Onkel und Neffe (Die Gartenlaube 1866/1)
[16] Onkel und Neffe. Wohl schwerlich gab es einen größeren Contrast zwischen zwei Menschen als den zwischen Heinrich Heine, dem großen Dichter, und seinem Onkel Salomon Heine, dem großen Bankier.
Man kennt den lebenslustigen, Niemanden schonenden, nie sparenden, jeden unterstützenden, genialen Neffen, der, als ein Dichter von Gottes Gnaden, sich für den Beherrscher aller mit Geld gesegneten Menschen hielt. Die Rothschilds, die Foulds, die Meyerbeers und andere Millionäre wissen davon ein Lied zu singen, ganz wie das schöne „Lied von der Reue“ im Buche der Lieder, das immer auf’s Neue anfängt.
Ganz besonders aber sah er seinen Onkel (da der Vater, der ältere der Brüder, frühzeitig gestorben war) als ein damals noch nicht entdecktes Californien an, wobei es oft unentschieden blieb, wer mehr gewaschen wurde, der das Gold gab, oder der es bekam.
Salomon Heine, der bekanntlich über so viele Millionen gebot, der reichste Mann des reichen Hamburg, war auch genial, auch voller Witz. und Humor und hatte vor seinem Neffen das voraus, daß er nie seine Zeit mit Poesie verloren und sein Leben lang nur solchen schriftlichen Arbeiten obgelegen hat, die fünf- und sechsprocentige Renten abgaben, oder sonst vortheilhaft discontirt werden konnten. Beide, Onkel und Neffe, fühlten heimlich und unausgesprochen im Innern ihren gegenseitigen Werth und ihre volle Bedeutung, geriethen aber, zusammengekommen, allezeit in baldigen Conflict. Der Onkel, der durch Mühen, bewunderungswürdige Thätigkeit und intelligenten Fleiß so kolossale Reichthümer selbst erworben, blieb immer, seinem Principe nach, einfach, nie verschwenderisch, allezeit den Werth des Groschens hochschätzend, was ihn jedoch nie verhindert hat, Hunderttausende für wohlthätige Zwecke wegzuschenken. Der Neffe, der den Werth des Geldes gar nicht kannte, immer bereit war so zu leben, als ob er über Millionen zu verfügen hätte, schien in der That in der Idee befangen zu sein, als ob der reiche alte Onkel nur deswegen auf Erden wandelte, um seine enormen Ausgaben und Schulden zu bezahlen. Und das hat der brave gute Onkel nicht selten gethan; bei welchen Gelegenheiten es aber an kräftigen Sermonen auch nicht gefehlt hat.
Onkel und Neffe, von Herzen edel und gut, konnten bei dieser großen Verschiedenheit des Alters und so direct entgegengesetzten Ansichten vom praktischen Leben nicht sehr lange harmonisch neben einander gehen; zwei so positive Pole! Das war denn auch wohl mit die Hauptursache, daß Heinrich nie lange in Hamburg auszuhalten pflegte und die erste Gelegenheit, das heißt wenn der Onkel sich tüchtig anpumpen ließ, benützte, um verschiedene Reisen zu unternehmen.
Heinrich hatte bereits die Tragödie Radcliff geschrieben, die um so pikanter war, als er einen Hamburger Mann, den der Onkel mit Aufträgen unbedingten Vertrauens beehrt hatte, der sich jedoch, wie es sich später erwies, sehr schuftig benommen hatte, mit vollem Namen unter die im Stücke vorkommenden Gauner eingereiht hatte. (Beiläufig gesagt, wurde späterhin, aus Familienrücksichten, der Name des Gauners umgeändert.)
Als der Onkel einstmals in aller Gemüthlichkeit seinen Morgenkaffee schlürfte, sagte der Neffe zu ihm: „Ich muß das Land meines Radcliff, ich muß England sehen.“
„So reise,“ entgegnete der Onkel.
„Aber in England ist sehr theures Leben.“
„Da hast ja unlängst Geld bekommen!“
„Ja, das ist für das tägliche Brod, aber für den Namen, für die Repräsentation habe ich auf Rothschild einen guten Creditbrief nöthig.“
Und richtig, der gute Onkel gab dem Neffen, der unlängst erst eine hübsche Summe erhalten, von der Mutter hundert Louisd’or Extra-Reisegeld bekommen, zur Repräsentation einen Creditbrief von vierhundert Pfund Sterling, d. h. 10,000 Francs, sammt dringender Empfehlung an Baron von Rothschild in London mit.
