Mexiko (Meyer’s Universum)
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Mexiko ist das Land der Contraste. Unabsehbare, grasreiche Ebenen und himmelhohe Gebirge, Steppen und Wälder, tiefe Moorgründe und Vulkane, menschenleere Strecken mit dichtbevölkerten Distrikten voller Städte und Dörfer, eisige Morgenluft und sengende Mittagsschwüle, die Flora der scandinavischen Alpen und des heißen Erdgürtels, nordische Fichtenwälder und Dickichte von Caktus, kupferfarbige Indianer und schwarzhäutige Söhne Afrika’s neben den weißen Kindern der Europa, die gröbste Unwissenheit neben hoher Bildung, Aberglaube und Unglaube, tiefe Armuth und colossaler Reichthum zeigen hier den Wechsel in den grellsten Farben. – Das Reisen in Mexiko ist höchst beschwerlich. Nur von Veracruz, Guadalaxara und ein paar andern größern Städten gehen auf schlechtchaussirten Wegen Diligencen nach der Hauptstadt. Im Allgemeinen aber vertreten das Roß und das Maulthier die Eilwagen und Postkutschen, und der Waarentransport fällt jenen fast ausschließlich
[64] zu. Die Maulthiertreiber, welche, wie die Cameeltreiber im Morgenlande, hier oft Caravanen (Condukten) von 1000 und mehren Thieren bilden, sind, sowie die Bauern, meist wirkliche Mexikaner, Nachkommen der Azteken, welche Cortez und seine Spanier in der Eroberungsepoche unterjochten. Neben der Sprache ihrer Väter reden Alle spanisch, und die Hauptzüge ihres Charakters sind noch die nämlichen, wie sie ihre Unterjocher vor 300 Jahren beschrieben: Gutmüthigkeit und Dienstfertigkeit. – Die immerwährende Abwechselung des Terrains, seine Zerrissenheit und die furchtbaren Bergschluchten machen die Anlage von Kunststraßen in Mexiko so außerst kostspielig, daß unter den gegenwärtigen Verkehrs-, Bevölkerungs- und Finanzverhältnissen des Landes solche gar nicht gefordert werden kann. Auch die Wasserstraßen bieten der Communikation und dem Transport keine Erleichterung. Die meisten Ströme sind wilde Bergwasser voller Schnellen und Stürze, und selbst die großen Flüsse sind nur auf kurze Strecken ohne Unterbrechung schiffbar. Daher bleiben dem Reisenden in den Gebirgen nur die Saumpfade übrig, die öfters große Strecken lang an den Abgründen hin, oder, im Zickzack, steilen Felswänden hinangehen, und er muß sich ganz auf den sichern Tritt seines Thiers verlassen. – Die mexikanischen Dörfer bestehen in den heißen Niederungen aus leichten Gebäuden von Rohrwerk, in den Gebirgen aus Lehm. Es sind mehr Hütten, als Häuser. Die Physiognomie der Landstädte ist schon besser. Die niedrigen, dachlosen Privathäuser machen zwar keinen Anspruch auf architektonische Schönheit, aber die öffentlichen Gebäude, Kirchen und Klöster zeigen häufig wahre Pracht. Jede größere Stadt hat ihr Theater und ihren Conzertsaal, und der in den vornehmern Ständen häufig anzutreffende Reichthum äußert sich in glänzenden Festen, wo man jedoch mehr noch als dem Vergnügen der Spielsucht opfert. Aechte Geselligkeit ist in Mexiko in der That nicht zu finden. Die fortwährenden politischen Kämpfe, denen das Land preisgegeben ist, hindern die Entwickelung des gesellschaftlichen Lebens mehr, als der ernste Charakter der Mexikaner. Partheigeist oder Furcht herrschen, und sie ersticken das geistige Leben, ehe es zur Blüthe kommt. Nur in der Hauptstadt wird dieß durch den Einfluß der vielen ansässigen Europäer etwas gemildert.
Groß sind die Erwartungen, unter denen der Reisende sich der Capitale des Landes nähert. Die anziehenden Erzählungen, die er von Jugend auf über die alte Hauptstadt der neuen Welt vernommen oder gelesen hat, über die Eigenthümlichkeit seiner Lage, über die Schätze seiner Klöster und Kirchen, über den Reichthum seiner Bewohner – dazu das Wunderbare seiner alten Geschichte, – alles Das prägt in seiner Vorstellung ein Bild aus, welches um so lebhafter wird, je näher der Erwartung die Wirklichkeit tritt.
