausdruck. Schwermuth im bessern Sinne des Wortes, eine sanfte Melancholie, wie sie den gereiften Mann kennzeichnet und diesem so schön steht, auf alle Fälle aber auf den Leser nicht verstimmend wirken kann. Manche dieser kleinen Liederperlen muthen uns sogar so traulich an, wie es nur das echte Volkslied vermag, so, um nur eine Probe hier anzuführen, die für das schöne Ganze sprechen mag, das kleine Gedichtchen:
Die schöne Blumenverkäuferin.
Am Marktplatz bei der Ecke
Da hab’ ich niemals Eil’,
Da sitzt ein schönes Mägdlein
Und bietet Blumen feil.
Im Frühjahr waren’s Veilchen,
Jetzt Maienglöckchen fein,
Im Sommer werden’s Rosen,
Im Herbste Nelken sein.
So nehm’ ich jeden Morgen
Ein frisches Sträußchen mit,
Doch wenn es Winter worden –?
O weh. d’ran dacht’ ich nit!
Hoffen wir, daß der Dichter Fr. Hermann Frey, der sich unter dem
Pseudonym Martin Greif verbirgt und namentlich als Dramatiker schon
so manchen glücklichen Wurf gethan, auch als Lyriker in immer weiteren
Kreisen Boden gewinnt. Haben doch seine lyrischen Gedichte, die zuerst
1868 erschienen sind, nach der im Jahr 1883 nöthig gewordenen dritten
bereits jetzt, 1885, die vierte Auflage erlebt, und – Zahlen beweisen,
wenn irgendwo, so namentlich auf dem vielbebauten Felde der Lyrik besser
als es die ruhmredigsten Empfehlungen je im Stande wären.
Dr. Karl Siegen.