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Pariser Bilder und Geschichten/Der Lazarus in der Matratzengruft

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Titel: Der Lazarus in der Matratzengruft
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 613-615
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Pariser Bilder und Geschichten.
Der Lazarus in der Matratzengruft.

Es war ein prächtiger Sommertag des Jahres 1850, als ich über die Boulevards von Paris entlang der Madeleinenkirche zuging. In jenem langsamen Tempo, welches sich wie ein Resultat des Wohlbefindens und der Behaglichkeit von Geist und Körper den Gliedmaßen mittheilt und den Ausdruck „Flaniren“ für die Pariser hervorgebracht hat, passirte ich die schöne Promenade, auf welcher die feine Welt soeben ihre gewohnte Mittagsrevue hielt.

Plötzlich sah ich einen hübschen, etwa vierzig Jahre alten Mann mir entgegen kommen. Es war Gérard de Nerval, einer meiner besten Freunde und einer der talentvollsten, wenn auch nicht gefeiertsten Schriftsteller Frankreichs. Sein Gesicht war stark, von kurzem Haupthaar bedeckt und von einem dunklen Backenbart umsäumt; der abwärts gezogene Schnurrbart, mit einem kleinen Büschel am Kinn, gab der Physiognomie etwas militairisch Männliches, während die sanften, fast träumerischen Augen unter der hohen Stirn einen Reflex von den Gefühlen dieses Mannes bildeten, der das Unglück hatte, mehr Dichter als Mensch zu sein. So wie Gérard in der That war, so erschien er auch; ein freies und offenes Gesicht, auf welchem die Güte, der Geist, der Witz und die Sanftmuth sich gelagert hatten. Er war einer jener Glücklichen, welche an der Seite der Prosa unserer Zeit wandeln, ohne sie zu sehen und ohne von ihr berührt zu werden, stets durch sein Ideal eingewiegt, immer zu jenen strahlenden Regionen der Poesie und der Liebe hingezogen, wo die traurigen Wirklichkeiten des Lebens erbleichen und die holde Lüge unserer Träume ihren Anfang nimmt.

Ich hatte seit Wochen Gérard nicht gesehen, obgleich ich sonst fast täglich mit ihm zusammen war. Indessen kannte ich diesen sonderbaren Charakter zu genau, um mich darüber zu verwundern. Gérard war im Stande am Morgen den Entschluß zu einer Reise nach dem Orient zu fassen, um am Mittage denselben mit fünf Sous in der Tasche auszuführen. Er hatte überdies die seltsame Manie, drei oder vier Wohnungen in verschiedenen Vierteln von Paris zu besitzen und ging wochenlang nicht aus, es wäre denn des Nachts gewesen, um sein Asyl im quartier latin vielleicht mit einem Zimmer an irgend einer Barriere zu vertauschen. Ueberrascht und erfreut zugleich begrüßten wir Beide uns herzlich.

„Mein Gott,“ rief ich lächelnd aus, „ich glaubte Sie bereits gestorben!“

„Noch nicht,“ antwortete Gérard; „aber es ist wahr, wir haben uns seit zwei Monaten nicht gesehen. Apropos, mein Lieber, Sie werden doch diesen Nachmittag mit mir zusammenbleiben, um so mehr, als ich in wenigen Tagen nach Weimar zu reisen gedenke?“

„Nach Weimar?“ fragte ich erstaunt.

„Ja wohl, nach Ihrem Deutschland; Stadler will es einmal; ich will es auch – eh bien, das genügt, um es auszuführen.“

Ich wußte, daß der Archivar Stadler ein Freund und Bruder für Gérard war; seine Börse öffnete sich stets für ihn. Unwillkürlich war ich mit dem talentvollen Uebersetzer des „Faust“ umgekehrt, und erst, als Gérard eine der Seitenstraßen einschlug, sah ich ein, daß er ein gewisses Ziel seinem jetzigen Gange vorgesetzt habe. Ich bat ihn deshalb, seine etwaigen Geschäftbesuche erst nach Belieben zu beendigen, da wir uns ja am Abende in irgend einem Café wiedersehen könnten.

