Weltschrift und Weltsprache

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Autor: Carus Sterne
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Titel: Weltschrift und Weltsprache
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, 13, S. 162-164, 211-212
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[162]
Weltschrift und Weltsprache.
Von Carus Sterne.
I.

Zu den nachdenklichsten Mythen der Bibel gehört ohne Zweifel diejenige von der Sprachzerstreuung beim Thurmbaue zu Babylon, welche übrigens nach den neueren Forschungen der Assyriologen ihren Ursprung nicht der jüdischen Poesie, sondern derjenigen eines im alten Babylon ansässigen turanischen Volkes verdankt, von dem das älteste ausgebildete Schriftsystem, die Keilschrift, herrührt. Die Thurmbaumythe wollte dem kindlichen Verstande die auffallende und zu Zweifeln anregende Thatsache erklären, weshalb nicht alle Kinder Adam’s Adam’s Sprache sprechen, sondern in mehr als dreitausend verschiedenen Mundarten durcheinander wälschen.

Man hat in frühern Zeiten viel nach der Sprache Adam’s, der Ursprache, geforscht, und einige Gelehrte haben sie sogar in noch lebenden Sprachen zu erkennen geglaubt. So meinte der alte ebenso phantastische, wie gelehrte Rudbeck unzweifelhaft gefunden zu haben, daß man im Paradiese schwedisch gesprochen, und Becanus meinte sogar, die Schlange habe, als sie die Eva verführte, sich der treuherzigen Sprache Onkel Bräsig’s bedient und plattdeutsch gesprochen. Einige besonders tiefsinnige Forscher haben Reste der allgemeinen Ursprache in jenen fast auf der ganzen Erde übereinstimmend klingenden ersten Lautäußerungen der Kinder, in den Worten Papa und Mama erkennen wollen, aber Buschmann hat den Grund dieser Uebereinstimmung einfacher in dem Umstande gefunden, daß diese beiden Wortbildungen dem ersten Stammeln der Lippen entsprechen, weshalb auch die Uebereinstimmung keine durchgreifende ist, sofern in manchen Ländern der Vater Mama und die Mutter Papa titulirt werden.

Gegenüber den ältern Nachforschungen nach einer Ursprache, aus der alle spätern Sprachen hervorgegangen sein sollten, wie die Mehrzahl der lebenden und todten Sprachen Europas aus dem Sanskrit, ist die neuere Sprachforschung zu dem Schlusse gekommen, daß die Zerstreuung des Menschengeschlechtes über den Erdball wahrscheinlich schon vor den ersten Fortschritten der Sprachbildung geschehen sein müsse, da nicht wenige derselben gar keine Spur von Verwandtschaft zeigen, sodaß man eben genöthigt ist, an einen grundverschiedenen, selbstständigen Aufbau derselben zu denken.

Anders war es mit den Anfängen der Schrift, die in der That an den verschiedensten Orten einen allgemein verständlichen, internationalen Charakter aufwiesen, sofern man zur Bezeichnung der Dinge leichtverständliche Sachbilder anwendete, wodurch es uns möglich ist, alte Bildschriften sowohl der Skandinavier wie der Indianerstämme Nordamerikas mit ziemlicher Sicherheit zu lesen, ohne daß wir ihre Sprache zu kennen brauchen und ebenso besaßen die chinesischen und ägyptischen Wortbilder, so lange sie noch nicht zu einem bloßen Schema geworden waren, eine allgemeinere Verständlichkeit. Die chinesische Schrift wird noch heute von zahlreichen mongolischen Stämmen verstanden, die eine sehr verschieden klingende Sprache reden. In dieser Beziehung waren die Bilderschriften weit gemeinverständlicher, als die Laut- und Buchstabenschriften, und es ist merkwürdig, daß wir die Ausbildung und Einführung der letztern gerade dem unter den Nationen des Alterthums am meisten vermittelnden Volke, den handeltreibenden Phöniciern verdanken, die doch am stärksten hätten den Wunsch empfinden müssen, wenn nicht eine Weltsprache, so doch wenigstens eine Weltschrift heranzubilden. Sie hätten dann den modernen Phöniciern, den Engländern, die Mühe erspart, für die Seeleute aller Nationen eine Weltschrift und Sprache mühsam wieder zu erfinden. Immerhin müssen wir ihnen danken für die internationale Buchstabenschrift, die uns wenigstens das Mittel an die Hand giebt, den verschiedenen Klang der Sprache annähernd darzustellen.

