Phonographische Überraschungen

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Titel: Phonographische Überraschungen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 464–466
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Phonographische Ueberraschungen.
Der automatische Privat-Stenograph. – Bücher, die sich selbst vorlesen. – Autophone berühmter Personen. – Galvanoplastisch vervielfältigte Arien und Opern. – Lachende und weinende Puppen. – Uhren mit Nachtwächtergesang. – Die Zukunfts-Telegraphie. – Das Aërophon.

Edison’s Phonograph, über welchen in dem Artikel „Sprechmaschinen“ (Nr. 10 d. Jahrg.) kurz berichtet wurde, ist seitdem in Nordamerika der Löwe des Tages geworden, und in Europa beschäftigen sich Forscher und Praktiker mit demselben. „Ein lehrreiches, interessantes Spielzeug!“ hatte man anfangs achselzuckend gesagt, aber sein Urheber, einer der erfindungsreichsten Menschen unserer Zeit, ist sehr stark bei der Arbeit, um der Welt zu beweisen, daß das „Spielzeug“ eine eminent praktische Bedeutung erlangen kann. Wir halten uns der Sicherheit halber im Nachfolgenden vorzugsweise an die eigenen Mittheilungen des Erfinders, die er in einem kürzlich erschienenen Artikel der „North American Review“ niedergelegt hat und die fast durchgängig bereits ausgeführte Ideen betreffen. Wir ersehen daraus, daß Herr Edison allen Ernstes daran denkt, den künftigen Generationen die Mühe des Briefeschreibens zu ersparen, indem man sich einen mechanischen Secretär und Vorleser in einer Person anschafft und mittelst desselben alle Correspondenzen mündlich erledigt. Man setzt sich vor den sogleich zu beschreibenden Standard-Phonographen und dictirt ihm, so schnell man zu sprechen gewöhnt ist, sei es im trockenen Geschäftstone, sei es mit Wärme und Nachdruck, was man auf dem Herzen hat. Gleich einem geschickten Stenographen verzeichnet die mitschwingende Nadel, wie in dem älteren Apparate, getreulich jedes anvertraute Wort auf einem Zinnblatte, welches nachher abgenommen und wie ein Brief versandt werden kann. Hat man zwei Blätter über einander aufgelegt, so kann das eine als Copie zurückbehalten werden.

Der Empfänger befestigt das Blatt auf eine genau gleichgearbeitete Maschine, setzt dieselbe in Gang und läßt sich, vielleicht dabei seinen Kaffee einnehmend, vorlesen, was sein Correspondent ihm zu sagen hat. Hat jener sehr schnell dictirt, so befördert die alle Schallschwingungen wiederholende zweite Maschine ebenfalls ihre hundertfünfzig bis zweihundert Worte in der Minute zu Tage. Der Brief bedarf keiner Unterschrift, denn man erkennt, trotz der etwas metallischen Färbung, deutlich die Stimme des Absenders mit allen ihren Eigenthümlichkeiten, Hebungen und Senkungen, und sollte man ja eine Passage nicht verstanden haben, so stellt man die Maschine zurück und läßt die Stelle nochmals wiederholen. Man mag sich selbst ausmalen, welche ganz andere Wirkung so übermittelte mütterliche Ermahnungen oder gar Liebesbriefe hervorbringen müssen.

Da nun bei der bisherigen Cylinderform des Phonographen die genaue Wiederbefestigung des Zinnblattes (damit die eingedrückten Schriftzeilen genau unter den nadelförmigen Fühler der Schallplatte kommen) einige Schwierigkeiten darbietet, so hat Edison neuerdings der Unterlage die Form einer ebenen, wagerechten Tafel gegeben, auf welcher die genaue Einstellung und Befestigung viel leichter zu erreichen ist. Die wie ein Linienblatt mit eingegrabenen Linien versehene Stahlplatte wird nun durch ein darunter befindliches Uhrwerk derartig bewegt, daß die schwingende Nadel, genau der vorgezeichneten Rinne folgend, in engen Parallelzügen über das Zinnblatt hingleitet. Bei einer keineswegs übertriebenen Enge der Linien konnte, nebenbei bemerkt, ein Zinnblatt von ungefähr dreiviertel Fuß im Quadrat gegen vierzigtausend Worte aufnehmen, also den Inhalt einer ganzen Broschüre, während selbst sehr ausführliche Briefschreiber es selten über zweitausend Worte bringen. Da es entschieden wichtig sein würde, alle diese Horizontalmaschinen nach demselben Normalmaß herzustellen, um mit Jedermann ohne Unterschied durch dieselbe Maschine verkehren zu können, so hat Edison diesem internationalen automatischen Secretär, dessen Maße übrigens noch festzustellen sind, den Namen des Standard- (d. h. Norm- oder Universal-) Phonographen beigelegt.

