Paganini’s letzte Augenblicke
[869] Paganini’s letzte Augenblicke. (Mit Abbildung Seite 857.) Ueber Paganini’s Leben schwebt noch bis auf den heutigen Tag der Nimbus des Räthselhaften. Dieser Nimbus umgab ihn schon während seines Lebens und lieh ihm hauptsächlich dem schönen Geschlechte gegenüber einen besonderen Zauber. Dem Ausführlichen, das die „Gartenlaube“ bereits früher (vergl. Jahrg. 1872, 9 u. 31) über den großen Geiger mitgetheilt, möchte ich im Folgenden einige Thatsachen aus dessen Leben hinzufügen.
Unser Künstler verdankt seinen Ruf einem Zufalle. Es war in Rom, wo er, noch jung, durch Musikunterricht sein Brod erwarb. Allein er hatte so wenig Stunden zu geben und wurde so schlecht honorirt, daß oft genug der Hunger an seiner Schwelle lauerte. Da gab eine berühmte fremde Sängerin ein Concert. Zu diesem Concert hatten bedeutende Musikkünstler ihre Theilnahme zugesagt, allein als der Abend kam, ließen sie in Folge von Intriguen die Sängerin in Stich. In der größten Verzweiflung erinnert sie sich, in ihrer Nachbarschaft oft ein wundersames Geigenspiel gehört zu haben, und entsendet sofort einige ihrer Freunde, den unbekannten Musiker aufzuspüren und mitzubringen. Diese finden nach langem Suchen den jungen Musiker, der kein Anderer ist als Paganini. Er war soeben von seinen Unterrichtsstunden zurückgekommen und hatte gerade sein ärmliches Zimmer betreten.
Ermattet liegt er auf seinem dürftigen Lager. Er läßt sein Leben, längst vergangene und eben erst entschwundene Tage, an seinem Geiste vorübergehen: als Knabe spielt er im prächtigen Hafen von Genua und klebt in abendlicher Stille mit den kleinen Fingern Düten in dem ärmlichen Kramladen seines Vaters. Nun wieder sieht er sich seinen geliebten Lehrern Servetto und Rolla gegenüber, die ihn die göttliche Kunst des Geigens lehrten. O, beglückender, himmlischer Dienst der Musen! Und doch – sie ist eine Sirene, die herzenbestrickende Kunst. Hat sie ihm denn das Allernöthigste eingetragen – Brod, Brod? Wie er noch so träumt, klopft es an der Thür seines Gemaches – die Fremden treten ein, die ihn suchen; er wird befragt, ob er Musiker sei, ob er jeden Abend Geige spiele, und als er die Fragen bejaht, kann er sich ihrer Bitten nicht erwehren: er muß mit ihnen gehen – er muß dem durch die Tücke der ausgebliebenen Künstler gefährdeten Programm durch sein Einspringen in die entstandene Lücke ein rettender Engel werden.
Schon ist das Publicum unruhig geworden; da wird das Zeichen zum Anfang des Concerts gegeben; der junge Geiger hat die erste Nummer. Eine schwächliche kleine Gestalt in einem abgetragenen Sammetrock tritt schleppenden Ganges heraus – Paganini. Das gelbe blasse Gesicht, von einer Fülle schwarzer Locken umrahmt, wird durch ein paar große geistreiche Augen belebt, welche jetzt müde vor sich hinstarren. Im Publicum giebt sich eine Erregung kund; spöttisches Lächeln sieht man fast auf jedem Gesichte.
Da beginnt der fremde junge Mann sein Spiel; langsam in schmerzlichen Tönen erklingt die Geige; immer tiefer, immer ergreifender wird das Spiel; Klagen und schwere Seufzer strömen aus diesen Melodien hervor, der ganze große Schmerz eines Menschenherzens. Das Lächeln der Zuhörer ist längst verschwunden; tiefer Ernst hat sich Aller bemächtigt; nur Thränen sieht man in den Augen erglänzen.
