Nach Paris!
Noch wenige Wochen, und die Völkerwallfahrt zum eisernen Tempel der goldenen Batzenmacherei, oder um mich civilisationsmäßiger auszudrücken, zur zweiten Weltausstellung in Paris, wird beginnen, und beide, nämlich das ansteckende Wanderfieber der Nicht-Pariser, sowie die Börsenzapferei Aller, die zu diesem großen Friedensmanöver in irgend einer Beziehung stehen, werden einen Maßstab annehmen, von dem wir uns heute wohl noch nicht die rechte Vorstellung machen.
Als ich vergangenen Herbst und einen Theil des Winters in der Weltstadt mich aufhielt, um sie zu studiren für meine eigenen Zwecke und im Interesse Derjenigen, welche der großen Völkerwanderung sich anzuschließen beabsichtigten, da versuchte ich mir eine Perspective zu construiren von dem voraussichtlichen tollen Treiben des nächsten Sommers, sowie von den Wirrsalen und den tausendfältigen Verlegenheiten, in die eine gute Anzahl unserer lieben deutschen Landsleute hier kommen werden. Ihnen einige praktische Winke für ihren Pariser Aufenthalt zu geben, die man so einläßlich in einem Reisehandbuche nicht erörtern kann, mag Aufgabe dieser Mittheilungen sein.
Ich habe mir schon lange vorgenommen, aus dem Tornister meiner Wandererfahrungen einmal die zehn Gebote des Reisenden zusammen zu stellen und sie wie weiland Luther mit allgemeinverständlichen Erläuterungen zu versehen. Unter diesen würde, käme es einmal dazu, auch eins der vornehmsten dasjenige sein: „Genire Dich nicht.“ Diese Reiseregel ist vor allen Dingen für Paris fest zu halten. Alles gilt; jeder Anzug, jede Lebens- und Gewohnheitsform, wenn sie nicht absolut incivil ist, hat ihre Freiheit, ihre Existenzberechtigung. Bedenke stets, daß Du für Dich reisest, zu Deinem Nutzen, Deinem Vergnügen, für Dein Geld, also, daß Du Dir selbst der Nächste bist; ohne diesen Grundsatz bist Du in solch’ einer Weltstadt ein in allen Winkeln herumgeschubbter und gestoßener Mensch. Du weißt, schon Goethe sagt: „Nur die Lumpen sind bescheiden“, was nun freilich einerseits heut’ zu Tage nicht mehr durchaus wahr ist, weil sowohl die moralischen wie die politischen Lumpe bekanntlich die arrogantesten sind, andererseits keineswegs eine Aufforderung zur Unbescheidenheit sein soll. Es giebt einen goldenen Mittelweg, welchen das Bewußtsein des wirklichen eigenen Werthes dictirt, und dieser ist der rechte.
Zur Interpretation des gleichen Reisegebotes gehört aber auch noch die Erinnerung: „es kennt Dich Niemand, es achtet Niemand auf Dich“, und wenn Du daheim auch ein Millionär oder ein Prophet unter Deinem Volke wärst.
