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Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza

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Autor: E. T. A. Hoffmann
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Titel: Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza
Untertitel:
aus: Fantasiestücke in Callot’s Manier, Erster Theil, S. 143-262
Herausgeber:
Auflage: Zweite, durchgesehene Auflage in zwei Theilen (= Ausgabe letzter Hand)
Entstehungsdatum: 1814-15, revidiert 1819
Erscheinungsdatum: 2. Auflage: 1819
Verlag: Kunz
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Erscheinungsort: Bamberg
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Quelle: pdf bei commons: Bd.1
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V.


Nachricht

von

den neuesten Schicksalen

des

Hundes Berganza.[1]


Wie die Geister Ossians aus dem dicken Nebel, trat ich aus dem mit Tabaksdampf erfüllten Zimmer hinaus in das Freie. Der Mond war hell aufgegangen, und zu meinem Glück; denn, indem allerlei Gedanken, Ideen, Entwürfe, gleich einer innern Melodie an der harmonischen Begleitung des lauten Gesprächs der Gäste hinliefen, hatte ich, die Uhr überhörend, mich verspätet, und sollte nun noch eine Viertelstunde Weges durch den Park nach der Stadt zurücklaufen. Bekanntlich wird man in – y – dicht bei dem Wirthshause erst über den Strom gesetzt und tritt dann jenseits desselben in den Park, der sich bis zur Stadt hinzieht. Mit der Weisung des Fährmanns, mich recht auf dem breiten Wege zu halten, weil ich dann unmöglich fehl gehen könne, lief ich in der kühlen Nacht rasch von dannen, und war schon ein paar Schritte bei dem im Mondschein hell aufschimmernden Standbilde des heiligen Nepomuk vorüber, als ich mehrmals hinter einander angstvolle Seufzer ausstoßen hörte. Unwillkührlich stand ich still – mich durchflog die frohe Ahnung, es könne mir wol etwas ganz Besonderes begegnen, was in diesem ordinären hausbacknen Leben immer mein Wunsch und Gebet ist, und ich beschloß den Seufzenden aufzusuchen. – Der Ton führte mich hinter den heiligen Nepomuk in das Dickicht hinein bis zu einer Moosbank. Da hörten die Seufzer plötzlich auf, und ich glaubte schon mich getäuscht zu haben, als ich dicht hinter mir eine dumpfe zitternde Stimme vernahm, die mühsam und abgebrochen folgende Worte sprach:

„Grausames Verhängniß! Verfluchte Cannizares, so ist denn deine Wuth auch noch mächtig im Tode? – Fandest du denn nicht in der Hölle deine verruchte Montiela, samt ihrem Satans Bastard! – O! – O! – O!“

Ich erblickte Niemanden; – aus der Tiefe schienen die Töne zu kommen, und plötzlich richtete sich ein schwarzer Bullenbeisser, der dicht an der Moosbank gelegen, vor mir in die Höhe, sank aber sogleich in krampfhaften Verzuckungen nieder und schien zu sterben. – Unbezweifelt hatte er geseufzt und jene Worte gesprochen, welches mir freilich ein wenig wunderbar vorkam, da ich noch nie einen Hund so vernehmlich sprechen gehört; ich faßte mich indessen und hielt es wohl der Mühe werth, das ächzende Thier, dem in[WS 2] der mondhellen Nacht an der Statue des heiligen Nepomuk vielleicht die Todesangst die lange gebundene Zunge zum ersten Male löste, mit allem mir nur möglichen Beistande zu versehen. Ich holte aus dem nahen Fluß Wasser in meiner Hutkrempe und besprengte ihn damit, worauf er ein paar feurige Augen aufschlug und mir knurrend Zähne wieß, deren sich der stattlichste Solofänger nicht hätte schämen dürfen. Mir wurde dabei nicht ganz wohl zu Muthe, allein bei einem verständigen Hunde, welcher spricht, und daher ganz natürlich auch das zu ihm Gesprochene versteht, dachte ich, ist mit Artigkeit Alles auszurichten.

„Mein Herr! fing ich an, Sie befanden sich so eben etwas übel; Sie waren, so zu sagen ganz auf den Hund gekommen, unerachtet Sie selbst einer scheinen zu wollen belieben. Fürwahr! daß Sie jetzt noch so erschreckliche Blicke werfen, daß Sie noch was weniges knurren können, haben Sie bloß dem Wasser zu verdanken, das ich Ihnen in meinem ganz neuen Hute, mit der augenscheinlichsten Gefahr mir die Stiefeln naß zu machen, aus dem nahen Flusse herbeigeholt.“ –

Der Hund richtete sich mühsam auf, und indem er mit seitwärts gekrümmtem Leibe und ausgestreckten Vordertatzen bequem sich hinlegte, schauete er mich lange an, jedoch mit etwas milderem Blicke als vorher; er schien zu überlegen, ob er wol sprechen solle oder nicht. Endlich begann er:

„Du hast mir geholfen? – In Wahrheit, hättest Du Dich weniger zierlich ausgedrückt, ich könnte zweifeln, Du seyst wirklich ein Mensch! – Doch Du hast mich vielleicht sprechen gehört, da ich die üble Gewohnheit habe, mit mir selbst zu reden, wenn mir der Himmel die Gabe der Sprache verleiht, und da war es vielleicht nur Neugierde, die Dich antrieb, mir beizustehen. Wahres Mitleiden mit einem Hunde, das wäre gar nicht menschlich.“ –

In meiner einmal angenommenen Artigkeit verharrend, suchte ich dem Hunde darzuthun, wie ich sein Geschlecht überhaupt liebe, und in diesem Geschlecht nun wieder insbesondere die Gattung, aus der er entsprossen. – Möpse und Bologneser verachte ich unendlich als saft- und kraftlose Schmarotzer ohne Heldensinn u. s. w. – Welches Ohr verschließt sich wol hienieden hartnäckig dem süßen Laut der Schmeichelei, selbst auf dem Kopfe des Bullenbeisser neigte es sich willig meiner wohlgesetzten Rede, und ein kaum merkliches, aber graziöses Wedeln mit dem Schwanze bezeugte mir das steigende Wohlwollen in der Brust des Hundes Timon.

„Du scheinst, hub er mit dumpfer, kaum verständlicher Stimme an: Du scheinst mir vom Himmel gesendet zu meinem besondern Troste, indem Du ein Vertrauen in mir erregst, das ich längst nicht kannte! – Und selbst das Wasser, das Du mir brachtest, hat mich, als verschließe es in sich eine ganz besondere Kraft, wunderbar gelabt und erheitert. – Wenn ich denn nun reden darf, so thut es mir wohl, mich über meine Leiden und Freuden in menschlichen Tönen auszuschwatzen, weil Eure Sprache doch recht dazu geeignet scheint, durch die für so manche Gegenstände und Erscheinungen in der Welt erfundenen Wörter die Begebenheiten recht deutlich darzulegen; wiewol, was die innern Zustände der Seele und allerlei dadurch entstehende Beziehungen und Verknüpfungen mit den äußern Dingen betrifft, es mir vorkommt, als sey, um diese auszudrücken, mein in tausend Arten und Abstufungen gemodeltes Knurren, Brummen und Bellen eben so hinreichend, vielleicht noch hinreichender als Eure Worte; und oft als Hund in meiner Sprache nicht verstanden, glaubte ich, es läge mehr an Euch, daß ihr nicht trachtetet, mich zu verstehen, als an mir, daß ich mich nicht gehörig auszudrücken wüßte.“

„Theuerster Freund, fiel ich ein, Du hast in diesem Augenblick über unsere Sprache einen recht tiefen Gedanken angedeutet, und es scheint mir, als verbändest Du Verstand mit Gemüth, welches in der That eine recht seltne Sache ist. – Versteh’ übrigens den Ausdruck Gemüth, richtig oder sey vielmehr überzeugt, daß er mir nicht bloß als schaales Wort gilt, wie vielen so ganz Gemüthlosen, die ihn beständig im Munde führen. – Doch ich habe Dich unterbrochen!“ –

„Gestehe es nur ein, erwiederte der Hund, nur die Furcht vor dem Ungewöhnlichen, meine dumpfen Worte, meine Gestalt, die im Mondschein nicht eben Zutrauen erwecken kann, machten Dich erst so geschmeidig, so artig. – Nun hast Du Vertrauen zu mir gefaßt, Du nennst mich: Du! und das ist mir recht. – Willst Du, so laß uns die Nacht verplaudern; vielleicht unterhältst Du Dich heute besser, als gestern, da Du ganz unmuthig aus der gelehrten Versammlung die Treppe herabstolpertest.“ –

„Wie, Du hättest mich gestern?“… –

„Ja, ich erinnere mich jetzt in der That, daß Du es warst, der mich in jenem Hause beinahe überlief; wie ich dahin gekommen, davon später – jetzt will ich Dir ganz rücksichtslos, wie einem alten Freunde vertrauen, mit wem Du sprichst!“ –

„Du merkst, wie gespannt ich bin.“

„So wisse denn, daß ich jener Hund Berganza bin, der vor länger als hundert Jahren in Valladolid im Hospital zur Auferstehung“ –

Länger konnte ich nicht an mich halten, so hatte mich der Name: Berganza! elektrisirt. „Bester Mann! – rief ich in stürmischer Freude aus: – Wie! Sie selbst wären der prächtige, kluge, gescheite, gemüthliche Berganza, an den der Lizentiat Peralta durchaus nicht glauben wollte, dessen goldne Worte sich aber der Fähnrich Campuzano so gut hinter’s Ohr geschrieben hatte? O Gott, wie freue ich mich, nun so von Aug’ zu Auge den lieben Berganza“ –

„Halt, halt, rief Berganza, wie freue ich mich, auch den mir wohlbekannten Mann gerade in der Nacht, da mir wieder die Rede kam, im Walde wieder zu finden, der nun schon manche liebe Woche, manchen lieben Monat hier seine Zeit vertrödelt’ manchmal einen lustigen, seltener einen poetischen Einfall, niemals Geld in der Tasche, aber desto öfter ein Glas Wein zu viel im Kopfe hat; der schlechte Verse und gute Musik macht, den Neunzehntel nicht mögen, weil sie ihn für unklug halten – den“ –

„Still – still, Berganza! ich merke, daß Du mich nur zu gut kennst, daher lege ich jede Scheu ab. Ehe Du mir (wie ich denn hoffe, daß Du es thun wirst) indessen die wunderbare Art erzählst, wie Du Dich so lange erhieltest und endlich von Valladolid bis hieher kamst, so sage mir, warum Dir, wie es mir scheint, mein Thun und Treiben so wenig gefällt?“

„Das ist gar nicht der Fall, erwiederte Berganza, ich ehre Deine litterarischen Bemühungen und Deinen Sinn für das Poetische. – So wirst Du z. B. ohne Zweifel unser heutiges Gespräch aufschreiben und drucken lassen, weshalb ich mich denn bemühen will, meine beste Seite herauszukehren und so schön zu sprechen, als es mir nur möglich ist. – Allein, mein Freund – glaub’ es – ein Hund von Erfahrung spricht mit Dir! – Dein Blut fließt zu heiß durch die Adern, Deine Fantasie zerbricht im Muthwillen oft magische Kreise und wirft Dich unbereitet und ohne Waffe und Wehr in ein Reich, dessen feindliche Geister Dich einmal vernichten können. Fühlst Du das, so trinke weniger Wein, und um Dich mit dem Neunzehntel, das Dich für unklug hält, auszusöhnen, so schreibe über den Arbeitstisch, über die Stubenthüre, oder wo Du es sonst noch anzubringen vermagst, des Pater Franziskaners goldne Regel hin, nach der man die Welt gehen lassen, wie sie geht, und von dem Herrn Pater Prior nichts als Gutes reden muß! – Aber sage mir, mein Freund! hast Du nichts bei Dir, womit ich den starken Appetit, der sich eben bei mir plötzlich aufregt, nur einigermaßen zum Schweigen bringen könnte?“

Ich besann mich auf ein Butterbrot, das ich zum einsamen Morgenspaziergang mitgenommen und nicht verzehrt hatte, und fand es noch eingewickelt in der Tasche.

„Eine Wurst oder überhaupt ein Stück Fleisch wäre mir lieber gewesen, allein Noth bricht Eisen,“ sagte Berganza, und verzehrte mit Wohlgefallen das Butterbrot, welches ich ihm brockenweise in das Maul steckte. – Nachdem Alles aufgegessen war, versuchte er einige Sprünge, die ziemlich steif und ungelenk ausfielen, wobei er mehrmals beinahe wie ein Mensch laut schnupfte und nieste; dann legte er sich in der Stellung der Sphinx gerade vor die Moosbank, auf der ich saß, hin, und fing, mich mit seinen hellfunkelnden Augen steif anblickend, in folgender Art an:

„Zwanzig Tage und Nächte, mein lieber Freund, würden nicht hinreichen, Dir alle die wunderbaren Begebenheiten, die mancherlei Abentheuer und besonderen Erfahrungen zu erzählen, die mein Leben ausfüllten, seit der Zeit, da ich das Hospital der Auferstehung in Valladolid verließ. – Aber nur die Art, wie ich aus dem Dienste des Mahudes kam, und meine neuesten Schicksale sind Dir zu wissen nöthig, und auch diese Erzählung wird so lang ausfallen, daß ich Dich bitten muß, mich nicht viel zu unterbrechen. Nur wenige Worte, nur mitunter eine Reflexion erlaube ich Dir, wenn sie gescheit ist; ist sie aber einfältig, so behalte sie bei Dir und störe mich nicht unnützerweise, da ich eine gute Brust habe, und viel in einem Athem sprechen kann, ohne auszuschnaufen.“

Ich versprach das, ihm die rechte Hand hinreichend, in die er seine kräftige rechte Vorderpfote legte, die ich auf biedere deutsche Weise drückte und schüttelte. Eins der schönsten Freundschaftsbündnisse, die der Mond je beschienen, war geschlossen, und Berganza fuhr also weiter fort:

Berganza. Du weißt, daß damals, als mir und meinem verewigten Freunde Szipio (dem der Himmel eine fröhliche Urstätt geben möge) die Gabe der Rede zum ersten Male verliehen war, der Fähnrich Campuzano, der von den ungeheuersten Schmerzen gequält, sprachlos auf der Matratze im Hospital lag, unser Gespräch belauschte; und da der vortreffliche Don Miguel de Cervantes Saavedra, Campuzano’s Ausbeute der Welt erzählt, kann ich voraussetzen, daß Dir meine damaligen Begebenheiten, die ich meinem lieben unvergeßlichen Szipio mittheilte, genau bekannt sind. Du weißt daher, daß es meines Amtes war, den Bettelmönchen, die Allmosen für das Hospital einsammelten, die Laterne vorzutragen. Nun begab es sich, daß ich in der am weitesten von unserm Kloster gelegenen Straße, wo eine alte Dame jedesmal reichlich spendete, länger mit der Leuchte stehen bleiben mußte als gewöhnlich, da sich die wohlthätige Hand am Fenster nicht zeigen wollte. Mahudes rief mir zu, den Platz zu verlassen – o wäre ich seinem Rathe gefolgt! – Aber die bösen feindlichen Mächte hatten sich vereint zu der verderblichen Constellation, die mein unglückliches Schicksal entschied. Szipio heulte warnend – Mahudes bat in kläglichen Accenten. Schon wollte ich fort – da rauschte es am Fenster – ein Päckchen fiel herab; ich wollte hin, da fühlte ich mich von dürren Schlangenarmen umklammert, ein langer Storchhals dehnte sich aus über meinen Nacken, eine spitzige eiskalte Geiernase berührte meine Schnauze – blaue – pestdampfende Lippen hauchten mich an mit todbringendem Höllenathem – die Leuchte entsank meinen Zähnen, ein Faustschlag zerstörte sie.

„Hab’ ich Dich endlich – Du Hurensohn! – Du garstiger, Du geliebter Montiel! Jetzt lasse ich dich nicht mehr, o mein Sohn Montiel – mein guter Junge, habe ich Dich endlich!“ –

So schrie die schnarrende Stimme des Ungethüms mir in die Ohren! – Ach, ich war außer mir selbst – das verfluchteste Ungeheuer der Hölle, die verdammte Cannizares war’s, die auf meinen Rücken gesprungen, mich fest umklammert hielt – mein Athem stockte. – Mit dem besten Häscherhauptmann und seinen Gesellen hätte ich es, wohlgefüttert und stark, wie ich war, aufgenommen, allein hier sank mein Muth! – O daß dich Beelzebub tausendmal in seinem Schwefelpfuhl ertränkt hätte! – Ich fühlte den ekelhaften Leichnam, wie er sich in meine Rippen einnistete. – Die Brüste schlotterten gleich ledernen Beuteln, am Halse herunter, indem die langen winddürren Beine nachschleppten, und das zerrissene Gewand sich um meine Pfoten schlang. – O des entsetzlichen unglückseligen Augenblicks! –

Ich. Wie, Berganza – Deine Stimme stockt – ich sehe Thränen in Deinen Augen? – Kannst Du denn weinen? – Hast Du uns das abgelernt, oder ist Dir dieser Ausdruck des Schmerzes natürlich?

Berganza. Ich danke Dir. Du hast so zu rechter Zeit meine Erzählung unterbrochen; gemildert ist der Eindruck der gräßlichen Szene, und ehe ich fortfahre, kann ich Dir etwas von der Natur meiner lieben Brüder sagen, das Du gut thätest, Dir recht wohl zu merken. – Hast Du denn noch nie einen Hund weinen gesehn? – Allerdings hat die Natur, so wie Euch, auch uns mit eigner Ironie gezwungen, in dem feuchten Element des Wassers den Ausdruck der Rührung und des Schmerzes zu suchen, wogegen sie uns die Erschütterung des Zwergfells, wodurch die närrischen Laute entstehen, welche Ihr Lachen nennt, ganz versagt hat. Das Lachen muß daher wol rein menschlicher seyn, als das Weinen. Aber gütig sind wir für Euer Lachen durch einen besondern Organismus entschädigt, der den Theil unseres Körpers beseelt, welchen Euch die Natur ganz versagt, oder, weil, wie manche Physiologen behaupten, Ihr ihn, seine Zierde verkennend und verschmähend, beständig eigenmächtig weggeworfen habt, Euch zuletzt entzogen hat. – Ich meine nichts Anderes, als dasjenige hundertfach modifizirte Hin- und Herbewegen unseres Schweifes, wodurch wir alle Nüanzen unseres Wohlgefallens, von der leisesten Rührung der Lust, bis zur ausgelassensten Freude, zu bezeichnen wissen, und welches Ihr schlecht genug: wedeln, nennt. Adel der Seele – Hoheit – Stärke – Anmuth und Grazie sprechen sich bei uns aus in dem Tragen des Schweifes, und sehr schön liegt auch daher in diesem Theil der Ausdruck unseres innern Wohlbefindens, so wie in dem gänzlichen Verstecken, Einklemmen desselben, der Ausdruck der höchsten Angst, der qualvollsten Trauer – doch laß uns zu meinem gräßlichen Abentheuer zurückkehren. –

Ich. Deine Reflektion über Dich und Dein Geschlecht, lieber Berganza, zeugt von Deinem philosophischen Geiste, und so lasse ich’s mir wol gefallen, daß Du zuweilen die Geschichte unterbrichst.

Berganza. Immer mehr hoffe ich Dich von dem Adel meines Geschlechts zu überzeugen. Ist Dir nicht die den Katzen eigne Bewegung des Schweifes von je her ängstlich, ja unerträglich gewesen? Liegt nicht in diesen gewundenen spiralförmigen Drehungen der Ausdruck der verstellten Freundlichkeit, des versteckten tückischen Hohns, des verbissenen Hasses? – Und dagegen – mit welcher offenen Biederkeit, mit welchem unverstellten Frohsinn wedeln wir! – Bedenke das, mein Lieber! und schätze Hunde! –

Ich. Wie sollte ich das nicht! – Du, lieber Berganza! flößest mir eine wahre Ehrfurcht gegen Dich und Deinesgleichen ein, die ich zeitlebens nähren werde. Doch fahre jetzt in Deiner schauerlichen Erzählung fort.

Berganza. Ich biß wüthend um mich, ohne das Ungethüm zu verletzen. Hart an die Mauer mich drängend, trat ich endlich kräftig in das Gewand, das sich um meine Pfoten geschlungen hatte, und so gelang es mir, das Weib herabzuziehen. – Nun faßte ich mit den Zähnen ihren Arm – sie stieß einen entsetzlichen Schrei aus, und mit einem starken kühnen Sprunge schleuderte ich sie weit hinter mir zurück.

Ich. Gott sey Dank, Du bist erlöst.

Berganza. O höre nur weiter! – In voller Furie rannte ich nun bei dem Hospital vorbei zum Thore hinaus – fort – fort unaufhaltsam in die Nacht hinein. Von weitem glänzte mir ein Feuer entgegen, in drei Sprüngen war ich auf dem Kreuzwege, in dessen Mitte unter einem Dreifuß, auf dem ein seltsam geformter Kessel stand, das Feuer glühte, das ich schon in der Ferne gesehen. Eine ungeheure in häßlichen glänzenden Farben gesprenkelte Kröte saß aufrecht bei dem Kessel und rührte mit einem langen Löffel darin, daß schäumend, zischend und prasselnd der kochende Gischt übergährte in die Flammen hinein, aus denen blutrothe Funken emporfuhren, die in garstigen Gebilden zur Erde fielen. Eidexen mit albern lachenden Menschengesichtern, spiegelglatte Iltisse, Mäuse mit Rabenköpfen, allerlei widriges Ungeziefer rannte wild durch einander in immer enger und engeren Kreisen, und ein großer schwarzer Kater mit funkelnden Augen haschte gierig danach, und schluckte knurrend den Fang herunter. – Wie festgezaubert stand ich da; eine Eiskälte glitt über mich hin, und ich fühlte, daß meine Haare sich sträubten wie Borsten. Die Kröte, mit ihrem unwandelbaren Treiben und Rühren im Kessel, mit der Larve, die etwas Menschliches in sich tragend, das Menschliche höhnte, war ein scheußlicher Anblick. – Aber über den Kater wollte ich her! Aus dem knurrenden, murrenden, schmeichelnden, schwänzelnden, falschen Geschlecht, das dir von Natur zuwider, dachte ich, ist dieser schwarze Kerl? und in dem Augenblick fühlte ich Muth, auch das Teuflische zu bekämpfen, da es sich in der Gestalt meines natürlichen Feindes darstellte. Ein Tritt – ein Biß und der ganze Spuk ist vernichtet! Schon lauerte ich auf den günstigen Moment, wenn der Kater sich mir genug nahen würde, um ihn sicher und derb zu fassen; als eine kreischende Stimme durch die Lüfte fuhr: Montiel! Montiel!