Und in der That, schon beim ersten Anblick erkennt man in Mexiko die Hauptstadt eines großen Reichs. Obschon das Plateau, auf welcher sie liegt, 7000 Fuß hoch über der Meeresfläche sich erhebt, so scheint es doch, da es rings von weit höhern Bergen umgeben ist, wie ein tiefer Bergkessel, und die Menge der Dome, [65] Kuppeln und Thurmspitzen, welche von den unzähligen Kirchen und Klöstern emporragen, läßt die Stadt noch größer erscheinen, als sie wirklich ist. Sie deckt einen Flächenraum, der dem von Berlin mindestens gleichkommt, und die Zahl ihrer Bewohner übersteigt 180,000. In der neuen Welt wird sie nur von Philadelphia und New-York an Größe übertroffen. Mexiko ist so angelegt, daß sich die vollkommen geraden Straßen in rechten Winkeln durchschneiden. Die Hauptstraßen sind fast so breit, wie die in Petersburg, und sie haben eine Länge von 1 bis 1½ Stunden. Trottoirs laufen an beiden Seiten hin; aber die Reinlichkeit läßt Vieles zu wünschen übrig. Die Nebengassen zumal sind bei feuchtem Wetter wegen des fußhohen Kothes kaum zu passiren.
Der Blick von allen Hauptstraßen, welche die Stadt von einem Ende zum andern schnurgerade durchschneiden, ist außerordentlich schön. Das Auge des Wandelnden ruht auf den imposant gestalteten, das Thal von Mexiko umgebenden hohen Gebirgen, welche, der Klarheit der Atmosphäre wegen, so nahe erscheinen, als erhöben sie sich unmittelbar am Ende der Straßen. Die schönste der letztern ist die de los Plateros. Blos Juweliere und Silberschmiede wohnen da, in deren Läden man die ungeheuersten Reichthümer aufgespeichert findet; denn nirgends in der Welt ist der Luxus in goldnen und silbernen Geschirren so allgemein und so überschwenglich, als in diesem, an edlen Metallen so reichen Lande. Die Architektur der Privatwohnungen ist nicht prächtig; Stattlichkeit und Solidität aber den meisten gemein. Sie haben zwei, auch drei Stockwerke; nie mehre. Balkons aus Eisen oder von Kupfer, hübsch, oft sogar kunstreich gearbeitet, siebt man an jeder Etage. Der Anstrich der Häuser ist grellfarbig – meist blau, roth oder grün; hie und da stehen Heiligenbilder und Madonnenstatuen in Wandnischen, und vor manchen brennen ewige Lampen. Alle Häuser haben platte Dächer mit Attiken. Das Erdgeschoß ist in der Regel nur zu Kaufläden eingerichtet, deren beständig geöffnete Thüren das Licht zuführen. Große Schilder über und neben dem Eingang tragen den Namen des Besitzers. Das Hauptthor der größern Häuser führt, wie im andalusischen Mutterlande, in einen Hof (den Patio) der mit bunten Steinen zierlich gepflastert und gemeinlich mit Bäumen und mit Blumenstellagen umgeben ist. Nach dem Hofe zu läuft um jede Etage ein Säulengang, auf dessen Brustwehr blühende und seltene Gewächse, oft in porzellanen Gefäßen, geschmackvoll geordnet stehen. Ein Springbrunnen in der Mitte des Hofs verbreitet Kühlung. Auf jenen Gallerien öffnen sich auch die Thüren der Zimmer und Säle. Die Wohnräume, stets hoch und luftig, sind selten tapezirt, sondern auf nassem Kalk bemalt. Kupferstiche in goldnen Rahmen trifft man im Zimmer jedes Wohlhabenden. Das Meublement ist glänzend, oft von Mahagony. Die bessern Meubel werden jedoch nicht hier gefertigt, sondern als Waare aus Frankreich und Nordamerika eingeführt. In jedem Zimmer steht wenigstens eine Heiligenfigur (von Holz, Wachs oder Elfenbein) auf einem Ecktischchen, zwischen mit künstlichen pariser Blumen angefüllten Porzellanvasen, unter [66] Glasgehäusen. Die Mexikaner sind noch große Verehrer der Heiligen, und das gottlose Beispiel im Mutterlande hat bei der Tochter keine Nachahmung gefunden. Noch hat hier die Priesterwelt ein Paradies. Man schätzt die Jahres-Einkünfte der hiesigen Geistlichkeit (4000 geschorene Köpfe gibt es!) auf mehr als anderthalb Millionen Piaster. Fast jeder Tag hat seinen Spezialheiligen, der von irgend einer Congregation mit Prozession, Illumination, Feuerwerk und Bollerschießen gefeiert wird, und an dem Feste der Groß-Dignitarien des Himmels nimmt das ganze Regierungspersonal en robe, und die gesammte Militairmacht, unter Kanonensalven und Janitscharenmusik, Theil. Die größere Zahl der Geistlichen steht in dem Rufe eines sehr weltfreundlichen Wandels, und die Unwissenheit ist der Meisten Erbtheil. Die Sitten sind im Allgemeinen gar lax in Mexiko, und die Damen zumal genießen großer Freiheit.