Ein zweites allgemeines Reisegebot, das übrigens schon eine der ersten und größten Lebensregeln des täglichen Verkehrs ist, würde etwa sein: „Laß Dich nicht anschmieren“. Der Pariser hat einmal gehört, daß irgend ein großer Feldherr gesagt hat: „Im Frieden gilt der Mann, im Kriege gilt er doppelt,“ und das hat er sich gemerkt. Im Frieden, d. h. zu gewöhnlicher Zeit, wenn nicht der Ausnahmezustand der Exposition außerordentliche Maßnahmen und Preise entschuldigt, weiß der Pariser schon den Geldbeutel des Mannes ganz geziemend zu würdigen und in Bewegung zu setzen, um wie viel mehr erst in Kriegszeiten. Denn daß der Sommer 1867 ein Feldzug aller in Paris Diensteleistenden gegen Alle wird, die zur Palastschau kommen, und daß dann der Mann auch doppelt gilt und doppelt zahlen [219] muß, steht über der Nothwendigkeit des Beweises. Hieraus aber resultirt als größte und Cardinalerinnerung: „Nimm Geld mit, doppelt so viel, wie du zu brauchen gedenkst, und dann noch etwas mehr.“ Als 1865 die erste Ausstellung war, da schloß die Comitébilanz mit einem Deficit von einundzwanzig Millionen Francs ab, an denen die Staatscasse zu kauen hatte. Diesmal will man’s besser machen. Der Staat bewilligte von sich aus sechs Millionen Francs und die Stadt ebensoviel. Aber das reichte noch nicht; man brauchte mehr, trotzdem kein Boden zu expropriiren war und kein luxuriöser Palast diesmal errichtet werden sollte. Da trat eine Garantie-Gesellschaft von großen, schlauen Finanzspeculanten in die Lücke und gab noch acht Millionen Francs, aber nur unter der Bedingung, Hand im Spiel haben und sich zuerst für ihr Risico decken zu dürfen. Diese wurde nun factisch Herr und versteigerte so hoch wie möglich Alles, was nur an Gerechtsamen und Erlaubnissen in dem Ausstellungsgebäude und rings um dasselbe zu vergeben war, und so kam es, daß unerhörte Summen für anscheinend ganz geringfügige Bewilligungen gezahlt wurden.
Nun! Die Leute, die um schweres Geld die Berechtigung erhielten, Mäntel, Schirme und Stöcke am Eingange abnehmen, Kataloge oder Zündhölzchen verkaufen, Photographien abklatschen oder Erfrischungen verabreichen zu dürfen, wollen erstens wieder zu ihrem Riesenzins kommen, wollen dann den Werth ihrer Waaren, ihrer Zeitversäumniß, ihrer Dienstleistungen herausschlagen und wollen endlich, wie billig, auch am Schlusse des siebenten Monats für ihr Risico, für ihre Kräfteaufopferung und ihren Kampf ein rundes bestimmtes Etwas als Resultat erringen, – also hier schon die erste gerechtfertigte, doppelte Anforderung an unsere Taschen. Netto gerade ebenso, nur in etwas veränderter Form, rechnet die Municipalität für ihre großmüthig geopferten sechs Millionen Francs; solch’ eine Summe kann eine Stadtcasse ohne genügendes Aequivalent nicht verschenken, – ihre steuerpflichtigen Kräfte müssen ihr dafür, sei es auf welchem Wege es wolle, wieder gerecht werden, und diese Steuerkräfte recurriren wieder an den Geldbeutel des Fremden. Wie die Staatscasse ihre sechs Millionen verrechnet, darum hat sich bekanntlich in Frankreich Niemand zu bekümmern.
Mit alledem werden aber die Ausstellungskosten erst gedeckt, – nun wollen auch noch ein paarmal hunderttausend reeller Speculanten die kostbare Gelegenheit benutzen, um von den drei Millionen Fremden, auf deren Besuch man rechnet, soviel wie möglich zu profitiren, sei es direct oder indirect, und außer diesen lauert noch eine Legion von unehrenwerthen Speculanten, modernen Strauchrittern und Schnapphähnen, Glücksjägern, die auf den Gimpelfang gehen, und ähnliches Gesindel beiderlei Geschlechtes auf die heranrückenden Karawanen, und in Mitte dieses ganz Paris durchfluthenden, lauernden Gedankens liegen Scylla und Charybdis, in welchen Mancher auf seiner Odyssensfahrt dem Untergange nahe kommen wird.