„O nicht doch,“ erwiederte Gerard darauf; „ich gehe zu Heine. Der arme Teufel wird, wie Sie, glauben, daß ich schon längst gestorben sei. Sie sind ja ein Landsmann von ihm, also kommen Sie nur mit.“

Dies Argument war keineswegs geeignet, mich zu einer Begleitung zu bestimmen. Berühmte Leute ohne einen genügenden Grund mit Besuchen zu belästigen, war mir von jeher etwas Unangenehmes, und welche Ursache konnte ich haben, den in Paris wohnenden deutschen Dichter zu besuchen? Ich machte deshalb Gérard gegenüber die Bemerkung, daß Heine wahrscheinlicher Weise eine jede Visite dieser Art verabscheuen werde.

„Sie irren sich,“ entgegnete der intime Freund von Heinrich Heine; „er hat nichts lieber, als einige Nachmittagsstunden in Gesellschaft zu verleben. Nur des Vormittags und wenn er arbeitet sind ihm Besuche lästig; alsdann pflegt er auch ohne Umstände seine besten Freunde fortzuschicken.“

Gérard de Nerval’s Intimität mit dem kranken deutschen Dichter war mir längst bekannt; er war vielleicht der Einzige, den Heine aufrichtig geliebt hat, und dem er Alles, selbst das Geheimste, anvertraute. Mein Wunsch, den berühmten Dichter zu sehen, war sehr natürlich, und ich hoffte überdies, daß mir die Freundschaft Gerard’s als Empfehlungskarte vom besten Nutzen sein werde. Deshalb nahm ich keinen Anstand länger, bei so günstiger Gelegenheit Heinrich Heine zu besuchen.

Bald hatten wir die hohen schönen Häuser der stillen Rue d’Amsterdam erreicht. Einige Minuten später betraten wir nach einem Vorzimmer die Krankenstube Heinrich Heine’s.

Ein Gefühl der Angst und Wehmuth beschlich mich unwillkürlich. In der Nähe von Geistern, welche wir wegen ihrer Thätigkeit als ungewöhnliche, zu achten Ursache haben, bemächtigt sich selbst des Vorurtheilsfreiesten ein Gefühl der Unsicherheit und der Erwartung, welche jede Theorie von der Gleichheit aller Menschen in einen grauen Nebel auflöst. Seien es mit Recht oder mit Unrecht berühmte Männer, denen wir in unserer schlichten Menschlichkeit nahen; die Glorie mit ihrem mystischen Kranz zwingt uns unwillkürlich eine gewisse Ehrfurcht ab.

Heinrich Heine, dessen Lieder seit zwanzig Jahren schon seinen Ruhm priesen, und dessen gewaltige Phantasie selbst den größten Prosamenschen in wunderholde Sphären versetzt hatte, in einem so düsteren Aufenthalte und in einem so traurigen Zustande zu finden, das mußte wahrlich jedem Gemüth die Schauer des Mitleids und der Wehmuth verleihen.

Eine matte Dunkelheit ließ mich beim Eintritt in das Krankenzimmer längere Zeit in einem Zustande von Blindheit, während ein scharfer, den Athem benehmender Geruch mich überdies noch mehr betäubte. Unwillkürlich glaubte ich, daß dieser Aufenthalt nur von dem Athem Heine’s geschwängert sei, von jenem Athem, welcher alle schönen Blumen verwelken ließ, sobald er sie berührte. Endlich gewöhnten sich jedoch die Augen an dies Licht von Grabgewölben. Hinter einem, das Zimmer fast in zwei Hälften theilenden Tapetenschirm stand das Bett, in welchem der Unglückliche damals fast schon zwei Jahre lang mit seinen Schmerzen und Träumen lag, und wo er, ein Wunder für Alle und wohl auch für sich selbst, noch fünf Jahre lang sterben sollte. Kaum vermochte ich unter der leichten weißen Bettdecke den kleinen Körper wahrzunehmen, der ohne Muskeln, ohne Fleisch, fast ohne Blut, nur einem mit feiner Haut überkleideten Skelette glich. Eben so schwer wurde es mir Anfangs, auf dem Bettkissen Heinrich Heine’s kleines Gesicht zu unterscheiden, bei dessen Anblick mein Herz in der Brust plötzlich seinen heftigen Puls verlor und auf einige Augenblicke voller Mitgefühl erstarrte.