So schön nun das alles klingt, dennoch wird sich Niemand dem Bedenken verschließen, daß diese Zinnblätter nicht als Documente dienen könnten. Denn abgesehen davon, daß die Maschine manche Buchstaben, namentlich die Zischlaute bisher nicht klar genug wiedergeben will, obwohl man ihr schon einen gezahnten Mund und ähnliche Nachhülfen gewährt hat, gestattet die weiche Zinnfolie nur wenige Male das Lesen. Die Nadel der Leseplatte vermischt, indem sie in die verschieden tiefen und verschieden umgrenzten, bald mehr runden oder ovalen, bald spitz, bald langgezogenen Vertiefungen des Stanniols einspringt und beim Weitergleiten immer wieder heraussteigt, bald die Eigenthümlichkeiten derselben, und damit wird die Aussprache jedesmal etwas undeutlicher. Zwei-, dreimal versteht man ganz deutlich, dann wird die Aussprache immer verschwommener, und zuletzt bleibt in einem allgemeinen Summen nur noch ab und zu ein einzelnes Wort verständlich. Uebrigens giebt es viele Zwecke, bei denen ein zwei- bis dreimaliges Lesenkönnen vollkommen ausreicht, so bei gleichgültigeren Briefen, oder wenn ein Tagesschriftsteller seine „Plauderei“ in die Druckerei schickt, wo die Setzer dieselbe, in Streifen geschnitten, sich vorlesen lassen können, um darnach zu setzen.

Uebrigens hat der Erfinder auch bereits härtere Beschreibstoffe mit einigem Erfolge versucht, und sogar in gewissen Stahlsorten hinterließ eine Nadel mit Diamant- oder Sapphir-Spitze hinreichende Spuren. Vorläufig erscheint es für die Fälle, in denen es sich um dauerhafte „Autophone“ handelt, zweckmäßig, die mit den Eindrücken versehene Zinnfolie auf galvanoplastischem Wege in Kupfer zu vervielfältigen, was mit dem vollkommensten Erfolge gelingt. Von einer auf diesem billigen Wege gewonnenen Form können dann beliebig viele Abdrücke genommen werden, und man begreift damit leicht die Möglichkeit, Bücher herzustellen, die sich mit ausdrucksvoller Stimme selbst vorlesen und die bei vierzigtausend Worten auf jedem Blatte meist nur aus wenigen Blättern bestehen würden. Autophone berühmter Personen und ihrer Reden bei feierlichen Gelegenheiten könnten auf diesem Wege leicht und schnell vervielfältigt werden.

[465] Größeren Beifall werden freilich die Autophone berühmter Sänger und Sängerinnen erhalten. Duette, Terzette, ja ganze Opern lassen sich auf diesem Wege versteinern, um sie bei passenden Gelegenheiten beliebig aus ihrem Schlummer zu erwecken. Obwohl nun manche Arien und Lieder wunderschön wiedererklingen und der Gesang vergleichsweise noch getreuer als die Sprache wiedergegeben wird, so wird doch vorläufig durch die unvermeidlichen Nebengeräusche die reine Gesangleistung mehr beeinträchtigt als die Sprache.