Da schließt Paganini mit einer schrillen Dissonanz. Augenblickliche Stille, dann aber braust durch die Räume ein donnernder Applaus, der nicht enden will. Immer wieder begehrt man den genialen Künstler zu sehen, [870] ihn spielen zu hören – er erscheint abermals; er verbeugt sich linkisch; er lächelt dankbar, aber wehmüthig und etwas wie ein satirisches Weh zuckt um seinen Mund – da plötzlich wankt er – er sinkt; eine Ohnmacht! Erschrocken springt man hinzu, und bald gelingt es, den Aermsten wieder zu sich zu bringen; er schlägt die Augen auf, und seine ersten Worte sind: „Brod – Brod!“ Schnell wird ihm solches gereicht; man fügt ein Glas kräftigen Weines hinzu. Nun aber bricht der Sturm der Begeisterung auf’s Neue aus: das Publicum will den Künstler hören. Paganini hat sich erholt und tritt wieder auf die Bühne, und als er den Bogen zum Spielen ansetzt, herrscht überall tiefes Schweigen. Jetzt sind es aber keine klagenden, schmerzensreichen Töne mehr, welche er der Geige entlockt, sondern Freude und Lust jubelt in seinem genialen Spiele auf. Wie luftige Frühlingselfen hüpfen die Klänge und bilden einen jauchzenden Reigen. Eine kurze Weile nur – und das Spiel ist beendet; wiederum erntet der Künstler stürmischen Beifall.
Von diesem Augenblick an war Paganini’s Ruf begründet. Bald erwarb er unermeßliche Reichthümer.
Nicht nur über die Saiten der Geige übte unser Künstler eine unbeschränkte Herrschaft – auch über die Herzen der Frauen, wie bereits angedeutet. So erzählt man, er habe mit einer hochgestellten Dame ein heimliches Liebesverhältniß unterhalten, das nicht unentdeckt blieb. Die Verwandten – berichtet die Geschichte – wußten sich des Künstlers zu bemächtigen und warfen ihn in einen unterirdischen Kerker. Man hatte ihm seine Geige gelassen. Aber alle Saiten derselben waren gesprungen bis auf eine einzige, und hier soll er die Kunst, mit so ungenügendem Werkzeuge Großes zu leisten, erlernt haben.
Paganini war ein Sonderling. Oft erschien er ganz plötzlich in irgend einer Stadt und verschwand dann ebenso plötzlich wieder, ohne etwas von sich hören zu lassen. So traf ihn Rossini 1817 in Rom, wo er beinahe drei Jahre krank in Zurückgezogenheit gelebt hatte. Ueberall, wohin er kam, elektrisirte er die Leute nicht nur durch sein dämonisch wirkendes Spiel, sondern auch durch die Originalität und Genialität seiner Erscheinung. Ein Zeitgenosse schildert diese folgendermaßen: „Er war von hagerer Statur, bleicher Gesichtsfarbe, dabei scharf markirten Gesichtszügen; in einem dunklen, späterhin schon etwas erloschenen Feuer glühte sein Auge, von finsteren Augenbrauen beschattet; die Nase war römisch gebogen und seine hohe Stirn umwallte schwarzes, langlockiges Haar. Ein eigenthümliches, bisweilen in’s unheimlich Dämonische übergehendes Lächeln schwebte um seine Lippen; häufig lag darin ein Zug großer Gutmüthigkeit. Bevor er sein Spiel begann, erschien er hinfällig, schlaff und erschöpft, aber ein neuer Mensch ward er, sobald sein Bogen die Saite berührte. Wie von einem elektrischen Funken durchzuckt, spannten sich dann seine Muskeln, und mit energischer Kühnheit und Schnelligkeit führte er ebenso den Bogen, wie er die spielenden Finger der linken Hand mit sicherer Festigkeit auf das Griffbrett setzte. Dem begeisterten Zustande, in welchem er sein bewunderungswürdiges Spiel entwickelte, folgte stets eine zeitweilige Erschöpfung, sodaß er nach dem ersten Allegro eines Concertes gewöhnlich etwas ruhen mußte und zum Schluß eines Concertabends ganz ermattet war. Paganini’s ganzes Wesen ging völlig in seiner Kunst auf.“
Widerlegt muß der Vorwurf werden, Paganini sei geizig gewesen. Berlioz empfing einmal ein Geschenk von 20,000 Franken von Paganini als Ehrengabe, was jenen Vorwurf schlagend widerlegt.