Ich. Ach, Berganza! – ich merke Unrath. – Doch weiter.

Berganza. Du siehst, wie mich die Erzählung angreift; noch jetzt ist das Bild jener verhängnißvollen Nacht mir so lebhaft, als es je war, da meine Existenz – doch ich will nicht vorgreifen. –

Ich. So erzähle weiter. –

Berganza. Mein Freund! – es hört sich ganz bequem zu, aber der Erzähler keucht und schwitzt, um all’ die Wunder, all’ die seltsamen Abentheuer, von denen sein Gemüth befangen, gehörig in Worte und wohlgebaute Perioden zu fassen. – Ich fühle mich recht matt und sehne mich recht sehr nach einer wohl zubereiteten Bratwurst, meiner Lieblingsspeise; aber da das hier nun nicht zu erlangen, so muß ich nun freilich ohne alle Erquickung mein Abentheuer fortsetzen.

Ich. Ich bin begierig darauf, wiewol ich mich eines geheimen Schauers nicht erwehren kann. Daß Du sprichst, ist mir nun gar nichts Ungewöhnliches mehr, ich schaue nur immer in die Bäume, ob nicht so eine vertrackte Eidexe mit einem Menschengesicht herauslacht.

Berganza. Montiel! Montiel! schallte es durch die Lüfte – Montiel! Montiel! neben mir. Plötzlich sah ich mich umgeben von sieben riesenhaft großen dürren alten Weibern; sieben Mal glaubte ich die vermaladeite Cannizares zu sehen, und doch war es wieder keine, denn eine stets wechselnde Varietät in diesen verschrumpften Gesichtern mit den spitzigen Habichtsnasen, den grünfunkelnden Augen, den zahnlosen Mäulern, machte das Bekannteste fremd, das Fremdeste bekannt. Sie fingen einen kreischenden Gesang an, indem sie sich wilder und wilder mit wunderlichen Geberden um den Kessel drehten, daß die rabenschwarzen Haare weit in die Lüfte flatterten, und die zerrissenen Gewänder ihre gelbe ekelhafte Nacktheit kaum deckten. Der schwarze Kater schrie in den grellsten Tönen dazwischen, und indem er ganz nach Katzenart prustete und nieste, sprühten die Funken umher. Bald sprang er diesem, bald jenem Weibe an den Hals, die sich dann, indem die Andern still standen, im Wirbel drehte und tanzend ihn an sich drückte, bis er von ihr abließ. – Nun schwoll die Kröte mehr und mehr auf, und plötzlich stürzte sie sich in den dampfenden Kessel, daß er überfluthete in das Feuer, und nun gährte und zischte und knisterte und flackerte Feuer und Wasser in tausend abscheulichen Gebilden, die in Sinne beängstendem, rastlosem Wechsel hervorblitzten und verschwanden. – Da waren es seltsamliche häßliche Thiere, Menschengesichter nachäffend; da waren es Menschen, in gräßlicher Verzerrung mit der Thiergestalt kämpfend, die in einander, durch einander fuhren, und, mit einander ringend sich verzehrten. Und in dem dicken Schwefeldampf des lodernden Kessels, tanzend, drehten sich wilder und wilder die Hexen! –

Ich. Berganza – das ist zu gräßlich – selbst Deine Physiognomie – unterlasse, ich bitte Dich, ein gewisses Rollen Deiner übrigens geistreichen Augen. –

Berganza. Jetzt keine Unterbrechung, mein Freund! Höre lieber das geheimnißvolle grausige Hexenlied, das ich noch treu im Gedächtniß trage.

Eulen-Mutter! Eulen-Mutter!
Eulen-Mutter hergeflogen,
Junker hat den Sohn betrogen,
Sohn muß Sohnes Mutter sühnen,
Blut in Gluth ist bald erschienen.

Eulen-Mutter! Eulen-Mutter!
Eulen-Mutter hergeflogen!
Hat der rothe Hahn gelogen,
Muß den Hahn der Kater würgen,
Mutter stellt den treuen Bürgen.

Eulen-Mutter! Eulen-Mutter!
Eulen-Mutter hergeflogen!

[163]

Ist im Fünf die Sieb’n gewogen.
Kobolt, Salamander weichen,
Seht sie durch die Lüfte streichen.

Eulen-Mutter! Eulen-Mutter!

So lauteten die Worte des Gesanges, den die Sieben Furchtbaren abkreischten. Hoch durch die Lüfte erscholl es: „O mein Sohn Montiel! trotze dem Junker, trotze dem Junker!“ – Da sprang grimmig schnaubend und Funken prustend der schwarze Kater auf mich zu; ich aber nahm meine Kraft zusammen, und da ich nun eine besondere Stärke und Geschicklichkeit in meinen Vordertatzen – (Tatze gefällt mir viel besser, als das weichliche weibliche: Hand! Könnte ich nur sagen: der Tatz, aber das verbieten Eure frisirte Adelunge!) – ich wollte sagen: da ich nun eine besondere Stärke und Geschicklichkeit in meinen Vordertatzen besitze, so trat ich meinen Feind zu Boden, und packte ihn mit meinem scharfen Gebiß fest, das lumpichte Raketenfeuer nicht achtend, das nun aus Nase, Auge, Maul und Ohr prasselnd emporfuhr. Da heulten und schrieen im schneidenden Jammer die Hexen und warfen sich zur Erde, und rissen die schlotternden Brüste blutig mit den langen Nägeln der knöchernen Finger. Ich aber ließ meinen Fang nicht fahren. – Ein Flattern –

ein Brausen in der Luft. – Auf einer Eule herab kommt ein altes graues Mütterlein, ganz anders wie die Uebrigen gestaltet. Das verglaste Auge lacht gespenstisch in mich hinein. Montiela! kreischen die Sieben – ein Schlag zuckt durch meine Nerven – ich lasse den Kater los. – Aechzend und schreiend fährt er davon auf einem blutrothen Lichtstrahl. Dicker Dampf umquillt mich – ich verliere Athem – Besinnung – ich sinke hin. –

Ich. Berganza, halte ein; Deine Darstellung hat fürwahr ein lebhaftes Colorit; ich sehe die Montiela – die Flügel ihrer Eule wehen mir eine gewisse schauerliche Kälte zu – ich kann nicht läugnen, daß ich mich nach Deiner gänzlichen Befreiung sehne.

Berganza. Als ich wieder zur Besinnung kam, lag ich an der Erde; ich konnte keine Pfote regen, die sieben Gespenster saßen am Boden gekauert um mich herum, und streichelten und drückten mich mit ihren Knochenfäusten. Meine Haare trieften von einer ekelhaften Fettigkeit, womit sie mich gesalbt hatten, und ein unbeschreibliches Gefühl durchbebte mein Inneres. Es war als müsse ich aus meinem eignen Körper herausfahren, zuweilen sah ich mich ordentlich als ein zweiter Berganza da liegen, und das war ich wieder selbst, und der Berganza, der den andern unter den Fäusten der Hexen sah, war ich auch, und dieser bellte und knurrte den liegenden an, und forderte ihn auf, doch tüchtig hineinzubeissen, und mit einem kräftigen Sprunge aus dem Kreise herauszufahren – und der liegende – doch! – was ermüde ich Dich mit der Beschreibung eines Zustandes, der, durch höllische Künste hervorgebracht, mich in zwei Berganza’s theilte, die miteinander kämpften.

Ich. So viel ich aus Deinem frühern Leben, aus den Worten der Cannizares, aus den Umständen des Hexenkongresses abnehmen kann, war es auf nichts anders abgesehen, als Dir eine andere Gestalt zu geben. Der Sohn Montiel, für den sie Dich nun einmal hielten, sollte vielleicht als ein schmucker Junge erscheinen, und darum salbten sie Dich mit jenem bekannten Hexenöl, das solche Verwandlungen hervorzubringen vermag.

Berganza. Du hast ganz recht gerathen, denn indem die Hexen mich streichelten und drückten, sangen sie in hohlen wimmernden Tönen ein Lied, dessen Worte auf meine Verwandlung hindeuteten:

Söhnlein! Uhu läßt grüßen,
Uhu hat Kater gebissen!
Söhnlein, hab’ wohl Acht,
Mutter hat was mitgebracht.
Söhnlein, den Hund laß liegen,

[166]

Hui! – mußt den Junker betrügen,
Dreh’ dich, Spuk und Graus,
Söhnlein, fahr nun fix heraus.

Und so oft das Lied zu Ende war, schlug die Alte auf der Eule die knöchernen Fäuste klappernd zusammen, und ihr Geheul durchschnitt in wildem Jammer die Lüfte. Meine Qual wuchs mit jedem Augenblick; da krähte im nächsten Dorfe der Hahn; ein rother Schimmer durchflog den Osten, und brausend und sausend fuhr das Gesindel durch die Luft, daß in einem Moment der ganze Spuk zerstoben und verflogen war, und ich einsam und entkräftet an der Heerstraße lag.

Ich. Wahrhaftig, Berganza, die Szene hat mich angegriffen, und daß Du in Deiner Betäubung die Hexenlieder so gut gemerkt hast, das nimmt mich Wunder.

Berganza. Außerdem daß sie die Hexenverse hundertmal abkreischten, so war es ja eben der starke Eindruck, die Qual der vergeblichen Zauberkünste, die mir Alles tief einprägen, und so meinem ohnehin nur zu treuen Gedächtniß zu Hülfe kommen mußte. – Das eigentliche Gedächtniß höher genommen, besteht, glaube ich, auch nur in einer sehr lebendigen regsamen Fantasie, die jedes Bild der Vergangenheit mit allen individuellen Farben und allen zufälligen Eigenheiten

im Moment der Anregung hervorzuzaubern vermag. Wenigstens hörte ich dies von einem meiner gewesenen Herren behaupten, der ein erstaunliches Gedächtniß hatte, unerachtet er selten Namen und Jahrzahlen behielt.

Ich. Er hatte Recht, Dein Herr, und also möcht’ es sich auch mit Worten und Reden, die tief ins Gemüth drangen, und die man im innersten, tiefsten Sinn aufnahm, anders verhalten, als mit auswendig gelernten Vokabeln. – Doch wie ging es weiter mit Dir, Berganza?

Berganza. Mühsam schleppte ich mich, matt und entkräftet wie ich war, von der Heerstraße in einen nahe gelegenen Busch und schlief ein. Als ich erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel, und das Hexenöl schmorte auf meinem borstigen Rücken. Ich stürzte mich in den Bach, der durch das Gebüsch rauschte, um mich von meiner widrigen Salbung rein zu baden, und eilte dann mit verjüngter Kraft rasch davon, da ich nach Sevilla nicht zurückkehren, und so vielleicht der verruchten Cannizares noch einmal in die Hände gerathen mochte. – Jetzt aber merke auf, denn nun erst kommt, wie die Moral nach der Fabel, dasjenige, was Dir zu wissen nöthig, um meine Existenz zu begreifen.

Ich. Das wünsche ich in der That zu hören. Denn indem ich Dich so anschaue, indem ich so bedenke, daß nun schon seit mehreren hundert Jahren –

Berganza. Sprich nicht weiter! – Das Vertrauen, das ich zu Dir faßte, ist werth, von Dir vergolten zu werden, oder bist Du auch einer von denen, die es für gar nicht wunderbar halten, daß die Kirschen blühen und nachher zu Früchten reifen, weil sie diese dann essen können, die aber Alles für unwahr halten, wovon ihnen bis dato die leibliche Ueberzeugung abgeht? O Lizentiat Peralta! Lizentiat Peralta!

Ich. Ereifre Dich nicht, mein lieber Berganza! Man sagt im Sprichwort: das sind Menschlichkeiten; nimm diesen Zweifel, diesen Unglauben an das Unglaubliche, der mir wider Willen aufsteigt, dafür.

Berganza. Du giebst selbst den Ton zu der besonderen Melodie an, in die ich bald fallen werde! – Wie ich nun von neuem aufgelebt und ermuthigt über Wiesen und Felder sprang, wie ich auf die Art, die Dir aus meinem früheren Leben schon bekannt ist, bei Diesem oder Jenem glücklich unterkam, das übergehe ich, um Dir gleich zu sagen, daß ich von Jahr zu Jahr jedesmal an dem verhängnißvollen Tage, der mich in den verfluchten Hexenkreis trieb, die Wirkung des vermaledeiten Zaubers auf eine eigene qualvolle Weise spürte. – Wenn Du mir versprichst, keinen Anstoß zu nehmen an dem, was vielleicht Dich und Dein Geschlecht betreffen könnte, wenn Du mit mir dem Spanier über manchen vielleicht verfehlten Ausdruck nicht rechten willst, so versuche ich –

Ich. Berganza! erkenne in mir einen wahrhaften Weltbürgersinn; das heißt, anders als gewöhnlich genommen. Ich unterstehe mich nicht, die Natur engherzig zu scheiden und zu klassifiziren, und daß Du überhaupt nur sprichst, und noch dazu ganz gescheidt, läßt mich alles diesem Wunderbaren Untergeordnete gänzlich vergessen. Sprich also, Theurer! wie zu Deinem Freunde; rede, wie war die Wirkung des verrufenen Hexenöls noch nach Jahren?

– Hier stand Berganza auf, schüttelte und kratzte sich in gekrümmter Stellung mit der linken Hinterpfote hinter dem linken Ohre. Nachdem er noch ein paarmal herzhaft geniest, wozu ich eine Prise nahm und Contentement sagte, sprang er auf die Bank und lehnte sich an mich, so, daß die Schnauze beinahe mein Gesicht berührte; dann ging das Gespräch weiter fort.

Berganza. Die Nacht ist kühl, genieße daher etwas von meiner animalischen Wärme, die zuweilen gar in elektrischen Funken aus meinen schwarzen Haaren knistert; dazu mag ich das, was ich Dir jetzt erzählen will, nur ganz leise herreden. – Ist der unglückselige Tag gekommen und naht die verhängnißvolle Stunde, so fühle ich erst ganz besondere Appetite, die mich sonst niemals anwandeln. Ich möchte statt des gewöhnten Wassers, guten Wein trinken – Sardellensalat essen. Alsdann muß ich gewisse Menschen, die mir in den Tod zuwider und die ich sonst anknurre, freundlich anwedeln. – Nun steigt es und steigt es. Hunde, die mir an Kraft und Muth gewachsen, die ich aber sonst furchtlos bekämpfe, wenn sie mich befehden, vermeide ich, aber den kleinen Möpsen und Spitzen, mit denen ich sonst gern spiele, möchte ich nun gern hinterrücks einen Tritt geben, weil ich weiß, daß es ihnen weh thut, und sie sich nicht rächen können. Nun schraubt und dreht es sich im Innersten. Alles schwebt und schwimmt vor meinen Augen – neue unbeschreibliche Gefühle pressen und ängstigen mich. Der schattige Busch, unter dem ich sonst so gern liege und mit dem ich zu sprechen wähne, wenn so der Wind die Aeste rührt, daß aus jedem Blatt ein süßer Laut säuselnd hervorblinkt, der ist mir zuwider; in den hellen Mond, vor dem die Wolken sich wie vor dem König der Nacht in prächtiges Gold putzen, wenn sie bei ihm vorüberziehn, kann ich nicht hineinblicken; aber unwiderstehlich treibt es mich hinauf in den erleuchteten Saal. Da möchte ich aufrecht gehen, den Schwanz einklemmen, mich parfumiren, französisch sprechen und Gefrornes fressen, daß Jeder mir die Pfote drücken sollte und sagen: mon cher Baron oder mon petit Comte! und nichts Hündisches an mir spüren. – Ja es ist mir dann entsetzlich ein Hund zu seyn, und indem ich schnell wie der Gedanke in einer vermeintlichen Bildung zum Menschen steige, wird mein Zustand immer ängstlicher. Ich schäme mich, jemals an einem warmen Frühlingstage auf der Wiese gesprungen oder mich im Grase gewälzt zu haben. Im härtesten Kampfe werde ich immer bedächtiger und ernsthafter. – Zuletzt bin ich ein Mensch und beherrsche die Natur, die Bäume deshalb wachsen läßt, daß man Tische und Stühle daraus machen kann, und Blumen blühen, daß man sie als Strauß in das Knopfloch stecken kann. Indem ich mich aber so zur höchsten Stufe hinaufschwinge, fühle ich, daß sich eine Stumpfheit und Dummheit meiner bemächtigt, die immer steigend und steigend mich zuletzt in eine Ohnmacht wirft.

Ich. Ach! – Ach! – mein lieber Berganza, ich habe es wol gesagt, in die menschliche Gestalt wollten sie den Montiel putzen, den der Papa Satan zu was Anderm verbraucht hat; die Zauberkünste scheiterten an der Gewalt des Junkers, der im spottenden Hohn, wie Mephistopheles in der Hexengarküche, Geräthschaften und Thiere durch einander warf, daß die Scherben sprangen und die Gelenke knackten, und da bereiteten sie Dir den gräßlichen Kampf, den Du nun, wie Du sagst, jedes Jahr an dem unglückseligen verhängnißvollen Tage zu bestehen hast.

Berganza. Dieser Kampf scheint mir aber mit stets reproduktiver Kraft ein Leben bis in die Ewigkeit zu sichern; denn verjüngt und gestärkt erwache ich jedesmal aus der Ohnmacht. Die besondere Constellation, unter der ich geboren, und die mir vergönnte, daß ich Euer Sprechen nicht nur abhorchen, sondern auch wirklich nachmachen konnte, ist in Konflikt gerathen mit jenen Zauberkünsten der Hexen, und nun laufe ich, prügel- schuß- und stichfest in der Welt umher, wie der ewige Jude; und meine Ruhestätte ist nirgends zu finden. – Es ist eigentlich ein bejammernswürdiges Schicksal, und Du fandest mich, da ich eben einem widrigen Herrn entlaufen und den ganzen Tag nichts gegessen, in Betrachtungen über mein Elend vertieft.

Ich. Armer Berganza! – Indem ich Dich so näher im Mondschein betrachte, treten in Deinem, wiewol etwas schwärzlichen Gesichte, immer mehr Züge einer treuen Biederherzigkeit, eines edlen Sinnes hervor. Selbst Dein, übrigens etwas befremdendes, Talent zu sprechen, erregt in mir kein Grauen mehr. – Du bist (ich darf es sagen) ein poetischer Hund, und da ich selbst – Du mußt es wissen, da Du mich kennst – von allem Poetischen hoch entflammt bin, wie wäre es, wenn Du mir Deine Freundschaft gönntest, wenn Du mit mir kämst?

Berganza. Davon ließe sich reden, allein –

Ich. Kein Fußstoß, noch weniger Prügel. – Alle Tage nebst dem Gewöhnlichen zum Dessert eine wohl zubereitete Bratwurst. – Auch soll Dir oft genug eine Kalbskeule süß entgegenduften, und Du nicht vergebens auf ein stattliches Stück davon harren.

Berganza. Du merkst, daß Dein Vorschlag seine Wirkung nicht verfehlt, da ich nicht unterlassen kann, mit der Nase zu schnuppern, als sey der Braten schon in der Nähe. Allein Du hast etwas fallen lassen, was mich, wo nicht ganz abschreckt, doch sehr zweifelhaft macht.

Ich. Nun, Berganza?

Berganza. Du sprachst von poetisch, von entflammt seyn –

Ich. Und das sollte Dich abschrecken?

Berganza. Ach, mein Freund, laß mich aufrichtig seyn! – Ich bin zwar ein Hund, aber Euer Vorzug aufrecht zu gehen, Hosen zu tragen und beständig zu schwatzen, wie es Euch gefällt, ist nicht so viel werth, als im langen Schweigen den treuen Sinn zu bewahren, der die Natur in ihrer heiligsten Tiefe ergreift und aus dem die wahre Poesie emporkeimt. In einer herrlichen alten Zeit unter dem südlichen Himmel, der seine Strahlen in die Brust der Kreatur wirft und den Jubelchor der Wesen entzündet, von niedern Eltern geboren, horchte ich dem Gesange der Menschen zu, die man Dichter nannte. Ihr Dichten war ein Trachten aus dem Innersten heraus, diejenigen Laute anzugeben, die die Natur als ihre eignen in jedem Wesen auf tausendfache Weise widertönen läßt. – Der Dichter Gesang war ihr Leben, und sie setzten ihr Leben daran als an das Höchste, das das Schicksal, die Natur ihnen vergönnt hatte zu verkünden.

Ich. Berganza! – ich bewundere es, daß Du eines gewissen poetischen Ausdrucks so mächtig bist.