Für viele derartige Apparate dürfte nun wieder die Walzenform vorgezogen werden, wie z. B. für Gesangswerke, sprechende Puppen, Uhren, welche die Stunde ausrufen und dieselbe mit einem kurzen Liede oder Choral, respective mit einer passenden oder unpassenden Bemerkung begleiten. Allem Anscheine nach werden die lachenden, weinenden, sprechenden und singenden Puppen bereits nächste Weihnachten eine große Rolle spielen. Eine zolllange kleine Drehwalze im Kopfe der Puppe kann leicht den kleinen Wortschatz derselben aufnehmen und mittelst einer [466] nach außen verlängerten Achse gedreht werden: das Schallblech wirkt dabei als Zunge hinter den halb geöffneten Lippen, und die Unvollkommenheiten der Aussprache würden bei der kleinen Puppe nur so natürlicher klingen. Wird die Walze rückwärts gedreht, so werden auch die Worte rückwärts gesprochen und zwar natürlich nicht blos der Reihenfolge, sondern auch der Buchstabenfolge nach. Eine der oben erwähnten sprechenden Uhren, welche des Morgens zum Frühaufstehen und später zu den Mahlzeiten und den Geschäften des Tages einlädt, ein mechanischer Saturnus gleichsam, der keine Stunde vorbeiläßt, ohne seine Mahnungen wegen der Flüchtigkeit der Zeit zu wiederholen, soll bereits auf der Pariser Weltausstellung seine Künste hersagen. Ich würde meinerseits eine Uhr vorziehen, die jede Stunde mit einem Liede oder Sprüchlein, wie weiland die ehrsamen Nachtwächter, begrüßte. In den größeren Städten wäre das zugleich eine Erinnerung an die vorzeitlichen Gewohnheiten, in denen der Wächter die Stunde verkünden mußte, weil nicht Jedermann eine Schlaguhr besaß. Leider bleibt aber zu besorgen, daß diese Uhren in Folge ihrer nicht Tag noch Nacht feiernden Geschwätzigkeit bald genug heiser und unverständlich werden möchten.

Eine andere praktische Anwendung des Phonographen, der bekanntlich aus dem Telephon hervorgegangen ist, führt uns zu seinem Ursprunge zurück, nämlich auf seine Verbindung mit dem Telephon zu dem Zwecke der gleichzeitigen Niederschrift der mündlichen Depeschen. Das Wort ist flüchtig und verschollen, ehe man seinen Inhalt genau verstanden hat; die telephonische Depesche bietet keine Sicherheit, so lange sie nicht automatisch von dem Empfangsapparate aufgezeichnet wird. Da nun die Schallplatte des Telephons und des Phonographen im Wesentlichen dasselbe Ding ist, so liegt nichts näher, als diese Platte ihr Werk ganz thun zu lassen und ihr den Griffel zu geben, mit welchem sie gleichzeitig in „eherne Tafeln“ gräbt, was sie spricht. Man ersieht hieraus, das Zinnblatt braucht schließlich gar nicht verschickt zu werden; man kann den Brief mit eigener Stimme gleich dorthin dictiren, wo er hingehen soll. Dabei mag es uns zu Gute kommen, daß Professor Hughes, der Erfinder des Mikrophons, an dem Telephon eine Verbesserung angebracht hat, welche, einfach in der Einschiebung einer kleine Inductionsrolle in die Leitung bestehend, den Schall am Empfangsorte so verstärkt, daß man nicht mehr das Ohr an das Telephon zu legen braucht, sondern den Schall in weitem Umkreise vernimmt. (Vergl. den jüngst von uns gebrachten Artikel „Die Offenbarungen eines präparirten Kohlenstückchens“ in Nr. 24. D. Red.)

Edison glaubt, daß durch diese kaum weiter zu vervollkommnende Methode die Telegraphie in Zukunft eine besondere Gestalt annehmen wird. Die Telegraphengesellschaft der Zukunft, meint er, wird einfach eine Geschäftsvereinigung sein, welche ein ungeheures System überall hin verbreiteter Drahtleitungen durch erfahrene Beamte in gutem Zustande erhält, um durch Ausschließungen und Verbindungen beliebige Strecken für bestimmte Zeit zweien Correspondeten zu vermiethen. Beide erscheinen persönlich oder in ihren Vertretern auf den Aemtern, und kein Dritter braucht zu wissen, was sie mit einander verhandelt haben und was Jeder von ihnen, in Zinn gegraben, in seiner Mappe nach Hause trägt. Diplomaten und große Geschäftshäuser werden den Anschluß der Hauptleitung nach ihrem Arbeitsraume führen lassen, und dann hat sich vollends kein Dritter in ihr Geheimnis zu mischen. Ein New-Yorker Opernunternehmer, welcher bereits sich von der Lucca und der Mallinger Spieldosen einsingen zu lassen beabsichtigt, hätte nicht mehr nöthig, die Dame aufzusuchen; dieselben könnten ihm aus der Ferne dienen, und die Examina und Doctorpromotionen können schriftlich und mündlich „in absentia“ vollführt werden.