Daß es schöner wäre, wenn die Menschen auf dem ganzen Erdball in derselben Zunge redeten, daß damit dem biblischen Gedanken: ein Hirt und eine Heerde, bedeutend der Weg geebnet sein würde, leidet so wenig einen Zweifel, daß wir den unendlichen Mühen, die auf die Anbahnung einer Universalsprache gerichtet worden sind, nicht ohne Theilnahme zuschauen können. Nach einander haben die griechische, lateinische, arabische, spanische, französische und englische Sprache den Ansatz genommen, Weltsprachen zu werden, und ohne Zweifel hat die englische Sprache, sowohl aus äußern politischen, wie aus innern grammatikalischen Gründen, die meisten Aussichten für sich. Seit Leibniz diesen Plan einer neuzubildenden Universalsprache fester in’s Auge faßte, ist er von zahlreichen, einsamen Denkern immer wieder und wieder aufgenommen worden, und besonders seit einigen Jahren treten fortwährend neue Vorschläge dazu an die Oeffentlichkeit. Die richtige Grundidee für eine solche besteht darin, der Sprache allen überflüssigen Zierrath und alle Unregelmäßigkeit zu nehmen, beispielsweise die im Artikel ausgedrückten Geschlechtsunterschiede von Dingen, die, wie der Tisch und die Bank, doch kein Geschlecht haben, über Bord zu werfen, was die Engländer bereits gethan haben, ferner die Declination nur im Artikel auszudrücken, und alle Unregelmäßigkeiten bei der Conjugation der Zeitwörter, der Steigerung der Eigenschaftswörter etc. auszumerzen, sodaß eine Sprache entstände, die Jeder in kürzester Frist erlernen könnte. Von dieser Grundidee, eine Elementarsprache zu schaffen, wie sie schon sonst Kinder und Wilde anwenden, ist unter andern Lichtenstein in seiner Pasilogie (1859) ausgegangen, und zwar muß bei ihm das Deutsche als Grundlage für die Universalsprache dienen. Ein alter französischer Gelehrter Letellier in Caën hat soeben ähnliche Experimente mit einem französischen Gerippe angestellt, außerdem aber eine Universalschrift erfunden, welche fast wie die chemische Zeichenschrift aussieht, und nur mittelst eines internationalen Schlüssels lesbar wird.

Die letztere Idee, welche keine Universalsprache schaffen will, sondern nur eine allgemeine Verständigung aller Völker der Erde unter einander, und ohne daß eins die Sprache des andern zu erlernen braucht, anstrebt, ist am weitesten durch einen deutschen Gelehrten, Dr. Bachmaier, geführt worden. Seine Schrift besteht aus Zahlen, die für die Worte und Begriffe gesetzt werden. Er nimmt an, daß für alle Vorkommnisse des praktischen Lebens in runder Summe etwa viertausend Worte genügen, und arbeitete deshalb ein Lexikon aus, in welchem neben jeder Zahl von 1 bis 4000 ein anderes Wort steht, und in den Ausgaben der verschiedenen Völker den gleichen Zahlen die entsprechenden Ausdrücke hinzu gefügt werden. Wenn nun für jede Sprache der Welt ein derartiges Lexikon gearbeitet würde, im ersten Theile mit alphabetischer Anordnung der Vokabeln, im zweiten nach der Zahlenreihe, so ist klar, daß mit Hülfe zweier derartiger Bücher, die nur ein Taschenformat haben würden, zwei Menschen, die ihre gegenseitige Sprache zum ersten Male vernehmen, dennoch mit einander verkehren könnten, indem dieselben Zahlen bei allen das gleiche Wort oder den gleichen Begriff bezeichnen. Um Masculinum und Femininum, Substantiv und Adjectiv, Zeitform und Declinationsform, sowie andere grammatikalische Veränderungen anzudeuten fügt Dr. Bachmaier den Zahlen gewisse einfache Nebenzeichen hinzu. Drei solcher Wörterbücher (französisch, englisch, deutsch) hatte der mit weiteren Ausgaben beschäftigte Gelehrte 1875 auf dem Orientalisten-Congreß in Oxford ausgestellt, wo sie natürlich das lebhafteste Interesse erregten. Für die Begegnung fremder Nationen im Kriege wären solche internationalen Wörterbücher fast noch wichtiger, als für den Handel.