Es ist ein eigenes Ding in Frankreichs Hauptstadt: das, was wirklich Geld werth ist, um es zu sehen, die großartigen und prachtvollen Museen im Louvre, im Luxembourg, im Hôtel Clugny, in Versailles, – die Schlösser und Kirchen, die Wasserkünste und herrlichen Gärten, die Menagerien im Jardin des Plantes und alle die Raritäten und Kostbarkeiten, welche überhaupt zur Schau ausgestellt sind und für deren Betrachtung man andern Orts tüchtig zahlen muß – sie alle kosten nichts, nicht einen Centime Entrée oder Trinkgeld; auch die Verkehrsmittel in Paris selbst, die Omnibus, in denen man von einem Stadtende zum andern je alle fünf Minuten für einen und einen viertel Silbergroschen fahren kann, verursachen so viel wie keine Ausgaben. Selbst die Eisenbahntaxen nach Paris werden so bedeutend ermäßigt werden, daß auch diese nicht den Schwerpunkt der Ausgaben bilden. Das, was das meiste Geld kostet, ist das, was dieses Geld am wenigsten werth ist. –
Bereiten wir uns vor, auf die Reise zu gehen. Also Geld! Frankreich rechnet bekanntlich wie Italien, die Schweiz und Belgien (mit denen es in einem Concordatsverhältnisse steht) nach Franken und Centimes; deshalb werden auch die Silbermünzen gedachter Länder im gewöhnlichen Verkehr ohne Weigerung allenthalben dort angenommen. Gold hat Frankreich in Hundert-, Fünfzig-, Vierzig-, Zwanzig-, Zehn- und Fünffranken-Stücken ausgeprägt; die Zwanzig-Frankenstücke (im Werthe von fünf und ein Drittel Thalern oder neun und ein Drittel Gulden süddeutsch) werden kurzweg „Napoléon“ genannt. Belgisches Gold gilt wie französisches, italienisches dagegen wird nur mit Verlust genommen. In Silber sind Fünf-, Zwei-, Ein- und ein Halb-Frankenstücke ausgeprägt, in Kupfer Zehn- und Fünf-Centimesstücke. Letztere werden im Verkehr immer noch mit dem alten Namen „Sou“ bezeichnet; zwei Sous sind also zehn Centimes, fünfzehn Sous fünfundsiebenzig Centimes oder sechs Silbergroschen. Die englischen Penny- und halbe Pennystücke cursiren allgemein als Zwei- und Ein-Sousstücke. – Papiergeld der Banque de France in Fünfzig-, Hundert-, Zweihundert-, Fünfhundert- und Tausend-Frankenscheinen und diejenigen der Banque de Bruxelles in Fünfundzwanzig-Frankenscheinen cursiren im täglichen Verkehr allgemein.
Alles andere Gold-, Silber- und Papiergeld hat im Detailverkehr keinen Curs.
Wer mit preußischem oder Guldengelde nach Paris kommt, muß dasselbe erst beim Wechsler nach dem Tagescurse mit etwa einem halben Procent Agio umsetzen. Es giebt aber mancherlei deutsches Papiergeld, welches in Paris kaum oder nur mit enormem Verluste verwerthbar ist. Wer also die Absicht hat, die Ausstellung zu besuchen, möge bei Zeiten Jagd auf Napoleonsd’or oder englische Sovereigns machen, oder sich ein gutes, sofort zahlbares Papier auf ein solides Pariser Bankierhaus kaufen. Jeder im Auslande auf Paris ausgestellte Wechsel muß, ehe er zum Incasso gelangen kann, mit einem Timbre Imperial, der wie eine Briefmarke aufgeklebt wird, versehen werden; fünf Centimes per hundert Franken.
Früher war ein Paß, und zwar ein von der französischen Gesandtschaft des Landes, in welchem man wohnte, visirter Paß, strengstes Erforderniß, um über die Grenze zu kommen; heute fragt man anständige Reisende fast an keiner der großen Eintrittslinien nach Legitimationspapieren; höchstens, wenn man das Mißgeschick hat, irgend einem steckbrieflich verfolgten Industrieritter ähnlich zu sehen, könnte es der Fall sein, sich einem Verbalexamen unterwerfen zu müssen. Es ist deshalb immerhin sehr empfehlenswerth, irgend ein gutes Legitimationspapier in der Tasche zu haben, namentlich schon deshalb, weil die Erlaubniß zum Besuche mancher Sehenswürdigkeiten, wie z. B. der kaiserlichen Gobelinsmanufactur, sowie mancher Sammlungen zu außergewöhnlicher Zeit an die Vorzeigung des Passes gebunden ist, um seine Eigenschaft als wirklich Fremder zu bekunden. Man erhält dann unentgeltlich eine Erlaubnißkarte ausgefertigt.