Auf einem ganz verschiedenen Gebiete bewegt sich ein fernerer Ableger des Phonographen, das Aërophon, dessen Idee darin besteht, jedem beliebigen Blasinstrumente die Articulation der menschlichen Stimme zu verleihen. Denken wir uns eine Orgelpfeife oder ein großes Signalhorn, an dessen unterem Theile die Schallplatte eines Phonographen angebracht ist. Der Stift dieser Platte soll diesmal, statt zu schreiben, dazu dienen, ein Ventil, seine Schwingungen entsprechend, fortwährend zu öffnen und zu schließen, sodaß die tönende Luftsäule gleichsam den mächtigen Brustton hergiebt, aus dem eine Riesenstimme geformt wird. Was will Stentor, der fünfzig Griechen überschrie, was will selbst Ares, der, glaube ich, wie ihrer zehntausend brüllte, gegen eine mit so und so viel Pferdekraft brüllende Maschine ausrichten, gegen einen großen Dampfkessel, dem man gegeben hat, Gedanken auszudrücken, die er nicht empfindet!

Als Hauptzweck dieses Apparates würde die Verständigung auf der See, sei es von Schiffen untereinander, sei es mit Stationen und Leuchtthürmen, anzusehen sein, mit denen man sich bisher mittelst Flaggen unterhielt (vergl. Gartenlaube 1877 S. 162[WS 1]), wobei ein leichter Nebel alle Bemühungen zu Nichte machte. Das Aërophon trägt die menschliche Sprache beinahe so weit, wie die Seesignale erkennbar sind, nämlich vier bis sechs Seemeilen, und die Verständigung mit dieser monotonen Dampfstimme ist eine viel bequemere. Bekanntlich hatte man schon längst an gefährlichen Uferstellen, auf Leuchtthürmen und Rettungsstationen, sogenannte Dampfsirenen aufgestellt. Apparate, die keineswegs bestimmt sind, wie die Homerischen Sirenen, mit erschmeichelnder Stimme die Vorbeisegelnden zum Landen einzuladen, sondern die vielmehr mit einer das Wellengebrüll des tobenden Meeres überschreienden Stimme die Schiffer warnen, sich ihnen zu nähern. Diese Apparate enthalten eine Drehscheibe, deren um den Umfang vertheilte Oeffnungen den Strom einer Dampfpfeife je nach der Schnelligkeit der Umdrehung öfter oder minder oft unterbrechen und dadurch höhere oder tiefere Töne erzeugen. Während man sich hier bemühte, aus höheren und tieferen Tönen eine Art Seesprache combinatorisch zusammenzusetzen, spricht in dem Aërophon der Dampf selber, was ihm der schwache Mensch einbläst. Ja, man bedarf des Menschen nicht einmal, da für viele Zwecke ein Phonograph die Rolle des Souffleurs übernehmen kann. Man erzählt sich drüben bereits fürchterliche Dinge von dieser Erfindung. Jede Fabrik, die einen Dampfkessel besitzt, würde in kurzen Pausen ihr Fabrikat ausposaunen, ja einige Industrielle sollen bereits darum eingekommen sein, den Ruhm ihrer Firma durch Stadt und Land mittelst sämmtlicher Dampfpfeifen der Eisenbahn-Locomotiven verbreiten lassen zu dürfen. Wenn dann die Straßenverkäufer mit Sand, Obst, Kartoffeln und Milch sich ähnliche Apparate anschaffen, so kann das ein Höllenskandal werden, und das alte Sprüchwort müßte umgetauft werden in „Morgenstunde hat den Teufel im Munde“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1873 S. 162