Räuberromantik

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Autor: S.
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Titel: Räuberromantik
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 651
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Aussterben eines vermeintlich romantischen Zugs von Straßenräubern (insbesondere von Sándor Rózsa und José María el Tempranillo)
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Räuberromantik.

Aus den verschiedenen Klagen, durch welche sich die allgemeine Unzufriedenheit der Menschen Luft macht, hört man zeitweise auch die Klage über den gänzlichen Verfall jeglicher Romantik heraus, und eine herzhafte Dame, die im vergangenen Winter Andalusien und Catalonien bereiste, um der Eintönigkeit des Lebens in Deutschland zu entgehen, schien mit den Ergebnissen ihrer Reise gar nicht zufrieden zu sein. Sie erzählte wenigstens, „daß sie nicht einmal die Spur eines spanischen Räubers gesehen habe“, und das mit einem unzweideutigen Ausdruck des Bedauerns! Es scheint in der That, daß die Räuberromantik ausgestorben ist, und Vulpius würde heut zu Tage keinen Glauben und keine Theilnahme für jene phantasievollen Schilderungen finden, welche den Erfolg seines vielfach nachgeahmten Romans „Rinaldo Rinaldini“ begründeten. Das war zu jener Zeit, als in den Leihbibliotheken die Gespenstergeschichten rechts, die Ritter- und Räuberromane links standen.

Unser Polizeiwesen, die Hilfsmittel der Zeitungen, des Telegraphen haben den Räubern ihr heimliches Wesen beträchtlich erschwert; die Spitzbuben sind auch „in des Waldes düsteren Gründen“, wo sich’s Rinaldo so wohl sein ließ, nicht mehr sicher, und die Maßregeln, welche Schiller die Behörde ergreifen ließ, um die gefährliche Schar seiner „Räuber“ einzufangen, erscheinen uns heute geradezu lächerlich. Eine halbe Kompagnie Soldaten würde die bramarbasirenden Gesellen Karl Moor’s zu Paaren treiben, und das Stück wäre zu Ende. Wahrscheinlich würden auch „Hernani“ und „Fra Diavolo“, der Bandit im Frack mit dem weltmännischen Wesen und den galanten Manieren (von seinem schönen Tenor gar nicht zu sprechen), alsbald entlarvt werden, und dem bekannten wirkungsvollen Geständnisse Jaromir’s in der „Ahnfrau“:

„… Bin’s, den alle Häscher suchen,
Bin’s, dem alle Väter fluchen etc.“

dürfte der – Steckbrief zuvorgekommen sein.

Die deutschen Rinaldos, „Schinderhannes“ und „bayerischer Hiesel“, deren Namen in der Heldensage des Strolchthums fortleben werden, sind vom Arm der Gerechtigkeit ereilt worden: sie haben Beide ihr mehr als bewegtes Leben auf der Richtstatt geendet und Roszá Sándor, der ungarische – räuberische – Nationalheld hat alternd und gebrochen auf dem Stroh einer Gefängnißzelle in Fünfkirchen seinen Geist aufgegeben. Seinen „Geist“ sage ich, denn Roszá Sándor war kein dummer Spitzbube, und wenn auch nur ein Viertel jener Mythe wahr ist, die sich an seinen weltbekannten Namen knüpft, so muß man ihm eine Begabung zuschreiben, die allenfalls genügt hätte, um für sein Vaterland in anderer Weise bedeutungsvoll zu werden.

Dieser ungarische Räuberhauptmann war ein echter, vielleicht der letzte räuberische Romantiker. Er hielt sich für ein Werkzeug der Vorsehung – wie jene italienischen Banditen, die für ihre Räubereien ganz ernsthaft den Beistand der Madonna erflehen, deren geweihtes Bild sie in der Regel auf der Brust tragen. Dieser Held des Bakonyer-Waldes hat sich auch nie „mit Kleinigkeiten abgegeben“: er zündete Gehöfte und Güter an; er brachte reiche Wucherer um – aber er unterstützte die Bedrängten und Armen, die in Roszá Sándor einen Wohlthäter, einen Erlöser vom Druck der Herrschaft und der Armuth sahen. Nur dadurch läßt sich’s erklären, daß die Häscher jahrelang vergeblich nach dem berühmten Missethäter fahndeten, daß er ihnen immer wieder unter den Fingern entschlüpfte und daß sich seiner Flucht stets nur geringfügige Hindernisse entgegensetzten. Ja er fand sogar noch Unterstützung, und wo sie nicht freiwillig gewährt wurde, wußte er sie zu erzwingen. Dabei war Roszá Sándor ein gutmüthiger, verträglicher Mensch. Man erzählt rührende Züge von ihm, die dem biedersten Menschenfreunde Ehre machen würden; er war nobel und sogar verschwenderisch, wenn es die Mittel desjenigen erlaubten, den er eben ausgeplündert hatte.