Berganza. Mein Freund! – ich sage Dir, schon in meinen guten Jahren lebte ich viel und gern bei Dichtern. Die Brotrinden, die mir jener arme Student, herzlich mit mir die karge Nahrung theilend, gab, schmeckten mir besser, als manches Stück Braten, von dem feilen Bedienten mir verächtlich hingeworfen. – Damals glühte noch in der Brust der Berufenen das innige, heilige Bestreben, das im Innersten Empfundene in herrlichen Worten auszusprechen, und selbst die, welche nicht berufen waren, hatten Glauben und Andacht; sie ehrten die Dichter wie Propheten, die von einer herrlichen unbekannten Welt voll glänzenden Reichthums weissagen, und wähnten nicht, auch unberufen selbst in das Heiligthum treten zu dürfen, von dem ihnen die Poesie die ferne Kunde gab. Nun ist aber Alles anders geworden. – Hat der reiche Bürgersmann, der Herr Professor, der Herr Major ein Nest voll Kinder, so muß Hänschen und Friedrich und Peter singen, und spielen, und mahlen, und Verse deklamiren, ohne Rücksicht, ob der Geist auch nur im mindesten vermag, dergleichen zu ertragen. – Es gehört zur sogenannten guten Erziehung, und nachher glaubt ein Jeder mitschwatzen und den Dichter, den Künstler, in seinem innersten Thun und Treiben durchschauen und nach seinem Maaße messen zu können. – Kann der Künstler tiefer gekränkt werden, als wenn der Pöbel ihn für seines Gleichen hält? – und doch geschieht dieß alle Tage. Wie oft hat es mich angeekelt, wenn so ein stumpfsinniger Bursche von der Kunst schwatzte, den Göthe zitirte, und sich bemühte, einen Geist der Poesie hervorleuchten zu lassen, von dem ein einziger Blitz ihn, den saft- und kraftlosen Schwächling, zermalmt haben würde. Vorzüglich – nimm es nicht übel, Freund! wenn Du etwa eine Frau oder Geliebte der Art haben solltest – vorzüglich sind mir Eure vielseitig gebildeten poetischen, künstlerischen Weiber in den Tod zuwider, und so gern ich mich von einer feinen Mädchenhand streicheln lasse, und meinen Kopf auf eine zierliche Schürze lege, so ist es mir doch oft, wenn ich so eine Frau ohne alles tiefe Gefühl, ohne allen höheren Sinn ins Blaue hinein in allerlei eingelernten poetischen Floskeln schwatzen hörte, gewesen, als müsse ich ihr in irgend einen empfindlichen Theil ihres Leibes mit meinen scharfen Zähnen einen tüchtigen Denkzettel beissen! –

Ich. Ei, schäme Dich, Berganza! – Da spricht die Rachsucht aus Dir; ein Weib, die Cannizares, war ja an all’ Deinem Ungemach Schuld.

Berganza. Wie sehr irrst Du, da Du etwas kombinirst, was durchaus ohne allen Zusammenhang ist und bleibt. Glaube mir, irgend eine übernatürliche schreckliche Erscheinung im Leben wirkt wie ein starker elektrischer Schlag, der den Körper, der ihm nicht zu widerstehen vermag, zerstört, den Kräftigen aber, der ihn aushält, mit neuer Kraft stählt – wenigstens habe ich das so gefunden. – Denke ich mir die Cannizares lebhaft, so spannen sich meine Muskeln und Fibern, meine Pulse klopfen in allen Adern, aber selbst nach augenblicklicher Ermattung erhebe ich mich kräftig, und die Erschütterung wirkt wohlthätig auf meine physische und psychische Thätigkeit. – Aber so eine poetische gebildete Frau mit ihrer Oberflächlichkeit, mit dem bis zum Schmerz angestrengten Bemühen, alle Welt glauben zu machen, sie sey begeistert für die Kunst – für das Göttliche, und was weiß ich – Ach – Ach –

Ich. Berganza! – Was ist Dir – Du stockst? – Du legst den Kopf auf die Pfote?

Berganza. Ach, mein Freund, indem ich davon spreche, empfinde ich schon die zerstörende Mattigkeit, den unbeschreiblichen Ekel, der mich bei dem unseligen Kunstgeschwätz der gebildeten Weiber anwandelt, und welcher macht, daß ich oft Wochen lang den schönsten Braten unberührt lasse.

Ich. Aber, lieber Berganza, könntest Du nicht durch gehöriges Knurren und Bellen solch ein verwettertes Gespräch unterbrechen, denn würdest Du auch zur Thür hinausgeworfen, so würdest Du doch den Kram los?

Berganza. Greife in Deinen Busen, Freund! und gestehe, ob Du nicht oft aus ganz besonderen Anregungen Dich ohne Noth hast quälen lassen. – Du warst in einer fatalen Gesellschaft – Du konntest den Hut nehmen und fortgehen. Du thatst es nicht. Diese, jene Rücksicht, nicht werth, ohne innere Schaam genannt zu seyn, hielt Dich zurück. – Du wolltest Diesen – Jenen – nicht beleidigen, unerachtet seine Gunst Dir nicht einen Pfifferling werth seyn konnte. – Irgend eine Person – ein stilles Mädchen am Ofen, die nur Thee trank und Kuchen aß, war Dir interessant geworden, und Du wolltest noch in einem schicklichen Moment Dein Licht leuchten lassen vor ihr und sagen: Göttliche! was soll all’ das Reden und Singen und Deklamiren, ein einziger Blick Ihres himmlischen Auges ist mehr werth, als der ganze Göthe, neueste Ausgabe –

Ich. Berganza! – Du wirst anzüglich! –

Berganza. Nun, mein Freund! wenn Euch Menschen so etwas begegnet, warum soll es denn ein armer Hund nicht ehrlich bekennen, daß er oft verkehrt genug war, sich zu freuen, wenn er trotz seinem für seine Zirkel, wo sonst nur Möpse schwänzeln und Bologneser keifen, zu kräftigen Wuchs, doch zu Gnaden angenommen wurde, und mit einem schönen Halsbande geziert, unter dem Sopha der Gebieterinn im eleganten Zimmer liegen konnte. – Doch – was ermüde ich Dich mit all’ diesem Bemühen, Dir die Schlechtigkeit Eurer gebildeten Weiber zu beweisen? Laß mich Dir die Katastrophe erzählen, die mich hertrieb, und Du weißt, warum das schaale oder oberflächliche Wesen unserer jetzigen sogenannten geistreichen Zirkel mich so in Harnisch jagt. – Doch erst etwas zur Erholung! –

– Berganza sprang schnell vom Sitze herab, und sprengte in einem etwas schweren Galopp ins Gebüsch. Ich hörte, daß er aus einer nahen Grube, worin sich das Wasser gesammelt hatte, eifrig trank. Bald kam er zurück, und nachdem er sich tüchtig geschüttelt hatte, setzte er sich wieder neben mir auf die Hinterpfoten, und fing, den Kopf von mir ab nach der Statüe des heiligen Nepomuk gewendet, mit einem dumpfen wehmüthigen Ton in folgender Art an:

Berganza. Ich sehe ihn noch vor mir, den guten, herrlichen Mann mit den blassen, eingefallenen Wangen, dem düstern Auge, der beweglichen Stirnmuskel; der trug den wahren poetischen Sinn im Innern, und ich verdanke ihm nächst mancher herrlichen Erinnerung an eine bessere Zeit, meine musikalischen Kenntnisse.

Ich. Wie, Berganza? – Du? – musikalische Kenntnisse? – ich muß lachen!

Berganza. So seyd Ihr nun! – Gleich ist das Urtheil fertig. Weil Ihr uns oft mit dem abscheulichsten Kratzen, Pfeifen und Plärren quält, und wir dann vor lauter Angst und Ungeduld heulen, so sprecht Ihr uns allen Sinn für die Musik ab, unerachtet ich behaupte, daß gerade mein Geschlecht sehr musikalisch gezogen werden könnte, wenn ich nicht jenen verhaßten Thieren den Vorzug einräumen muß, die die Natur mit einem besondern musikalischen Produktionsvermögen ausgestattet hat, da sie, wie mein edler Herr und Freund oft bemerkte, ihre Liebeslieder in die chromatische Skala auf- und absteigenden Terzen gar zierlich duettiren. – Genug, als ich mich in der benachbarten prächtigen Residenz zu dem Kapellmeister Johannes Kreisler begeben hatte, profitirte ich in der Musik sehr. – Wenn er auf seinem schönen Flügel fantasirte, und in gar wunderbaren Verschlingungen prächtiger Akkorde das innerste Heiligthum der geheimnißvollsten Kunst aufschloß, da legte ich mich vor ihm hin und horchte, ihm scharf ins Auge blickend, zu, bis er geendet hatte. Dann warf er sich in den Stuhl zurück, und groß wie ich bin, sprang ich zu ihm hinauf, meine Pfoten auf seine Schultern legend, indem ich nicht unterließ auf jene Art, von der wir vorhin sprachen, eifrigst meinen Beifall, meine Freude zu bezeugen. Da umarmte er mich dann, und sprach: Ha, Benfatto! (so nannte er mich zum Andenken unseres Zusammentreffens) du hast mich verstanden! du treuer verständiger Hund; sollt’ ich es denn nicht aufgeben, jemand Anderm vorzuspielen, als dir? – du sollst mich nicht verlassen.

Ich. Also Benfatto nannte er Dich?

Berganza. Ich traf ihn zuerst in dem schönen Parke vor dem ...r Thor; er schien komponirt zu haben, denn er saß mit einem Notenblatt und einem Bleistift in der Hand in der Laube. In dem Augenblick, als er vor Begeisterung glühend, aufsprang und laut rief: Ah! – ben fatto! fand ich mich zu ihm und schmiegte mich ihm nach der bekannten Weise an, die schon der Fähnrich Campuzano erzählt hat. – Ach! warum konnte ich nicht bei dem Kapellmeister bleiben! – ich hatte die schönsten Tage – allein –

Ich. Halt, Berganza! – ich erinnere mich von dem Johannes Kreisler sprechen gehört zu haben, indessen es hieß – nimm’s nicht übel! – er habe schon sein ganzes Leben hindurch zu Zeiten etwas Weniges übergeschnappt, bis dann endlich der helle Wahnsinn ausgebrochen sey, worauf man ihn in die bekannte hier ganz nahe gelegene Irrenanstalt bringen wollen; er sey indessen entsprungen. –

Berganza. Ist er entsprungen, so geleite Gott seine Schritte. – Ja, mein Freund, den Johannes haben sie erschlagen und begraben wollen, und als er im Gefühl der göttlichen Uebermacht, die ihm der Geist verliehen, sich frei regen und bewegen wollte, da mußte er wahnsinnig seyn.

Ich. Und war er es denn nicht?

Berganza. O sey so gut, nenne mir doch den, der als Prototypus der Menschheit überhaupt zum Verstandesmesser aufgestellt werden, und dann nach der Thermometer-Skala seines Kopfes genau bestimmen soll, auf welchem Grad der Verstand des Patienten, oder ob er vielleicht gar über oder unter der ganzen Skala steht! – In gewissem Sinn ist jeder nur irgend exzentrische Kopf wahnsinnig, und scheint es desto mehr zu seyn, je eifriger er sich bemüht, das äußere matte todte Leben durch seine inneren glühenden Erscheinungen zu entzünden. Jeden, der einer großen heiligen Idee, die nur der höheren göttlichen Natur eigen, Glück, Wohlstand, ja selbst das Leben opfert, schilt gewiß der, dessen höchste Bemühungen im Leben sich endlich dahin konzentriren, besser zu essen und zu trinken, und keine Schulden zu haben, wahnsinnig, und er erhebt ihn vielleicht, indem er ihn zu schelten glaubt, da er als ein höchst verständiger Mensch jeder Gemeinschaft mit ihm entsagt. – So sprach oft mein Herr und Freund Johannes Kreisler. – Ach, er mochte etwas Großes erfahren haben, das merkte ich an seinem ganz veränderten Betragen. Eine innere Wuth brach oft plötzlich in lichten Flammen auf, und ich erinnere mich, daß er einmal sogar mit einem Prügel nach mir werfen wollte, es that ihm aber gleich leid und er bat es mir mit Thränen ab. – Was die Ursache gewesen, weiß ich nicht, da ich ihn nur auf seinen Abend- und Nachtspaziergängen begleitete, Tags über hingegen seinen kleinen Hausrath und seine musikalischen Schätze bewachte. – Bald darauf kamen viele Leute zu ihm, die sprachen allerlei ungewaschenes Zeug, und jeden Augenblick war von vernünftigen Vorstellungen, von Beruhigen die Rede. Johannes erfuhr hier meine Stärke und Behendigkeit, denn da mir das Volk schon lange im höchsten Grade zuwider, sprang ich, auf meines Herrn Wink, um so rascher und kräftiger unter das Gesindel, und begann so den Angriff, den mein Herr dadurch glorreich beendete, daß er Einen nach dem Andern zur Thür hinauswarf. – Tages nachher stand mein Herr matt und entkräftet auf. – „Ich sehe, lieber Benfatto, sprach er, daß meines Bleibens hier nicht länger mehr ist; – und auch wir müssen uns trennen, mein treuer Hund! – Haben sie mich doch schon deshalb für toll gehalten, weil ich Dir vorspielte, und mit Dir allerlei Vernünftiges sprach! – Auch Dich könnte, bliebst Du länger bei mir, der Verdacht des Wahnsinns verfolgen, und so, wie mich eine schändliche Einsperrung erwartet, der ich aber zu entgehen hoffe, Dich ein schmachvoller Tod durch des Büttels Hand treffen, dem Du nicht entgehen würdest. – Lebe wohl, ehrlicher Benfatto.“ – Schluchzend öffnete er die Thür und ich schlich mit hängenden Ohren die vier Treppen herab auf die Straße.

Ich. Aber, lieber Berganza! – die Erzählung des Abentheuers, das Dich hertrieb, hast Du ganz vergessen.

Berganza. Alles bisher Erzählte war die Einleitung dazu. – Als ich nun so traurig und in mich gekehrt die Straße herablief, kam ein Trupp Menschen auf mich zu, von denen einige riefen: „Greift den schwarzen Hund – greift ihn! – er ist toll, er ist gewiß toll!“ Ich glaubte meines Johannes Widersacher zu erkennen, und da ich voraussehen konnte, daß ich trotz meines Muthes, trotz meiner Geschicklichkeit würde erliegen müssen, sprang ich rasch um die Ecke in ein ansehnliches Haus, dessen Thür gerade offen stand. Alles verkündete Reichthum und Geschmack; die breite lichte Treppe war schön gebohnt; kaum die Stufen mit meinen schmutzigen Tatzen berührend, war ich in drei Sprüngen oben, und kauerte mich in einem Ofenwinkel eng zusammen. Nicht lange darauf hörte ich lustiges Kindergeschrei auf dem Flur und die holde Stimme eines schon erwachsenen Mädchens: „Lisette! vergiß nicht die Vögel zu füttern, meinem Seidenhäschen gebe ich schon selbst etwas!“ – Da war es als triebe mich eine geheime unwiderstehliche Gewalt hervor. Ich trat demnach mich krümmend und schwänzelnd in der demüthigsten Stellung, die mir zu Gebote steht, heraus, und siehe da – ein gar herrliches Mädchen von höchstens sechszehn Jahren, mit einem muntern goldlockigen Knaben an der Hand, ging gerade über den Hausflur. – Trotz meiner demüthigen Stellung erregte ich doch, wie ich es gefürchtet hatte, keinen geringen Schreck. – Das Mädchen schrie laut auf: „Was für ein häßlicher Hund, wie kommt der große Hund hieher!“ – drückte den Knaben an sich, und schien fliehen zu wollen. Da kroch ich zu ihr hin, und mich zu ihren Füßen schmiegend, winselte ich leise und wehmüthig. „Armer Hund, was fehlt dir,“ sprach nun das holde Mädchen, und streichelte mich mit der kleinen weißen Hand. Nun wußte ich nach und nach mein Vergnügen zu steigern, so daß ich zuletzt meine zierlichsten Sprünge versuchte. Das Mädchen lachte und der Knabe jauchzte und hüpfte vor Freude. Bald äußerte er, wie Knaben gemeinhin zu thun pflegen, die Lust, auf mir zu reiten; die Schwester wehrte es ihm, ich drückte mich aber an den Boden, und lud ihn selbst durch allerlei lustiges Knurren und Schnupfen zum Aufsteigen ein. – Endlich ließ ihm die Schwester seinen Willen, und kaum saß er auf meinem Rücken, so erhob ich mich langsam, und indem ihn die Schwester in gar anmuthiger Stellung mit einer Hand hielt, ging es erst im Schritt, dann in kleinen Courbetten den Hausplatz auf und ab. – Noch mehr als vorhin jauchzte und jubelte der Knabe, noch herzlicher lachte die Schwester. Da trat noch ein Mädchen heraus, sie schlug die kleinen Hände zusammen, als sie die Reiterei sah, aber alsbald lief sie heran und hielt den Knaben bei dem andern Arm. Nun durfte ich größere Sprünge wagen, nun ging es vorwärts im kurzen Galopp, und wenn ich prustend und kopfschüttelnd es dem schönsten arabischen Hengste gleich that, da schrieen die Kinder auf vor Freude. Bediente, Mägde kamen Treppe herauf, Treppe herunter – die Küchenthür öffnete sich, der stattlichen Köchinn entsank die kupferne Kasserolle und fiel klirrend auf den steinernen Boden, da sie die gluthrothen Fäuste in die Seite stemmte, um das Schauspiel recht herzlich zu belachen. – Immer größer wurde das schaulustige Publikum, immer lauter der Jubel; von dem schallenden Gelächter erdröhnten Wände, Decke und Boden, wenn ich als ein wahrer Pagliaßo irgend einen närrischen Bockssprung ausführte. – Plötzlich blieb ich stehen, man hielt mich für müde, aber als man den Knaben heruntergehoben, sprang ich hoch auf und legte mich dann schmeichelnd zu des braunlockigen Mädchens Füßen. – Wahrhaftig, sprach schmunzelnd die dicke Köchinn: wahrhaftig, Fräulein Cäzilia! es ist, als wollte der Hund Sie zum Aufsitzen nöthigen. Da fiel der Chor der Bedienten, der Zofen, der Mägde ein: Ja, Ja! – ei, der kluge Hund! – der kluge Hund! Eine leise Röthe überflog Cäziliens Wangen, in dem blauen Auge brannte die Begier nach der kindischen Lust – soll ich – soll ich nicht, schien sie zu fragen, indem sie, den Finger an den Mund gelegt, mich freundlich anblickte. – Bald saß sie auf meinem Rücken; nun ging ich, stolz auf meine holde Last, den Paßgang des Zelters, der die Königinn zum Turnier trägt, und indem vorwärts, rückwärts, seitwärts sich der versammelte Troß anreihte, ging es wie ein Triumphaufzug den langen Flur hinauf, hinab! – Plötzlich trat eine große stattliche Frau von mittleren Jahren aus der Thüre des Vorzimmers und sprach, indem sie meine schöne Reiterinn scharf fixirte: Seht mir die tollen Kinderpossen! Cäzilia verließ meinen Rücken, und wußte so kindlich bittend mein unvermuthetes Einfinden, mein gutes Temperament, mein neckisches Wesen darzustellen, daß endlich die Mutter zum Hausknecht sagte: Gebt dem Hunde zu fressen, und wenn er sich an das Haus gewöhnt, so mag er hier bleiben und des Nachts Wache halten.

Ich. So warst Du denn nun angenommen!

Berganza. Ei, mein Freund! der Ausspruch der gnädigen Dame war wie ein Donnerschlag in meinen Ohren, und hätte ich nicht in dem Augenblick auf meine höfischen Künste gerechnet, ich wäre auf und davon gelaufen. Ich würde Dich nur ermüden, wenn ich Dir alle Mittel weitläufig herzählen sollte, wie ich mich aus dem Stall in den Hausflur hinauf und endlich in die Prunkzimmer der Dame hineinschmeichelte. – Nur so viel davon! – Die Kavalkaden des kleinen Knaben, welcher der Mutter Liebling zu seyn schien, retteten mich zuerst aus dem Stall, und die Zuneigung des holden Mädchens, der ich gleich mit ganzer Seele ergeben, als ich sie zum ersten Male sah, brachte mich endlich in die Zimmer. Das Mädchen sang so vortrefflich, daß ich es wol merkte, wie der Kapellmeister Johannes Kreisler nur sie gemeint hatte, wenn er von der geheimnißvollen zauberischen Wirkung des Tons der Sängerinn sprach, deren Gesang in seinen Werken lebe, oder sie vielmehr dichte. – Sie hatte nach Art der guten Sängerinnen in Italien die Gewohnheit, jeden Morgen eine gute Stunde lang zu solfeggiren; ich schlich mich dann bei guter Gelegenheit zu ihr in den Saal, wo der Flügel stand, und horchte ihr aufmerksam zu. Hatte sie geendigt, so gab ich ihr meinen Beifall durch allerlei lustige Sprünge zu erkennen, wofür sie mich mit einem guten Frühstück belohnte, das ich auf die anständigste Weise, ohne den Fußboden zu beschmutzen, verzehrte. So kam es denn, daß man endlich im ganzen Hause von meiner Artigkeit und von meiner besondern Neigung zur Musik sprach, und Cäzilie besonders, nächst diesen guten Eigenschaften, meine Galanterie gegen ihr Seidenhäschen rühmte, das mich ungestraft bei den Ohren zupfe u. s. w. Die Dame vom Hause erklärte mich für einen scharmanten Hund, und ich wurde, nachdem ich einem litterarischen Thee und einem Konzert mit der gehörigen Würde und einem nachahmenswerthen Anstande beigewohnt, der Kammerklub, dem mein romanesker Eintritt ins Haus erzählt worden, mich auch mit dem einstimmigsten Beifall beehrt hatte, zum Leibhunde Cäziliens erhoben, und so war das Ziel, wonach ich gestrebt, richtig erlangt.