Die Stirn des Kranken trat weit hervor; nur spärliches Haar lag schlicht darüber hin; die Augenhöhlen waren tief; das eine Auge blieb gänzlich geschlossen, während das andere, starr und wässerig blau, nur hin und wieder durch einen wehmüthigen und blitzenden Glanz sich belebte und ein um so lebendigeres Farbenspiel annahm, je mehr der Kranke sprach. Sein Bart war weiß und struppicht und das einzige äußerliche Zeichen, daß der hier im Bett liegende Mensch kein Kind seiner Entwickelung nach, sondern ein Mann war.

Gérard wurde im Augenblick von Heine erkannt; er streckte ihm seine feine, kleine Knochenhand entgegen und sagte lächelnd: „Ich sehe doch, daß der Wille des Menschen eine magnetische Kraft besitzt; denn ich wollte Sie heute sehen. Der Teufel,“ fuhr Heine fort, „Sie scheinen nicht mehr eine und dieselbe Luft mit mir athmen zu wollen und sind trotzdem ein Dichter!“

Gérard stellte mich ihm darauf als einen Landsmann vor.

„Ah, es wird Mode werden,“ sagte Heine halb zu mir gewandt, „daß die deutschen Schriftsteller zu mir, wie die Muhamedaner nach Mekka pilgern. Und dabei sagen sie, daß ich keine [614] Religion habe! Sehen Sie, Gérard, das ist curioser Weise das Ende von mir, daß ich zuletzt wie eine Reliquie betrachtet werde.“

Es konnte mir nicht entgehen, daß sich Heine von den Besuchen der deutschen fahrendnn Literaten keinesweges erbaut fühlte. Ich nahm deshalb sogleich Gelegenheit, ihm zu versichern, daß ich meinestheils nur auf Wunsch von Gérard diesen Besuch mir gestattet hätte.

„Glauben Sie doch, daß meine Freunde mir schon viel Unangenehmeres zugeführt haben, als Besuche. Ich bin heute überdies Jedermann dankbar, wenn er mir die Zeit vertreiben hilft. Wenn es nur anständig wäre, des Nachts Besuche zu erhalten! – Ah, des Nachts!“

Heine seufzte bei diesen Worten. Auf die Frage Gérard’s nach seinem Befinden entgegnete er fast klagend: „Der Doktor Gruby ist ein Tyrann; er gibt mir nichts, daß ich nur während einer einzigen Nacht die Wohlthat eines Schlummers genießen könnte. Es wird bald so weit kommen, daß ich das Schlafen verlerne.“

In der That mußte Heine bei diesen Gedanken die Grausamkeit seines Zustanden entsetzlich erscheinen. Stets allein mit seinen Schmerzen, war die Nacht, wo Alles Ruhe findet und wo die schwarze Königin den Silberthau aus ihrem Rabenhaar belebend auf alle Blumen, alle Wesen drückt, für ihn eine qualvolle Marter. Kein Schlummer küßte diese müden Augen, kein Licht durfte die Pein dieses Elends lindern. Luft und Licht waren für ihn keine Elemente mehr und er löste das Räthsel, sieben Jahre lang fast ohne sie zu existiren.

Gérard theilte ihm darauf mit, daß er binnen einigen Tagen nach Weimar zu reisen gedenke.

„Sie Glücklicher,“ antwortete Heine mit einem Seufzer; „dies Deutschland habe ich mehr geliebt, als vernünftig war. Hoffentlich werde ich nicht die Dummheit begehen, dort zu sterben! Wollen Sie mir bei Gelegenheit ihrer Reise einen Gefallen thun, so fragen Sie doch in Deutschland an, in welchem Glauben man am besten stirbt. Ich beschäftige mich jetzt sehr ernstlich mit dieser Frage und die deutschen Philosophen scheinen etwas davon zu wissen; denn seit einiger Zeit hört man von ihnen nichts mehr.“

Mich wunderte es, daß Heine dies Alles mit fast ausdruckslosem Gesicht und mit einer abgerissenen, wenn auch wohltönenden Stimme bisher gesprochen hatte. Ohne besondere Theilnahme erzählte er noch über eine Stunde lang mit uns von allerhand ziemlich gleichgültigen Sachen. Plötzlich jedoch nahmen seine Züge einen Ausdruck von unverkennbarer Freude an.