Es wird gewiß manchem unsrer Leser neu sein, daß ein [163] ähnliches, mit einer Universal-Sprache nicht zu verwechselndes System zur Verständigung der Menschen aller Zungen untereinander seit längeren Jahren in segensreichstem praktischem Gebrauche befindlich ist, nämlich für die Verständigung der Schiffe untereinander und mit den Marinestationen der Ufer. Dieses System, welchen eine Verständigung über alle zur See vorkommenden Angelegenheiten zuläßt, ist freilich, da die Signale durch Flaggen für eine bedeutende Entfernung gegeben werden müssen, nicht so einfach, wie das eben erläuterte, aber die Art, wie die Capitaine Marryat, Reynold, Rogers etc. die bedeutenden hierbei hervortretenden Schwierigkeiten überwunden haben, ist so interessant, daß es den Leser gewiß nicht reuen wird, eine ungefähre Vorstellung von dem angewendeten Verfahren zu erhalten.

Zunächst giebt es zwei allgemeine Zeichen, eine Flagge, welche die Nationalität des Schiffes kund giebt, und ein Wimpel, dessen Aufziehen andeutet, daß man auf Grund des Signalbuches aller Nationen eine Frage, Bitte oder Mittheilung auszutauschen habe. Ein nochmaliges Aufziehen dieses Wimpels an andrer Stelle zeigt an, daß man das inzwischen gegebene Signal verstanden habe. Man hat nun ferner für jeden der achtzehn Consonanten des Alphabets eine besondere, durch Form, Farbe und Farbenzusammenstellung unterschiedene Flagge, die, mit einer, zwei oder höchstens drei andern Flaggen untereinander aufgezogen, die Möglichkeit gewährt, 78,462 verschiedene Signale zu geben. Nur die Flaggen für C und D werden auch einzeln angewendet, und heißen dann: Ja und Nein. Die Benutzung der Vocale ist vermieden worden, damit die Buchstabenzusammenstellungen, die nur als Zeichen dienen sollen, niemals ein wirkliches Wort ergeben können, und weil die achtzehn Consonanten zu je zweien, dreien oder vieren verbunden, vollkommen ausreichen.

Für jede dieser nahezu achtzigtausend Flaggen- oder Buchstabenzusammenstellungen ist eine besondere Bedeutung zwischen allen seefahrenden Nationen vereinbart und in ein Signalbuch alphabetisch eingetragen, von dem es amtliche Ausgaben in allen europäischen Hauptsprachen giebt. Diese Signale bezeichnen aber nicht nur einzelne Worte, wie z. B. die technischen Ausdrücke der Schifffahrt, sämmtliche Länder und Hafenorte der Welt, alle Schiffsnamen, die in der amtlichen Schiffsliste eingetragen sind, sondern zum Theil ganze Frage- und Antwortsätze, wie sie am häufigsten vorkommen. Dabei giebt es nun bestimmte Eintheilungen der Mittheilungen, die gleich von vorn herein den allgemeinen Inhalt derselben erkennen lassen. So sind die siebenzehn Signale mit zwei Flaggen, bei denen die gezackte B-Flagge, ein sogenannter Stander, oben steht, sämmtlich Achtungs- oder Aufforderungs-Signale, z. B. BC: „Zeigen Sie Ihre Nationalflagge“; BD: „Welches Schiff ist das?“ BK: „Geben Sie Acht!“ etc. Ferner sind alle Signale mit zwei Flaggen, bei denen ein dreieckiges Wimpel (C, D, F oder G) oben ist, Compaßsignale, und alle übrigen mit zwei Flaggen Nothsignale, z. B. HB „Wir haben augenblickliche Hülfe nötig“; HD: „Es kann keine Hülfe geleistet werden“; HF: „Wir komme Ihnen zu Hülfe“ etc. Ferner sind z. B. alle Signale mit vier Flaggen, bei denen die eingeschnittene Fahne B oben steht, geographische Signale etc.

Wenn nun schon diese Einrichtung die Deutung der einzelnen Signale erleichtert, so dient zur weiteren Entzifferung eben die alphabetische Anordnung der zwei-, drei- und vierstelligen Buchstaben-Signale im Signalbuche, welches, wie gesagt, in allen Sprachen gleichlautend ist. Zum Auffinden der Signale behufs der Absendung dient ein zweiter Theil desselben internationalen Werkes, in dem die einzelnen Worte, Eigennamen etc. derartig alphabetisch angeordnet sind, daß bei ihnen zugleich die durch besondere Signale bezeichneten Sätze, deren Schlagwörter sie sind, mitaufgeführt stehen. Ein Beispiel wird dies klarer machen. Angenommen, ein Schiff hätte einen Kranken an Bord und brauchte ärztliche Hülfe, so findet der Capitain im alphabetischen Register, sowohl unter Arzt, wie unter Krankheit, mehrere entsprechende Sätze, von denen er den für seinen Fall passenden wählen kann. Er hißt das Signal L B auf, welches der Empfänger alsbald im ersten Theile desselben Buches nachschlagen wird, um dort in seiner Sprache die Worte zu finden: „Ich habe einen Kranken an Bord, können Sie mir einen Arzt senden?“