Ich. Nun ja, Du bist in einem eleganten Hause, Du bist der Liebling eines nach Deinen Andeutungen recht lieben Mädchens, allein Du wolltest von der oberflächlichen Tendenz, von der Unwahrheit sogenannter poetischer Gemüther reden, und dann besonders die Katastrophe erzählen, die Dich hertrieb?

Berganza. Sachte – sachte – mein Freund! – Laß mich erzählen, wie es mir in den Sinn kommt. Ist es nicht wohlthätig für mich, bei manchem frohen Augenblick meines neuesten Lebens länger zu verweilen? – und dann gehört das Alles, was ich über den Eintritt in das Haus, das ich jetzt zur Hölle wünsche, erzählt habe, eben zu der unglücklichen Katastrophe, die ich nachher so geschwind wie möglich, mit ein paar Worten abfertigen will; es sey denn, daß mein verdammter Hang, alles so hell und farbigt mit Worten auszumalen, wie es vor meines Geistes Augen steht, mich wieder hineinführt, wohin ich nicht wollte!

Ich. Nun so erzähle, lieber Berganza! – nach Deiner Art weiter fort.

Berganza. Die Cannizares hatte doch wol am Ende Recht.

Ich. Was soll das jetzt?

Berganza. Man sagt wol, der Teufel mag das errathen; der Teufel erräth aber Manches doch nicht, und darum sagt man auch wieder: das ist ein dummer Teufel! – Eine besondere Bewandtniß hat es immer mit mir und mit meinem Freunde Szipio gehabt. – Am Ende bin ich wirklich der Montiel, der aus der Art geschlagen, und dem die Hundemaske, die ihn strafen sollte, nun zur Freude und zum Ergötzen dient. –

Ich. Berganza! ich verstehe Dich nicht.

Berganza. Hätt’ ich denn mit meinem treuen Gemüth für alles Gute und Wahre, mit meiner tiefen Verachtung alles oberflächlichen, allem Heiligen entarteten Weltsinnes, der die Menschen jetzt mehrentheils befängt, all die köstlichen Erfahrungen, einen Schatz sogenannter Lebensphilosophie, sammeln können, träte ich auf in stattlicher Menschengestalt! – Dank dir, Teufel! der du das Hexenöl unwirksam auf meinem Rücken braten ließest! Nun liege ich unbeachtet als Hund unter dem Ofen, und Eure innerste Natur, Ihr Menschlein! die Ihr ohne Schaam und Scheu vor mir entblößt, durchschaue ich mit dem Hohn, mit dem tiefen Spott, den Eure ekle leere Aufgedunsenheit verdient.[WS 3]

Ich. Haben Dir die Menschen nie Gutes erzeigt, daß Du so mit Bitterkeit über das ganze Geschlecht herfällst?

Berganza. Mein lieber Freund, in meinem ziemlich langen Leben habe ich wol manche, vielleicht unverdiente Wohlthat empfangen, und dankbar gedenke ich jedes frohen genußreichen Augenblicks, den mir Dieser oder Jener absichtslos verschaffte. Merke auf! – Absichtslos habe ich gesagt. Mit dem Gutesthun, meine ich, ist es eine eigne Sache. Wenn mir einer den Rücken kratzt oder sanft die Ohren kitzelt, welches mich gleich in einen behaglichen träumerischen Zustand versetzt, oder mir das schönste Stück Braten giebt, damit ich mich willig finden lasse, zu seiner Lust den Stock, den er weit weggeschleudert oder gar in das Wasser geworfen, wiederzuholen, oder auf den Hinterpfoten sitzend aufzuwarten (ein mir in den Tod verhaßtes Manoeuvre), so hat er mir durchaus nichts Gutes gethan; es war ein Geben und Empfangen, Kauf und Verkauf, wobei von Gutesthun und Pflichten der Dankbarkeit nicht die Rede seyn kann. Aber der krasse Egoismus der Menschen bewirkt es, daß Jeder nur mit Prahlerei das Gegebene rühmt, und sich des Empfangenen wol gar schämt, und so kommt es denn oft, daß zwei zugleich wechselseitig über Undankbarkeit für genossene Wohlthaten klagen. Mein Freund Szipio, dem es auch manchmal schlecht ging, diente zur Zeit auf dem Dorfe bei einem reichen Bauer, der ein harter Mann war, und ihm beinahe nichts zu fressen, oftmals aber eine tüchtige Tracht Prügel gab. Einmal hatte Szipio, dessen Fehler Näschigkeit sonst nicht war, aus reinem Hunger einen Topf Milch ausgesoffen, und der Bauer, der es bemerkt, ihn bis aufs Blut geschlagen; Szipio sprang schnell zum Hause hinaus, um dem gewissen Tode zu entgehen, denn der rachsüchtige Bauer ergriff eben die eiserne Hacke; er rannte durch das Dorf, als er aber bei dem Mühlenteiche vorbei kam, sah er, daß des Bauers dreijähriger Sohn, der eben am Ufer gespielt, in die Wellen stürzte. Szipio war mit einem tüchtigen Sprunge im Wasser, faßte das Kind mit den Zähnen bei den Kleidern, und schleppte es glücklich bis auf die grüne Wiese, wo es sich alsbald erholte und seinen Retter anlächelte und liebkoste; nun rannte aber Szipio, so schnell als er konnte davon, um nie wieder in das Dorf zurückzukehren. Siehst Du, mein Freund, das war ein reiner Liebesdienst. – Verzeih mir, daß ein ähnliches Beispiel von einem Menschen mir nicht eben gleich einfallen wollte.

Ich. Mit all’ Deiner Bitterkeit gegen uns Menschen, die in gar schlechtem Credit bei Dir stehen, gewinne ich Dich doch immer mehr lieb, wackrer Berganza. Erlaube mir, daß ich ganz absichtslos Dir meine Zuneigung auf eine, wie ich weiß, Dir wohlthuende Weise bezeige.

Berganza rückte etwas weniges prustend mir näher, worauf ich ihm mehrmals den Rücken nach dem Schweife zu streichelte und kratzte; er bewegte, vor Vergnügen und Wollust ächzend, den Kopf hin und her, und drückte und schmiegte sich unter meiner wohlthätigen Hand. Als ich endlich aufhörte, ging das Gespräch weiter fort.

Berganza. Bei jeder angenehmen körperlichen Empfindung kommen mir auch im Geiste die lieblichsten Bilder vor, und eben jetzt sah ich die holde Cäzilia, wie sie einmal in dem einfachen weißen Kleide, das dunkle Haar in glänzenden Zöpfen gar zierlich zusammengeflochten, aus der Gesellschaft weinend in ihr Zimmer trat. Ich ging ihr entgegen und kroch, wie ich zu thun pflegte, mich zusammenkauernd, zu ihren Füßen. Da faßte sie mich mit beiden Händchen beim Kopfe, und indem sie mit ihrem hellen Auge, in dem noch eine Thräne glänzte, mich anblickte, sagte sie: „Ach! – Ach! sie verstehen mich nicht! – Keiner, die Mutter auch nicht. – Darf ich denn mit Dir reden, Du treuer Hund! wie ich es meine tief im Herzen? Ach, ich kann es ja doch nicht aussprechen, und könnt’ ich es, Du würdest mir nicht antworten, mir aber auch nicht wehe thun.“

Ich. Das Mädchen – die Cäzilia wird mir immer interessanter.

Berganza. – Gott der Herr, dem ich meine Seele empfehle, an der der Verruchte keinen Theil haben soll, unerachtet ich ihm höchst wahrscheinlich den noble Venetien verdanke, worin ich mich nun schon so lange auf der großen Redoute hier unten umhertreibe – ja! Gott der Herr hat die Menschen gar mannigfaltig geschaffen. Die unendliche Varietät der Doggen, der Spitze, der Bologneser, der Pudel, der Möpse, ist gar nichts gegen das bunte Allerlei der spitzen, stumpfen, aufgeworfenen, gebogenen Nasen; gegen die zahllose Variation der Kinne, der Augen, der Stirnmuskeln; und ist es möglich, die Summe der unterschiedlichen Sinnesarten, sonderbaren Ansichten und Meinungen nur zu denken?

Ich. Wohin soll das führen, Berganza?

Berganza. Nimm es für eine allgemeine oder auch gemeine Reflektion.

Ich. Aber Du kommst wieder ganz ab von Deiner Katastrophe.

Berganza. Ich wollte Dir nur sagen, daß meine Dame Alles, was sich von irgend bedeutenden Künstlern und Gelehrten am Orte befand, in ihr Haus zu ziehen gewußt, und zusammentretend mit den gebildetsten Familien, so einen litterarisch-poetisch-künstlerischen Zirkel gebildet hatte, an dessen Spitze sie stand. Ihr Haus war in gewisser Art eine litterarisch-künstlerische Börse, wo mit Kunsturtheilen, mit Werken selbst, mitunter auch mit Künstlernamen allerlei Geschäfte gemacht wurden. – Die Musiker sind doch ein närrisches Volk!

Ich. Wie so, Berganza?

Berganza. Hast Du nicht bemerkt, wie die Maler meistens so störrisch und eigensinnig sind, wie sie bei übler Laune kein Lebensgenuß freut, wie die Dichter nur im Genuß ihrer Werke sich wohlbefinden? Aber die Musiker schweben geflügelten Fußes über Alles hinweg; leckere Esser und noch bessere Trinker, befinden sie sich bei der guten Schüssel und bei der Prima-Sorte von allen Sorten Wein im Himmel, Alles um sich vergessend, sich versöhnend mit der Welt, die sie zuweilen schadenfroh stachelt, und gutmüthig dem Esel verzeihend, daß sein Ia keine reine Septime macht, weil er doch nun einmal als Esel nicht anders singen kann, – kurz, die Musiker spüren den Teufel nicht, und säße er ihnen auf der Ferse.

Ich. Aber, Berganza, warum nun mit einem Mal wieder diese Abschweifung?

Berganza. Ich wollte sagen, daß meine Dame gerade von den Musikern die größte Verehrung genoß, und, wenn sie nach sechswöchentlicher Privatübung eine Sonate oder ein Quintett takt- und ausdruckslos abstümperte, von ihnen die erstaunlichsten Lobeserhebungen erhielt; denn ihre Weine, von erster Hand bezogen, waren vortrefflich, und Steaks aß man in der ganzen Stadt nicht besser. –

Ich. Pfui! – das hätte Johannes Kreisler nicht gethan!

Berganza. Doch, er that’s. – Es liegt hierin keine Speichelleckerei, keine Falschheit; nein, es ist ein gutmüthiges Uebertragen des Schlechten, oder vielmehr ein geduldiges Anhören verworrener Töne, die vergebens danach ringen, Musik zu werden, und diese Gutmüthigkeit, diese Geduld entsteht aus einer gewissen innern wohlbehaglichen Rührung, die nun wieder der gute Wein, nach einer vortrefflichen Speise reichlich genossen, unausbleiblich hervorbringt. – Ich kann die Musiker um des Allen nur lieben, und da überhaupt ihr Reich nicht von dieser Welt ist, erscheinen sie, wie Bürger einer unbekannten fernen Stadt, in ihrem äußern Thun und Treiben seltsam, ja lächerlich, denn Hans lacht den Peter aus, weil er die Gabel in der linken Hand hält, da er, Hans, seine Lebetage hindurch sie in der rechten Hand gehalten.

Ich. Aber warum lachen gemeine Menschen über Alles, was ihnen ungewöhnlich ist?

Berganza. Weil das Gewöhnliche ihnen so bequem geworden, daß sie glauben, der, welcher es anders treibt und handthiert, sey ein Narr, der sich deshalb mit der ihnen fremden Weise so abquäle und abmartere, weil er ihre alte bequeme Weise nicht wisse; da freuen sie sich denn, daß der Fremde so dumm ist, und sie so klug sind, und lachen recht herzlich, welches ich ihnen denn auch von Herzen gönne.

Ich. Ich wünschte, Du kämest jetzt zu Deiner Dame zurück.

Berganza. Schon bin ich bei ihr. Meine Dame hatte die eigne Manier, alle Künste selbst treiben zu wollen. Sie spielte, wie schon gesagt, ja sie komponirte sogar, sie malte, sie stickte, sie formte in Gips und Thon, sie dichtete, sie deklamirte, und dann mußte der Zirkel ihre abscheulichen Kantaten anhören, und ihre gemalten, gestickten, geformten Zerrbilder anstaunen. Kurz vor meiner Ankunft ins Haus, hatte sie mit einer bekannten mimischen Künstlerinn, die Du oft gesehen haben wirst, Bekanntschaft gemacht, und von da an schrieb sich der Unfug her, der nun mit den mimischen Darstellungen in dem Zirkel getrieben wurde. Meine Dame war wohlgebildet, indessen hatte das herannahende Alter die an und für sich selbst schon starken Züge des Gesichts noch tiefer eingefurcht, und überdieß waren die Formen des Körpers etwas über das Ueppige heraus verüppigt, und doch stellte sie dem Zirkel die Psyche dar, und die Jungfrau Maria, und was weiß ich, für andere Götter- und Heiligengestalten. – Der Teufel hole die Sphinx und den Professor der Philosophie! –

Ich. Welchen Professor der Philosophie?

Berganza. In dem Zirkel meiner Dame waren bisweilen sehr obligat: der Musiker, der Cäzilien unterrichtete, ein Professor der Philosophie und ein unentschiedener Charakter.

Ich. Was willst Du mit dem unentschiedenen Charakter sagen?

Berganza. Nicht anders kann ich den Mann bezeichnen, von dem ich nie erfahren konnte, was er eigentlich meinte, und da ich nun gerade der drei gedenke, kann ich nicht umhin, ein Gespräch unter ihnen anzuführen, das ich belauschte. Der Musiker sah die ganze Welt in dem Widerschein seiner Kunst, er schien schwachen Verstandes, weil er jede flüchtige Aeußerung des Wohlgefallens an derselben für baare Münze nahm, und die Kunst so wie den Künstler überall hochgeehrt glaubte. Der Philosoph, in dessen jesuitisch-faunischem Gesicht sich der wahre Hohn über das gewöhnliche menschliche Thun und Treiben spiegelte, trauete dagegen Keinem, und glaubte an den Ungeschmack und an die Rohheit, wie an die Erbsünde. Er stand mit dem unentschiedenen Charakter einmal im Nebenzimmer am Fenster, als der Musiker, der wieder in den höheren Regionen schwebte, zu ihnen trat. – Ha! rief er aus, – doch erlaube mir, daß ich, um das ewig wiederkehrende: „antwortete er, sagte er,“ zu vermeiden, gleich in der Gesprächsform erzähle. – Läßt Du unsere jetzige Unterhaltung drucken, so muß das Gespräch im Gespräch gehörig eingerückt werden.

Ich. Ich sehe, lieber Berganza! daß Du Alles mit Kenntniß und Einsicht behandelst. Zu merkwürdig sind Deine Worte, als daß ich sie nicht, wie ein zweiter Campuzano, wiedererzählen sollte. Dein Gespräch im Gespräch ordne wie Du willst, denn mir ahnet’s, daß ein aufmerksamer Verleger dem Setzer einen wahren Floh ins Ohr setzen wird, damit er ja Alles gehörig, wie es dem Leser wohlgefällig und leicht ins Auge tritt, einrichte.

Berganza. Also das Gespräch:

Der Musiker. Es ist doch eine herrliche Frau mit ihrem tiefen Sinn für die Kunst, mit ihrer vielseitigen Ausbildung.

Der unentschiedene Charakter. Ja, das muß man sagen, Madame ist ganz außerordentlich für die Kunst portirt.

Der Professor der Philosophie. So? – So? Glaubt Ihr denn das wirklich, Ihr Leute? – Und ich sage: nein! – Ich behaupte das Gegentheil!

Der unentsch. Char. Nun freilich, so mit dem Enthusiasmus, wie unser musikalische Freund da denkt, möchte es doch wol –

Der Professor der Phil. Ich sage Euch, da der schwarze Hund unter dem Ofen, der so verständig drein schaut, als hörte er unserm Gespräch recht aufmerksam zu, schätzt und liebt die Kunst mehr, als die Frau, der es Gott verzeihen möge, daß sie sich etwas aneignet, das ihr ganz fremd ist. Ihre eiskalte Brust wird nie erwärmt, und wenn anderer Menschen Herz beim Hinausschauen in die Natur, in das All der Schöpfung, überströmt von heiligem Entzücken, da frägt sie, wie viel Grad Hitze wir haben nach Reaumur, und ob es wol noch regnen wird. So kann auch die Kunst, diese Mittlerinn zwischen uns und dem ewigen All, das wir nur durch sie recht deutlich ahnen, nie in ihr einen höheren Gedanken entflammen. Sie, mit allen ihren Kunstübungen, mit ihren Floskeln und Phrasen, sie lebt im Gemeinen! – Sie ist prosaisch – prosaisch – infam prosaisch! –

Die letzten Worte hatte der Philosoph, mit den Händen stark um sich fechtend, so laut herausgeschrieen, daß im Gesellschaftssaal beinahe Alles in Aufruhr gerieth, um den Prosaismus, der wie ein tückischer Feind still und hinterlistig herangeschlichen schien, und den nun des Professors Feldgeschrei verrathen hatte, mit vereinter Macht zu bekämpfen. Der Musiker war ganz verblüfft stehen geblieben, der unentschiedene Charakter nahm ihn aber bei Seite, und sagte freundlich schmunzelnd ihm leise ins Ohr:

„Freundchen, was halten Sie von des Professors Worten? – Wissen Sie denn, warum er so gräßlich eifert, warum er so mit Eiskälte – Prosaismus, um sich wirft? – Sie gestehen, Madame ist für ihre Jahre noch ziemlich frisch und jugendlich. – Nun da hat – lachen Sie, lachen Sie! da hat der Professor ihr unter vier Augen durchaus gewisse philosophische Sätze erklären wollen, die ihr zu schwierig waren. Sie schlug den besonderen philosophischen Cursus, den der Herr Professor mit ihr machen wollte, überhaupt gänzlich aus, und das hat er denn nun sehr übel genommen, und schimpft und schmählt.“

„Sehen Sie mir das Bocksgesicht! nun bin ich wieder fest in meiner Meinung;“ sagte der Musiker, und Beide mischten sich unter die Gesellschaft.

Aber, ich sage es noch einmal, der Teufel hole die Sphinx und den Professor der Philosophie!

Ich. Warum das?

Berganza. Beide waren Schuld daran, daß ich nicht mehr den mimischen Darstellungen meiner Dame beiwohnen durfte, und bei einem Haar mit Schimpf und Schande aus dem Hause gejagt worden wäre.

Ich. Du nimmst wol die Sphinx allegorisch, um mir irgend einen neuen Charakter Deines Zirkels aufzuführen?

Berganza. Nichts weniger als das! – Ich meine die ächte Sphinx mit dem egyptischen Kopfputz und den stieren eirunden Augen.

Ich. So erzähle.

Berganza. Sey es nun aus Rache, wegen des verfehlten philosophischen Cursus, wie der unentschiedene Charakter behauptete, oder bloß aus Ekel und Abscheu gegen das angeeignete leere Kunststreben meiner Dame, kurz, der Professor war ihr Ichneumon, der sie stets verfolgte, und ehe sie sich’s versah, in ihrem Innersten wühlte. Auf eine ganz eigne geschickte Weise wußte er sie in ihre eignen Floskeln und Phrasen, in ihre philosophisch-ästhetischen Kunsturtheile zu verflechten und zu verstricken, daß sie tief in den mit Unkraut bedeckten Irrgarten des prosaischen Unsinns hineingerieth, und vergebens den Ausweg suchte. Er trieb seine Bosheit so weit, daß er ihr unter dem Namen tiefer philosophischer Sätze, nichtssagende, oder auf eine gemeine Albernheit hinauslaufende Phrasen vorsagte, die sie bei ihrem starken Wortgedächtniß behielt, und nun mit vielem Gepränge überall anbrachte; je toller und unverständlicher diese Sätze waren, desto mehr gefielen sie ihr, denn desto höher stieg bei den Schwachköpfen die Bewunderung, ja die Vergötterung der herrlichen geistreichen Frau. – Doch zur Sache! – Der Professor hatte mich ungemein liebgewonnen, wenn er nur konnte, streichelte er mich und steckte mir gute Bissen zu. Ich vergalt diese Zuneigung mit der herzlichsten Freundschaft, und folgte ihm daher um so williger, als er mich eines Abends, da die Gesellschaft eben im Begriff war, in den schwarzausgeschlagenen Saal zu gehen, weil Madame ihre mimischen Darstellungen produziren wollte, in ein Nebenzimmer lockte. Er hatte, wie gewöhnlich, wieder ein gutes Stück Kuchen für mich in Bereitschaft; während ich es verzehrte, fing er an mich leise am Kopfe und hinter den Ohren zu krauen, und endlich zog er ein Tuch hervor, welches er um meine Stirn schlang und mit vieler Mühe an den Ohren herum drapirte, wobei er, mich anschauend, öfters lachte und ausrief: Kluger Hund – kluger Hund – sey heute nur recht klug, und verdirb mir nicht den Spaß! Des Putzes noch vom Theater her gewohnt, ließ ich alles mit mir machen und folgte ihm willig und leise in den Saal, wo Madame ihre mimischen Darstellungen schon begonnen hatte. Der Professor wußte mich den Blicken der Zuschauer so geschickt zu entziehen, daß Niemand mich bemerkte. Endlich, nachdem Marien und Caryatiden gewechselt hatten, trat Madame mit einem ganz seltsamen Kopfputz, der dem meinigen auf ein Haar glich, hervor, kniete hin und streckte die Arme auf ein Tabouret vor sich her, indem sie ihre sonst geistreichen Augen zu einem stieren, unangenehm gespenstischen Blicke zwang. Nun lockte mich der Professor leise hervor, und ohne eigentlich den wahren Spaß zu ahnen, schritt ich gravitätisch in die Mitte des Zimmers, und legte mich der Dame dicht gegenüber, die Vorderpfoten ausgestreckt, in meiner gewöhnlichen Stellung auf den Boden. Hochverwundert über ihre Figur, die vorzüglich des Theils halber, auf dem man zu sitzen pflegt, und den die Natur in zu üppiger Fülle ausgebildet hatte, sich ganz besonders ausnahm, starrte ich sie unverwandt an mit dem ernsten, tiefsinnigen Blick, der mir eigen. – Der tiefen Todtenstille folgte ein unmäßiges allgemeines Gelächter. Jetzt erst erblickte mich die in der innern Kunstanschauung versunkene Dame; sie sprang mit wilder Gebehrde wüthend auf, und rief mit Makbeth’s Worten: Wer hat mir das gethan? Aber Niemand hörte sie, denn Alles, von dem gewiß überkomischen Anblick wie elektrisirt, rief und schrie noch durch einander: „Zwei Sphinxe – zwei Sphinxe im Conflikt!“ – Schafft mir den Hund aus den Augen, fort mit dem Hunde, aus dem Hause! tobte die Dame, und schon fielen die Bedienten über mich her, da sprang meine Beschützerinn, die holde Cäzilia dazwischen, befreite mich von meinem egyptischen Kopfputz und führte mich auf ihr Zimmer. – Durfte ich nun zwar auch im Hause bleiben, so blieb doch der mimische Saal für mich auf immer verschlossen.

