Paul vor Felix. Zwei Blätter – Zweites Blatt

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Paul vor Felix. Zwei Blätter – Erstes Blatt W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Paul vor Felix. Zwei Blätter – Zweites Blatt
Die Gemäldeschlacht
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Paul vor Felix.


Zweites Blatt.
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PAUL VOR FELIX.
PAUL BEFORE FELIX.
II.

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Paul vor Felix.
(Paul before Felix.)




Zweites Blatt.

Mit diesem Blatte beginnt eine Reihe von Zeichnungen, worin der Künstler den Geschmack oder die Mode seiner Zeitgenossen hinsichtlich der bildenden Kunst und die Manieren einzelner Schulen zu verspotten oder seine Ideen über erstere zu erläutern suchte. Vorliegendes Blatt ist eine nicht unpassende Verhöhnung der niederländischen Malerschule in Darstellung der Figuren, in der Composition, der Staffage, und in der Vertheilung des Lichtes. Hogarth hatte dies auf dem Titel des Blattes angekündigt; er setzte darunter: Gezeichnet in der lächerlichen Manier Rembrandt’s (designed in the ridiculous manner of Rembrandt). Die Schlaglichter und Schlagschatten dieses niederländischen Meisters waren nämlich zur Zeit, als Hogarth dies Blatt herausgab, bei den Kupferstechern Mode geworden. Es war ursprünglich ein Subscriptionsschein zu dem vorhergehenden Blatte, fand jedoch mehr Beifall, als dieses, so daß Hogarth veranlaßt wurde, dasselbe noch [906] einmal besonders herauszugeben. Uebrigens ist dies Blatt nicht die einzige Verhöhnung der niederländischen Malerschule, die man bei Hogarth bemerken kann. Man wird dieselbe auch auf dem letzten Blatte der Modeheirath erkennen.

Auf dem vorigen Blatte war der Apostel eine edle Figur, der, mit dem Finger zum Himmel weisend, den Römer an die Unsterblichkeit der Seele und die Bestrafung nach dem Tode erinnert. Hier ist er ein kleiner und untersetzter Mann, den der Maler auf einen Schemel gestellt hat, damit der Gerichtshof wenigstens seinen Kopf erblicken kann. Er predigt mit dem Phlegma eines holländischen Domine, und zählt sogar die einzelnen Beweise als guter Rechner an den Fingern ab. Tertullus, als niederländischer Rathsherr mit einem Halskragen über einer schlecht gezeichneten Toga geschmückt, sitzt auf einem Sessel, dessen Thronhimmel ein Korb bildet. Die Predigt des Paulus hat bei ihm durch eingeflößten Schrecken eine Wirkung à la Teniers gehabt; die neben und unter ihm Sitzenden halten sich die Nase zu. Diese körperliche Unbequemlichkeit hat übrigens sein Gesicht noch um einen Grad mehr in die Länge gezogen, als die Predigt des Apostels. Die Jüdin Drusilla, nach der gerühmten Naturtreue holländischer Maler mit ächt jüdischer Physiognomie und Haltung dargestellt, scheint ihn wegen seines Unglücks bei dem neben ihr sitzenden Aeltesten zu entschuldigen, welcher sich etwas verdrießlich an sie gewendet hat, indem er sich die Nase zuhält und auf Felix als die Ursache dieser Bewegung hinweist. Drusilla hat übrigens als vornehme Dame ihren Schooshund. Unter Tertullus sitzen die Assessoren des Gerichts, an den Gesichtern leicht als Juden zu erkennen. Sie müssen, um nach ihren Gesichtern und nach den zugehaltenen Nasen zu schließen, die meiste Belästigung von des Felix Schrecken empfinden. Der Eine weist mit einer spöttischen Miene zu dem Römer hinauf, allein ein Anderer gibt ihm einen vorsichtigen Wink, den mächtigen Mann nicht dadurch zu beleidigen, daß man ihn merken lasse, sein unwillkührliches Versehen sei von loyalen Untergebenen empfunden worden. Ein anderer Beisitzer, mit der Brille auf der Nase, bekümmert sich weder um die Verhandlung, noch um das Felix wiederfahrene Unglück. Er spitzt [907] mit aller Aufmerksamkeit seine Feder. Dies soll offenbar ein Spott über das häufige Verfahren niederländischer Maler sein, welche auf dergleichen Nebenfiguren, deren gleichgiltige Beschäftigung mit der Haupthandlung nicht zusammenhängt, sogar bei historischen Bildern, ihren meisten Fleiß und ihre hauptsächlichste Kunst verschwenden. – Eine andere Hauptfigur, der Hohepriester Ananias, auf der Erhöhung, wo Felix sitzt, wird ebenfalls nicht durch den Geruch afficirt. Er ist gegen Paulus zu sehr erbittert, als daß er etwas anderes, als dessen Worte beachten sollte. In der Wuth hat er ein Messer gezogen, und würde auf den Apostel losstürzen, um denselben niederzustoßen, wenn ein vorsichtigerer Jude ihn nicht daran verhinderte. Das Messer ist jedoch kein Dolch, sondern ein unschuldiges Instrument, womit die Holländer ihren Käse schneiden.