Die Kenntniß der französischen Sprache ist zwar keine absolute Nothwendigkeit, denn es leben über hunderttausend Deutsche in Paris und in den meisten Hotels hat man deutsche Kellner zur Bedienung; aber der Reisende hat natürlich nur den halben Genuß von der Weltstadt, wenn er nicht verstehen kann, was gesungen und belacht, bestritten und vertheidigt, ausgerufen und verlangt wird. Er lebt noch einmal so theuer, kauft zu noch ein Mal so hohen Preisen ein und wird gar rasch der unglücklichste Spielball der schlau profitirenden Speculation. Vor allen Dingen hüte sich der Deutsche, welcher wenig Französisch versteht, vor dem „Oui-Sagen“ aus Verlegenheit; die Pariser Zuvorkommenheit, welche mit der liebenswürdigsten Miene zehn Mal mehr anbietet und anpreist, als man haben will und brauchen kann, möchte bei allzu bereitwilligen Ouis leicht Gelegenheit für zu umfangreiche Rechnungen bekommen. Nach Paris gehenden Gesellschaften ist es deshalb zu empfehlen, mindestens eine Person als Reisecollegen mitzunehmen, die der Sprache völlig mächtig ist und die Stelle des Dolmetschers vertritt.
Was man an Gepäck mitzunehmen hat, läßt sich nicht wohl andeuten, weil dies sich ganz nach den persönlichen Bedürfnissen richtet. Wohl aber lassen sich mancherlei Gegenstände aufzählen, welche man unter keiner Bedingung in den Koffer thun soll. Dahin gehören zuvörderst Zeitungen; sie könnten bei der Revision auf der Douane an der Grenze höchst fatale Verlegenheiten bereiten. Bekanntlich giebt es in Frankreich verbotene Zeitschriften des Auslandes, auf welche eben so scharf gefahndet wird, wie auf Contrebande, deren Verbreiter unnachsichtlich und streng bestraft werden. So z. B. gehört es zu den allergewöhnlichsten Ereignissen, manchmal acht Tage lang kein Blatt von der Kölnischen Zeitung zu Gesicht zu bekommen. – Ebenso hüte man sich, Bücher im Koffer zu führen, in denen gegen die jetzige Regierung [222] von Frankreich polemisirt wird; Confiscation wäre das Allermindeste, was begegnen könnte.
Ferner vermeide man in den Verdacht der Post-Defraudation zu kommen; als solche wird es betrachtet, wenn man geschlossene Briefe, selbst wenn es nur Empfehlungsschreiben sind, Couverts, Paquete, Schachteln etc., welche eine Adresse tragen, bei sich führt. Will man gegen Andere in ähnlicher Beziehung gefällig sein (nicht um der Porto-Ersparniß, sondern um der Gewißheit willen, daß das zu Besorgende wirklich pünktlich abgegeben wird), so führe man solche verbotene Früchte lieber in der Brusttasche bei sich.
Bezüglich der Garderobe ist im Allgemeinen zu rathen, neue Kleidungsstücke, Stiefeln oder Schuhe mindestens einmal getragen zu haben, damit sie Spuren des Gebrauchs zeigen.
Zu den verpöntesten Artikeln gehören Tabak und Cigarren. Beide sind bekanntlich in Frankreich Regie-Artikel; im Budget für 1866 waren die Staats-Einnahmen aus dem Tabaksmonopol mit 233 Millionen Frcs. veranschlagt, eine Zahl, die zur Genüge beweist, wie theuer das Vergnügen des Rauchens in Frankreich erkauft werden muß. Unverzollt einzuführen ist lediglich erlaubt, was man während einer Fahrdauer persönlich braucht, – also höchstens eine gut gefüllte Cigarrentasche oder ein kleines Etui mit Tabak für Cigarretten. Seinen ferneren Bedarf muß man entweder (namentlich wenn man an ein gutes, reines Blatt gewöhnt ist) von daheim mitnehmen und diesen ehrlich und offen an der Grenze declariren und mit etwa neun Pfennigen pro Stück verzollen, – oder man muß rauchen, was das große herrliche Paris eben darbietet, – und damit hat es dann seine eigenen Wege. Denn was man in den von der Regierung concessionirten gewöhnlichen Tabaksläden (die nebenbei gesagt zu gleicher Zeit die Special-Postablagen für gewöhnliche Briefe sind, wo man auch Francomarken kaufen kann) erhält, ist für einen unverwöhnten Gaumen schon ziemlich verwendbar, wenngleich gegenüber den deutschen Cigarrenpreisen enorm hoch; wer aber, wie gesagt, an ein abgelagertes Kraut gewöhnt ist, der hat, so viel mir bekannt geworden, nur eine Quelle: unter dem Grand Hotel auf dem Boulevard des Capucines, aber natürlich auch zu Preisen, aus denen die 233 Millionen Staatseinnahme hervorschauen.