Unter den Merkwürdigkeiten der Hauptstadt hat der Nationalpalast (sonst der des Vicekönigs), nicht blos wegen seiner ungeheuern Größe und Bestimmung, sondern auch dadurch Interesse, daß er auf der Stelle der Residenz der alten Azteken-Dynastie (der Kaiser von Mexiko) errichtet wurde. Wenige Ueberreste davon sind noch zu sehen. Es umfaßt dieser Pallast die Sitzungssäle und Kanzleien für sämmtliche Oberbehörden der Union, und zugleich halten die legislativen Körper, Senat und Deputirte, hier ihre Versammlungen. Der Saal der letztern ist halbkreisförmig und die Sitze der Abgeordneten sind amphitheatralisch um den Präsidentenstuhl gereiht. An den Wänden prangen die Namen der Befreier des Vaterlandes von dem spanischen Joche in goldenen Buchstaben. Der Faktionsgeist ist der Krebsschaden, der in Mexiko eben so wie in den südamerikanischen Föderativ-Republiken am Staate fortwährend nagt und ihn an der großen Entwickelung hindert, welcher er von Natur fähig ist. Jener böse Geist durchdringt alle Stände und den Stamm wie die Zweige der Regierung; er macht die Stellung der Beamten sehr unsicher und nährt die verderbliche, allgemeine Ansicht derselben, daß sie das Amt nur als eine Gelegenheit besitzen, sich zu bereichern und den Staat ex professo zu plündern. Die wenigsten Verwaltungsbeamten genießen hinlängliche Besoldungen, um anständig davon leben zu können, und sind gleichsam auf den Raub mit angewiesen. Unter diesen Verhältnissen ist der Schatz der Union stets leer, und die couranten Einkünfte sind auf Jahre hinaus durch temporäre Anlehen bei hiesigen Handelshäusern zu 4 Prozent monatliche Zinsen verpfändet und voraus verzehrt. Bei dieser Wirthschaft verliert freilich die Unionsregierung eben so sehr an Kraft als an Achtung, und die schönen Reden und patriotischen Vorschläge der Deputirten verhallen ohne That. Selbst die Polizei ist notorisch bestechlich und die öffentliche Sicherheit daher schlecht gewahrt. Räuberbanden treiben in den Gebirgsgegenden ungescheut ihr Wesen; sie machen für jeden Transport kostbarer Güter (besonders edler Metalle aus den Bergwerken und Münzen) starke militärische Bedeckung nöthig und das Reisen überhaupt gefährlich. Kein Wunder, wenn bei solchem Stand der Dinge die wichtigsten Institute für Förderung von Kunst und Wissenschaft [67] siechen! Die hiesige Universität, die Bergakademie etc. etc. sind von der Nation auf das freigebigste dotirt; aber bei der Wahl der Lehrer entscheidet blos Gunst, die Parteifarbe, fast nie das größere Verdienst. Die Hauptfeder der Staatsmaschine bleibt die Soldateska, welche gut besoldet, glänzend gekleidet ist und durch ihr Benehmen zeigt, wie sie weiß, daß die Sicherheit des Throns der bürgerlichen Freiheit auf ihren Bajonetten ruht. Die regelmäßige Garnison von Mexiko besteht aus 8000 Mann, während die Unionsregierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika nicht einmal eines Wachtpostens bedarf. Hier ist aber die Executivgewalt das ächte Erzeugniß des Majoritätswillens eines aufgeklärten Volks; dort machen sie die Faktionen, und die stimmberechtigte, urtheilsunfähige Masse dient diesen blind zum Werkzeug. Verbessern werden sich diese Zustände in eben dem Maaße, als Unterricht und Bildung mehr und mehr alle Klassen durchdringen, und ein Fortschritt ist in den letzten zehn Jahren auch nicht zu verkennen. Aber ein Haupthinderniß einer raschern Entwickelung zu einem edleren Volks- und Staatsleben ist, wie in allen andern, dem Katholicismus huldigenden amerik. Freistaaten, das Pfaffenthum, welches hier, wie allwärts, das Reich der Dummheit Schritt vor Schritt vertheidigt.
