RE:Ariovistus
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
---|---|---|---|
| |||
German. Fürst | |||
Band II,1 (1895) S. 842 (IA)–845 (IA) | |||
Ariovist in der Wikipedia | |||
GND: 118952498 | |||
Ariovist in Wikidata | |||
Bildergalerie im Original | |||
Register II,1 | Alle Register | ||
|
Ariovistus. Ausser dem Berichte Caesars über seine Kämpfe mit A., bell. gall. I 30–54 (im folgenden mit Caes. und der Kapitelzahl oder nur mit dieser angeführt), besitzen wir einen zusammenhängenden noch bei Dio Cass. XXXVIII 34–50; im wesentlichen geht er auf Caesars Commentarien zurück, deren Erzählung stark verkürzt und ungenau wiedergegeben ist, ausserdem hat Dio eine weitschweifige Rede Caesars, die länger ist als der ganze Bericht, verfasst und eingelegt (c. 36–46) und möglicherweise in der Erzählung der Entscheidungsschlacht (c. 49) einiges anderen Quellen entnommen. Aber wie der ganze Bericht hat auch diese Schlachtbeschreibung, die sich in Allgemeinheiten bewegt, keinen geschichtlichen Wert. Ebenso liefern die vereinzelten Erwähnungen, die sich sonst finden, keine Erweiterung unserer Kenntnis. Nach der militärischen und topographischen Seite hin ist der Kampf zwischen A. und Caesar eingehend behandelt von A. v. Göler Caesars gallischer Krieg, zweite Ausgabe von E. A. v. Göler 1880, 36–55, wo auch die abweichenden Ansichten anderer und die Litteratur darüber verzeichnet sind.
Rex Germanorum wird er von Caesar 31, 10 genannt, ebenso von Frontinus strat. II 1, 16, Germanorum dux Liv. Per. CIV; als rex Suevorum ist er ohne Namenangabe bezeichnet bei Plin. n. h. II I70; von den Heerhaufen, die im J. 696 = 58 nachrücken wollten, sagt Caesar c. 54 hoc proelio trans Rhenum nuntiato Suebi, qui ad ripas Rheni venerant, domum reverti coeperunt, vgl. c. 37, 4. Aber da Suebi in der Zeit Caesars lediglich ein Sammelname für rechtsrheinische germanische Stämme war, so lässt sich aus ihm nichts Näheres über A.s Stammesangehörigkeit folgern.
Ungefähr um das J. 71 war A. mit seinen germanischen Scharen in Gallien eingedrungen; denn nur eine ungefähre Zeitbestimmung liefern A.s Worte, dass seine Germanen seit 14 Jahren nicht unter Dach und Fach gewesen wären (Caes. 36, 7), da abgesehen davon, dass hier eine prahlerische Übertreibung vorliegen kann, keineswegs gesagt ist, dass A.s Wanderzüge mit dem Einmarsch nach Gallien ihren Anfang nahmen. In Gallien herrschte damals Streit zwischen den beiden mächtigsten Gauen, den Haeduern und den Sequanern. Da jene sich auf die Römer stützten, riefen die Sequaner zu ihrer Hülfe A. herbei, der mit einem Heer von 15 000 Mann den Rhein überschritt (Caes. 31, 5), das sich durch beständige Zuzüge in den folgenden Jahren vergrösserte, so dass im J. 58 gegen 120 000 Germanen in Gallien standen. In lange währenden Kämpfen erlitten die Haeduer mit ihren Clienten wiederholte Niederlagen (Caes. 31, 6. VI 12), zuletzt eine entscheidende bei Admagetobriga (dies ist die richtige Lesart bei Caes. 38, 12, vgl. Holder Altkeltischer Sprachschatz u. d. W.). Die Schlacht fällt wahrscheinlich nicht lange vor das J. 694 = 60, in dem Cicero idibus Martiis schreibt, [843] Aedui fratres nostri pugnam nuper malam pugnarunt (ad Att. I 19, 2), und der Senat ausserordentlicherweise den Consuln duas Gallias als Provinzen bestimmte. Da aber die Römer damals nicht eingriffen, so waren die Haeduer, deren gesamter Adel gefallen war (Caes. c. 31, 6. VI 12, 13), schutzlos dem Sieger preisgegeben. Die Haeduer wurden den Sequanern botmässig, mussten ihnen und A. (35, 3) Geiseln stellen (Caes. c. 31, 7) und an A. einen jährlichen Tribut zahlen (36, 3). A. siedelte sich im Gebiet der Sequaner an, die ihm ein Drittel ihres Gebietes abtreten mussten; als kurz vor Caesars Ankunft in Gallien noch ein Haufe der Haruder zu A. über den Rhein gezogen war, forderte A. von den Sequanern noch ein zweites Drittel (c. 31, 10). Der römischen Provinz drohten die ernstesten Gefahren, wenn das übrige Gallien durch den beständigen Zuzug von jenseits des Rheins unter germanische Herrschaft kam. Divitiacus, einer der Vornehmsten der Haeduer, war selbst nach Rom gegangen, um den Senat um Hülfe zu bitten, doch vergeblich; über dem inneren Hader wurden die gallischen Angelegenheiten vernachlässigt. Ja im J. 695 = 59 ward A. sogar als rex atque amicus vom Senat anerkannt und in das Verzeichnis der befreundeten Könige (formula amicorum) aufgenommen, c. 35, 2. 49, 2. Plut. Caes. 19. Appian. Celt. 16. Dio XXXVIII 54. Caesar liess durch seine Gesandten A. gegenüber diese Anerkennung hinstellen als tantum suum populique Romani beneficium; in Wirklichkeit kann er nur beabsichtigt haben, A. für einige Zeit hinzuhalten und Angriffe auf die römische Provinz zu verhindern.