Nun noch, ehe wir den Koffer abschließen, ein paar Worte über die Wäsche. Die sechszig Pfund Freigepäck auf den französischen Bahnen gestatten zwar, sich reichlich mit Weißzeug zu versehen; allein ich rathe davon ab, namentlich Denjenigen, die im Punkte ihrer Leibwäsche etwas eigen und nicht gewöhnt sind, ausgetauschte Unterkleider mit zu engem oder zu weitem Halskragen, zu langen oder zu kurzen Aermeln, Baumwolle für Leinen zu tragen. Dieses Verwechselungs-Quiproquo kommt in den großen Hotels ohne Verschulden der vermittelnden Gasthofsdienerschaft zu gewöhnlichen Zeiten oft genug vor; um wie viel mehr wird und muß es der Fall sein, wenn ganz Paris, wie nächsten Sommer, sich im friedlichen Belagerungszustande befinden wird. Vorausgesetzt nun, daß wirklich keine Komödie der Irrungen vorfallen würde, so ist das Pariser Waschverfahren ein so barbarisches, daß namentlich wirthliche Hausfrauen mit Entsetzen davor zurückschrecken. Man bekommt zwar das Gewaschene schneeweiß und mit so elegantem Appret zurück, wie kaum irgendwo, aber auf Kosten der Dauerkräftigkeit der Leibwäsche und unter Zuhülfenahme chemischer Präparate, die beim Tragen und Warmwerden der Wäsche mitunter unausstehlich hervordunsten. Dabei hat diese mit Chlorkalk gemißhandelte Wäsche einen widerlich trockenen, stumpfen Angriff, der ein ähnliches Gefühl auf der Hand hervorbringt, wie das ist, wenn man Gyps oder Kalk in den Händen gehabt hat.
Andererseits ist gut und sehr elegant gearbeitete Leibwäsche, wenn man durch Vermittelung eines Bekannten an die rechte Quelle geführt wird, eben so billig, wenn nicht sogar noch wohlfeiler, als in manchen Städten Deutschlands und der Schweiz. –
[255]Der Koffer ist gepackt, die Abreise kann erfolgen. Bevor wir jedoch unser Billet lösen, muß ich eine allgemeine, freilich nur momentan gültige Warnung vorausschicken. Lasse sich Niemand verleiten vor Anfang oder Mitte Mai zu kommen (wenn nicht geschäftliche Interessen dazu drängen). Die Ausstellung ist zwar eröffnet, aber sie ist noch nicht etablirt. Noch allenthalben sieht es „werdend“, entwickelungsbedürftig, im Großen zu Faden geschlagen aus und, sowohl nach einmüthiger Meinung der im Gebäude Arbeitenden, wie nach dem Maßstabe dessen, was bei angestrengtester Arbeit in den letzten vierzehn Tagen geschaffen ward, kann vor dem ersten Mai nicht die Rede davon sein, daß die Ausstellung den Eindruck des Fertigen, Abgerundeten macht. So wie im inneren Gebäude, sieht es auch im Parke aus. – Also vor Mai, lieber Leser, wollen wir uns in Paris nicht begegnen.
Nichtsdestoweniger setze ich meine Reisevorschläge fort.
Auf welcher der sechs Eisenbahn-Eintrittsrouten aus Deutschland und der Schweiz ein Jeder sein Ziel zu erreichen streben wird, hängt nicht nur vom Wohnorte des Einzelnen (ob Hamburg, Berlin, Nürnberg oder Wien) ab, sondern auch von den Vortheilen, welche die Combinationen der verschiedenen befreundeten Eisenbahndirectionen darbieten werden. Dennoch erlaube ich mir hier einen berathenden Wink zu geben.