Hinsichtlich der Juden ist das Costüm, welches die Holländer genug vor Augen hatten, getreulich bewahrt. Tertullus ist dagegen als moderner Advocat, und zwar als ein englischer, in Perücke und Gown gekleidet. Er zeigt das Gesicht eines Sachwalters, der einen Proceß verloren hat, und zerreißt im Aerger seine Klagschrift, die er theils in der Hand hält und theils auf den Boden geworfen hat. Die zerrissenen Papierfetzen zeigen zum Theil die Worte, welche Apostelgeschichte 24, 3 – 6. als seine Anklagerede angegeben werden. Sie lauten im Zusammenhange nach Luther’s Uebersetzung: „Da wir in großem Frieden leben unter Dir, und viel redlicher Thaten diesem Volk wiederfahren durch Deine Vorsichtigkeit, allertreuester Felix, das nehmen wir an alle Wege und allenthalben mit aller Dankbarkeit. Auf daß ich aber Dich nicht lange aufhalte, bitte ich Dich, Du wollest uns kürzlich hören nach Deiner Gelindigkeit. Wir haben diesen Mann funden schädlich, und der Aufruhr erreget allen Juden auf dem ganzen Erdboden, und einen Vornehmsten der Secte der Nazarener u. s. w.“ Auf dem Blatte sind die Worte natürlich aus der Bibelübersetzung der englischen Kirche entnommen. Man sieht auf dem Boden: Seeing that we enjoy great quietness and that very worthy deeds are done by thy Providence, we accept it always and in all places, most noble Felix, with all [908] thankfulness . . . (Da wir sehen, daß wir große Ruhe genießen, und daß sehr werthvolle Thaten durch Deine Vorsicht geschehen, empfangen wir es immer und an allen Orten, sehr edler Felix, mit aller Dankbarkeit,...) We have found, this man a pestilent fellow and ringleader of sedition among the Jews (Wir haben diesen Mann als schädlichen Kerl und Rädelsführer des Aufruhrs unter den Juden gefunden u. s. w.). Die Worte sind zerstreut. Ein aufmerksamer Beschauer mag sie zusammenlesen.

Das Publikum bei der Gerichtsverhandlung ist in der Art niederländisch, daß es beinahe scheint, Hogarth habe dasselbe aus verschiedenen Gemälden jener Schule zusammengelesen. Einige schlafen, andere zeigen phlegmatische Aufmerksamkeit; unter diesen wird zu den Füßen des Hohepriesters ein Zuhörer mit einer Krücke bemerkt, welcher nach den Zügen, nach der Haltung und nach der Kopfbedeckung ebenfalls auf altdeutschen Gemälden seinen Platz haben könnte, die ein Engländer, wie Hogarth, in die Kategorie der holländischen Schule (Dutch school) mit hineinwirft.