Ich. Und Du verlorst im Grunde nicht viel dabei, denn die höchste Spitze dieser Kunstgaukeleien hattest Du, Dank sey es dem lustigen Professor, erlebt; das Uebrige wäre matt geblieben, da man natürlicherweise jede Einwirkung von Deiner Seite hintertrieben hätte.

Berganza. Den andern Tag war überall von der Doppelsphinx die Rede, und es zirkulirte ein Sonett, dessen ich mich noch recht gut erinnere, und welches wahrscheinlich auch von dem Professor verfaßt worden war.


 Die beiden Sphinxe.
 Sonnett.
Was liegt im falt’gen Rocke auf der Erde,
Verglast die Augen, vorgestreckt die Hände?
Wol klüger als Oedip wär’, der’s verstände,
Des bösen Räthsels Deutung bringt Gefährde. –

Doch sieh’! mit ernster, seltsamer Gebehrde
Schaut dort der schwarze Sphinx, und Feuerbrände
Schießt auf die Puppe er am andern Ende,
Damit im Tand der Tand vernichtet werde! –

Sie stehen auf! – Der Hund ist’s und die Dame,
Vereint im mimischen Talent zur Wette;
Die Poesie erhob sie aus dem Schlamme!

Giebt’s Höh’res noch, das fester sie verkette?
Sie leben in der Kunst! Hund er, sie Dame;
Pagliasso er, und sie – Arlekinette. –

Ich. Bravo, Berganza! – Das Sonnett ist für ein gelegentliches Spottgedicht nicht übel, und Du hast es mit Würde und dem angemessenen Ton hergesagt. – Ueberhaupt liegt für mich schon in der Sonnettform ein ganz besonderer, ich möchte sagen, musikalischer Reiz.

Berganza. Den das Sonnett auch wol gewiß für jedes nicht ganz rohe Ohr hat, und ewig behaupten wird.

Ich. Und doch scheint mir die Form, das Metrum des Gedichts, immer etwas Untergeordnetes, worauf man in der neuesten Zeit nur zu viel Werth gelegt hat. –

Berganza. Dank sey es dem Bemühen Eurer neueren, mitunter höchst vortrefflichen Dichter, daß sie metrische Kunst, welche die alten großen Meister des Südens mit Liebe und Sorgfalt übten, wieder in ihr wohlerworbenes Recht einsetzten. Die Form, das Metrum des Gedichts, ist die zufällige Farbe, die der Maler den Gewändern seiner Personen giebt, – es ist die Tonart, in der der Componist sein Stück schreibt. Werden Beide nicht Farbe und Tonart mit reifer Ueberlegung, mit aller nur ersinnlichen Sorgfalt wählen, wie es der Ernst, die Würde, die Anmuth, die Zärtlichkeit, die Leichtigkeit, die innere Behaglichkeit der vorzustellenden Person oder des Stücks erfordern? – Und wird nicht ein großer Theil der beabsichtigten Wirkung von der richtig getroffenen Wahl abhängen? – Ein keckgefärbtes Gewand erhebt oft die mittelmäßige Person, so wie die ungewöhnliche Tonart den gewöhnlichen Gedanken, und so kommt es denn oft, daß selbst Verse, denen ein tief eingreifender Sinn mangelt, und die nur auf der Oberfläche schwimmen, durch die Anmuth der Form, durch die zierliche Verschlingung der Reime, den Geist wie in angenehmer Dämmerung mit lieblichem Spiel umfangen, und so, ganz abgesehen davon, was der Verstand vergebens darin suchen dürfte, einen geheimnißvollen Zauber ausüben, dem kein reizbares Gemüth zu widerstehen vermag.

Ich. Aber der Mißbrauch, der nun von den Formkrämern gemacht wird –

Berganza. Dieser sogenannte Mißbrauch möchte wol in seiner Wirkung sich ganz auflösen, und ich glaube, daß in dem jetzt emporgekommenen strengen Beachten der Metrik, sich auch der tiefere Ernst zeigt, der sich mit der eingetretenen verhängnißvollen Zeit über alle Zweige der Kunst und der Litteratur verbreitet hat. Damals, als jeder sogenannte Dichter zu jedem seiner Liedlein sich selbst ein stolprichtes, holprichtes Metrum schuf, als die einzige südliche Form, welche man noch zu kennen schien, die Ottave rime, auf die tollste Weise verpfuscht und verhudelt wurde, damals wollten die Maler nicht mehr zeichnen lernen, und die Componisten keinen Contrapunkt studiren. Kurz, es war eine Verachtung jeder Schule eingetreten, die in allen Künsten die verfehltesten Zerrbilder hervorbringen mußte. Selbst bei den mittelmäßigen Dichtern führen die Versuche in allerlei Formen zu einer gewissen Geregeltheit, die immer besser thut, als die prosaische Ausgelassenheit des leeren Kopfs. Also bleibe ich dabei, es ist schön und erfreulich, daß man auf die Form, auf das Metrum recht viel Fleiß verwendet.

Ich. Deine Combinationen, lieber Berganza, sind ein wenig kühn, doch kann ich Dir in der That nicht Unrecht geben. – Nimmermehr hätte ich geglaubt, daß sich meine Ansichten nach der Ueberzeugung eines verständigen Hundes regeln würden.

Berganza. In dem Zirkel meiner Dame befand sich ein junger Mann, den sie mit dem Namen: Dichter! beehrten, und der, der neuesten Schule mit ganzer Seele anhängend, in lauter Sonnetten, Canzonen u. s. w. lebte. Von besonderer Tiefe des Geistes war bei ihm nicht die Rede, seine Gedichte, in südlichen Formen geschrieben, hatten indessen einen gewissen Wohlklang und eine Lieblichkeit des Ausdrucks, wodurch Gemüth und Ohr des Kenners bestochen wurde. Er war, wie die Dichter insgemein sind, und wie man es beinahe von ihnen fodert, sehr verliebter Natur und verehrte von weitem mit Inbrunst und Andacht Cäzilien wie eine Heilige.[WS 4] Eben so wie der Dichter ließ es sich auch der Musiker, der übrigens viel älter war, angelegen seyn, ihr ganz im Geist der Chevalerie den Hof zu machen, und es entstand oft zwischen Beiden ein komischer Wettstreit, in dem sie sich in tausend kleinen Aufmerksamkeiten und Galanterien überboten. Cäzilia zeichnete Beide, die im hohen Grade ausgebildet, all’ die musikalischen, deklamatorischen und mimischen Spielereien der Dame nur um ihrentwillen duldeten und nur für sie in dem Zirkel lebten, merklich vor all’ den übrigen jungen Laffen und Gecken, die sie umschwärmten, aus, und belohnte ihre ganz absichtslose Galanterie mit einer heitern kindlichen Offenheit, die das Entzücken steigerte, womit sie das Mädchen im Gemüthe trugen. Ein freundliches Wort, ein holder Blick Diesem zugeworfen, erregte oft bei dem Andern eine komische Eifersucht, und es war höchst ergötzlich, wenn sie sich Beide, wie die Troubadours der alten Zeit, auf Lieder und Gesänge herausfoderten, die Cäziliens Anmuth und Holdseligkeit priesen.

Ich. Das Bild ist anziehend, und solch ein unschuldiges zartes Verhältniß mit einem kindlichen Gemüth, kann dem Künstler nicht anders als wohlthun; der Conflikt des Dichters mit dem Musiker hat gewiß gute Werke hervorgebracht.

Berganza. Hast Du nicht bemerkt, mein lieber Freund, daß alle diejenigen Personen, die mit einem trocknen sterilen Gemüthe sich nur das Poetische aneignen, sich selbst und Alles, was sich mit ihnen zugetragen und noch zuträgt, für höchst besonders und wunderbar halten?

Ich. Allerdings! indem sie alles das, was innerhalb den Wänden ihres Schneckenhauses vorgeht, für wundervoll halten; weil solchen erleuchteten Personen nichts Gemeines begegnen kann, bleibt ihr Sinn für die göttlichen Wunder der Natur verschlossen.

Berganza. So hatte auch meine Dame die Thorheit, Alles was ihr begegnete, höchst sonderbar und ominös zu finden. Selbst ihre Kinder waren unter besondern Umständen und geistigen Beziehungen geboren, und sie gab nicht undeutlich zu verstehen, wie seltsame Contraste und widrige Elemente sich zu einer besondern Mischung in den Geistern ihrer Kinder vereinigt hätten. Außer Cäzilien hatte sie aber noch drei ältere Söhne, die unbedeutend und stumpf ausgeprägt waren, wie gemeine Scheidemünze, und dann ein jüngeres Mädchen, die in allen ihren Aeußerungen weder Gemüth noch Verstand zu erkennen gab. Cäzilia war demnach die Einzige, die wirklich von der Natur nicht allein mit einem tiefen Sinn für die Kunst, sondern auch mit einem genialen Produktionsvermögen ausgestattet war. Bei einem weniger kindlichen unbefangenen Gemüthe, hätte sie aber die Feierlichkeit, mit der die Mutter sie behandelte, und die beständigen Aeußerungen, wie in ihr eine Künstlerinn geboren sey, wie es noch nie eine gab, leicht überspannen und auf Abwege führen können, von denen wenigstens ein Frauenzimmer nicht so leicht wieder zurückkehrt.

Ich. Wie, Berganza, Du glaubst auch an die Unverbesserlichkeit der Weiber?

Berganza. Mit ganzer Seele! – Alle verschrobenen, überbildeten oder geistig erstarrten Weiber gehören, wenigstens nach dem fünf und zwanzigsten Jahr, unerbittlich ins ospitale degli incurabili, es ist mit ihnen nichts mehr zu machen. Die Blüthezeit der Frauenzimmer ist zugleich ihr eigentliches Leben, in dem sie sich mit nie erschlaffender Kraft doppelt aufgeregt fühlen, alle seine Erscheinungen begierig im Gemüthe aufzufassen. – Wie mit glühendem Purpur, umsäumt die Jugend alle Gestalten, daß sie wie verklärt dem freudetrunknen Auge erglänzen, und ein ewiger bunter Frühling schmückt selbst die Dornenhecken mit süßduftenden Blumen. Nicht besondere Schönheit, nicht ein ungewöhnlicher Verstand, nein! – nur jene Blüthezeit, nur irgend etwas, sey es im Aeußern, oder im Ton der Stimme, oder sonst, das nur eine flüchtige Aufmerksamkeit erregen kann, reicht hin, dem Mädchen überall die Verehrung selbst geistreicher Männer zu verschaffen, so, daß sie unter älteren ihres Geschlechts, wie im Triumphe, als die Königinn des Festes auftritt. Aber nach dem unglücklichen Wendepunkte verschwinden die schimmernden Farben, und mit einer gewissen Kälte, die in jedem Genuß das Geistig-Schmackhafte tödtet, verliert sich auch jene Regsamkeit des Geistes. Keine Frau wird im Stande seyn, die Tendenzen zu ändern, welche sie in jener goldnen Zeit hatte, die ihr allein das Leben scheint, und war sie damals in Irrthümern des Verstandes oder des Geschmacks befangen, so nimmt sie dieselben ins Grab, verlangte auch der Ton, die Mode der Zeit, sie mühsam zu verläugnen.

Ich. Es ist gut, Berganza, daß Dir nicht Frauenzimmer, die über den Wendepunkt hinaus sind, zuhören, Du würdest sonst übles Spiel haben.

Berganza. Glaube das nicht, mein Freund! – Im Grunde fühlen die Frauenzimmer es selbst, wie in jener Blüthezeit sich ihr ganzes Leben konzentrirt, denn nur daraus läßt sich die ihnen mit Recht vorgeworfene Thorheit erklären, ihr Alter zu verläugnen. Ueber den Wendepunkt hinaus will Keine; sie sträuben und sperren sich; sie kämpfen hartnäckig um das kleinste Plätzchen hinter dem Schlagbaume, der, sind sie hindurch, ihnen das Land voll Wonne und Heiterkeit auf immer verschließt. Drängen nun die jugendlichen Gestalten immer mehr und mehr, und jede in die schönsten Blüthen des Frühlings geputzt, frägt: was will die Ungeschmückte, Traurige unter uns? dann müssen sie fliehen voller Schaam und retten sich in den kleinen Garten, von dem sie wenigstens in den glänzenden Frühling hinüberschauen können, und an dessen Ausgang die Zahl Dreißig steht, vor der sie sich fürchten, wie vor dem Engel mit dem flammenden Schwert.

Ich. Das ist sehr pittoresk, aber auch mehr pittoresk, als wahr! Denn habe ich nicht selbst ältere Weiber gekannt, deren Liebenswürdigkeit den Mangel an Jugend ganz vergessen ließ?

Berganza. Das ist nicht allein möglich, sondern ich will Dir sogar zugestehen, daß der Fall nicht zu selten eintreffen kann, mein Satz bleibt indessen doch unwiderruflich fest stehen. – Eine verständige Frau, die in früher Jugend gut erzogen, frei von Irrthümern, aus der Blüthezeit eine wohlthuende Ausbildung des Geistes hinübergebracht hat, wird Dir allemal eine angenehme Unterhaltung gewähren, sobald Du Dir’s gefallen lassen willst, in der Mitte zu schweben, und jeden höheren Foderungen zu entsagen; ist sie geistreich, so wird sie nicht arm an witzigen Einfällen und Wendungen seyn; statt aber das Rein-Komische rein gemüthlich zu betrachten, sind diese dann mehr in falschen Farben glänzende Ausbrüche eines innern Unmuthes, die Dich nur eine kleine Zeit hindurch täuschen und belustigen können; ist sie schön, so wird sie nicht unterlassen auch coquet zu seyn, und Dein Interesse an ihr wird in einen eben nicht löblichen Faunismus (um nicht ein anderes verächtliches Wort zu brauchen) ausarten, den ein in der Blüthezeit stehendes Mädchen bei keinem Manne erregt, der nicht im höchsten Grade verderbt ist!

Ich. Goldene Worte! – Goldene Worte! Aber das gänzliche Stehenbleiben – das Beharren in früheren Irrthümern nach dem bezeichneten Wendepunkt – es ist doch hart, Berganza!

Berganza. Aber wahr! Unsere Lustspieldichter haben das sehr gut gefühlt, daher wurde vor einiger Zeit unsere Bühne von den schmachtenden, empfindelnden alten Mamsells nicht leer; die traurigen Reste der empfindsamen Periode, in die ihre Blüthezeit fiel; jetzt ist das nun längst ganz vorbei, und es wäre Zeit, die Corinnen in die Stelle treten zu lassen.

Ich. Du meinst doch nicht die herrliche Corinna, die Dichterinn, die im Vatikan in Rom gekrönt wurde – den herrlichen Myrthenbaum, der in Italien gewurzelt, seine Aeste bis zu uns herüber gerankt hat, daß, in seinem Schatten ruhend, uns des Südens Blumendüfte umsäuseln?

Berganza. Sehr schön und poetisch gesagt, wiewol das Bild etwas gigantesk ist, da der von Italien bis nach Deutschland herüber reichende Myrthenbaum wirklich im größten Styl gerathen! – Uebrigens habe ich jene Corinna gemeint, die als über die Blüthezeit der Weiber hinaus ausdrücklich geschildert, wie ein wahrer Trost, ein wahres Labsal für alle alternden Frauen erschienen, denen nun das Thor der Poesie, Kunst und Litteratur angelweit geöffnet wiewol sie zu bedenken hätten, daß sie nach meinem richtigen Grundsatz schon in der Blüthezeit Alles seyn mußten, und Nichts mehr werden können. – Ist Dir die Corinna nie zuwider geworden?

Ich. Wie wäre das möglich gewesen? – Mir freilich, wenn ich sie mir als im Leben, wirklich zu mir hintreten dachte, glaubte ich mich von einem gewissen unwohlthätigen, unheimlichen Gefühl befangen, ich hätte mich nie in ihrer Nähe wohl und gemüthlich befunden.

Berganza. Dein Gefühl war ganz richtig; ich hätte mich, war ihr Arm und ihre Hand auch noch so schön, niemals von ihr streicheln lassen können, ohne einen gewissen innern Abscheu zu spüren, der mich gewöhnlich des Appetits beraubt – ich sage das nur hündischer Weise! – Im Grunde genommen, liegt aber in dem Geschick der Corinna selbst der Triumph meiner Lehre; denn vor dem glänzenden reinen Strahl der Jugend verschwindet in bloßen Schein ihr Nimbus, und in dem ächtweiblichen Streben nach dem geliebten Mann, geht sie in ihrer eignen Unweiblichkeit, oder vielmehr in ihrer verzerrten Weiblichkeit rettungslos unter! – Meine Dame gefiel sich ungemein darin, die Corinna vorzustellen.

Ich. Welche Thorheit, wenn sie nicht wenigstens die wahre Anregung der Kunst in sich spürte.

Berganza. Nichts weniger als das, mein Freund! Du kannst es mir glauben! Meine Dame hielt sich gern auf der Oberfläche, und sie hatte eine gewisse Fertigkeit erlangt, dieser Oberfläche einen Schimmer zu geben, der die Augen mit falschem Licht blendete, so, daß man die Seichtigkeit nicht gewahr wurde. So glaubte sie schon, ihrer wirklich schönen Arme und Hände wegen, die Corinna zu seyn, und ging von der Zeit an, als sie das Buch gelesen, an Brust und Armen mehr entblößt, als es wol einer Frau in ihren Jahren geziemlich ist, und schmückte sich überaus mit zierlichen Ketten, antiken Cameen und Ringen, so wie sie oft mehrere Stunden zubrachte, ihr Haar mit köstlichen Oelen salben, und in zierlichen künstlichen Geflechten zu diesem oder jenem antiken Kopfschmuck irgend einer Kaiserinn aufringeln zu lassen. – Böttigers kleinliche Antikenkrämereien waren ihr eben recht; aber mit den mimischen Darstellungen nahm es ein plötzliches Ende.

Ich. Und wie das, Berganza?

Berganza. Du kannst denken, daß meine unerwartete Erscheinung als Sphinx der Sache schon einen ziemlichen Stoß gegeben hatte, indessen hatten die mimischen Darstellungen doch noch ihren Fortgang, zu denen ich aber nicht mehr zugelassen wurde. Zuweilen wurden nun auch nach der Dir bekannten Methode ganze Gruppen dargestellt; Cäzilia ließ sich indessen nie dazu bereden, daran Antheil zu nehmen. Endlich aber, als die Mutter sehr in sie drang, und als der Dichter und der Musiker sich in stürmischen Bitten vereinigten, ließ sie es sich doch gefallen, in der nächsten mimischen Akademie, wie meine Dame ihre Uebungen vornehm nannte, die Heilige, deren Namen sie bedeutungsvoll trug, darzustellen. – Kaum war das Wort gegeben, als die Freunde in rastloser Thätigkeit sich beeiferten, Alles herbeizuschaffen und anzuordnen, was zur würdigen und effektvollen Darstellung der Heiligen durch die holde Geliebte nöthig war. Der Dichter wußte eine sehr gute Copie der heiligen Cäzilia von Carlo Dolce, die sich bekanntlich in der Dresdener Gallerie befindet, aufzutreiben, und da er zugleich ein geschickter Zeichner war, zeichnete er dem Theaterschneider des Orts so genau jeden Theil der Gewänder vor, daß dieser im Stande war, aus schicklichen Stoffen Cäziliens Draperie ganz herzustellen; auch der Musiker that geheimnißvoll, und sprach von dem Effekt, den man ihm allein verdanken werde. Cäzilia, als sie das emsige Bemühen der Freunde sah, als Beide mehr als je sich beeiferten, ihr tausend angenehme Dinge zu sagen, fand immer mehr Interesse an der Rolle, die sie erst hartnäckig verschmäht hatte, und konnte kaum den Tag der Darstellung erwarten, der nun endlich herankam.

Ich. Ich bin begierig, Berganza! – wiewohl ich wieder einigen teuflischen Unrath merke.