Wer nicht die Absicht hat, vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden ununterbrochen eingepfercht wie in einem Menageriekasten zu sitzen und sich mumienartig steif-eingerostete Kniee zu holen, dem rathe ich, das Stückchen topographischer Horizonterweiterung, das er von der Reise mit heimbringen will, sich auf dem Hinwege zu erobern, will sagen: wer im Vorübergehen Köln, Aachen, die prächtigen Rheinlande, Mainz, Frankfurt, Wiesbaden, Baden-Baden, Straßburg etc. und was nun eben auf seiner Invasionslinie liegt, touristisch genießend mitnehmen will, der verspare es nicht auf den Heimweg. Auf der Rückreise hat er keinen Sinn mehr dafür: Paris und seine Kunstschätze, sein babylonischer Thurmbau und seine raffinirte Genußjagd, sein nervenlähmender Spectakel und sein Staub haben ihn dann dermaßen übersättigt, daß er mit Goethe’s Faust-Gretchen nur inbrünstig rufen wird: „Licht! Luft! Nachbarin, Euer Fläschchen!“ was so viel heißen soll, als: „Nur erst wieder Heimath, Ordnung, herkömmliches Leben!“
Zwei Eintrittslinien sind vorzugsweise schön, d. h. für Denjenigen, der Freude an der Natur neben dem Interesse am großen industriellen Leben hat; dies sind die beiden bei Forbach (resp. schon bei Neunkirch) zusammenstoßenden Linien a. durch’s Rheinthal hinauf bis Bingerbrück und von da durch das burgenreiche Nahethal, und b. durch die herrliche Pfalz über Heidelberg, Mannheim, Ludwigshafen etc. Letztere ist jüngster Zeit dadurch besonders in den Vordergrund getreten, daß sie, seit Eröffnung der Strecke Würzburg-Heidelberg, die directeste Linie aus Mitteldeutschland geworden ist. Ein Bummeltag in Würzburg, ein ditto solcher in dem paradiesisch gelegenen Heidelberg und ein dritter in dem kleinen weintriefenden Neustadt an der Haardt, um einen Blick in die treue deutsche Pfalz zu thun (Trifels, Anweilerthal, Dahner Felsenland), die werden zu den schönsten Reiseerrungenschaften Derer gehören, welche diese Linie zu benutzen in den Fall kommen. Für die anderen brauche ich nicht zu plaidiren, sie sind schon zu bekannt.
Ist man über die Grenze Frankreichs eingetreten, so rathe ich ohne Aufenthalt nach Paris zu fahren. Die Gegend ist gegenüber dem, was wir in Deutschland Schönes haben, fast überall bodenlos langweilig, – ebene Flächen, zum Theil miserabel bewirthschaftet, oder Strecken in der Champagne, die man am besten in der Ecke des Coupés verschläft. Aber eine Vorsichtsmaßregel! Man denke sich die französischen Eisenbahnen nicht so samaritanisch-gemüthlich, wie die deutschen, wo es auf jedem Haltepunkt ein wohlproviantirtes Abfütterungszimmer giebt und die erwerbs-vigilanten Bahnhofswirthe ihre Aufwärter mit weißschäumigen, dursterweckenden Bierseideln und duftenden Bratwürsten zwischen knusperigen, frischen Semmeln an die Waggons schicken; wo die Schaffner oder Conducteure besorgt darum sind, daß man zeitig genug wieder einsteige und zwar in den rechten Waggon und in das rechte Coupé, und wo sie, je nach dem Grade der landesüblich mehr oder minder gangbaren Höflichkeit, auf alle Fragen bereitwillig Antwort geben, – für das Alles hat der Franzose keine Zeit, keine Sympathien, kein Bedürfniß. Buffets giebt’s nur an den Hauptstationen, diese oft aber so versteckt, so entfernt, daß die Möglichkeit, sie während der Reise zu benutzen, mehr als illusorisch wird. Ganz besonders ist dies bei den Expreß- (Schnell-) Zügen der Fall. Da wird man schon sechs oder acht Stationen vor solch’ einem Abfütterungspunkte vom Conducteur kurz befragt, ob man in Belfort, Nancy oder wo es eben ist, zu dejeuniren oder zu diniren gesonnen sei, um die Anzahl der Couverts telegraphisch bestellen zu können. Solch’ ein Couvert ist, um mich sprüchwörtlich auszudrücken, in vielen Fällen eine für vier oder fünf Francs im Sack gekaufte Katze. Wer nicht will, der hat gegessen, d. h. er kann hungern bis Paris, unterwegs giebt’s für ihn nichts zu beißen und zu brechen. Also, lieben Freunde, ein hübsches Körbchen gepackt mit allerhand appetitlichem Proviant – dann kann man der französischen Reiseungemüthlichkeit keck in die Augen schauen.
