Notburga (Brüder Grimm)
Notburga.
- Notburga, eine heilige Magd auf dem Schloß Rottenburg. Auf öffentl. Schaubühne vorgestellt den 17. Septbr. 1738.
- Süddeutsche Miscellen 1813. März Nr. 26.
- Miscellen für die neuste Weltkunde 1810 Nr. 44.
Im untern Innthale Tirols liegt das Schloß Rottenburg, auf welchem vor alten Zeiten bei einer adlichen Herrschaft eine fromme Magd diente, Notburga genannt. Sie ward mildthätig und theilte, so viel sie immer konnte, unter die Armen aus und weil die habsüchtige Herrschaft damit unzufrieden war, schlugen sie das fromme Mägdlein und jagten es endlich fort. Es begab sich zu armen Bauersleuten auf den nah gelegenen Berg Eben; Gott aber strafte die böse Frau auf Rottenburg mit einem jähen Tod. Der Mann fühlte nun das der Notburga angethane Unrecht und holte sie von dem Berge Eben wieder zu sich nach Rottenburg, wo sie ein frommes Leben führte, bis die Engel kamen und sie in den Himmel abholten. Zwei Ochsen trugen ihren Leichnam über den Innstrom und [451] obgleich sein Wasser sonst wild tobt, so war er doch, als die Heilige sich näherte, ganz sanft und still. Sie wurde in der Capelle des heil. Ruprecht beigesetzt.
Am Neckar geht eine andere Sage. Noch stehen an diesem Flusse Thürme und Mauern der alten Burg Hornberg, darauf wohnte vorzeiten ein mächtiger König mit seiner schönen und frommen Tochter Notburga. Diese liebte einen Ritter und hatte sich mit ihm verlobt; er war aber ausgezogen in fremde Lande und nicht wiedergekommen. Da beweinte sie Tag und Nacht seinen Tod und schlug jeden andern Freier aus, ihr Vater aber war hartherzig und achtete wenig auf ihre Trauer. Einmal sprach er zu ihr: „bereite deinen Hochzeitschmuck, in drei Tagen kommt ein Bräutigam, den ich dir ausgewählt habe.“ Notburga aber sprach in ihrem Herzen: „eh will ich fortgehen, so weit der Himmel blau ist, als ich meine Treue brechen sollte.“
In der Nacht darauf, als der Mond aufgegangen war, rief sie einen treuen Diener und sprach zu ihm: „führe mich die Waldhöhe hinüber noch der Capelle St. Michael, da will ich, verborgen vor meinem Vater, im Dienste Gottes das Leben beschließen. Als sie auf der Hohe waren, rauschten die Blätter und ein schneeweißer, Hirsch kam herzu und stand neben Notburga still. Da setzte sie sich auf seinen Rücken, hielt sich an sein Geweih und ward schnell von ihm fortgetragen. Der Diener sah, wie der Hirsch mit ihr über den Neckar leicht und sicher hinüberschwamm und drüben verschwand.
[452] Am andern Morgen, als der König seine Tochter nicht fand, ließ er sie überall suchen und schickte Boten nach allen Gegenden aus, aber sie kehrten zurück, ohne eine Spur gefunden zu haben; und der treue Diener wollte sie nicht verrathen. Aber als es Mittagszeit war, kam der weiße Hirsch auf Hornberg zu ihm und als er ihm Brot reichen wollte, neigte er seinen Kopf, damit er es ihm an das Geweih stecken mögte. Dann sprang er fort und brachte es der Notburga hinaus in die Wildniß und so kam er jeden Tag und erhielt Speise für sie; viele sahen es, aber niemand wußte, was es zu bedeuten hatte, als der treue Diener.
Endlich bemerkte der König den weißen Hirsch und zwang dem Alten das Geheimniß ab. Andern Tags zur Mittagszeit setzte er sich zu Pferd und als der Hirsch wieder die Speise zu holen kam und damit forteilte, jagte er ihm nach, durch den Fluß hindurch, bis zu einer Felsenhöhle, in welche das Thier sprang. Der König stieg ab und ging hinein, da fand er seine Tochter, mit gefaltenen Händen vor einem Kreuz kniend, und neben ihr ruhte der weiße Hirsch. Da sie vom Sonnenlicht nicht mehr berührt worden, war sie todtenblaß, also daß er vor ihrer Gestalt erschrack. Dann sprach er: „kehre mit nach Hornberg zurück;“ aber sie antwortete: „ich habe Gott mein Leben gelobt und suche nichts mehr bei den Menschen.“ Was er noch sonst sprach, sie war nicht zu bewegen und gab keine andere Antwort. Da gerieth er in Zorn und wollte sie wegziehen, aber sie hielt sich am Kreuz, und als er Gewalt [453] brauchte, löste sich der Arm, an welchem er sie gefaßt, vom Leibe und blieb in seiner Hand. Da ergriff ihn ein Grausen, daß er fort eilte und sich nimmer wieder der Höhle zu nähern begehrte.
Als die Leute hörten, was geschehen war, verehrten sie Notburga als eine Heilige. Büßende Sünder schickte der Einsiedler bei der St. Michael-Capelle, wenn sie bei ihm Hilfe suchten, zu ihr: sie bätete mit ihnen und nahm die schwere Last von ihrem Herzen. Im Herbst, als die Blätter fielen, kamen die Engel und trugen ihre Seele in den Himmel; die Leiche hüllten sie in ein Todten-Gewand und schmückten sie, obgleich alle Blumen verwelkt waren, mit blühenden Rosen. Zwei schneeweiße Stiere, die noch kein Joch auf dem Nacken gehabt, trugen sie über den Fluß ohne die Hufe zu benetzen und die Glocken in den nahliegenden Kirchen fingen von selbst an zu läuten. So ward der Leichnam zur St. Michael-Capelle gebracht und dort begraben. In der Kirche des Dorfs Hochhausen am Neckar steht noch heute das Bild der heil. Notburga in Stein gehauen. Auch die Notburga-Höhle, gemeinlich Jungfern-Höhle geheißen, ist noch zu sehen und jedem Kind bekannt.
Nach einer andern Erzählung war es König Dagobert, der zu Mosbach Hof gehalten, welchem seine Tochter Notburga entfloh, weil er sie mit einem heidnischen Wenden vermählen wollte. Sie ward mit Kräutern und Wurzeln von einer Schlange in der Felsenhöhle ernährt, bis sie darin starb. Schweifende Irrlichter [454] verriethen das verstolene Grab und die Königstochter ward erkannt. Den mit ihrer Leiche beladenen Wagen zogen zwei Stiere fort und blieben an dem Orte stehen, wo sie jetzt begraben liegt und den eine Kirche umschließt. Hier geschehen noch viele Wunder. Das Bild der Schlange befindet sich gleichfalls an dem Stein zu Hochhausen. Auf einem Altargemälde daselbst ist aber Notburga mit ihren schönen Haaren vorgestellt, wie sie zur Sättigung der väterlichen Rachgierde enthauptet wird.