Berganza. Diesmal hatte ich mir vorgenommen in den Saal zu dringen, es koste was es wolle; ich hielt mich an den Philosophen, und dieser, aus reiner Dankbarkeit, daß ich seiner Schelmerei so beigestanden, wußte auch mir so geschickt die Thür zu rechter Zeit zu öffnen, daß ich hineinschlüpfen und meinen Platz, von Niemanden bemerkt, an gehöriger Stelle nehmen konnte. Man hatte diesmal einen Vorhang quer durch den Saal gezogen, und die Beleuchtung zwar oben, aber nicht wie sonst, aus der Mitte strömend, und die Gegenstände von allen Seiten so wie durchsichtig beleuchtend, sondern auf der einen Seite angebracht. Als der Vorhang sich wegschob, saß ganz wie auf Dolce’s Gemälde, in seltsame Gewänder malerisch gekleidet, die heilige Cäzilia vor der kleinen alterthümlichen Orgel, und mit gesenktem Haupte tiefsinnig in die Tasten schauend, schien sie die Töne körperlich zu suchen, die geistig sie umschwebten. So glich sie ganz dem Gemälde Carlo Dolce’s. – Nun erklang ein ferner Akkord lang ausgehalten und in die Lüfte verschwebend. – Cäzilia erhob leise den Kopf. – Nun hörte man wie aus höchster Ferne einen Choral weiblicher Stimmen, ein Werk des Musikers. Die einfachen und doch in wunderbarer Folge fremd, und wie aus einer andern Welt herabgekommenen klingenden Akkorde dieses Chors von Cherubim und Seraphim, erinnerten mich lebhaft an manche Kirchenmusik, die ich vor zweihundert Jahren in Spanien und in Italien gehört, und ich fühlte denselben heiligen Schauer mich durchbeben, wie damals. Cäziliens jen Himmel gerichtete Augen erglänzten in heiliger Verzückung, und unwillkührlich sank der Philosoph mit emporgehobenen Händen auf die Knie, indem er tief aus dem Innersten heraus rief: Sancta Caecilia, ora pro nobis. Viele aus dem Zirkel folgten in wahrhafter Begeisterung seinem Beispiel, und als der Vorhang zurauschte, war Alles, selbst manches junge Mädchen nicht ausgenommen, in stille Andacht versunken, bis eine laute allgemeine Bewunderung dem Drange des innern Gefühls Luft machte. Der Dichter und der Musiker gebehrdeten sich wie närrisch, indem sie sich einmal über das andere umarmten, und dabei heiße Thränen vergossen. Man hatte Cäzilien gebeten, den Abend über in den fantastischen Kleidern der Heiligen zu bleiben. Sie hatte es aber mit feinem Sinn ausgeschlagen, und als sie nun in ihrem gewöhnlichen einfachen Schmuck in der Gesellschaft erschien, strömte Alles mit den größten Lobeserhebungen auf sie zu, indem sie mit kindlicher Unbefangenheit nicht begreifen konnte, was man denn so lobe, und alles tief Ergreifende der Darstellung auf die effektvollen Anordnungen des Dichters und des Musikers schob. Nur Madame war unzufrieden, da sie wol fühlte, daß sie mit ihren nach Gemälden und Zeichnungen studirten, und tausendmal vor dem Spiegel versuchten Posituren, niemals auch nur einen Schatten der Wirkung hatte hervorbringen können, die Cäzilien auf das erste Mal so gelungen war. – Sie bewies sehr künstlich, was Cäzilien noch alles fehle, um eine mimische Künstlerinn zu seyn, welches dem Philosophen die leise boshafte Bemerkung ablockte, daß Cäzilien doch durchaus nicht geholfen seyn würde, wenn Madame ihr das, was sie zur mimischen Künstlerinn zu viel habe, abgebe. Madame beschloß damit, daß Privatstudien, so wie der Unterricht in der Naturphilosophie es nöthig machten, ihre mimischen Darstellungen vor der Hand einzustellen. Diese im höchsten Unmuth gegebene Erklärung, so wie der Tod eines Verwandten, änderten überhaupt die ganze Einrichtung des Hauses. – Dieser Alte war eine der possierlichsten Erscheinungen, die mir jemals vorgekommen.

Ich. Wie das?

Berganza. Er war von vornehmen Eltern geboren; und weil er etwas mit dem Bleistift kritzeln und auf der Violine schaben konnte, hatten sie ihm in jüngern Jahren eingebildet, er verstehe etwas von der Kunst. Das hatte er endlich geglaubt, und nun so lange von sich selbst keck behauptet, bis es auch Andere glaubten, und ihm eine gewisse Geschmacks-Tyrannei, die er sich in seiner guten Zeit anmaßte, willig einräumten. Das konnte nun, da man nur zu bald seine Schwächlichkeit einsah, nicht lange dauern. Indessen datirte er von dieser Zeit seines höchsten eingebildeten Glanzes die kurze Periode des goldnen Zeitalters der Kunst, und schimpfte ziemlich grob auf Alles, was nachher ohne sein Zuthun, und ohne die ihm eingeprägten Ammenregeln der Profession zu beachten, gefertigt worden. Der Mann war im Umgange, wie seine Periode, mittelmäßig und langweilig, aber in seinen künstlerischen Versuchen, die er noch nicht ganz aufgeben konnte, und die natürlicherweise höchst betrübt ausfielen, eben so ergötzlich, als in seinem komischen Eifer gegen Alles, was über seinen kleinen Duodez-Horizont hinausragte. – Kurz, als der Mann, der mit seinen schiefen Kunstansichten, bei seinem noch immer großen Einfluß viel Schaden hätte anrichten können, endlich glücklicherweise starb, befand er sich gerade im sechsten Alter.

Ich. Ganz Recht:

Das sechste Alter
Macht den besockten hagern Pantalon,
Brill’ auf der Nase, Beutel an der Seite;
Die jugendliche Hose wohl geschont,
’Ne Welt zu weit für die verschrumpften Lenden;
Die tiefe Männerstimme, umgewandelt
Zum kindischen Diskante, pfeift und quäkt
In seinem Ton!

Berganza. Du hast Deinen Shakespeare wacker auf der Zunge! – Genug, der komische Alte, der nicht unterließ, Alles höchlich zu bewundern, was meine Dame unternahm, war nun todt, und die Zirkel auf einige Zeit gestört, bis der Sohn eines Hausfreundes von der Akademie zurückkam und eine Anstellung erhielt, da wurde das Haus meiner Dame wieder lebendiger.

Ich. Wie geschah das?

Berganza. Kurz und gut, Cäzilia wurde an Monsieur George (so nannte ihn der schwindsüchtige Papa, dessen Bild mit Wasser in Wasser gemalt noch zu kräftig werden würde) verheirathet, und die Hochzeitsnacht führte die unglückliche Katastrophe herbei, welche mich herbrachte.

Ich. Was? Cäzilia verheirathet? – und wie ging es mit den Galanterien des Dichters und des Musikers?

Berganza. Könnten Lieder tödten, so wäre George gewiß nicht am Leben geblieben. – Madame hatte seine Ankunft mit vielem Pomp verkündigt, und das war nöthig, um ihn vor dem lauten Spott zu sichern, den sonst sein linkisches Betragen, seine bis zum Ekel wiederholten Erzählungen nichtsbedeutender Dinge hervorgebracht haben würden. – Er hatte sichtlich früh an dem Uebel gelitten, das den armen Campuzano in das Hospital der Auferstehung brachte; das, so wie vielleicht noch andere Jugendsünden, mochte auf seinen Verstand gewirkt haben. Seine ganze Fantasie drehte sich um die Begebenheiten seiner akademischen Jahre, und zur Würze dienten ihm, war er unter Männern, die niedrigsten Zoten, wie ich sie kaum in den Wachstuben und gemeinen Schenken gehört habe, welche er mit sichtlichem Behagen und großer Freude nicht aufhören konnte zu erzählen. Waren Damen zugegen, so rief er Diesen oder Jenen in die Ecke des Zimmers, und machte durch ein schallendes Gelächter bei dem Schlusse der Erzählung, der Gesellschaft bemerkbar, daß das wieder ein ganz verfluchter Spaß gewesen sey. Du kannst denken, lieber Freund! daß dieser unsaubre Geist unter den höher Gesinnten des Zirkels einigen Abscheu und Ekel erregen mußte.

Ich. Aber Cäzilia, die kindliche reine Cäzilia, wie konnte sie nur einen solchen verworfenen Menschen –?

Berganza. O mein Freund, den künstlichen Schlingen des Teufels, der jede Gelegenheit benutzt, seinen Hohn gegen die Menschen in gewaltsamen Contrasten recht auszulassen – denen ist es sehr schwer zu entgehen. George näherte sich Cäzilien im Einverständnisse mit der Mutter. Er wußte durch anscheinend unbedeutende, aber mit der Erfahrung des abgefeimten Lüstlings wohlberechnete Liebkosungen ihre Sinnlichkeit zu reizen; er wußte durch manche leicht verhüllte Zote ihre Neugierde auf gewisse Geheimnisse zu leiten, die nun sie mit magischer Kraft umfingen, und begierig zog die unbefangene kindliche Seele, einmal in den verderblichen Kreis hineingelockt, den giftigen Dunst ein, von dem betäubt, sie sich als Opfer der unglückseligsten Convenienz hingeben sollte.

Ich. Der Convenienz?

Berganza. Was anders! – Madames zerrüttete Vermögensumstände machten die Verbindung mit dem reichen Hause wünschenswerth, und all’ die hohen Kunstaussichten und Ansichten, von denen man in so vielen wohlgestellten Floskeln und Phrasen gesprochen, gingen darüber zum Teufel! –

Ich. Aber noch kann ich immer nicht begreifen, wie Cäzilia –

Berganza. Cäzilia hatte noch nie geliebt, jetzt nahm sie die gereizte Sinnlichkeit für jenes hohe Gefühl selbst, und konnte das siedende Blut jenen göttlichen Funken, der sonst in ihrer Brust brannte, auch nicht verlöschen, so glimmte er doch nur mühsam fort und konnte nicht mehr zur reinen Flamme auflodern. – Kurz, die Heirath wurde vollzogen.

Ich. Aber Deine Katastrophe, lieber Berganza –

Berganza. Die ist nun, nachdem das Wichtigste vorüber, mit wenigen Worten bald erzählt. Du kannst denken, wie ich den George haßte. Er durfte in meiner Gegenwart seine ekelhaften Liebkosungen nur bis zu einem gewissen Grade steigern, gewisse ihm ganz eigne Zärtlichkeiten störte ich augenblicklich durch gewaltiges Knurren, und Georgs Versuch, mich einmal mit einer Ohrfeige zur Ruhe zu verweisen, bestrafte ich mit einem tüchtigen Biß nach der Wade, die ich ausgerissen hätte, wenn es möglich gewesen wäre etwas Anderes zu fassen, als den festen Knochen. Da stieß das Männlein einen Schrei aus, der bis in das dritte Zimmer nachgellte, und schwur mir den Tod. Cäzilia behielt mich dessen unerachtet lieb; sie bat für mich, aber mich mitzunehmen, so wie sie es im Sinne hatte, daran war nicht zu denken, Alles war dagegen, weil ich nach des Bräutigams Wade geschnappt, wiewol der unentschiedene Charakter, der noch zuweilen ins Haus kam, keck behauptete, Georgs Wade sey eine Negation, ein Non-Ens, die Sünde dagegen daher unmöglich, in Nichts könne man nicht hineinbeißen u. s. w. Ich sollte bei Madame bleiben. Welch ein trauriges Verhängniß! Am Hochzeitstage spät Abends machte ich mich heimlich davon; als ich aber bei Georgs hell erleuchtetem Hause vorüberkam und die Hausthür weit geöffnet sah, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, von Cäzilien, koste es was es wolle, noch einmal ganz nach meiner alten Art Abschied zu nehmen. Ich schlich mich daher mit den hineinströmenden Gästen die Treppe hinauf, und mein Glücksstern ließ mich die freundliche Lisette, Cäziliens Kammermädchen, finden, die mich in ihr Stübchen lockte, wo mir bald ein stattliches Stück Braten entgegendampfte. Ich fraß im Zorn und Grimm, und um mich zu der mir wahrscheinlich bevorstehenden weiten Reise recht zu stärken, Alles hinein, was sie mir gegeben, und schlich dann in den erleuchteten Corridor. In dem Gedränge der auf- und abtreibenden Bedienten, der Zuschauer, die sich eingefunden, bemerkte mich Niemand. Ich schnupperte und spürte bedächtig umher, und mein feines Organ verrieth mir Cäziliens Nähe; eine halbgeöffnete Thür erlaubte mir den Eingang, und eben in dem Augenblick kam Cäzilia im prächtigen Brautputz mit einem Paar Freundinnen aus einem Nebenzimmer. Unklug wäre es gewesen, sich jetzt schon zu zeigen, ich drückte mich daher in die Ecke und ließ sie vorüber. Kaum war ich allein, als ein süßer Duft, der aus dem Nebenzimmer strömte, mich hinanlockte. Ich schlüpfte hinein und befand mich in dem herrlich geputzten duftenden Brautgemach. Eine Alabasterlampe warf ihr mildes Licht auf die Gegenstände umher, und ich erblickte Cäziliens zierliche mit Spitzen reich besetzte Nachtkleider, die auf dem Sopha ausgebreitet lagen. Nicht umhin konnte ich, sie mit Wohlgefallen zu beschnüffeln; indem hörte ich hastige Schritte in dem Nebenzimmer, und eilte, mich in einem Winkel neben dem Brautbette zu verstecken. Cäzilia trat erhitzt hinein, Lisette folgte ihr, und in wenigen Minuten war das reiche Gewand mit dem einfachen Nachtkleide vertauscht. – Wie schön sie war! – Ich kroch leise winselnd hervor! – „Was, Du da? mein treuer Hund“, rief sie, und meine plötzliche Erscheinung in dieser Stunde, schien auf eine ganz eigne gespenstische Weise sie anzuregen, denn eine plötzliche Blässe überflog ihr Gesicht, und die Hand nach mir ausstreckend, schien sie sich überzeugen zu wollen, ob ich denn wirklich da, oder ob ich nur ein Phantom sey. Seltsame Ahnungen mußten sie durchdringen, denn Thränen stürzten ihr aus den Augen, und sie sagte: „Geh! geh! treuer Hund, nun muß ich Alles verlassen, was mir bisher lieb war, weil ich ihn habe, ach, sie sagen ja, er wird mir Alles ersetzen; er ist auch wirklich ein recht guter Mann, er meint es gut, wenn auch bisweilen – doch ich versteh’ es ja nicht – nun geh, geh!“ – Lisette öffnete die Thür, ich kroch aber unter das Bett, Lisette sagte nichts, und Cäzilia hatte es nicht bemerkt. – Sie war allein und mußte bald dem ungeduldigen Bräutigam die Thür öffnen; er schien berauscht, denn er ergoß sich in den pöbelhaftesten Zoten, und mißhandelte die zarte Braut mit seinen plumpen Liebkosungen. Wie er nun so schamlos mit der nie zu befriedigenden Begier des entnervten Lüstlings die geheimsten Reize des keuschen Mädchens enthüllte, wie sie, dem Opferlamm gleich, still weinend unter seinen rohen Fäusten litt, das machte mich schon toll, – ich murrte unwillkührlich, aber Niemand hörte es. – Nun nahm er Cäzilien in seine Arme und wollte sie ins Bett tragen, aber der Wein wirkte immer mehr, und er taumelte mit ihr gegen den Bettpfosten, der sie an den Kopf traf, daß sie aufschrie. Sie riß sich aus seinen Armen und stürzte sich ins Bett. „Liebchen, bin ich besoffen? – sey nicht böse, Liebchen,“ stammelte er mit lallender Zunge, indem er seinen Schlafrock herunterriß und ihr nachwollte. Aber im jähen Schreck über die entsetzliche Mißhandlung des elenden Schwächlings, der in der keuschen engelreinen Braut nur das feile Freudenmädchen sah, schrie sie auf in schneidendem Jammer: „Ich Unglückselige, wer schützt mich vor diesem Menschen!“ Da sprang ich wüthend hervor aufs Bett, packte mit einem kräftigen Biß den dürren Schenkel des Elenden und riß ihn über den Boden des Zimmers zur Thür, die ich, mich mit voller Gewalt andrängend, aufsprengte, hinaus auf den Flur. Indem ich ihn zerfleischte, daß er blutbedeckt dalag, raste er vor Schmerz, und die fürchterlichen hohlen Töne, die er ausstieß, weckten das ganze Haus. Bald wurde es lebendig – Bediente, – Mägde rannten die Treppe herab mit Ofengabeln – Schaufeln – Prügeln bewaffnet, aber mit stummem starren Entsetzen betrachteten sie die Szene, Keiner wagte sich mir näher, denn sie hielten mich für toll und fürchteten meinen verderblichen Biß. Unterdessen stöhnte und ächzte halb ohnmächtig Georg unter meinen Bissen und Tritten, ich konnte nicht von ihm ablassen. Da flogen Prügel, Geschirre nach mir, krachend zersplitterten die Fenster, – Gläser, Teller, noch vom gestrigen Schmause stehen geblieben, stürzten zertrümmert von den Tischen, aber mich traf kein wohlgezielter Wurf. Der lange verhaltene Grimm machte mich mordsüchtig; ich war im Begriff meinen Feind bei der Kehle zu packen und ihm das Garaus zu machen, da sprang einer mit einem Gewehr aus dem Zimmer, das er sogleich auf mich abdrückte, die Kugel sauste mir dicht bei den Ohren vorbei. Ich ließ den Feind ohnmächtig liegen und setzte die Treppe hinab. Wie das wüthende Heer kam mir nun der dicke Haufe nachgetrappelt. – Meine Flucht gab ihnen Muth. – Aufs neue flogen Besen – Prügel – Ziegelsteine mir nach, von denen mich einige hart genug trafen. Nun war es Zeit, sich aus dem Staube zu machen; ich stürzte mich auf die Hinterthür, sie war zum Glück nur angelehnt, und im Augenblick befand ich mich in dem weitläufigen Garten. Schon tobte mir der Haufe nach – der Schuß hatte die Nachbarn geweckt – „ein toller Hund, ein toller Hund!“ erscholl es überall; nach mir geworfene Steine sausten durch die Luft, da gelang es mir nach drei vergeblichen Sprüngen, endlich über die Mauer zu setzen, und nun rannte ich unaufhaltsam fort durch das Feld, und gönnte mir kaum einen Augenblick Ruhe, bis ich glücklich hier anlangte, wo ich auf eine seltsame Weise mein Unterkommen bei dem Theater fand.

Ich. Wie, Berganza! – Du bei dem Theater?

Berganza. Du weißt ja, daß das eine alte Neigung von mir ist.

Ich. Ja! ich erinnere mich, daß Du schon Deine Heldenthaten auf dem Theater Deinem Freunde Szipio erzähltest; also setzest Du diese jetzt von neuem fort?

Berganza. Mit nichten; ich bin jetzt, so wie unsere Theaterhelden, ganz zahm, in gewisser Art konversationsmäßig geworden. Statt daß ich sonst, als des Ritters wackre Dogge, den Feind zu Boden warf, oder den Drachen in den Wampen packte, tanze ich jetzt nach Tamino’s Flöte und erschrecke den Papageno. Ach, mein Freund, es kostet einem ehrlichen Hunde viel Mühe, sich so durch die Welt zu handthieren. Aber sage mir, wie hat Dir die Geschichte der Hochzeitnacht gefallen?

Ich. Aufrichtig gesagt, lieber Berganza, scheinst Du mir die Sache zu schwarz gesehen zu haben. Cäzilia mochte von der Natur auf die seltenste Weise zur Künstlerinn ausgestattet gewesen seyn, ich geb’ es zu –

Berganza. Zur Künstlerinn ausgestattet? – Ha, Freund! Hättest Du nur drei Töne von ihr gehört, Du würdest sagen: die Natur habe den geheimnißvollsten Zauber des heiligen Tons, der die Wesen entzückt, in ihr Innres gelegt! – O Johannes, Johannes! das waren ja oft Deine Worte. Doch weiter mit Deinem Einwurf, mein poetischer Freund!

Ich. Nicht empfindlich, Berganza. – Ich meine ferner, es sey möglich, daß der Georg eigentlich eine Bestie war (verzeih mir den Ausdruck!). Konnte nun aber Cäziliens Gemüth die Bestie nicht entbestialisiren, und er, wie mancher junge Lüstling, nicht ein ganz ordentlicher ehrenfester Ehemann, sie aber eine biedere Hausfrau werden? und dann wäre doch immer ein sehr guter Zweck erreicht.

Berganza. O ja, indessen höre recht aufmerksam an, was ich Dir jetzt sagen werde. – Es besitzt Jemand ein Stück Land, das die Natur mit ganz besonderem Wohlgefallen im Schooße der Erde mit allerlei wunderbaren farbigen Schichten und metallischen Oelen, vom Himmel herab aber mit duftigen Dünsten und feurigen Strahlen nährte, daß die schönsten Blumen ihre bunten glänzenden Häupter über das gesegnete Land erheben, und ihre mannichfaltigen Wohlgerüche, wie in einem jubelnden Choral zum Himmel aufathmend, die gütige Natur preisen. Nun will er das herrliche Stückchen Erde verkaufen, und es fänden sich auch wol Viele, die die holden Blumen lieben, hegen und pflegen würden; aber er selbst denkt: Blumen sind nur zum Putz und ihr Duft ist eitel, und schlägt das Land an Einen los, der die Blumen ausrupft und dafür tüchtiges Gemüse, Kartoffeln und Rüben anpflanzte, das nun zwar nützlich ist, weil man satt davon werden kann, aber die holden duftenden Blumen sind untergegangen auf immer. – Was würdest Du zu diesem Besitzer, zu diesem Gemüsegärtner sagen?

Ich. O daß der Teufel den verfluchten Gemüsegärtner tausendmal mit seinen Krallen zerrisse!

Berganza. Recht so, mein Freund! Nun sind wir einig, und so ist mein Grimm in der verrufenen Hochzeitsnacht, die mir ewig unvergeßlich bleiben wird, hinlänglich entschuldigt!