Wir kommen in Paris an. Die Billets werden nicht, wie auf den deutschen und schweizerischen Bahnen, schon auf der vorletzten Station abgenommen, sondern meist, zur Bequemlichkeit der Controle, zur Unbequemlichkeit der Reisenden erst, indem man decken- und sackbepackt, den Regenschirm unter dem einen, die Hutschachtel unter dem anderen Arme, dem Ausgange zuwankt. Man ist zwar in Paris, aber noch Gefangener, – man hat die Enceinte, die Octroi-Linie (die befestigten Einfassungsmauern als Grenze der städtischen Accise für Brod, Mehl und Getränke) zwar passirt, aber man ist von den Cerberusen der städtischen Steuerabgaben noch nicht beschnüffelt worden. Darum Geduld zehn Minuten, eine Viertelstunde oder noch länger, bis alle Koffer, Kisten, Nachtsäcke und Effecten ausgeladen und in einem unendlich langen Saale auf einer Pritsche paradeförmig aufgestellt sind. Dann öffnen sich die Thore des Wartesaales, man tritt oder stürzt ein, sucht mit den Augen, den Bagagezettel in der Hand, nach seiner Fahrhabe und hat abermals zu erklären, weder Schinken, Wurst, Speck, Mehl, noch sonstige Victualien in Gemeinschaft mit seiner [256] Reiseliteratur, seidenen Kleidern, schwarzen Fracks und feinen Leinenhemden im Koffer zu führen und einschwärzen zu wollen. Darauf macht der Beamte eine Hieroglyphe mit Kreide auf das Bagagestück und man fällt in die Hände der Commissionäre, welche das Gepäck aus der Halle auf den Omnibus oder in die Voitüre de Place (Droschke) bringen. Sind viele Passagiere mitgekommen, so beeile man sich (falls man einen bestimmten Gasthof, ein bestimmtes Privathaus oder eine Maison meublée hat, wo man wohnen wird), einen Wagen zu belegen. Dies kann oder vielmehr muß eigentlich die erste Aufgabe, unmittelbar nach Ankunft, noch vor der Revision des Gepäckes, sein; man geht auf den Hof oder die Straße, wo die Droschken aufgestellt sind, und versichert sich des Wagens, etwa mit den Worten: „Je vous prends à l’heure; donnez-moi votre numéro!“ (Ich nehme Sie auf die Stunde; geben Sie mir Ihre Nummer!) Hierauf giebt der Droschkenkutscher einen Schein und wartet, bis man mit seinem Gepäck ankommt. Eine viersitzige Voitüre de Place kostet für die einfache Fahrt innerhalb des Morgens sechs Uhr bis dreißig Minuten nach Mitternacht zwei Francs (und drei bis vier Sous Trinkgeld); jedes Bagagestück wird mit fünfundzwanzig Centimes (oder fünf Sous) extra vergütet. Kommt man nach Mitternacht an (bis Morgens sechs Uhr), so kostet die einfache Fahrt drei Francs und obige Extraspesen. Regenschirm, Nachtsack, Hutschachtel zählen nicht als Bagagestücke.
