2) Boeotischer Heros. In Plataiai gehört er zu den ἥρωες ἀρχηγέται der Stadt und hat als solcher einen Kult; Aristeides erhält vor der Schlacht bei Plataiai vom delphischen Orakel den Befehl, ihm zu opfern (Plut. Aristid. 11, 3). In der Nähe von Plataiai, auf der Strasse nach Megara, befand sich ein Fels, κοίτη Ἀκταίωνος geheissen, der ihm der Legende nach zum Ruheplatze nach der Jagd gedient hatte. Ebenda wird an einer Quelle seine Begegnung mit Artemis localisiert (Paus. IX 2, 3). In Orchomenos wanderte er nach seinem Tode mit einem Steine, das Land verwüstend, umher: das Orakel in Delphi befahl, die Überbleibsel des A. zu bestatten und ein ehernes Kultbild von ihm an einen Felsen zu schmieden. Das geschah, und A. hat seitdem in Orchomenos eine jährliche Totenfeier. Paus. IX 38, 5. Rohde Psyche 178. In der Sage ist er der Sohn des Aristaios und der Autonoe, der Tochter des Kadmos: Eur. Bakch. 230. 1227. Kallim. hymn. V 107. Diod. IV 81. Apd. bibl. III 4, 4. Hyg. fab. 180. 181. Ovid. met. II 140. III 720. 721. Stat. Theb. IV 562. 572. Nonn. Dion. V 288. XXXVII 194. Er wird von Cheiron zum Jäger erzogen (Apd. a. a. O.) und erscheint überall als Typus des Jägers, so schon bei Aischylos frg. 241, später z. B. bei Apd. und Nonn. V 289–300. A. wird auf der Jagd von Artemis in einen Hirsch verwandelt und in dieser Gestalt von seinen Hunden zerrissen. Die Sage, eine der populärsten im ganzen Altertum, wird in ihren Einzelheiten verschieden erzählt. Sie war in den Eoien des Hesiod, vielleicht auch von Alkman behandelt: Philod. de piet. 60. Hesiod. frg. 158 Rz. Als Veranlassung der Verwandlung geben die ältesten Zeugen, Akusilaos bei Apollodor a. a. O. und Stesichoros bei Paus. IX 2, 3, an, dass er um Semele sich zu bewerben gewagt habe. Bei Stesichoros erscheint die Verwandlung in einen Hirsch rationalistisch [1210] dahin verändert, dass Artemis dem A. das Fell eines Hirsches um die Schultern geworfen habe, so dass ihn seine Hunde für einen Hirsch hielten und zerrissen; und trotz aller neuerdings ausgesprochenen Zweifel wird daran festzuhalten sein, dass von den Kunstwerken, die den Untergang des A. darstellen, wenigstens die Metope von Selinus (Benndorf Met. v. Selin. Tf. 7. Arch. Ztg. 1883, 239) diese Version kennt, während Polygnot in der Nekyia, indem er A. in einem Hirschfell sitzen und einen Hirschkopf halten lässt, nur die Verwandlung des A. in einen Hirsch andeuten will, Paus. X 30, 5. Bethe Genethl. Gotting. 48ff. Robert Bild und Lied 26; Nekyia d. Pol. 15. 31. 49. 66. 76. Von den Tragikern hat Aischylos die Sage in seinen Τοξότιδες behandelt (Nauck FTG² 77–79). Doch ist von dieser Tragoedie nur soviel kenntlich, dass die Tötung des A. durch seine Hunde darin erzählt ward (frg. 244. 245. Bethe a. a. O. 43). Darstellung der Sage auf der tragischen Bühne bezeugt auch Poll. IV 141. Von Iophon, Kleophon und Phrynichos werden Tragoedien des Namens A. bezeugt durch Suidas s. Ἰοφῶν, Κλεοφῶν, Φρύνιχος. Pantomimus A. bei Varro Sat. frg. 513 Riese und Luk. de salt. 41. Euripides Bakch. 339, dem Diod. IV 81 folgt, giebt als Grund der Verwandlung an, dass A. den Zorn der Artemis erregt habe, indem er sich rühmte, ein besserer Schütze zu sein, als sie. Weitaus am verbreitetsten, aber erst seit alexandrinischer Zeit, ist die Erzählung, A. habe auf der Jagd in der Mittagsglut Artemis überrascht, wie sie mit ihren Nymphen in einem Quell badete, und Artemis habe ihn, teils aus Erbitterung, teils um zu verhindern, dass er dies Erlebnis weiter erzählte, in einen Hirsch verwandelt und so seinen Hunden preisgegeben (Kallim. hymn. V 110ff. Schol. Theokr. V 38. Plut. Sert. 1. Dio Chrysost. II 302, 18. I 158, 14 Dindf. Paus. IX 2, 3. Apd. bibl. III 4, 4. Luc. dial. deor. 16; de morte Per. 2; Saturn. 8; deor. concil. 7. Maxim. Tyr. XXIV 1. Ps.