Ich. Höre, lieber Berganza! Du hast da erst eine Materie berührt, die mich nur zu sehr interessirt, – das Theater! –

Berganza. Vom Theater überhaupt nur zu reden, ekelt mich über alle Maßen an: es ist eine der abgedroschensten Materien seit der Zeit, daß Theaternachrichten in allen nur möglichen Zeitschriften stehende Artikel geworden sind, und Jeder, der auch mit dem ungeübtesten Blick, ohne alle Vorkenntnisse hineinguckt, sich berufen fühlt, darüber hin und her zu schwatzen.

Ich. Aber da Du selbst so viel poetischen Sinn zeigst, ja selbst des poetischen Ausdrucks mächtig bist, so, daß, da Du Deine Pfote schwerlich jemals wirst zum Schreiben brauchen können, ich immer Deinen Schreiber machen und jedes Deiner Worte aufschreiben möchte, so oft Dir der Himmel zu sprechen vergönnt; sage mir, ist wol die Absicht unserer neuen Dichter, das Theater wieder aus dem Schlamme zu ziehen, in den es bisher versunken, zu verkennen? – Wie viel herrliche Bühnenwerke sind in der neuesten Zeit entstanden, und –

Berganza. Halt, lieber Freund! dies Bestreben, endlich einmal die Bühne auf den ihr gebührenden hohen poetischen Standpunkt zu erheben, und sie aus dem Schlamme der Gemeinheit zu retten, verdient die rege Theilnahme und das aufmunternde Lob aller wahrhaft poetisch Gesinnten; allein außerdem, daß sich noch eine ganze Masse Menschen, die den Pöbel auf ihrer Seite hat, oder vielmehr selbst der Pöbel ist, einerlei, ob er aus der Loge oder von der Gallerie ins Theater schaut, jenem Bestreben entgegensetzt, so scheint auch die Verworfenheit und die Imbezillität unserer Schauspieler und Schauspielerinnen immer mehr zuzunehmen, so daß es bald unmöglich seyn wird, ihnen irgend ein Meisterwerk in die Hände zu geben, ohne es von ihren groben Fäusten zerrissen und zerfetzt zu sehen.

Ich. Dein Urtheil über unsere Bühnenhelden finde ich hart.

Berganza. Aber wahr! – Um das Volk recht von innen kennen zu lernen, muß man, so wie ich, eine zeitlang unter ihnen gelebt, und oftmals in der Garderobe den stillen Beobachter gemacht haben. – Es ist wol etwas Herrliches, irgend einen großen Charakter der alten oder neuern Zeit, den der Dichter mit Kraft und Wahrheit geschildert, und dem er Worte in den Mund gelegt hat, die dem erhabenen Sinne geziemen, nun darstellend so in das Leben zu rufen, daß es dem Zuschauer vergönnt scheint, den Helden in seiner schönsten Zeit handeln zu sehen und die höchste Glorie, zu der er sich aufgeschwungen, anzustaunen, oder seinen Untergang zu betrauern. Man sollte glauben, die ganze Fantasie des Schauspielers müßte erfüllt seyn von dem darzustellenden Charakter, ja, er müßte selbst der Held geworden seyn, der so und nicht anders sprechen und handeln kann, und der bewußtlos Erstaunen, Bewunderung, Entzücken, Furcht und Entsetzen erregt. – Nun höre man aber den Helden hinter den Culissen, wie er auf die Rolle schimpft, wenn die Hände sich nicht rührten, wie er sich in der Garderobe in gemeinen Späßen erlabt, wenn er endlich: „den Drang des Hohen abgeschüttelt“ – ja, wie er sich etwas darauf zu Gute thut, die Rolle, je poetischer sie ist, und je weniger sie daher von ihm verstanden wird, desto geringer und verächtlicher zu behandeln, und als in der Einbildung höher stehend, die sogenannten Kenner zu bespötteln, denen solch unverständiges tolles Zeug eine kindische Freude machen kann. – Mit den Damen hat es ganz die gleiche Bewandtniß, nur ist es noch schwieriger, sie zu irgend einer exotischen Rolle zu bewegen, da sie einen nach ihrem Geschmack vortheilhaften Anzug, und wenigstens einen, nach ihrem Ausdruck, brillanten Abgang als unerläßliche Bedingnisse voraussetzen.

Ich. Berganza, Berganza, schon wieder einen Ausfall auf die Weiber!

Berganza. Der aber nur zu gerecht ist! Einer von euern neuesten Bühnendichtern, der wahrhaft poetische Werke geliefert, welche vielleicht bloß deshalb nicht mehr Glück auf der Bühne machten, weil die elenden Bretter zu schwach waren das Colossale zu tragen, indem ein gigantischer geharnischter Held der Vorzeit ganz anders auftritt, als ein Hofrath im gestickten Staatskleide, – dieser Dichter nun war, wenn eins seiner Stücke zur Aufführung kam, vielleicht zu ängstlich besorgt, daß im Aeußern, was Dekorationen und Costume betraf, Alles ganz nach seiner Idee ausgeführt werde. Als nun eine weltberühmte und als poetisch höchst gebildet ausgeschriene Schauspielerinn, bei einem großen Theater, in seinem neuesten Stücke eine tief in das Ganze eingreifende Rolle übernommen hatte, ging er zu ihr hin, und bemühete sich recht weitläufig und deutlich ihr darzulegen, wie sie in ein langes, egyptisches, erdfarbenes, faltenreiches Gewand gekleidet seyn müsse, da er sich eben von der fremdartigen Kleidung recht viel verspreche. Nachdem er beinahe zwei Stunden hindurch ganz herrlich und tief von den bedeutungsvollen egyptischen Gewändern, und vorzüglich von dem in Rede stehenden gesprochen, ja sich selbst in einen zufällig da liegenden Shawl auf verschiedene Weise egyptisch drapirt, und sie ihm ganz geduldig zugehört hatte, erhielt er den kurzen Bescheid: „Ich will’s versuchen, steht es mir, so ist’s gut, steht’s mir nicht, so laß ich’s bleiben, und kleide mich nach meinem Geschmack.“ –

Ich. Du kennst allerdings die Schwächen unserer Bühnenhelden und Königinnen, lieber Berganza! und ich behaupte auch mit Dir, daß kein Schauspieler in der Welt im Stande seyn wird, den Mangel eines innigen tiefen Gefühls, mit dem er den poetischen Charakter seiner Rolle ganz in sich aufnimmt, ja gleichsam zu seinem eignen Ich macht, durch äußere Vortheile zu ersetzen. Er kann augenblicklich den Zuschauer übertäuben, aber immer wird dem Spiel die Wahrheit fehlen, und er jeden Augenblick Gefahr laufen, auf dem Falschen ertappt und des falschen Schmucks beraubt zu werden. – Doch giebt es Ausnahmen. –

Berganza. Höchst selten!

Ich. Und doch! – manchmal gerade da, wo man sie am wenigsten sucht. So sah ich vor kurzer Zeit auf einem kleinen Theater einen Schauspieler den Hamlet mit ergreifender Wahrheit darstellen. Die düstre Schwermuth, die Verachtung des menschlichen Treibens um ihn her, bei dem steten Gedanken an die entsetzliche That, die zu rächen ihn eine grauenvolle Erscheinung aus dem Grabe aufgefordert, der verstellte Wahnsinn – Alles trat aus seinem tiefsten Innern in den lebendigsten Zügen heraus. Er war ganz der, „dem das Schicksal eine Last auflegte, die er nicht zu tragen vermag.“

Berganza. Ich errathe, daß Du von dem Schauspieler sprichst, der von einem Orte zum andern wandernd, vergebens die ideale Bühne sucht, welche nur im mindesten den gerechten Ansprüchen zusagt, welche er an das Theater als gebildeter, denkender Schauspieler macht. – Glaubst Du nicht (im Vorbeigehen gesagt), daß sich darin schon die tiefe Erbärmlichkeit unserer gewöhnlichen Schauspieler recht charakteristisch ausspricht, daß man als etwas Besonderes rühmt: es ist ein denkender Schauspieler. – Der also wirklich wie ein Mensch, dem der liebe Gott eine lebendige Seele gegeben, denkt, oder wenigstens die Mühe nicht scheut, zu denken, der ist schon etwas Außerordentliches.

Ich. Du hast Recht, Berganza! – So ist oft ein gäng- und gebegewordenes Wort der Typus dafür, wie es überhaupt mit der Sache steht.

Berganza. Uebrigens gehört der Schauspieler,[2] von dem wir sprechen, wirklich zu den allerseltensten; nur wird er, weil oft Launen ihn beherrschen, von dem Publikum meistentheils verkannt, von seinen Collegen aber gehaßt, weil er sich nie zu ihren Gemeinheiten, zu ihren pöbelhaften Späßen, zu ihren kleinlichen Klatschereien, und was weiß ich mehr, herabläßt; kurz, er ist für unsere jetzigen Bretter zu gut.

Ich. Sollte denn zur Verbesserung unserer Bühne gar keine Hoffnung vorhanden seyn?

Berganza. Wenig! – Selbst von den Schauspielern will ich einen Theil der Schuld weg- und ihn dem Heer der überdummen Schauspieldirektoren und Regisseurs zuschieben. Diese gehen von dem Grundsatz aus: „Das Stück ist gut, welches die Kasse füllt und worin die Schauspieler häufig beklatscht werden. Mit diesem oder jenem Schauspiel ist dieß am allermehrsten der Fall gewesen, und je mehr sich nun ein neues in der Form, der Anlage und dem Ausdruck demselben nähert, desto besser, je mehr es sich davon entfernt, desto schlechter ist es.“ – Neuigkeiten müssen auf die Bühne, und da doch nun die Stimmen der Dichter nicht ganz verklingen, sondern von gar Manchem gehört werden, so ist es nicht zu vermeiden, auch manche Produkte, die sich dem Maßstabe der Gemeinheit nicht recht fügen wollen, bei dem Theater anzunehmen. Damit der arme Dichter aber nicht ganz sinke, damit er doch zur einigermaßen die auf den Brettern als unerläßlich angenommenen Bedingungen erfülle, ist der Herr Regisseur so gütig, sich seiner anzunehmen und sein Stück zu streichen. Das heißt: es werden Reden, ja sogar Szenen ausgelassen oder versetzt, so daß alle Einheit des Ganzen, jeder von dem Dichter mit Bedacht und Ueberlegung vorbereitete Effekt zerstört wird, und der Zuschauer, dem nur die gröbsten Farbenstriche ohne alle Verschmelzung durch die Mitteltinten blieben, nicht mehr erkennen kann, was das Ding eigentlich vorstellen soll. – Der Regisseur ist hoch erfreuet, wenn in seinem Sinn nur die Personen regelrecht kommen und gehen, und eben so normal das Theater sich verändert.

Ich. Ach, Berganza! Du hast ein wahres Wort gesprochen. – Aber, ist es denn nicht eine furchtbare Eitelkeit, die nur durch die stupideste Stupidität erzeugt werden kann, wenn solch ein Bursche sich über das Werk des Dichters, das dieser so lange im Innern trug, wovon er jeden Moment wohl überdachte und überlegte, ehe er das Ganze gerundet aufschrieb, erheben will? Aber gerade in den Werken der größten Dichter entfaltet sich nur dem poetischen Sinn der innere Zusammenhang; der Faden, der sich durch das Ganze schlängelt, und jeden kleinsten Theil dem Ganzen fest anreiht, wird nur dem tiefen Blick des ächten Kenners sichtbar. Darf ich’s denn wol noch sagen, daß das bei dem Shakespeare mehr, als bei irgend einem andern Dichter der Fall ist?

Berganza. Ich setze hinzu: und bei meinem Calderon, dessen Schauspiele zu meiner guten Zeit in Spanien das Publikum entzückten.

Ich. Du hast recht, und Beide sind auch innig verwandte Geister, die sich oft sogar in ähnlichen Bildern aussprechen.

Berganza. Es giebt nur eine Wahrheit. – Aber was sagst Du zu dem gewissen Mittelgut, das bei Euch nur in zu großer Menge zu Markte gebracht wird; – es ist nicht gerade schlecht zu nennen, glückliche Ideen und Gedanken fehlen nicht, aber diese muß man wie den Goldfisch mühsam aus dem Wasser angeln, und die Langeweile, die man dabei empfindet, stumpft den Geist für die momentane Erscheinung irgend eines poetischen Blitzes ganz ab – man wird ihn endlich kaum gewahr.

Ich. Dieß Mittelgut (zugeben muß ich Dir leider, daß es dessen bei uns nur zu viel giebt) überlasse ich unbedingt der Diskretion der Regisseurs, die ihre Blei- und Rothstifte daran üben können. Denn gewöhnlich gleicht ein solches Werk den sibyllinischen Büchern, die, so viel man auch davon wegwerfen mochte, noch immer ein brauchbares Ganze blieben, so, daß man den Verlust nicht bemerkte. Vorzüglich herrscht auch eine gewisse Schwatzhaftigkeit darin, eine gewisse Prägnanz, in der jede einzelne Strophe immer die zehn folgenden zu gebähren scheint u. s. f., und leider hat ein schon verstorbener großer Dichter, vorzüglich durch seine ersten metrisch geschriebenen Stücke, dazu den mächtigen Anlaß gegeben. – Ja, ja! – Dieß Mittelgut mag gestrichen werden. –

Berganza. Ganz gestrichen! – Es soll gar nicht auf die Bühne kommen, da bin ich ganz Deiner Meinung; muß es aber des launenhaften Publikums wegen, das den steten Wechsel neuer Vorstellungen verlangt, aus Bedürfniß, weil die Meisterwerke so selten sind, dennoch auf die Bühne kommen, so finde ich auch hier sogar das Streichen in der gewöhnlichen Art für gefährlich, wo nicht für unzulässig. Auch der mittelmäßigere Dichter hat seine Intentionen, die er manchmal in Szenen verfolgt, die leicht dem unpoetischen Sinn als sogenannte Flickszenen erscheinen können. – Kurz, lieber Freund, nur ein solches Werk im poetischen Feuer zu läutern und so das darin enthaltene Gold, von Schlacken gesäubert, im künstlichen Gefüge zu ordnen, dazu gehört nicht weniger, als daß man selbst ein guter Dichter sey, und so die Rechte der Meisterschaft ausübe, die man durch den gereinigtsten Geschmack, durch die tiefste poetische Erfahrung erlangt hat.

Ich. Freilich ist dieser Maßstab für unsere Bühnendirektoren und Regisseurs nicht tauglich. – Aber unter dem Mittelgut schleicht sich denn doch zuweilen ein poetisches Stück durch, was lebensvoll und kräftig gedichtet, seiner Wirkung auf die Menge nicht verfehlen kann. Direktor und Regisseur hatten es gemessen, und seine Länge, Breite und Dicke regelrecht gefunden, den Inhalt hatten sie im völligen Einverständniß für ungemein abgeschmackt erklärt, und da es mehrmals von Kennern verlangt, freuten sie sich auf ihren Triumph, wenn das Stück, wie natürlich, ausgepfiffen werden würde. Recht boßhafter Weise hatte der Regisseur auch von dem heillosen Dichter ganz seine wohlthätige Hand abgezogen, und ihn ganz in seiner natürlichen Rohheit, in seiner Unkenntniß alles theatralischen Effekts bloßgestellt, so daß, wenn er, der Herr Regisseur, nur an die ersten Szenen dachte, er ein vornehmes mitleidiges Lächeln, in dem sich das stolze Bewußtseyn eigner Ueberlegenheit und Größe spiegelte, nicht unterdrücken konnte. – Nun – wer hätte das gedacht! – Gefällt aber das lebendige, herrliche Spiel ganz ungemein – es elektrisirt die Menge – stille Andacht und lauter Jubel wechseln, durch die unwiderstehliche Macht der poetischen Wahrheit des Gedichts angeregt – da giebt es denn eine komische Szene zwischen dem Direktor und dem Regisseur, die Beide etwas verblüfft die Meinung von dem nicht verstandenen Stück, die sie erst unverholen äußerten, nun einander abläugnen. Trifft es sich gar, daß die Schauspieler in einem solchen Stücke recht applaudirt worden sind, so treten auch diese auf die Seite des Dichters, wiewol sie alle im Stillen doch den Unverstand des Publikums belachen, das sich durch die persönliche Vortrefflichkeit der Spieler so blenden ließ, daß es den unverständlichen Unsinn des Gedichts für was Rechtes hielt.

Berganza. Gar nicht lange her ist es, daß ich ein Beispiel dazu erlebte, was Du eben gesagt hast. – Es war das tiefsinnigste und zugleich lebendigste Stück des hochverehrten Calderon de la Barka: die Andacht zum Kreuz, welches man auf vieles Andringen der poetisch Gesinnten in Eurer höchst vortrefflichen Uebersetzung auf die Bühne brachte, und welches bei dem Publikum, so wie hinter den Culissen, alle die ergötzlichen Wirkungen hatte, die Du so eben beschriebst.

Ich. Auch ich habe die Andacht zum Kreuz aufführen gesehen, und der Eindruck auf die Menge war nicht zu verkennen; aber manche hochgebildete Personen fanden das Stück verwerflich, weil es unmoralisch sey.

Berganza. Eben in diesem Urtheil spricht sich Eure jetzige Verschrobenheit, ja ich möchte sagen, Verderbtheit aus. – Ueberhaupt rechne ich den Verfall Eures Theaters von der Zeit, als man die moralische Verbesserung der Menschen als den höchsten, ja einzigen Zweck der Bühne angab, und so dieselbe zur Zuchtschule machen wollte. Das Lustigste konnte nicht mehr erfreuen, denn hinter jedem Scherz ragte die Ruthe des moralischen Schulmeisters hervor, der gerade dann am geneigtesten ist, die Kinder zu strafen, wenn sie sich dem Vergnügen ganz überlassen.

Ich. Ich fühle die kräftigen Hiebe der Ruthe, schnell wandelt sich das unschickliche Gelächter um in schickliches Weinen.

Berganza. Ihr Deutsche kommt mir vor wie jener Mathematiker, der, nachdem er Glucks Iphigenia in Tauris gehört hatte, den entzückten Nachbar sanft auf die Achsel klopfte und lächelnd fragte: Aber was ist dadurch nun bewiesen? – Alles soll noch außer dem, was es ist, was Anderes bedeuten, Alles soll zu einem außerhalb liegenden Zweck führen, den man gleich vor Augen hat, ja selbst jede Lust soll zu etwas Anderm werden, als zur Lust, und so noch irgend einem andern leiblichen oder moralischen Nutzen dienen, damit nach der alten Küchenregel immer das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden bleibe.

Ich. Aber der Zweck der bloßen vorübergehenden Belustigung ist so kleinlich, daß Du doch der Bühne gewiß einen höheren einräumen wirst?

Berganza. Es giebt keinen höheren Zweck der Kunst, als, in dem Menschen diejenige Lust zu entzünden, welche sein ganzes Wesen von aller irdischen Qual, von allem niederbeugenden Druck des Alltagslebens, wie von unsaubern Schlacken befreit, und ihn so erhebt, daß er, sein Haupt stolz und froh emporrichtend, das Göttliche schaut, ja mit ihm in Berührung kommt. – Die Erregung dieser Lust, diese Erhebung zu dem poetischen Standpunkte, auf dem man an die herrlichen Wunder des Rein-Idealen willig glaubt, ja mit ihnen vertraut wird, und auch das gemeine Leben mit seinen mannichfaltigen bunten Erscheinungen durch den Glanz der Poesie in allen seinen Tendenzen verklärt und verherrlicht erblickt – das nur allein ist nach meiner Ueberzeugung der wahre Zweck des Theaters. Ohne die Gabe, diese Erscheinungen des Lebens nicht als unabhängige Einzelnheiten, von der Natur wie ihm zwecklosen Spiel eines launenhaften Kindes hingeworfen, sondern als aus dem Ganzen entspringend und in seinen Mechanism wieder tief eingreifend zu betrachten, im Innern aufzufassen und mit den lebendigsten Farben wiederzugeben, giebt es keinen Schauspieldichter; vergebens ist sonst das Ringen: „der Natur den Spiegel vorzuhalten, der Tugend ihre eignen Züge, der Schmach ihr eignes Bild, dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen.“

Ich. Und hiernach möchte sich auch die Fähigkeit zu beobachten modifiziren, die man hauptsächlich vom Lustspieldichter verlangt.

Berganza. Allerdings. Aus dem getreuen Beobachten und Auffassen der individuellen Züge einzelner Personen, kann höchstens ein ergötzliches Porträt entstehen, das eigentlich nur dann zu interessiren vermag, wenn man das Original kennt, und durch den Vergleich damit in den Stand gesetzt wird, die praktische Fertigkeit des Malers zu beurtheilen. Als Charakter auf der Bühne wird aber dem zu getreuen Porträt, oder der gar aus einzelnen Zügen mehrerer Porträts zusammengepinselten Personage, immer die innere poetische Wahrheit fehlen, die nur durch die Betrachtung des Menschen von jenem höheren Standpunkte aus, erzeugt wird. – Kurz, der Schauspieldichter muß nicht sowohl die Menschen, als den Menschen kennen. – Der Blick des wahren Dichters durchschaut die menschliche Natur in ihrer innersten Tiefe, und herrscht über ihre Erscheinungen, indem er ihre mannichfaltigste Strahlenbrechung in seinem Geiste wie in einem Prisma auffaßt und reflektirt.

Ich. Deine Ansichten von der Kunst und von dem Theater, lieber Berganza! möchten manchen Widerspruch finden, wiewol vorzüglich das, was Du von der Kenntniß des Menschen und der Menschen sagst, mir recht gut eingeht, und ich darin den Grund finde, warum die Schau- und Lustspiele eines gewissen Dichters, der zugleich praktischer Schauspieler war, momentan so hochgeachtet und so bald vergessen wurden; das gänzliche Vorübergehen seiner Periode noch während seines Lebens hatte seine Fittige dermaßen gelähmt, daß er sie nicht mehr zum neuen Fluge zu schwingen vermochte.