Unter den nächsten Aufgaben ist jetzt die wichtigste das Suchen einer Wohnung, – zu Zeiten großen Fremden-Andranges wie bei der Ausstellung oft eine mühevolle, zeitraubende. Eine Menge von Umständen sind hierbei maßgebend. Wem es vergönnt war, durch einen in Paris lebenden Freund brieflich im Voraus sich ein Zimmer verschaffen zu können, darf sich glücklich preisen geradenweges dorthin fahren und einziehen zu dürfen. Aber wie oft wird es während des nächsten Sommers der Fall sein, daß Hunderte, unbekannt mit den Verhältnissen und Straßen, ziemlich rathlos in der Weltstadt umherkutschiren werden, abgewiesen an Gasthöfen, die überfüllt sind!
Gewinnen wir zuvörderst einen Ueberblick vom Pariser Gasthofswesen und dem, was damit zusammenhängt.
Es sollen nicht weniger als etwa fünftausend Hôtels, Restaurants, Cafés und Wirthschaften in der Weltstadt existiren. Nur die ersteren logiren. Wie allenthalben, so stufen sich auch hier dieselben durch alle Schattirungen ab vom feinsten, comfortabelsten, fürstlich eingerichteten Hotel mit goldenen, allen diesen Vorzügen entsprechenden Preisen bis hinab zur unheimlichen, in enger Gasse gelegenen, schmutzigen, dunkeln Herberge, ungeheuerlich in allen Beziehungen, aber ebenfalls prunkend „Hôtel“ genannt. Man hüte sich deshalb vor den Anpreisungen der an den Bahnhöfen aufgestellten Agenten.
Der weitaus größte Theil der Pariser Gasthöfe wird von Franzosen gehalten und in demselben nur französisch gesprochen. Neuerer Zeit sind jedoch nicht nur eine Anzahl der besten und empfehlenswerthesten Häuser in Händen deutscher Wirthe, die deutschen Ton und deutsche Ordnung walten lassen, sondern in fast jedem besseren Gasthause ist mindestens ein deutschredender Kellner, die Zuflucht und das Heil aller in diesem Hause nicht französisch redenden Gäste. Sogar in den beiden größten Etablissements von Paris: im Grand Hôtel am Boulevard des Capucines und im Grand Hôtel du Louvre (beide Actien-Unternehmen des Credit mobilier), deren jedes ein ganzes Straßen-Quadrat einnimmt und über sechshundert Fremdenzimmer zu verfügen hat, besteht das ganze Personal nur aus deutschen Kellnern; selbst der Maitre d’hôtel, der Secretär etc. sind Deutsche und nur der Director eines jeden ist Franzose. Man fand es für nöthig, sich mit deutscher Dienerschaft zu versehen, um ruhigen, glatten Gang in den großen Organismus zu bringen, einmal weil der Deutsche dienstwilliger, aufmerksamer, ausdauernder in allen seinen Pflichterfüllungen ist als der trällernde, tausend andere Dinge im Kopfe brütende französische Kellner, dann aber auch namentlich deshalb, weil der Deutsche außer seiner Muttersprache und dem Französisch noch Englisch spricht und sich englischen Sitten und Forderungen besser anbequemt als der nur französisch parlirende Franzose.
Außer den beiden obengenannten Riesen-Karawanserais sind folgende Häuser namentlich noch solche, in denen besonders Deutsche verkehren und die von Deutschen geleitet werden: Das Hôtel de Mirabeau in der Rue de la Paix, von Deutschen der vornehmen Stände viel besucht; das Hôtel de Bade am Boulevard des Italiens; das Hôtel Bergère in der Rue Bergère; das Hôtel Violet in der Passage gleichen Namens (bei der Rue Faubourg Poissonnière); Hôtel de Bavière in der Rue Richer; Hôtel du Pavillon in der Rue d’Hauteville und viele andere. Wer noch nicht bestellt hat und auf gut Glück sich ein Hôtel suchen muß, wird wohl thun, bei einem derselben, vielleicht sogar zuerst am Hôtel du Louvre, vorzufahren, wo der Wechsel Gehender und Kommender am größten sein möchte. In Nicht-Ausstellungszeiten kann man in demselben Zimmer von zwei Francs an aufwärts bis zu zwanzig Francs täglich erhalten, – während der Ausstellung wird wohl kaum das kleinste Zimmer unter dem doppelten Minimal-Ansatze zu haben sein.