Um aber mit Hülfe der achtzehn Flaggen auch Eigennamen, die im Signalbuche nicht verzeichnet stehen, signalisiren zu können, enthält dasselbe ferner eine Buchstaben- und eine Buchstabir-Tabelle, in denen die sechsundzwanzig Buchstaben des Alphabets, sammt dem Punktzeichen erstens durch ebenso viel dreistellige Signale, und ferner, zur größeren Schnelligkeit, die am häufigsten vorkommenden Gruppen von zwei und drei aufeinanderfolgenden Buchstaben (Aa bis Zy) durch vierstellige Signale ausgedrückt werden. Ebenso hat man circa zweihundert dreistellige Signale zur Verfügung, um alle Zahlen von 1/100 bis eine Million darstellen zu können.

In dieser sinnreichen Methode ist also die Möglichkeit gegeben, daß sich zwei Capitaine beliebiger Nationalität, nicht nur über alle Vorkommnisse zur See verständigen können, ohne daß der Eine die Sprache des Andern zu verstehen braucht, sondern daß sie sich auch Neuigkeiten aller Art mittheilen können, wenn sie sonst Zeit und Lust dazu haben. Allein diese Zeichen haben den Uebelstand, bei Tage selbst für das Fernglas nur auf eine kleinere Entfernung erkennbar zu sein, und zur Nacht gar nicht.

Um aber nun auch in größerer Ferne mit einander verkehren zu können, benutzt man die sogenannten „Fernsignale“, bei denen der Gebrauch der Farbe ausgeschlossen ist. Dieselben setzen sich aus drei Formelementen zusammen, aus einem spitzen Dreieck (Wimpel), einem Viereck (Flagge) und einer runden Scheibe (Ball), so zwar, daß der letztere niemals fehlen darf und der angeredeten Person (da er unter den Signalen der ersten Classe nicht vorkommt) als das charakteristische Merkzeichen dient, daß man durch Fernsignale mit einander verkehren wolle. Auch gilt der einzeln aufgezogene Ball als Vorbereitungs-, Antworts- und Schlußzeichen. Unter den zahlreichen Signalen, die man geben kann, indem man diese drei Formelemente zu zweien oder dreien unter einander aufhißt, sind nun wieder die vier aus zwei Zeichen bestehenden die wichtigsten. So heißt Ball, Wimpel: „Ihr begebt Euch in Gefahr“; Ball, Flagge: „Feuer oder Leck, augenblicklich Hülfe nöthig“; Wimpel, Ball: „Proviantmangel, Hunger“, und Flagge, Ball: „Auf Grund, augenblicklich Hülfe nöthig“. Indem man alle drei Zeichen in verschiedener Weise über einander ordnet und unter Weglassung des einen derselben – nur der Ball darf, wie wir sagten, nie wegbleiben – eines der beiden anderen verdoppelt, erhält man wieder achtzehn Zeichen für die achtzehn Consonanten, die theils als Einzelsignale, theils dazu dienen, die früher beschriebenen zwei-, drei- und vierstelligen Signale des Signalbuchs herzustellen. Wenn die Buchstaben einzeln als Signalzeichen dienen sollen, wird dies dadurch angezeigt, daß gleich darauf der einzelne Ball als Schlußzeichen oder Punctum aufgezogen wird, während andernfalls mehrere Fernsignale zeitlich oder räumlich hinter einander (an verschiedenen Masten) aufgezogen werden, um die Buchstabengruppen des Signalbuchs zusammenzusetzen. Dieselben Fernsignale können auch vom Ufer oder von Booten derartig gegeben werden, daß zwei oder drei Seeleute sich erheben und statt des Balls einen runden Körper, z. B. ihren Hut, statt des Wimpels und der Flaggen schmale und quadratische Tücher von links nach rechts hinter einander flattern lassen.