Berganza. Der Dichter, von dem Du sprichst, trägt auch größtentheils die Schuld der Sünde, welche als unabwendbare Folge den Fall unseres Theaters nach sich zog. – Er war einer der Coryphäen jener langweiligen, weinerlichen, moralisirenden Sekte, die mit ihrem Thränenwasser jeden emporblitzenden Funken der wahren Poesie auszulöschen strebten. – Er bot uns in reichlicher Fülle die verbotenen Aepfel dar, deren Genuß uns das Paradies kostete.

Ich. Aber man kann ihm eine gewisse lebensvolle Darstellung nicht absprechen.

Berganza. Die aber mehrentheils in dem geschraubten Dialog sich selbst wieder vernichtet. Mir ist es, als wenn er lebhaft aufgefaßte individuelle Züge einzelner Personen so wie ein fremdes Kleid sich selbst angepaßt, alsdann so lange daran geschnörkelt und geschnitten, bis sie ihm gerecht waren, und in der Art seine Charaktere geschaffen hätte. Wie es da um die innere poetische Wahrheit stehen muß, kannst Du leicht selbst ermessen.

Ich. Indessen waren doch seine Intentionen meistentheils gut.

Berganza. Ich hoffe, daß Du das Wort Intention nicht in dem höhern Sinn der Kunstsprache nimmst, sondern nur den wenigstens scheinbar moralischen Zweck der Schauspiele jenes Dichters darunter verstehst, und da muß ich Dir gestehen, daß vielleicht, abgesehen von aller Kunst, von allem Poetischen, jene Schauspiele in der Absicht und dem Erfolg wirklich den erbaulichen Fastenpredigten an die Seite zu stellen sind, die den Gottlosen mit der Hölle drohen, und den Frommen den Himmel versprechen; nur hat der Dichter den Vortheil als Handhaber und Vollstrecker der poetischen Gerechtigkeit, nach Befund, gleich mit dem Schwerte selbst drein schlagen zu können. Belohnung und Strafe, Geldbörsen und Geheimderathstitel, bürgerliche Schande und Festung, Alles ist in Bereitschaft, sobald sich der Vorhang vor dem fünften Akte hebt.

Ich. Mich wundert, daß in diesen Dingen noch eine gewisse Varietät stattfinden kann.

Berganza. Warum das nicht! – Wäre es nicht für unsere Dichter eine herrliche fruchtbare Idee gewesen, die zehn Gebote cyklisch in Schauspielen zu behandeln? – Die beiden Gebote: Du sollst nicht stehlen, und du sollst nicht ehebrechen, sind schon ganz artig theatralisch ausgeführt worden, und es käme nur darauf an, solche Gebote, als z. B. du sollst nicht begehren etc. schicklich einzukleiden.

Ich. Vor einiger Zeit klang der Einfall weniger ironisch, als jetzt. Doch wie war es möglich, daß jene weinerliche, moralisirende Periode bis zur höchsten Stufe der unerträglichsten Langeweile, sich nicht mit einem allgemeinen Auflehnen dagegen, mit einer plötzlichen Revolution endigen konnte, sondern nach und nach verbleichen und verlöschen mußte?

Berganza. Ich glaube nicht, daß ihr Deutsche, selbst bei dem schwersten Druck, zum Aufstande, dagegen durch einen plötzlichen Blitz aufzuregen seyd. Indessen würde die Sache doch anders, und zwar eindringender, schneller gegangen seyn, wenn ein herrlicher Dichter, der Euch noch manchmal bis in das Innerste hinein erfreuen wird, damals seinen gerechten Abscheu gegen die armseligen Bretter überwunden, und uns ein Mährchen, wie Gozzi das Mährchen von den drei Pomeranzen, von der Bühne herab erzählt hätte. – Wie es nur an ihm lag, mit der ihm zu Gebote stehenden unendlichen poetischen Kraft das jämmerliche Kartenhaus einzuschließen, zeigt die Wirkung, ja die gänzliche Revolution in allen dem Theater befreundeten poetischen Gemüthern, die sein polemisches, in Form des Lustspiels abgefaßtes Mährchen hervorbrachte, das, wenn alle Beziehungen längst fremd geworden sind, als ein für sich bestehendes ergötzliches Produkt nicht ohne das innigste Behagen gelesen werden wird.

Ich. Ich merke, daß Du den gestiefelten Kater meinst, ein Buch, was mich schon damals, als ich noch von den unglückseligen Erscheinungen jener Periode befangen, mit dem reinsten Vergnügen erfüllte. – Warum springst Du so, Berganza?

Berganza. Ach! – es ist der Aufheiterung wegen! – Ich will mir all’ die verfluchten Erinnerungen an das Theater aus dem Sinne schlagen, und ein Gelübde thun, mich nie mehr darauf einzulassen. – Am liebsten ginge ich zu meinem Kapellmeister.

Ich. So nimmst Du also das Anerbieten, bei mir zu bleiben, nicht an?

Berganza. Schon deshalb nicht, weil ich mit Dir gesprochen. Es ist überhaupt nicht rathsam, Jemandem alle Talente, die man besitzt, zu enthüllen, weil dieser dann das wohlerworbene Recht zu haben glaubt, sie in Anspruch zu nehmen, wie er nur mag. So könntest Du nun oft von mir verlangen, daß ich mit Dir sprechen sollte.

Ich. Weiß ich denn aber nicht, daß es nicht von Dir abhängt, zu sprechen wann Du willst?

Berganza. Wenn auch! – Du könntest es oft für Eigensinn halten, wenn ich hartnäckig schwiege, unerachtet es mir in dem Augenblick unmöglich seyn dürfte, menschlich zu schwatzen. Verlangt man nicht oft von dem Musiker: er solle spielen, – von dem Dichter: er solle Verse machen? sind auch Zeit und Umstände so ungünstig, daß es unmöglich ist, dem Zudringlichen zu gnügen, und doch schilt man dann jede Weigerung Eigensinn. – Kurz! – ich bin Dir mit meinen besondern Gaben und Eigenheiten zu bekannt geworden, als daß auf ein näheres Verhältniß zwischen uns zu rechnen wäre. Ueberdem habe ich mein Unterkommen schon gefunden, laß uns also davon abbrechen.

Ich. Es ist mir unlieb, daß Du so wenig Zutrauen zu mir hast.

Berganza. Du bist also auch neben Deinem Musiktreiben, Schriftsteller – Dichter?

Ich. Ich schmeichle mir bisweilen –

Berganza. Schon genug – Ihr taugt Alle nicht viel, denn der reine, einfarbige Charakter ist selten.

Ich. Was willst Du damit sagen?

Berganza. Nächst denen, die nur im äußern Prunkstaat der Poesie erscheinen, nächst Euern geleckten Männlein, Euern gebildeten gemüth- und herzlosen Weibern, giebt es noch welche, die von innen und außen gesprenkelt sind, und in mehreren Farben schillern, ja bisweilen wie das Chamäleon die Farben wechseln können.

Ich. Noch immer verstehe ich Dich nicht –

Berganza. Sie haben Kopf – Gemüth – aber nur dem Geheiligten entfaltet die blaue Blume willig ihren Kelch!

Ich. Was willst Du mit der blauen Blume?

Berganza. Eine Erinnerung an einen verstorbenen Dichter, der zu den reinsten gehörte, die jemals gelebt. Wie Johannes sagte: leuchteten in seinem kindlichen Gemüthe die reinsten Strahlen der Poesie, und sein frommes Leben war ein Hymnus, den er dem höchsten Wesen und den heiligen Wundern der Natur in herrlichen Tönen sang. Sein Dichtername war: Novalis!

Ich. Viele hielten ihn jeder Zeit für einen Schwärmer und Fantasten –

Berganza. Weil er in der Poesie, so wie im Leben, nur das Höchste, das Heiligste wollte, und vorzüglich manchen gesprenkelten Kollegen herzlich verachtete, wiewol eigentlicher Haß seiner Seele fremd war, so hatte er manchen ihn verfolgenden Feind. – Eben so weiß ich recht gut, daß man ihm Unverständlichkeit und Schwulst vorwarf, unerachtet es zu seinem Verständniß nur darauf ankam, mit ihm in die tiefsten Tiefen hinabzusteigen, und wie aus einem in Ewigkeit ergiebigen Schacht die wundervollen Kombinationen, womit die Natur alle Erscheinungen in ein Ganzes verknüpft, heraufzubergen, wozu denn freilich den Mehrsten es an innerer Kraft und an Muth mangelte.

Ich. Ich glaube, daß wenigstens in Ansehung des kindlichen Gemüths und des wahren poetischen Sinnes, ihm ein Dichter der neuesten Zeit ganz an die Seite zu setzen ist.

Berganza. Meinst Du den, der mit seltner Kraft die nordische Riesenharfe ertönen ließ, der mit wahrhafter Weihe und Begeisterung den hohen Helden Sigurd in das Leben rief, daß sein Glanz all’ die matten Dämmerlichter der Zeit überstrahlte, und vor seinem mächtigen Tritt all’ die Harnische, die man sonst für die Helden selbst gehalten, hohl und körperlos umfielen, – meinst du den, so gebe ich Dir Recht. – Er herrscht als unumschränkter Herr im Reich des Wunderbaren, dessen seltsame Gestalten und Erscheinungen willig seinem mächtigen Zauberrufe folgen und – doch in diesem Augenblicke fällt mir durch eine besondere Ideenkombination ein Bild, oder vielmehr ein Kupferstich ein, der anders, als was er vorstellt, gedeutet, mir das eigentliche innere Wesen solcher Dichter, als von denen wir eben sprechen, auszudrücken scheint. –

Ich. Sprich, lieber Berganza, was ist das für ein Bild?

Berganza. Meine Dame (Du weißt, daß ich die Dichterinn und mimische Künstlerinn meine) hatte ein sehr schönes Zimmer mit guten Abdrücken der sogenannten Shakespeares-Gallerie ausgeziert. Das erste Blatt, gleichsam als Prologus, stellte Shakespeares Geburt vor. Mit ernster hoher Stirn, mit hellen klaren Augen um sich schauend, liegt der Knabe in der Mitte, um ihn die Leidenschaften, ihm dienend; – die Furcht, die Verzweiflung, die Angst, das Entsetzen, schmiegen gräßlich gestaltet sich willig dem Kinde, und scheinen auf seinen ersten Laut zu horchen. –

Ich. Aber die Deutung auf unsere Dichter?

Berganza. Kann man nicht ohne allen Zwang jenes Bild so deuten: „Sehet, wie dem kindlichen Gemüthe die Natur in allen ihren Erscheinungen unterworfen, wie selbst das Furchtbare, das Entsetzliche sich seinem Willen und seinem Worte schmiegt, und erkennet, daß nur ihm diese zauberische Macht verstattet.“

Ich. In diesem Sinne habe ich wirklich noch nie das mir wohlbekannte Bild betrachtet; aber ich muß gestehen, daß Deine Deutung nicht allein paßt, sondern auch überdem sehr pittoresk ist. Ueberhaupt scheint Deine Fantasie sehr regsam. – Doch! – Du bist mir noch die Erklärung Deiner sogenannten gesprenkelten Charaktere schuldig.

Berganza. Der Ausdruck taugt nicht viel, um das zu bezeichnen, was ich eigentlich meine, indessen hat ihn der Haß geboren, den ich gegen alle buntfarbig gesprenkelte Kreaturen von meinem Stande trage. Oft bin ich einem bloß deshalb in die Ohren gefahren, weil er in Weiß und Braun gefärbt, mir wie ein verächtlicher buntscheckichter Narr vorkam. – Sieh, lieber Freund! es giebt so Viele unter Euch, die man Dichter nennt, und denen man Geist, Tiefe, ja selbst Gemüth nicht absprechen kann, die aber, als sey die Dichtkunst etwas Anderes als das Leben des Dichters selbst, von jeder Gemeinheit des Alltagslebens angeregt, sich willig den Gemeinheiten selbst hingeben, und die Stunden der Weihe am Schreibtische von allem übrigen Treiben und Thun sorgfältig trennen. – Sie sind selbstsüchtig, eigennützig, schlechte Gatten, schlechte Väter, untreue Freunde, indem sie, sobald der neue Bogen zur Presse soll, das Heiligste in heiligen Tönen verkünden. –

Ich. Was thut aber das Privatleben, wenn der Dichter nur Dichter ist und bleibt! – Aufrichtig gesprochen, ich halte es mit Rameaus Neffen, der den Dichter der Athalia dem guten Hausvater vorzieht.

Berganza. Mir ist es schon fatal, daß man bei dem Dichter, als sey er eine diplomatische Person oder nur überhaupt ein Geschäftsmann, immer das Privatleben – und nun von welchem Leben denn? – absondert. – Niemals werde ich mich davon überzeugen, daß der, dessen ganzes Leben die Poesie nicht über das Gemeine, über die kleinlichen Erbärmlichkeiten der konventionellen Welt erhebt, der nicht zu gleicher Zeit gutmüthig und grandios ist, ein wahrhafter aus innerem Beruf, aus der tiefsten Anregung des Gemüths hervorgegangener Dichter sey. Ich möchte immer etwas aufsuchen, wodurch erklärt würde, wie das, was er verkündet, von außen hineingegangen sey und den Saamen gestreut habe, den nun der lebhafte Geist, das regbare Gemüth zur Blüthe und Frucht reifen läßt. Mehrentheils verräth auch irgend eine Sünde, sey es auch nur eine Geschmacklosigkeit, von dem Zwange des fremdartigen Schmuckes erzeugt, den Mangel an innerer Wahrheit.

Ich. Das ist also Dein gesprenkelter Charakter?

Berganza. Allerdings! – Ihr habt einen Dichter – gehabt, möcht’ ich beinahe sagen, dessen Werke oft eine in Seele und Herz dringende Frömmigkeit athmen, und der übrigens ganz für das Original jenes schwarzen Bildes gelten kann, das ich von dem gesprenkelten Charakter entworfen. Er ist selbstsüchtig, eigennützig, perfid gegen Freunde, die es gut und redlich mit ihm meinten, und keck will ich es behaupten, daß nur das Auffassen und Verfolgen einer fixen Idee ohne einen eigentlichen innern Beruf ihn den Weg betreten ließ, den er nun für immer eingeschlagen. – Vielleicht dichtet er sich herauf bis zum Heiligen! –

Ich. Das ist mir räthselhaft!

Berganza. Und möge Dir das Räthsel auch ungedeutet bleiben! – Du siehst kein weißes Haar an mir – ich bin durchaus schwarz – schiebe allenfalls darauf meinen tiefen Haß gegen alles Bunte. – Närrisch war es doch, sich gerade für die Jungfrau Maria zu halten.

Ich. Du springst auf etwas Neues?

Berganza. Im Gegentheil! – ich bleibe bei dem Alten. Johannes Kreisler erzählte einmal in meiner Gegenwart einem Freunde, wie einst der Wahnsinn der Mutter den Sohn zum Dichter in der frömmsten Manier gebildet habe. – Die Frau bildete sich ein, sie sey die Jungfrau Maria und ihr Sohn der verkannte Christus, der auf Erden wandle, Kaffee trinke und Billard spiele, aber bald werde die Zeit kommen, wo er seine Gemeine sammeln und sie geradesweges in den Himmel führen würde. Des Sohnes rege Fantasie fand in der Mutter Wahnsinn die Andeutung seines höheren Berufs. – Er hielt sich für einen Auserwählten Gottes, der die Geheimnisse einer neuen geläuterten Religion verkünden solle; mit innerer Kraft, die ihn das Leben an den erkannten Beruf setzen ließ, hätte er ein neuer Prophet, oder was weiß ich, werden können; aber bei der angebornen Schwächlichkeit, bei dem Kleben an den Alltäglichkeiten des gemeinen Lebens, fand er es bequemer, jenen Beruf nur in Versen anzudeuten, ihn auch nachgerade zu verläugnen, wenn er seine bürgerliche Existenz gefährdet glaubte. – Ach, mein Freund! Ach! –

Ich. Was ist Dir? lieber Berganza!

Berganza. Bedenke das Schicksal eines armen Hundes, der verdammt ist, recht was man sagt, aus der Schule zu schwatzen, wenn ihm einmal der Himmel zu sprechen erlaubt. – Doch freut es mich, daß Du meinen Zorn, meine Verachtung gegen Eure falschen Propheten – so will ich die nennen, die der wahren Poesie zum Hohn sich nur im Falschen, Angeeigneten bewegen – so gut aufgenommen oder vielmehr für gerecht erkannt hast. – Ich sage Dir, Freund, traue nicht den Gesprenkelten! –

In diesem Augenblicke schüttelte ein frischer Morgenwind die Aeste der hohen Bäume, daß die Vögel sich vom Schlafe ermunterten, und in leichtem Fluge sich in dem Purpur badeten, das nun hinter den Bergen aufstieg und die Luft erfüllte.

Berganza machte seltsame Grimassen und Sprünge. Seine funkelnden Augen schienen Feuer zu sprühen; ich stand auf, und ein Grauen wandelte mich an, dem ich in der Nacht widerstanden.

„Trau – Hau – Hau – Au Au!“ –

Ach! Berganza wollte reden, aber die versuchten Worte gingen unter in dem Bellen des gewöhnlichen Hundes.

Mit Blitzesschnelle sprang er fort; bald war er mir aus den Augen, aber noch aus weiter Ferne erschallte das

– Trau Hau – Hau – Hau – Hau – Hau –

und ich wußte, was ich dabei zu denken hatte.



Anmerkungen

  1. S. das Gespräch der beiden Hunde, Scipio und Berganza, in Cervantes Erzählungen, übersetzt von Soltau. 3r Theil. pag. 208.[WS 1]
  2. Leo. Anmerk. d. Verlegers.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Miguel de Cervantes: Gespräch zwischen Scipio und Berganza, zwey Hunden im Hospital zur Auferstehung in Valladolid, vor dem Thor del Campo, gewöhnlich die Hunde des Mahudes genannt, in: Lehrreiche Gespräche, Teil 3, übersetzt von Dietrich Wilhelm Soltau, Königsberg 1801, S.208-344. Die Erzählung in der Übersetzung von Hieronymus Müller (1827) siehe Google
  2. Vorlage: in in
  3. [In der ersten Fassung schließt – siehe Hirschberg 1922 Bd.13, S.206 – hier an:]
    — Du willst etwas sagen? — Schweige diesesmal und höre weiter. — Cäcilia wurde von der Mutter und von all’ den wunderlichen Gesichtern, die in das Haus kamen, mit vollen Backen gelobt und gepriesen; die Mutter sprach vorzüglich von dem ganz eignen Wesen, von dem tiefen Kunstgefühl und behandelte sie feierlich, wie die zur Kunst geweihte. Die ganze Tendenz von Cäciliens Unterricht und ihrer Beschästigung ging darauf hin, sie zur Künstlerin, wie es nur eine geben kann, zu bilden. Das gefiel mir gar wohl, denn ich merkte ja deutlich, wie in Cäciliens kindlichem, herrlichem Gemüthe die Kunst den heiligen Funken entzündet hatte, und ich dachte lebhaft an jene schönere Zeit, wo die Berufenen aus dem gemeinen Leben und seinen niederdrückenden Umgebungen hinaustraten in den höhern Lichtkreis, den die Natur ihnen angewiesen hatte. Die Mutter gewann ich schon deshalb lieb, weil, wenn manche Äußerungen über Kunst und Künstlerleben mich oft auch eiskalt anwehten, doch dies Anerkennen und Hegen und Pflegen des wahren Kunsttriebes mir schon der höchsten Achtung werth schien. Sowie Du es dir denken kannst, mein Freund, befand ich mich ganz wohl im Hause, und da die Mutter einen gewissen Hang zum Sonderbaren nicht unterdrücken konnte, sei es auch nur der Ostentation wegen, so wurde ich nebenher auch von ihr mit mancher freundschaftlichen Aeußerung des Wohlwollens beehrt. Um so auffallender war es mir daher, als einmal Cäcilia, die Abends wunderschön, so recht aus dem Herzen gesungen hatte, weinend in ihr Zimmer trat. Ich sprang ihr entgegen, [weiter auf Seite 193: Da faßte sie mich…]
  4. [In der ersten Fassung schließt – siehe Hirschberg 1922 Bd.13, S.205-206 – hier an:]
    [205] An ihrem Geburtsfeste, das in die ersten Frühlingstage fiel, brachte er ihr einen zierlichen Rosenstock mit reichlichen Knospen, dem ein Sonnett beygelegt war, das vielen Beyfall erhielt, und das ich dir hersagen will, weil du mich vorhin der Würde wegen, womit ich Sonnette spreche, so gerühmt hast:

    Sonnett an Cäzilia.
    Der Frühling kommt aus blauen Wolkenwogen,
    In duft’ger Ferne leuchtet sein Gefieder,
    Den stillen Wald beleben frohe Lieder,
    Der Heimath sind die Sänger zugeflogen.

    Und Strahl auf Strahl entbrennt am Himmelsbogen,
    Und was er küßt, es muß sich schnell gestalten,
    Die Blüthe sich aus dunkler Knosp’ entfalten,
    Ins Leben ist des Lebens Gluth gezogen.

    Aus grüner Wiege will die Rose glänzen,
    Ihr sanftes Roth sind holder Geister Töne,
    Der Jugend Anmuth-Reitze, ihr Erglühen.

    Du Mägdlein! bist das Bild des süßen Lenzen,
    Der Rosenknospe gleich an Anmuth, Schöne,
    Und was du wirst, das zeige ihr Erblühen.


    Ich. Recht artig, und aus deinem Munde, lieber Berganza, recht angenehm zu hören, nur finde ich den Schluß matt, welches daher [206] kommen mag, daß er vielleicht mehr sagen wollte, als er vielleicht für gut fand zu sagen. Und Cäzilia?