„Ehe Sie abreisen, Gérard, suchen Sie mir noch meine Clélie auf. Nicht wahr, Sie versprechen es mir? Die kleine drollige Katze ist seit vierzehn Tagen nicht hier gewesen; sie mag sich vielleicht einen Liebhaber vom Ambigu verschafft haben; sagen Sie ihr aber nur, daß ich ihre Gastrollen nicht übelnehme und daß ihr kranker Henri mehr wie je nach ihr schmachtet.“

Ich gestehe, daß mich diese Worte seltsam überraschten; Fräulein Clélie war, wie ich später erfuhr, eine Schauspielerin vom Ambigutheater und eine derjenigen, welche aus früherer Zeit her noch eine Anhänglichkeit an den jetzt kranken Geliebten bewahrt hatte.

„Bringen Sir sie her, Gérard,“ fuhr Heine fort, nachdem dieser ihm versichert, daß er seinen Wunsch erfüllen werde; „es gibt kein Mädchen, welches so drollig wie sie ihre Lebensaffairen erzählt. Wissen Sie noch, Gérard, wie lustig es war, als sie uns erzählte, daß sie ihrer Adrienne den Kapitain der Nationalgarde weggekapert habe?“

Gérard lächelte; aber dies Lächeln tanzte auf bleichen Lippen. – „Adrienne war die Jugendliebe Gérard’s de Nerval, die er niemals vergessen hatte und welche vielfach dazu beigetragen hatte, daß er, in einer sanften Melancholie versunken, krank am Herzen und am Geiste war. Adrienne wurde später eine ziemlich frivole Sängerin, nachdem sie zuerst Nonne gewesen war; Beides erschütterte den armen Gérard, und als sie endlich plötzlich starb, starb auch ein Traum in seiner Brust und es blieb ihm nichts, als auf dem Grabeshügel desselben verstohlen zu seufzen und zu weinen.“ Daß Heine ihn jetzt daran erinnerte, mußte ein bitterer Schmerz für sein weiches, melancholisches Gemüth sein; aber Heine liebte es, seinen Freunden Stiche zu versetzen und prüfte ihre Freundschaft durch die Witze, welche er über sie machte; „denn,“ sagte er, „wozu hat man seine guten Freunde, wenn diese sich über einen Witz erzürnen wollen?“

Eine, wenn auch nur kleine Probe von dieser Theorie hatte ich eben gehabt; Gérard erzürnte sich auch keineswegs, sondern machte seinerseits eine Glosse darauf, welche Heine ein herzliches Gelächter ablockte. Die innere Welt dieses Schriftsstellers war fast immer den profanen Augen der Welt verborgen; er war geisteskrank seit langen Jahren und doch ließ es keine seiner Schriften jemals errathen.

Heine nahm während dieses Besuches auch eine Anzahl loser beschriebener Blätter von seinem vor ihm stehenden Tische und gab sie Gérard mit der Bitte, ihm die Verse zu übersetzen.

„Das große Gedicht,“ sagte er, „will ich zuerst in der Revue des deux Mondes veröffentlichen; verfehlen Sie mir aber nicht die richtigen Schimpfworte zu setzen, da sie deutlich sein müssen, weil sie Deutschland angehen. Es gibt da eine Menge von Hunden, welche mich anbellen und die Handlanger von Schurken abgeben; diese letzteren besonders müssen einmal wieder gedruckt sehen, daß ich noch schreiben kann. Das Geheul dieser Sorte, wenn meine Peitsche sie getroffen hat, wird mir so wohl thun, wie eine Serenade.“

Auf jenem kleinen Tische vor Heine’s Bett lagen noch mehrere beschriebene Papiere, so wie ein Stoß loser weißer Octavblätter. Im Anfange seiner fürchterlichen Krankheit war der Unglückliche nicht mehr im Stande gewesen, schreiben zu können; der Schlagfluß hatte ein jedes seiner Glieder vollständig gelähmt. Dem vortrefflichen Arzte, Dr. Gruby, war es endlich gelungen, dem Dichter mindestens den Gebrauch seiner Hände zurückzugeben, so daß er die vielen einsamen Stunden mit dem Aufschreiben seiner Gedichte verkürzen konnte. Auf einem künstlich über seine Bettdecke ausgespanntem Pulte malte Heine mit Bleistift seine Verse mit fast zollhohen Buchstaben auf die weißen Blätter, so daß ein jedes dieser genau paginirten Papierstreifen kaum mehr als einige Zeilen enthielt. –

Endlich verabschiedeten wir uns.