Vor Allem dienen indessen diese Fernsignale zum Verkehr mit den Semaphoren oder Signalstationen der europäischen Küste, die gleichsam die Postämter und Briefkästen der Weltschifffahrt darstellen und die Aufgaben haben, einerseits die ihnen von vorbeipassirenden Schiffen durch Signale gemachten Mittheilungen telegraphisch an ihre Adresse zu befördern und andererseits die für bestimmte Schiffe erhaltenen Mittheilungen durch Signale an dieselben gelangen zu lassen. Der Semaphor giebt seine Fernsignale mit einem etwas schneller arbeitenden Zeigertelegraphen, der auf einem Maste mit drei einseitigen Querarmen besteht, die, je nachdem sie wagerecht, schräg nach oben oder schräg nach unten gerichtet werden, Ball, Flagge und Wimpel vertreten. Eine senkbare Scheibe an der Spitze des Mastes dient als Aufforderungs- und Schlußsignal. Alle Schiffe, die bei einem Semaphor vorbeifahren oder einem andern Schiffe begegnen, beobachten die für sie selbst sehr nützliche Höflichkeit, sich vorzustellen. Sie hissen zuerst die Nationalitäts- und Signalbuchflagge auf, geben dann das Signal, unter welchem sie in der amtlichen Schiffsliste eingetragen sind (welche Zeichen Schiffe verschiedener Nationen ohne Schaden gleichlautend führen können), zweitens und drittens das Signal für den Hafen, aus dem sie kommen und wohin sie bestimmt sind, schließlich die Zahl ihrer bisherigen Reisetage. Die Schiffe, welche sich so bei einem [164] Semaphor vorstellen, haben nicht nur den Vortheil, etwaige Nachrichten in Empfang zu nehmen, sondern sie werden auch ohne Weiteres regelmäßig in der Londoner Schiffs- und Handelszeitung als da oder dort vorbeipassirt gemeldet. Hat nun der Semaphor Nachrichten für das Schiff, welches sich ihm zu erkennen gegeben, so macht er das Zeichen J (Wimpel, Ball, Flagge) und senkt dann die Scheibe als Schlußzeichen, womit er sagt: „Stoppen Sie, oder drehen Sie bei! Es sind wichtige Mittheilungen zu machen.“ Das Schiff hält dann oder nähert sich, und kann durch Fernsignale oder, wenn es nahe genug ist, durch Farbensignale die ihm nachgesandte Botschaft empfangen. Andererseits fragt das vorbeisegelnde Schiff den Semaphor, nachdem es sich zu erkennen gegeben, ob ein Poste restante-Brief angekommen ist, indem es das Fernsignal K giebt; es verlangt durch L einen Lootsen, durch M einen Schlepper, erbittet durch N den Wetterbericht und zeigt durch S an, daß es eine telegraphische Depesche an irgend eine Adresse aufgeben wolle. Diese Depeschen können auf Wunsch, den Telegraphenbeamten unverständlich, in der internationalen Chiffre-Schrift des Signalbuchs befördert werden und werden ohne Vorausbezahlung angenommen; die geringe Taxe – für je zehn Worte einen Franken – hat der Empfänger zu entrichten. Solcher Stationen sind an den Küsten des atlantischen und Mittelmeeres in Frankreich, Italien und Portugal gegen zweihundert theils bereits in Thätigkeit, theils in der Anlage begriffen, sodaß Capitain und Reisende unterwegs, ohne an’s Land zu gehen, immerfort Gelegenheit haben, mit ihren Angehörigen wichtige, in die Weltsprache übersetzte Nachrichten für mäßige Preise zu wechseln.


[211]
II.

Jene bei aller ihrer Umständlichkeit bewunderungswürdige Weltsprache der Seeleute zeigt nun den höchst empfindlichen Mangel, bei Nacht und Nebel durchaus unanwendbar zu sein. Ohne die für sie bestimmten Nachrichten empfangen oder andere absenden zu können, fahren die Schiffe Nachts bei den telegraphischen Stationen der Semaphoren vorüber; ohne sich zu erkennen, ohne die geographische Länge, den Compaßbericht austauschen, ja ohne eine Hülfsbitte aussprechen zu können, müssen die bestbefreundeten Capitaine stumm und unerkannt aneinander vorübersegeln. Das Einzige, was bisher erreicht wurde und dessen Unterlassung mit Strafen bedroht ist, besteht darin, daß die Schiffe, wie unsre Straßenfahrzeuge, verpflichtet sind, durch an bestimmten Stellen angebrachte Laternen einander mitzutheilen, ob Boot, Segelschiff oder Dampfer und zwar Passagier- oder Schleppdampfer, ob sie vor Anker liegen oder in Bewegung sind, und welche Richtung sie haben. Es ist dies unumgänglich erforderlich, um die Zusammenstöße der Schiffe, die ein Sechstel aller Seeunfälle ausmachen und deren Zahl so groß ist, daß auf jeden Tag im Jahre durchschnittlich fünf Zusammenstöße gerechnet werden können, möglichst zu vermindern.

