Merkwürdiger Richterspruch

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Titel: Merkwürdiger Richterspuch
Untertitel: gegeben in Pekin unter der Regierung des Kaisers Kang-Hi
aus: Wünschelruthe - Ein Zeitblatt. Nr. 19, S.72
Herausgeber: Heinrich Straube und Johann Peter von Hornthal
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Vandenhoeck und Ruprecht
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Erscheinungsort: Göttingen
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Merkwürdiger Richterspuch,
gegeben in Pekin unter der Regierung des Kaisers Kang-Hi[1]




Ein reicher Aufseher über die chinesischen Manufakturen, im Begriff eine große Reise durch das Kaiserthum zu machen, gab seinen beyden Söhnen einen Hofmeister. Beyde hatten glückliche Anlagen, und der Vater reißte um so weniger besorgt ab, als der Mann, den er ihnen ließ, ihm von Personen empfohlen war, aus die er sich verlassen zu können glaubte.

Kaum war er abgereißt, als der Hofmeister plötzlich sein Betragen änderte, und sich zum Tyrannen des Hauses aufwarf. Er fing damit an, alle ehrlichen Leute aus dem Hause zu entfernen, die seine Maasregeln beleuchten konnten; er jagte alle Diener fort, die er für ihren Herrn eingenommen glaubte.

Dieser wurde vergeblich benachrichtigt von dem was vorfiel, er glaubte es nicht, weil er nicht glauben konnte und wollte, daß ihn die Beschützer des Hofmeisters so schrecklich hätten hintergeben können.

Doch wäre alles dies zu ertragen gewesen, hätte sich der schlechte Erzieher nur einigermaßen die Entwicklung der Talente seiner Zöglinge angelegen seyn lassen; aber er erzog aus diesen Kindern ein paar grobe, herrschsüchtige, ausschweifende Menschen, die eben so falsch als grausam waren.

Nach fünf oder sechs Jahren kehrte der unglückliche Aufseher zurück, und sah nur zu sehr und zu spät die Wahrheit der an ihn eingegangen Nachrichten, eine für ihn um so grausamere Ueberzeugung, da er ein braver Mann und ein guter Vater war.

Es begnügte sich, den Mann, der ihm so viel zu leide gethan, fortzujagen - Aber wie verwunderte er sich, als er vor das Tribunal des Mandarinen gefordert wurde, wo der niederträchtige Erzieher eine Pension verlangte, die ihm versprochen seyn sollte.

„Gern wollte ich sie bezahlen, antwortete der Vater dem Richter, und gern doppelt so viel, hätte mir dieser Schändliche meine Kinder so erzogen, wie ich hoffen durfte. Hier sind sie, fuhr er fort, in dem er sie dem Richter vorführte, Geruhe sie zu examiniren.“

Nach einem Examen, das die Klage des unglücklichen Vaters nur zu sehr rechtfertigte, sprach der Mandarin folgendes Urtheil: „den Erzieher verurtheile ich zum Tode, als den Mörder seiner Zöglinge; den Vater aber zu einer Strafe von drey Pfund Goldsand, nicht weil er schlecht gewählt hat, denn jeder Mensch kann sich irren, sondern weil er die Schwäche gehabt hat, trotz aller Ermahnungen seiner Freunde, diesen Mann an seinem Platz zu lassen. Man muß den Muth haben, einen Menschen zu Grund zu richten, wenn dieser es verdient, und besonders wenn das Wohl mehrerer davon abhängt.“


  1. Kanghi war der Enkel des Tartaren, der China im Jahr 1644 eroberte. Er bestieg den Thron im Jahr 1661, und starb, 71 Jahr alt, im Jahr 1722.