Mit Onkel auf Reisen
[344] Mit Onkel auf Reisen. (Mit Illustration Seite 337.) Es giebt
Onkel , welche eigentlich nur den Namen Oheim verdienen , da sie im
Grunde nichts weiter bedeuten als einen Verwandtschaftsgrad: Onkel mit
Familie, welche jeden Pfennig ihrer Einkünfte benöthigt, Onkel, welche
sich um ihre Neffen und Nichten etwa in so weit kümmern, als sie dann
und wann einmal zu Besuche erscheinen und wohl auch zum Besuche
einladen. Man begrüßt sie als Onkel, freut sich, sie wiederzusehen, und
gratuliert ihnen zu Familienfesten wie zu Neujahr. Das ist Alles. Der
wahre, ideale Onkel stellt ganz etwas Anderes dar. Er ist wohlhabend
bestenfalls unverheirathet, mindestens kinderlos, voraussichtlich Erbonkel,
womöglich Goldonkel. Er ist ein munterer Herr, welcher mit Neffen und Nichten auf dem Neckfuße und auf dem Geschenkfuße steht und gewissermaßen ein Theil seiner socialen Aufgabe darin erblickt, da, wo Papa sich seinen Sprößlingen versagen muß, für ihn einzutreten. Er muß oft heikle Dinge ordnen, versöhnen. Ein richtiger Onkel ist für den Bruder Studio ebenso unschätzbar, wie unter Umständen für ein Fräulein Nichte, welche mit ihrer Herzensangelegenheit nicht ohne seine Beihilfe ins Reine kommen kann. Dafür ist sein Lohn kein geringer: der Neffe breitet seinen Ruhm aus, die Nichte — und was für bezaubernde Nichten gibt es! — umschmeichelt ihn mit Liebkosungen wie mit Sammet. Es mag vorkommen, daß Letzteres nicht ohne einen gewissen wehmütigen Beigeschmack bleibt; selbst bei dem Onkel auf unserem Bilde
ist diese Möglichkeit, trotz seines geistlichen Charackters und seiner überreifen Jahre, wohl kaum ausgeschlossen — jedenfalls ist derselbe ein echter Onkel, von Genugthuung erfüllt, als Führer und Beschützer einem Flug in die schöne Welt hinaus, verhelfen zu können, und das strahlende Gesichtchen da sagt es: er hat das „Profit!“ redlich, das ihm auf der Rast von rosigen Lippen zugetrunken wird!V. B.