Kaum waren wir einige Schritte auf die Straße hinaus getreten, als ein Wagen an uns vorbeifuhr, in welchem eine höchst sauber gekleidete, freundliche und ganz hübsche Frau von ziemlich starkem Körperbau saß. Ihre Augen glichen denen einer Schwalbe; aber der Witz, den man darin las, verbleichte etwas vor der kleinen Stirn und dem starken Munde, so daß die Physiognomie jener Dame den Eindruck eines jener gutmüthigen und harmlosen Charaktere machte, welche entweder für jede Kleinigkeit sich lebhaft zu interessiien, oder für Nichts auf der Welt innige Theilnahme zu fühlen pflegen.

„Voilà madame Heine!“ rief Gérard mir zu.

Ein freundliches Kopfnicken hatte unserem Gruße geantwortet. Unwillkürlich sah ich dem Wagen nach, bis er vor dem Thorweg des Hauses hielt, in welchem Heine wohnte. Dies war also die Auserwählte jenes Mannes, welcher so viel geliebt und so viel über die Liebe gespottet hatte!

„Nun,“ fragte ich Gérard, „und wie lebt Heine mit seiner Gattin?“

„Ah que ça,“ erwiederte sein Freund lächelnd, „c’est un jeu de famille, comme il dit!“

Mein Aufenthalt in Paris war keineswegs ein bloßer Besuch, den ich durch Aufsuchung von allerhand Kuriositäten und Sehenswürdigkeiten etwa zu verwerthen trachtete. Ich wohnte dort und hoffte dort für immer zu Hause zu sein. Ich hatte demnach auch bisher nicht daran gedacht, ein lebhafteres Interesse für den ebenfalls dort wohnenden Heine zu haben, als eben seine Werke hervorriefen. Nach dieser sich so zufällig gestalteten Visite bei dem kranken Dichter fühlte ich aber ein so reges Gefühl der Theilnahme, daß ich mich vielfach nach Heine’s Verhältnissen bei Gérard erkundigte, der auch mit aller Bereitwilligkeit meine Fragen beantwortete.

Heinrich Heine bezog, nach den Mittheilungen Gérard’s, eine Summe von 6000 Franks jährlich von seiner Familie und eine eben so große von seinem Verleger Campe, wofür dieser das Verlagsrecht von allen seinen bei Lebzeiten von ihm herauszugebenden Werken besaß. Diese Summe genügte aber keineswegs für die Bedürfnisse Heine’s; am Ende des Jahres hatte er gewöhnlich noch einige Tausend Franks Schulden. Einige Damen, welche früher mit dem Dichter in vertrauten Verhältnissen gestanden [615] hatten, machten sich eine Ehre daraus, das Deficit in Heine’s Kasse zu decken, wenn sie irgendwie Kenntniß davon bekamen. So erhielt Heine meistentheils die bedeutenden Rechnungen von seinem Weinhändler nur quittirt zugeschickt, wenn er dieselben verlangte. Eine reiche Madame F… bezahlte sie zum Erstaunen Heine’s, welcher ihr sechs Jahre vorher seine Liebe gezollt hatte.

Andererseits zeigten die Mittheilungen Gérard’s de Nerval, mit wie vollem Herzen Heinrich Heine seine Wohlthaten spendete. Freunden in der Verlegenheit auszuhelfen, war ein Grundsatz bei ihm, den er mit solcher Liebenswürdigkeit ausübte, daß er an Rückerstattung geliehener Summen niemals dachte. Ein junger Maler, Benoit, den er nur im Café kennen gelernt hatte, gestand ihm eines Tages, daß er ohne Mittel sei, ein angefangenes Portrait zu vollenden. Heine sandte ihm am andern Tage eine Summe von 300 Franks, mit der Bitte, sich keinesweges mit seinem Bilde zu übereilen. – Ein junger, viel Talent verrathender Dichter war in Verzweiflung, daß er Soldat werden müßte, ohne durch Bezahlung eines Stellvertreters diesem Loose entgehen zu können. Gérard theilte im Gespräche Heine das Unglück des von Beiden gekannten jungen Mannes mit. Sogleich rief dieser den Verzweifelnden herbei, setzte sich mit ihm in einen Fiaker, und stellte ihn einem Pariser Banquier seiner Bekanntschaft vor, der nach Mittheilung der Sache bereitwillig dem jungen Dichter eine Summe von 1000 Franks vorschoß, vermöge welcher sich dieser einen Stellvertreter verschaffen konnte.