-Kallisth. I 46 p. 52 Dübn. Palaiph. 3. Greg. Naz. carm. II 3, 60. Nonn. Dion. V 300ff. Nonn. in Greg. bei Westerm. Mythogr. 360. Ovid. her. XX 103; met. II 140ff.; trist. II 105. Plin. n. h. XI 125. Seneca Oed. 772; Oed. frg. 13. Stat. Silv. I 5, 56; Theb. III 203 nebst Scholion. Hyg. fab. 180. 181. 247. Prob. Verg. Ecl. II 25. Arnob. III 34. Claud. V 418ff.). Hyg. fab. 180 (ähnl. Nonn. Dion. V 301–317) fügt hinzu, A. habe, beim Anblick der badenden Diana in Leidenschaft entbrannt, ihr Gewalt anthun wollen. Damit ist zu verbinden Diod. IV 81, 4, nach dem A. κατὰ τὸ τῆς Ἀρτέμιδος ἱερὸν διὰ τῶν ἀνατιθεμένων ἀκροτηρίων ἐκ τῶν κυνηγίων προῃρεῖτο τὸν γάμον κατεργάσασθαι τῆς Ἀρτέμιδος (Bethe a. a. O. 48). Ovid. met. II 170ff. und Nonn. Dion. V 316–322 haben den Zug gemeinsam, dass A. in der Verwandlung seinen menschlichen Verstand behält. Häufig erscheint in späteren Quellen, wenn auch vermutlich aus dem ältesten Bestandteil der Sage hinübergenommen, das Motiv, dass Artemis die Hunde des A. wahnsinnig macht. Nikander bei Poll. V 38. Schol. Theokr. V 38. Apd. bibl. III 4, 4. Nonn. Dion. V 336–370. VII 362. VIII 386. XLIV 285ff. Nonn. in Greg. a. a. O. Stat. [1211] Theb. III 203. Claud. V 418. Namenskataloge der Hunde des A. bei Poll. V 57. Apd. bibl. III 4, 4. Ovid. met. II 206ff. Hyg. fab. 181. Nach Kallim. hymn. V 115ff. sammelt Autonoe die Gebeine ihres Sohnes. Das wird von Nonnos, der im fünften Buch der Dionysiaka den kallimacheischen Hymnus stark benutzt, im übrigen aber diese Erzählung in dasselbe Conglomerat von Aristaiosgeschichten einfügt, wie Diodor IV 81, dahin erweitert, dass die Hunde blutbedeckt heimkehren, Autonoe, das Geschick des A. ahnend, seine Überreste sucht, aber nicht findet, bis A. seinem Vater Aristaios im Traume erscheint und den Ort, wo seine Gebeine liegen, beschreibt, worauf dann Autonoe sie findet und bestattet (V 370–551. XLVI 326). Nach Apollod. a. a. O. kommen die Hunde zu Cheiron, der ihren Wahnsinn besänftigt. Nach Nikander a. a. O. gelangen sie bis nach Indien, wo sie den Euphrat überschreiten und gesund werden; ihre Nachkommen sind die sog. indischen Hunde. Von den Hunden des A. leitete man das Sprichwort θρέψαι κύνας ab, mit dem man Undankbare bezeichnete (Schol. Theokr. V 38). An der Stelle, wo A. stirbt, sprudelt ein Quell hervor (Philostr. im. I 14). Die Begebenheit erscheint auf dem Kithairon localisiert (Apd. bibl. III 4, 4. Philostr. a. a. O. Senec. Oed. frg. 13). Specieller wird als Örtlichkeit das Thal Gargaphie angegeben, und darin der Parthenius fons: Ovid. met. II 155–172. Stat. Theb. VII 274. Hyg. fab. 181. Die Darstellungen der Sage durch die bildende Kunst geben für die Sage selbst wenig aus, sind aber kunstgeschichtlich wichtig für die Darstellung der Verwandlungen. Zusammengestellt sind sie bei Otfr. Müller Handb. d. Archaeol. 365, 6. 412, 2. Lenormant-de Witte Élite céramogr. II 324 (pl. 99–103B). Müller-Wieseler DAK II 17, 183–187. E. Schwartz Ann. d. Inst. 1882, 290–299. Bolte De monum. ad Odyss. pertin. (Diss. Berl. 1882) 43–47. Ziehen Bonner Studien 179–187. In der kynischen Dialektik erscheint die Sage verwendet bei Dio Chrysost. I 158, 14 Di. und Varro bei Non. 355 (frg. 513 Riese). Bei Nonnos nimmt A. an dem indischen Zuge des Dionysos teil. Er führt eine Abteilung Boeoter, Dion. XIII 53ff. 80ff. In der Deriadesschlacht kämpft er mit Morrheus, Dion. XXXII 221. Bei den Leichenspielen zu Ehren des Opheltes beteiligt er sich zusammen mit Erechtheus, Skelmis, Phaunos und Achates am Wagenrennnen. Von seinem Vater Aristaios in List und Trug unterwiesen, stürzt er den Phaunos vom Wagen, er erreicht das Ziel als dritter und erhält als Preis einen goldenen Panzer, Dion. XXXVII 155–478 (Nachbildung der ἆθλα ἐπὶ Πατρόκλῳ in der Ilias. R. Köhler Die Dionys. d. Nonn. 68).