Diese einfache internationale Sicherheitssprache zur See besteht nun darin, daß jedes ruhende Schiff ein weißes, fünf Seemeilen weit sichtbares Licht an bestimmter Stelle zeigen, jedes in Bewegung befindliche aber an seiner linken Flanke (Backbord) ein rothes, an seiner rechten Seite (Steuerbord) ein grünes Licht, beide zwei Seemeilen weit sichtbar, führen soll. Das Dampfschiff unterscheidet sich von dem Segelschiffe noch dadurch, daß es außer diesen beiden farbigen Laternen ein weißes weitersichtbares Licht am Vordermaste zu führen hat. Die Unterlassung dieser Vorschriften ist nicht nur an sich strafbar, sondern führt dazu, daß bei vorgekommenem Zusammenstoß zweier Schiffe der in dieser Hinsicht nachlässige Schiffsführer als der schuldige Theil unnachsichtlich zum Schadenersatz verurtheilt wird.

Die beiden farbigen Lichter, so angebracht, daß ihr Schein sich nicht vermischen kann, machen die Durchführung der auch auf der See geltenden Vorschrift „Rechts ausweichen!“ des Nachts allein durchführbar. Es gilt dabei als Hauptregel, daß, wenn man von der grünen oder der rothen Seite blos gleichfarbiges Licht gewahrt, keine Gefahr zu besorgen steht, wohl aber, wenn bei gerade entgegenkommenden Schiffen beide Laternen sichtbar sind, oder bei sich kreuzenden ungleichartige Farben einander gegenüber erscheinen. Thomas Gray, der Secretär des englischen Handelsamtes, hat diese Steuerregeln zur bessern Einprägung in das Gedächtniß angehender Seeleute in Schulverse gebracht, wie die Grammatiker die lateinischen Genus-Regeln, und sein Sprüchlein für zwei kreuzweise laufende Dampfer lautet zum Beispiel:

Wird Roth am Steuerbord geseh’n,
So heißt es: Aus dem Wege geh’n!
Wie du wirst manöv’riren müssen,
Hast du als Seemann selbst zu wissen.

Siehst du jedoch am Backbord Grün,
Brauchst du dich weiter nicht zu müh’n.
In diesem Fall muß Grün sich klaren
Und hat dir aus dem Weg zu fahren.

Die Anwendung farbiger Signallaternen, die für Eisenbahnen so schweren Bedenken unterliegt, da das Vermögen, die Farben zu unterscheiden, so häufig mangelt, hat zur See weniger Bedenken, da die Richtigkeit der Lichterstellung und der daraus sich ergebenden Manöver stets von vielen Augen überwacht wird und nicht blos von zweien, wie im Eisenbahnbetriebe.

Bei dichtem Nebel lassen auch die Laternen im Stiche und es gilt dann die Vorschrift, langsam zu fahren und durch in kurzen Pausen wiederholte Töne sich mittelst Dampfpfeife oder Nebelhorn als Dampf- oder Segelschiff zu erkennen zu geben. Vor Anker liegende Schiffe jeder Gattung haben in ebenso kurzen Pausen die Schiffsglocke zu läuten. Die vor einigen Jahren (1873) angestellten Versuche des englischen Physikers Tyndall haben glücklicher Weise ergeben, daß der Schall, im Gegensatze zu älteren Ansichten, bei nebeliger Luft in der Regel viel weiter, in einzelnen Fällen dreimal so weit hörbar ist, als bei klarer Luft im Sonnenscheine, weil bei Nebelwetter die Luft gleichartiger gemischt ist.

Alle diese Mittel aber entsprechen nur dem einfachsten und dringendsten Bedürfnisse der Schiffe, sich einander bemerklich zu machen und den Weg zu sichern. Zu den wichtigsten Problemen der Schifffahrt zählt daher immer noch dasjenige, die Weltzeichensprache des Signalbuchs auch über Nacht und Nebel triumphiren zu sehen. An Vorschlägen in dieser Richtung hat es bei der ungeheuren Bedeutung des Gegenstandes natürlich nicht gefehlt. Da das Signalbuch die Grundlage alles weitern Vorgehens bleiben mußte, so kam es natürlich darauf an, die Buchstabengruppen durch Laternen oder Töne auszudrücken. So hat der englische Capitain Bolton die Consonanten durch Stellung einiger Laternen in verschiedenen Linien, Dreiecken etc. ausdrücken wollen, sein Landsmann Mitchell die Consonanten B bis H durch einen bis sechs Lichtblicke in weißem Licht, J bis P ebenso in rothem und Q bis W in grünem Licht darzustellen vorgeschlagen. Obwohl man für solche Blickfeuer besondere Laternen hergestellt hat, konnten diese Methoden sich nicht den Beifall der maßgebenden Autoritäten erwerben.