Roszá Sándor hatte viele Züge mit seinem Zeit- und Berufsgenossen, dem Spanier José Maria gemein, dessen Name einmal am meisten von sich reden machte von Madrid bis Sevilla, von Sevilla bis Malaga. Der Schriftsteller Merimé beschreibt ihn als schön, tapfer und jung; wenn er einen Eilwagen anhält, reicht er den Damen die Hand beim Aussteigen und sorgt dafür, daß sie bequem im Schatten sitzen, während er – plündert. Nie hört man ein gemeines Wort von ihm – im Gegentheil, sein Benehmen ist tadellos, und im „Verkehre“ mit Damen zeichnet ihn eine natürliche Höflichkeit aus. Zieht er einer Reisenden z. B. einen Ring von der Hand, so sagt er galant: „O Señora, eine so schöne Hand wie die Ihrige bedarf keines Schmuckes!“ Und während er sachte den Ring vom Finger zieht, küßt er die Hand auf eine Weise, daß man glauben möchte, der Kuß habe für ihn mehr Werth als der Ring. Uebrigens ließ er den Reisenden stets so viel Geld, daß sie die nächste Stadt erreichen konnten, und wenn Reisende ihn baten, ein Kleinod behalten zu dürfen, welches für sie einen besonderen Werth besaß, so schlug José Maria eine solche Bitte nicht ab.

Diese Charakteristik liefert die Chronik von ihm. Es werden außerdem einzelne Züge erzählt, die José Maria im Lichte eines wahren Helden erscheinen lassen. Wohlthätigkeit und Freigebigkeit zeichneten ihn vor Allem aus. Ein Beispiel: Eines Tages begegnete José Maria einem armen Hausirer aus der Gegend von Campillo de Arenas, der einen mageren, halbverhungerten und dabei schwer beladenen Esel vor sich hertrieb. José Maria blieb unerkannt und machte sich über das armselige Lastthier lustig.

„O Señor,“ entgegnete der Eseltreiber, „dieses elende Thier verdient mir trotz alledem mein Brot.“

Davon hängt Deine Existenz ab?“ fragte José Maria mitleidig, „und wenn die Mähre heute oder in acht Tagen todt umfällt – sie sieht ganz danach aus … da nimm, es befinden sich 1500 Realen in diesem Beutel, bei dem alten Joaquin steht ein Maulthier zum Verkauf, für welches er 1500 Realen haben will. Kaufe noch heute jenes Thier, feilsche nicht und merke Dir, daß ich Dich und Deinen elenden Esel in den Abgrund werfe, wenn ich euch morgen wieder sehe, – so wahr ich José Maria heiße!“

Damit verschwand er. Der Hausirer erschrak natürlich aufs Heftigste, beeilte sich aber, Joaquin aufzusuchen und für den Beutel Gold das schöne Maulthier einzuhandeln.

In der folgenden Nacht wurde Joaquin von zwei Männern geweckt. „Gieb Dein Geld heraus,“ befahl der Eine.

„Bei Gott, ich habe keines!“ betheuerte der alte Geizhals.

„Du lügst,“ wurde ihm entgegen gedonnert, „Du hast heute Abend ein Maulthier für 1500 Realen verkauft an Den und Den.“

Der Ueberfallene mußte den Beutel Gold hervorsuchen und ihn den Räubern, José Maria’s Spießgesellen, ausliefern.

José Maria’s Bande war nicht zahlreich, bestand aber aus einer Hand voll Männer von erprobter Entschlossenheit und Treue; es wird sich zeigen, wie groß diese Leute von der Treue und der Spitzbubenehre dachten. Als die Königin Isabella die Konstitution beschwor, wurde eine allgemeine Amnestie ertheilt; José Maria’s Personbeschreibung, die an allen Stadtthoren klebte – denn auf seinen Kopf war ein Preis von 8000 Realen gesetzt – wurde entfernt und José Maria trat auf Staatskosten – in Pension. Er hatte indeß stets große Bedürfnisse und mußte daher auch noch eine Stellung annehmen. So wurde er denn Escopetero und übernahm die Verpflichtung, nun selber die Wagen zu schützen, die er so oft gebrandschatzt hatte. Er that seine Pflicht, und die Räuber verschonten die von ihrem einstigen Genossen geführten Wagen. Eines Tages aber hielten etliche keckere Spitzbuben den Eilwagen von Sevilla dennoch an, obwohl José Maria darauf saß, der seinen alten Spießgesellen von der Imperiale herab Warnungsrufe zusandte. Der Anführer der Rotte – „el Gitano“ genannt – feuerte seine Flinte auf ihn ab und tödtete den letzten Romantiker unter den Räubern Spaniens. S.