Die Abschiedsworte des Onkels lauteten noch: „Der Creditbrief ist nur zur formellen Unterstützung der Empfehlung, mit Deinem baaren Reisegeld wirst Du schon auskommen. Auf glückliches Wiedersehen!“ Und was that der Dichter? Er war kaum vierundzwanzig Stunden in London als er sich bereits auf dem Comptoir Rothschild’s mit seinem Creditbriefe präsentirte und die zehntausend Francs gemüthlich einstrich.
Dann ging er zum Chef des Hauses, Baron James von Rothschild, der ihn sofort zu einem solennen Diner einlud. Der Onkel Salomon Heine saß eines Morgens abermals gemüthlich beim Kaffee, rauchte seine lange Pfeife und öffnete die von London eingelaufenen Geschäftsbriefe. Es war gerade so viel Zeit seit der Abreise seines Neffen aus Hamburg verstrichen, als die nächste Post aus London zur Meldung seiner glücklichen Ankunft daselbst nöthig hatte. Der erste Brief, den der Onkel öffnete, war die Anzeige von Rothschild, daß er das Vergnügen gehabt, seinen berühmten, charmanten Neffen persönlich kennen zu lernen, und die Ehre genossen, den Credit von zehntausend Francs auszuzahlen. Die Pfeife fiel dem Alten aus dem Munde, hoch sprang er von seinem Lehnstuhl auf und rannte mit dem Schaum vor dem Munde in dem Zimmer auf und ab. Die gute Tante (von der ich die Beschreibung dieser ganzen Scene habe) sah erschrocken auf ihren Mann, der nur von Zeit zu Zeit die Worte ausstieß: „Der Teufel hole Rothschild mit seinem Vergnügen und sammt der Ehre, die er gehabt hat, mein Geld auszuzahlen!“ Dann wandte er sich zu seiner Frau: Ich sage Dir, Betty, der kann mich ruiniren.“ Den ganzen Tag über, jedem Bekannten an der Börse, erzählte er die große Begebenheit und rannte Abends noch zu unserer Mutter mit den bittersten Klagen. Ich glaube, hätte Goethe den zweiten Theil seines Faust damals schon veröffentlicht gehabt, der Alte hätte sich hingestellt und mit Mephistopheles declamirt:
„Bei wem soll ich mich noch beklagen,
Wer schafft mir mein erworbnes Recht?
Ich bin geprellt in meinen alten Tagen,
Hab’ nichts verdient, es geht dem Onkel schlecht.“
Unsere Mutter schrieb sofort eine lange Epistel an den mittlerweile in London ungemein flott lebenden Sohn und bat um Aufklärung, um Rechtfertigung.
Die kam auch mit der folgenden Post, aber in sonderbarster Weise. Eine Stelle in diesem Briefe lautete wörtlich: „Alte Leute haben Capricen; was der Onkel in guter Laune gab, konnte er in böser wieder zurücknehmen. Da mußte ich sicher gehen; denn es hätte ihm im nächsten Briefe an Rothschild einfallen können, demselben zu schreiben, daß das mit dem Creditbriefe nur eine leere Form gewesen, wie die Annalen der Comptoirs der großen Bankiers Beispiele genug aufzuführen wissen. Ja, liebe Mutter, der Mensch muß immer sicher gehen,“ und nun machte er noch den malitiösen Zusatz: „der Onkel selbst wäre nie so reich geworden, wenn er nicht immer sicher gegangen wäre.“
Nicht unbedeutend war die Scene, als der geniale Neffe zum ersten Male wieder vor den erzürnten Onkel trat.
Vorwürfe über grenzenlose Verschwendung, Drohungen des Onkels, nie wieder sich mit ihm zu versöhnen – alles dieses hörte Heinrich mit der größten Ruhe an.
Als der Onkel endlich mit seinem Sermon zu Ende war, da hatte der Neffe nur die eine Antwort: „Weißt Du, Onkel, das Beste an Dir ist, daß Du meinen Namen trägst,“ und ging stolz aus dem Zimmer.
Diese kecke Aeußerung hat der Millionär lange nicht überwinden können, aber sein gutes Herz versöhnte sich doch bald mit dem Genie des Neffen, dessen Zärtlichkeit bestimmt so lange vorhielt, als das Honorar des letzterschienenen Buches.
„Denke Dir,“ sagte einst der Onkel zu mir, nachdem er mir Obiges erzählt hatte, „er rechnet es sich noch zur Tugend an, daß ich ihm für seine Briefe an mich kein specielles Honorar zu zahlen brauche,“ denn Heinrich hatte wirklich einst im Uebermuth ihm geschrieben: „Jedes Wort, das ich schreibe, ist baares Geld für mich.“ Der edle Onkel hat es dennoch nicht unterlassen, dem Neffen eine lebenslängliche reichhaltige Pension auszusetzen, denn in seiner Seele erfreute er sich des hochberühmten, aber sehr theuren Neffen.