Sehr bemerkenswerth erschien nun in dieser Beziehung der in dem Artikel „Allerlei Lichter im Botendienst“ (Gartenlaube 1876, Nr. 12) näher behandelte Vorschlag von Bolton und Colomb, die Buchstaben des Signalbuchs in Morse-Schrift zu geben, indem man die Punkte derselben durch einen kurzen Lichtblick, die Striche durch eine länger dauernde Lichterscheinung ausdrücken wollte, und dieser Gedanke ist so einleuchtend, daß die Erfinder sogar vorschlagen, auch bei Tage statt der Nah- und Fernsignale einen Apparat anzuwenden, der, am Maste aufgezogen, nur in schneller Aufeinanderfolge Striche und Punkte darstellen und dadurch die Buchstaben des Signalbuchs bezeichnen sollte. Das Beachtenswertheste an dem Vorschlage ist, daß sich, wie W. H. Baily in Manchester gezeigt hat, die Morse-Sprache sehr wohl in die Töne der Dampfpfeife oder des Nebelhorns übersetzen läßt, indem man durch kurze, schrille Töne die Punkte und durch langgezogene die Striche bezeichnet. Er hat eine kleine Dampfpfeife construirt, die bei dem dicken Nebel, der die Schallsignale erforderlich macht, fünf Kilometer weit hörbar ist, und durch die es möglich sein würde, alle Zeichen des Signalbuchs in die ungewisse Ferne zu senden. Uebrigens dürfen wir nicht unerwähnt lassen, daß der berühmte Physiker Tyndall obigen Vorschlag in neuester Zeit dahin abgeändert hat, an Stelle des kurzen und längern Lichts, kurze und längere Lichtunterbrechung, das heißt Dunkelheit zu empfehlen, sodaß ein andauerndes Licht als Ausgangszustand angenommen wird.

Bei solchen in schneller Aufeinanderfolge gegebenen Zeichen besteht indessen ein großer Uebelstand darin, daß sie eben nicht der aufmerksamen Betrachtung Stand halten und leicht zu Mißverständnissen Anlaß geben können. Bei den früher beschriebenen Flaggen und Fernsignalen gilt die Regel, daß das gegebene Zeichen nicht eher eingezogen werden darf, als bis der angeredete Schiffsführer seinerseits das Zeichen: „Ich habe verstanden“ gegeben hat. Ein solches Warten auf das Verständniß ist nun bei den Lichtblicken und kurz abgerissenen Tönen nicht möglich, ohne ihnen ihren Charakter zu nehmen. Der französische Schiffsfähndrich Moritz hat daher für die ähnliche Darstellungsweise [212] der Morsezeichen durch elektrisches Licht (vergleiche „Gartenlaube“ Nr. 12[WS 1]) einen Registrir-Apparat erfunden, der die in die Ferne entsendeten Lichtsignale bucht, damit man sie, namentlich bei Vermuthung von Mißverständnissen, zurückfordern und vergleichen kann, ein für diese Verständigungsmethode unumgängliches Controlmittel. So würde man auch nur dann mit der Dampfpfeife eine sichere Verständigung in Morsezeichen herbeiführen können, wenn das andere Schiff zunächst wie ein Echo die empfangenen Töne wiederholte.

Aus allen diesen Gründen erscheint eine andere Wiedergabe der Morseschriftzeichen, die an sich, als international vereinbart, für sehr geeignet gelten müssen, wünschenswerth. Ohne von den Versuchen der englischen Capitaine Kenntniß zu haben, war der deutsche Fabrikant Gustav Wiese aus Hannover auf demselben Wege zu zweifellos viel besseren Methoden gelangt. Nach mannigfachen anderen Versuchen, das Signalbuch auch bei Nacht brauchbar zu machen, erschien es nämlich auch ihm als das Beste, das Morsesystem anzuwenden, aber die Striche und Punkte, die zu einem Zeichen gehören, als wirkliche Striche und Punkte in dauernder Lichterscheinung nebeneinander zu stecken, so daß zur ruhigen Abnahme des Signals Zeit gegeben ist. Er benützte zur Darstellung der Punkte runde Laternen, für die Striche langgestreckte Glaskästen mit vielen Flammen, wobei er zur Erleuchtung ein leicht herstellbares Luftgas eigener Erfindung, von einer großen Leuchtkraft, benützte. Wiese stellte unter der Aegide des Nautischen Vereins in Hamburg vielfach, zuletzt am 19. und 20. Juli Versuche mit seinem Apparate an, die vollkommen gelangen und bei der Wichtigkeit der Sache die Aufmerksamkeit der Fachleute erregten.