Unser Künstler haßte die Menschen. Mit einem schweren Leiden behaftet, zog er nie einen Arzt zu Rathe, sondern nahm in Massen eine von einem Charlatan herrührende Medicin ein, welche den hochklingenden Namen „Lebenstinctur von Leroy“ führte. Paganini starb am 27. Mai 1840 in seinem sechsundfünfzigsten Lebensjahre zu Nizza. – Er war ein Verächter der Kirche, und da dieses allgemein bekannt war, so versagte der Bischof von Parma ihm nach seinem Tode das Begräbniß in geweihter Erde. In einer Kammer daselbst soll lange Zeit seine Leiche gelegen haben. In Villafranca blieb dieselbe, als sie von Nizza dorthin transportirt worden, volle vier Jahre unbeerdigt. Endlich, nach vielen Mühseligkeiten, Kämpfen und großen Opfern an Geld, gelang es seinem Sohne im Mai des Jahres 1845, dem Todten ein würdiges Begräbniß zu verschaffen. Also volle fünf Jahre stand die Leiche über der Erde. Paganini fand seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhofe eines Dorfes in der Nähe seines Lieblingsaufenthaltes, der ihm zugehörigen Villa Gajona bei Parma.
Ueber sein Ende liest man in einer alten Zeitung von Parma ungefähr Folgendes:
Nachdem er jahrelang mit einer eisernen Energie gegen den seinen Körper verwüstenden Feind gekämpft hatte, verlor er endlich doch die lange, wüthende Schlacht. Am 27. Mai hatte er wieder starke Krampfanfälle gehabt und fiel alsdann in einen ruhigen Schlummer. Erfrischt erwachte er und war heiter gestimmt. Es war eine milde Nacht. Paganini ließ die Fenster öffnen und schlug die Gardinen seines Bettes zurück. Der Mond stand in leuchtender Pracht in d[e]r wolkenlosen Herrlichkeit des italienischen Frühlingshimmels und überfluthete das Krankengemach mit seinem feenhaften Lichte. Leise säuselten die Wipfel der Bäume, vom Nachtwinde gekost, vor seinem Fenster, und das geheimnißvolle Rauschen des vom Mondlichte übergossenen Meeres schlug an sein Ohr. Da gedachte Paganini wohl der Vergangenheit und träumte und schwelgte in der süßen Erinnerung an die Sommernächte am lieblichen Ufer des Arno und am poesiedurchwebten Strande von Genua. Er träumte lange und herrlich.
Von Gefühlen überwältigt streckte er seine Hand aus nach seiner treuen Freundin, der Guarneri-Geige, um ihr noch einmal zauberische Töne zu entlocken, allein sein brechendes Auge war schon dunkel, und als er in ihre Saiten griff, da ertönten sie nicht mehr in den Klängen der gewohnten Magie; sie versagte ihrem Meister den Dienst. Noch ein letzter, kräftiger Griff in das geliebte Instrument – eine Saite riß mit schrillem Klange. Da brach des Künstlers Herz. All das Feuer des
gewaltigen melodienreichen Geistes, das die Welt zur Anbetung gezwungen, es war dahin mit dem einen schnell verhallenden Mißton des zersprungenen Saitenspiels. Paganini’s Auge brach, und indem sein Haupt zurücksank, hauchte er die schönheitgeweihte Seele aus. G. A.