3) Anna Perenna, Name einer römischen Göttin, deren aller Wahrscheinlichkeit nach zum ältesten Festcyklus gehörige (vgl. Wissowa De feriis anni Rom. p. XI) feriae am 15. März begangen wurden (Mommsen CIL I² 1, 311). Die Festfeier fand in einem Haine (Annae pomiferum nemus Perennae Martial. IV 64, 17) am ersten Meilensteine der Via Flaminia (Fast. Vatic. feriae Annae Perennae via Flam(inia) ad lapidem primum) statt und galt in erster Linie der Bitte ut annare perennareque commode liceat (Macrob. sat. I 12, 6, vgl. Lyd. de mens. IV 36). Es war nach der Beschreibung Ovids (fast. III 523ff.) ein Volksfest von ausgelassenem Charakter, an dem man auf künftige glückliche Jahre zahllose Becher leerte und namentlich Liebespärchen mit Tanz und ausgelassenen Liedern den Tag ausfüllten (hierauf bezieht sich sowohl der wahrscheinlich corrupte Vers Martial. IV 64, 16 als der Mimus des Laberius Anna Perenna, von dessen erhaltenen zwei Fragmenten eines einer erotischen Scene angehört, vgl. Ribbeck Comic. frg.² p. 279). Die Bedeutung des Festes und der Göttin war nicht nur der grossen Masse, sondern auch den Gelehrten nicht mehr sicher bekannt, denn Ovid zählt nicht weniger als sechs verschiedene Erklärungsversuche auf: die einen identificierten die [2224] Göttin mit der punischen A. (Nr. 1), die nach mannigfachen Irrfahrten nach Latium gekommen sein und im Flusse Numicus ihr Ende gefunden haben sollte, worauf sie unter dem Namen Anna Perenna göttliche Verehrung erhalten habe (Ovid. a. a. O. 545ff., danach Sil. Ital. VIII 50ff.): es ist hier noch deutlich, wie die Namensübereinstimmung und eine thörichte Etymologie (Ovid. v. 654 amne perenne latens Anna Perenna vocor) die Anhaltspunkte für die Erzählung geboten haben. Eine andere Version, wonach bei der Auswanderung auf den heiligen Berg eine alte Frau aus Bovillae die hungernde Plebs täglich mit frischem selbstgebackenem Brote versorgt und dafür ein Standbild (signum perenne) erhalten haben sollte (Ovid. v. 661ff.), knüpft wohl nicht, wie Usener (Rh. Mus. XXX 208) meinte, an eine Wesensverwandtschaft mit Annona, sondern an die griechische Überlieferung von der ägyptischen Brotbäckerin Ἀννᾶ (s. Nr. 2) an. Wenn man ferner die Göttin als Mondgöttin deutete oder mit griechischen Gottheiten wie Themis, Io oder Hagno (Ovid. v. 657ff. und dazu Merkel Proleg. p. CCXIVf.) identificierte, so lassen sich dabei die Wege, die die gelehrte Combination eingeschlagen hat, noch teilweise erkennen. Der Deutung als Luna, quia mensibus impleat annum (Ovid. v. 657), liegt die richtige Auffassung der Α. Ρ. als Jahresgöttin und die allein mögliche Ableitung ihres Namens von annus zu Grunde: die Lage ihres Festes im ersten Monate der ältesten Jahresordnung und die Festgebräuche lassen eine Jahresgöttin mit voller Sicherheit erkennen. Der Doppelname ist nicht mit Usener so aufzufassen, als seien Anna und Perenna ursprünglich getrennte Kultbegriffe gewesen, sondern es sind zwei Bezeichnungen, welche das Wesen der Göttin von den entgegengesetzten Polen her umfassen, sie ist Anna ac Peranna (so Varro sat. Menipp. frg. 506 Buech.), Göttin des Jahresanfanges und des Jahresschlusses (perannare in der Bedeutung ‚das Jahr bis zu Ende durchleben‘ bei Suet. Vesp. 5), ebenso wie Ianus Patulcius Clusivius, Carmenta Prorsa Postverta heisst (vgl. auch Panda Cela Varro a. a. O., condus promus Plaut. Pseud. 608). Die von Klausen (Aeneas u. d. Penaten 717ff., vgl. auch Mommsen Unterital. Dial. 248f.) verfochtene Deutung der Α. Ρ. als einer Quellgöttin bedarf nach H. Useners glänzenden Ausführungen (Rh. Mus. XXX 206ff.; vgl. auch O. Meltzer in Roschers Lexik. I 355ff.; ganz verfehlt Ε. Teltscher Über das Wesen der Anna Perenna und der Dido, Mitterburg 1877), durch welche die Auffassung der Göttin als einer Jahresgottheit endgültig gesichert worden ist, keiner ausführlichen Widerlegung mehr; auch letzterem wird man allerdings im einzelnen nicht immer folgen können, besonders wenn er (a. a. O. 224ff.) ein von Ovid (fast. III 675ff.) vorgetragenes und allem Anscheine nach erfundenes lascives Geschichtchen, in dem Mars, Minerva und A. die Figuranten abgeben, für uralte Volkssage hält und entsprechend verwertet.
Die Erwähnung eines Annae (so der Bamberg., Antoniae die übrigen Hss., Dianae Preller) templum bei Plin. n. h. XXXV 94 und eines Annae sacrum in dem Kalender des Philocalus zum 18. Juni beruhen auf so trüber und unsicherer [2225] Überlieferung, dass sie von der Untersuchung ausgeschlossen bleiben müssen.