Die kaiserliche Admiralität, an die sich Wiese mit seiner Erfindung gewandt hatte, forderte denselben auf, in Kiel vor einer besonders dazu ernannten Commission weitere Versuche mit seinen Nachtsignalen anzustellen. Im Verfolge derselben stellte sich nun heraus, daß die verschiedenen Laternenformen doch in gewissen Entfernungen und Lagen schwer zu unterscheiden sein möchten, weshalb Wiese ohne Zögern die Methode aufgab, um sofort eine noch bessere an ihre Stelle zu setzen. Die letztere besteht einfach in der Anwendung eines weißen Lichtes für den Punkt und eines rothen für den Strich. Mit Leichtigkeit kann jeder Buchstabe und somit jedes Zeichen des internationalen Signalbuches in dieser Lichtschrift hergestellt werden, und somit ist der Gebrauch der Weltsprache auch für die Nachtstunden durch ein einfaches, sicheres Verfahren ermöglicht worden.

Der einzige Einwurf, den man der Wiese’schen Methode machen konnte und gemacht hat, bestand darin, daß das rothe Licht der gewöhnlichen Schiffslaternen höchstens zwei Seemeilen weit sichtbar sei. Der Erfinder construirte nun Laternen, deren Licht vermittelst einer verbesserten Lampe und eines besondern Linsensystems weiter trägt, als man es irgend für die Signalsprachen nöthig hat – nämlich vier Meilen – Laternen, die man indessen zunächst als uneinführbar bezeichnet hat, weil sie mit Petroleum gespeist werden. Trotz der augenscheinlichen Wichtigkeit aller dieser Verbesserungen scheint doch bei den maßgebenden Behörden eine große Lauigkeit denselben gegenüber obzuwalten, und es mag sich dies zum Theile daraus erklären, daß man bei uns in Schifffahrtsangelegenheiten gewöhnt ist, den englischen Vorschlägen und Einführungen den Vortritt zu lassen. Der Erfinder hat für seine langen und theuren Versuche nichts als die Mühe und die Genugthuung erhalten, im Allgemeinen die Wichtigkeit seiner Verbesserungen anerkannt zu sehen, ohne aber durch Geld oder eine entsprechende Anstellung dafür entschädigt zu werden. Hoffen wir, daß es ihm nicht gehen möge, wie es W. Bauer mit seinen Erfindungen gegangen ist!

Die Richtigkeit des Gesichtspunktes, von welchem Wiese, statt des kurzen und langen Lichtscheines, weißes und farbiges Licht anwendete, ist soeben auch durch einen Vorschlag eines englischen Physikers, Sir William Thomson, anerkannt worden, sofern derselbe, statt der kurzen und langgezogenen Tönen der Nebelsignale, die Anwendung verschieden hoher Töne vorschlägt, die man vermittelst einer schneller oder langsamer gedrehten Sirene geben könnte. Statt der Sirene, die aus einer schnellgedrehten, am Umfange mit vielen Löchern versehenen Radscheibe besteht, deren Oeffnungen ein Dampfrohr beständig öffnen und schließen und daher je nach der Schnelligkeit der Aufeinanderfolge höhere und tiefere Töne von großer Durchdringungsfähigkeit ergeben, hat ein französischer Physiker, Montenat, kürzlich eine von ihm erfundene Abart der sogenannten chemischen Harmonika vorgeschlagen, ein kupfernes Rohr, in welches an einem Drahte ein Körbchen mit glühenden Kohlen hinabgelassen wird und das dadurch, je nach der verschiedenen Weite des Rohres, tiefe und höhere Töne von großer Intensivität hervorbringt. Da alle diese Vorschläge erst einige Monate oder höchstens zwei bis drei Jahre alt sind, so läßt die lebhafte Inangriffnahme der hochwichtigen Aufgabe ihre baldige Lösung mit Sicherheit erhoffen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jahrgang 1876