Die von Tertullus zerrissenen Papiere sammelt ein Teufel à la Breughel, um sie als Documente für die Hölle zu gebrauchen. Hogarth hat an zwei Hörnern nicht genug gehabt, und noch ein drittes in der Gestalt eines abgestumpften Hirschgeweihes hinzugefügt. Ein kleinerer boshafter Teufel sitzt unter dem Schemel des Apostels, und durchsägt einen Fuß desselben, so daß Paulus in Kurzem zu Boden fallen wird. Ein fetter Engel, welchem nur noch die Posaune fehlt, um ihm in einem niederländischen Bilde eine gebührende Stellung anweisen zu können, hat Wache vor dem Apostel halten sollen, ist aber auf seinem Posten eingeschlafen. Ein Hund, welcher dem Felix gehört, denn er trägt dessen Namen auf dem Halsbande, wartet auf den Augenblick, wo Paulus zu Boden fallen wird, um sogleich über ihn herzufallen.

An der Thüre steht die Gerechtigkeit mit der Wage als fette und wohlgenährte Dame mit einem wohlgefüllten Geldsack an der Seite. Die Binde, welche ihr sonst die Augen bedeckt, hat sich verschoben, so daß sie mit dem einen Auge seitwärts schielen kann. Statt des Schwertes [909] hält sie in der einen Hand ein Schlachtmesser, worauf ein Feld des Wappens der City von London, der Dolch, zu sehen ist, welcher schon an einem andern Orte (der fleißige und faule Lehrling, neuntes Blatt) erwähnt und hinsichtlich seiner Veranlassung erklärt wurde. An der Wage, welche von der andern Hand gehalten wird, hat ferner die eine Schale sich gesenkt. Sie wird durch ein Geschenk beschwert sein. Ohne Zweifel hat Hogarth mit dieser Themis auf das Policeigericht des Lord-Mayors andeuten wollen, welches von jeher nur hauptsächlich gegen Unfug der Armen als strafend sich zeigte, während der Reiche und Vornehme mit einer leichten Geldbuße davon kömmt. Der angebrachte Dolch der City ließe sich wenigstens in keiner andern Art erklären.

Die Schlaglichter Rembrandt’s sind auf solche Weise angebracht, daß der Spott sogleich in die Augen fällt. Dieselben fallen hauptsächlich auf die Beisitzer des Gerichts, welche sich die Nase zuhalten, auf die Perücke des Tertullus, auf das Gesicht des schlafenden Engels, auf des Apostels Fuß, auf das Teufelchen, u. s. w. Das stärkste Licht dringt durch eine runde Oeffnung in ein Nebengemach, und zeigt dort eine ächt niederländische Verzierung, die blank gescheuerten Zinnteller, bekanntlich der Ruhm einer jeden holländischen Haushaltung.

Auch die Landschaft, welche man außerhalb der Thüre erblickt, ist im Geschmack niederländischer Maler. Man sieht einen holländischen gradlinigen Canal, ein holländisches Dorf mit dem niedrigen und bescheidenen Kirchthurm, und endlich sogar eine holländische Windmühle. Als Schluß dieses Bildes voll niederländischen Humors und niederländischer Naturtreue mag man den Lictor seitwärts von Felix betrachten, welcher stehend eingeschlafen ist, und das Ganze mit einem römischen Adler unter einem Vexillum überragt.

Es ist noch zu bemerken, daß Hogarth an Tertullus das Porträt eines Advocaten damaliger Zeit, Hugh Campbell, eines Schotten von Geburt, gegeben haben soll, indem er nur die Nase desselben in etwas jüdischer Weise umbildete. Auch der eingeschlafene Engel soll Porträt sein, und zwar das eines Kupferstechers Luke Sullivan, den Hogarth mitunter bei seinen Blättern gebrauchte.