Eine der interessantesten Mittheilungen Gérard’s war folgende:

„Mit Heinrich Heine hatte mich die Heiterkeit der Gesellschaft bekannt gemacht; sein Witz und sein Spott machte ihn für mich zu einem gesellschaftlichen Bedürfniß; selbst sein Egoismus befriedigte mich, so seltsam dies auch erscheinen mag. Ich bin ein Mensch mit zwei Naturen; die eine hat ein träumerisches, thränenreiches Herz, die andere liebt es, der Welt die heiterste Fratze zu schneiden; das ist das Unglück, bester Freund, wenn die Vergangenheit die Harmonie unserer Seele zerstört hat! Mit Heinrich Heine zu lachen und zu spotten, mit ihm mehrere Stunden in geistreicher Gesellschaft zuzubringen, das betäubte mich und machte es mir leichter, die Fluten einer schäumenden Gefühlswelt aus meinen Augen zurückzudrängen, wenn sie überzuströmen Willens waren. Gefühlvolle Gesichter vor den Menschen zu machen, erregt nur Lachen. – Dieser Anfangs nur zur geselligen Unterhaltung gepflogene Umgang mit Heine ließ mich indessen tiefere Blicke in seinen Charakter werfen; ich sah bald, daß der Dichter träumte, wenn der Mensch seine Witze machte; daß sie lediglich Anderen gefallen sollten, bildete nicht den Reiz zu Heine’s Humor; es lag ihm vielmehr daran, sich selbst zu unterhalten, und zwar durch zweierlei: mit dem Traum seines Herzens und mit dem Wort seines Geistes. Was ich erst ahnte, gestand der Dichter mir später selbst, nachdem auch er mich näher kennen gelernt hatte. Wir litten Beide an einer Krankheit!“

„Und diese Krankheit?“ fragte ich.

„Eine lächerliche Krankheit, Freund; wir sangen Beide die Hoffnungslosigkeit einer Jugendliebe todt; wir singen noch immer und sie stirbt doch nicht! Ich liebte, fast noch Kind, schon Adrienne, und mußte den Schmerz haben, sie als Sängerin hinter den Lampen eines Theaters wiederzufinden; sie zerstörte damit den schönen Traum meiner Jugend. Heine hatte dasselbe Schicksal, was Sie vielleicht überrascht, ja, was Sie wohl bezweifeln mögen. Aber eine hoffnungslose Jugendliebe schlummert noch immer in seinem Herzen; wenn er ihrer gedenkt, kann er noch weinen, oder er zerdrückt diese Thränen aus Groll. Heine hat mir selbst gestanden, daß, nachdem er das Paradies seiner Liebe verloren hatte, die letztere für ihn nur noch ein Handwerk blieb.“

Diese Mittheilungen Gérard’s von einer solchen heiligen und wehmuthsvollen Liebe Heine’s haben sich durch eine spätere Notiz im „Londoner deutschen Journal“ noch erweitert. Danach war seine Cousine Evelyne van Geldern der Gegenstand dieser Neigung, welche die schönsten und zartesten Blüthen der Heine’schen Lyrik hervorgebracht hat. Evelyne „mit dem Engelsköpfchen auf Rheinweingoldgrund“ war wechselnd und launisch mit ihren Gefühlen und reichte später, vielleicht auch dem Wunsche ihrer Eltern nachgebend, einem reichen Banquier, „dem dürren Philister,“ ihre Hand. Mit der Wehmuth um eine verfehlte Liebe sog Heine auch die gallige Bitterkeit für die Pietät solcher keuschen Neigungen ein; er mochte vielleicht innerlich geseufzt haben, wenn er sich darin gefiel, die Liebe zum Gegenstande seines Spottes zu machen. Mindestens ist anzunehmen, daß er sich ein Recht einbildete, dem Egoismus zu fröhnen und die Pietät der Gefühle zu bewitzeln, nachdem das Schicksal ihn in Ausübung der letzteren betrogen hatte.[1]




  1. Aus dem binnen Kurzem erscheinenden Buche: „Schmidt-Weißenfels über Heine,“ auf das wir im Voraus aufmerksam machen.
    D. Redakt.