Unser Bild führt uns auf den vornehmsten öffentlichen Platz der Hauptstadt, den Plaza Mayor, und vor die Cathedrale, – dem größten und prächtigsten Hause für die Verehrung Gottes in der neuen Welt. Dieses im Eskurialstyle, unter Philipp’s II. Herrschaft mit einem Aufwande von anderthalb Millionen Piaster errichtete, später noch sehr erweiterte Gebäude steht auf derselben Stelle, auf welcher einst der Haupttempel der Azteken sich erhob, da, wo der unglückliche Montezuma für die Vernichtung der christlichen Räuberschaaren dem Weltgeiste opferte. Es nimmt die ganze Nordseite des 800 Fuß breiten Platzes ein, den gegen Osten die Fronte des National-Pallastes schmückt, und auf 2 Seiten Arkaden verzieren, unter denen sich Kaufläden, Speise-, Wein- und Kaffeehäuser reihen, und wo sich immer ein reges Leben bewegt. Die Cathedrale steht auf einer Estrade oder Erhöhung; die nach Süden gerichtete Hauptfaçade hat drei magnifike Portale, zu deren Seiten sich die beiden Glockenthürme erheben. Die übrigen Fronten sind einfach, im dorischen Styl. Das ganze Gebäude enthält eigentlich sieben Kirchen, von denen jedoch immer nur eine gleichzeitig im Gebrauche ist. Die Hauptkirche besteht aus fünf Schiffen neben einander. Vierzehn große Pfeiler tragen das Mittelschiff; majestätische dorische Säulen die Gewölbe der Nebenschiffe. An die hintersten reihen sich 14 Kapellen, 7 auf jeder Seite. Am Hochaltare wölbt sich der Dom fast zwei hundert Fuß hoch über dem Boden der Kirche. Nichts in der Welt kann sich der Pracht vergleichen, welche zur Verzierung dieses Tempels verschwendet ist. Des Hochaltars Spitze, ein Meisterstück der Holzschnitzerei, berührt den Dom. Die Säulen, welche das Tabernakel umgeben, sind von Jaspis, die, welche dasselbe selbst bilden, von Silber, die im Innersten von massivem Golde. In der Kuppel stehen die silbernen Statuen der zwölf Apostel und der Erzväter. Doch ist alle diese Herrlichkeit [68] nur eine Andeutung von der Größe des eigentlichen Kirchenschatzes. Gegen diesen gehalten erscheint der Reichsschatz im Londoner Tower unbedeutend. Staunend sieht man die Menge der aus dem köstlichsten Stoffe gefertigten Kirchengefäße, die Kelche, Ciborien, Leuchter, Krummstäbe aus reinem, mit Diamanten und Edelsteinen bedeckten Golde, die funkelnden Stolen und Meßgewänder und die Staatsroben, in welche, an ihren Fest- und Ehrentagen, die Heiligen- und Marienbilder auf den Altären in den Kapellen gekleidet werden. – Man betrachtet verwundernd diese im Laufe der Jahrhunderte aufgespeicherten todten Schätze, und fragt sich, was sollen sie hier im Hause des Herrn der Welt? was sollen diese stolzen, pomphaften Gewänder den Jüngern des Weisen, der von allen Gütern der Erde nicht eine Scholle besaß, sein Haupt darauf zu legen? Unmöglich kann der Schöpfer mit solchem Flitterstaat in die Seelenpforte des wahrhaft Frommen treten, und wenn dieser mit betenden Handen hinaufblickt zur blauen Decke des Doms, ist’s gewiß nur das Sehnen und Ziehen seines Herzens nach dem Himmelsblau, dem unabsehlichen Land der Ewigkeit, womit der Allliebende seine Erde und Menschen tröstend umringt hat.