Die Besiegung und Zurücktreibung der Helvetier durch Caesar im J. 696 = 58 erweckte bei den Galliern die Hoffnung, mit seiner Hülfe das germanische Joch abzuschütteln. Mit Caesars Bewilligung hielten die gesamten gallischen Gaue eine Versammlung, und im Auftrage dieser bat Divitiacus Caesar um Schutz gegen A.s drückende Herrschaft (c. 30–32). Caesar, der die Begründung eines germanischen Reiches auf gallischem Boden nicht dulden konnte, ging bereitwillig auf die Bitten der Gallier ein und forderte A. auf, zu einer Besprechung vor ihm zu erscheinen. A. gab die in seiner Stellung als unabhängiger Fürst vollkommen berechtigte Antwort: si quid ipsi a Caesare opus esset, sese ad eum venturum fuisse; si quid ille se velit, illum ad se venire oportere (c. 34). Caesar stellte darauf durch seine Gesandten die bestimmte Forderung, A. solle die Geiseln der Haeduer zurückgeben, den Haeduern kein Unrecht zufügen und keine neuen Scharen über den Rhein führen, sonst würde Caesar die Rechte der befreundeten Haeduer mit den Waffen schützen. A. lehnte diese Forderung unter Berufung auf das Recht des Siegers ab und stellte Caesar anheim, zu erproben, was seine unbesiegbaren Germanen im Kampfe vermöchten (c. 32–36).
Erneute Klagen der Haeduer über Angriffe der Haruder oder der Trevirer über ihre Bedrohung durch neue germanische Scharen, welche im Begriffe standen, den Rhein zu überschreiten, veranlassten Caesar, sofort den Marsch gegen A. anzutreten. Er beschleunigte ihn noch mehr, als er erfuhr, dass auch A. vom Rhein her aufgebrochen [844] sei, um sich der Hauptstadt der Sequaner zu bemächtigen, des fest gelegenen Vesontio (Besançon). Caesar kam ihm zuvor und besetzte die Stadt (c. 37–38). Nachdem er den Ungehorsam seines Heeres, das von panischem Schrecken vor den Germanen gelähmt, nicht weiter marschieren wollte, bemeistert hatte (c. 39–40. Front. strat. I 11, 3 = IV 5, 11. Dio XXXVIII 35ff. Plut. Caes. 19), brach er von Vesontio auf und marschierte mit einem beträchtlichen Umwege — er wollte das enge Flussthal des oberen Doubs vermeiden — ohne Unterbrechung sieben Tage lang, bis er sich in der Nähe von A.s Stellung befand, der im oberen Rheintal (etwa in der Nähe des heutigen Belfort) lagerte (c. 41). Eine persönliche Zusammenkunft von Caesar und A., die einige Tage später auf einem Hügel stattfand, führte bei der Unvereinbarkeit der Interessen zu keinem Ergebnis, ebensowenig die Entsendung von Gesandten, die Caesar, wie er berichtet (c. 47. Appian. Celt. 17) auf A.s Bitten noch einmal in sein Lager schickte. Sehr bezeichnend aber für die damaligen römischen Verhältnisse wie für A.s Vertrautheit mit ihnen ist es, dass A. Caesar erklären konnte quodsi eum interficeret, multis sese nobilibus principibusque populi Romani gratum esse facturum; id se ab ipsis per eorum nuntios compertum habere (44, 12). Nach dem Scheitern der Verhandlungen brach A. sein Lager ab, marschierte an Caesars Lager vorbei, umging Caesars Stellung und schlug ein neues Lager auf, von welchem aus er Caesar die Zufuhr aus dem Gebiet der Haeduer und Sequaner abschnitt. Caesar, derart zum Schlagen gezwungen, bot A. täglich die Schlacht an, aber A. versagte sich ihm. Um die Zufuhren aus dem Gebiet seiner gallischen Verbündeten und die Verbindung mit Vesontio zu sichern, schlug Caesar oberhalb des Lagers A.s in einer Entfernung von 1200 Schritt ein zweites kleineres Lager auf, in das er zwei Legionen und Auxiliartruppen legte. Ein Angriff, den A. gegen dieses unternahm, wurde abgeschlagen (c. 49–50). Caesar liess am folgenden Tage die Hülfstruppen vor dem kleineren Lager sich so aufstellen, dass sie den Anschein erweckten, als ständen dort Legionstruppen, die beiden Legionen aber marschierten, ungesehen von A., nach dem grösseren Lager und vereinigten sich dort mit den übrigen. Mit den gesamten Legionen, die in drei Treffen gegliedert waren, rückte Caesar gegen A.s Lager vor. Obwohl die weisen Frauen der Germanen verboten hatten, eine Schlacht vor dem Neumond zu liefern (c. 50, 4. Front. strat. II 1, 11. Dio XXXVIII 48. Plut. Caes. 19), sah sich A. jetzt zu einer solchen gezwungen und führte die sämtlichen germanischen Scharen aus dem Lager heraus und stellte sie in Schlachtordnung, hinter der die Karren und Wagen standen mit den Weibern und Kindern. Auf beiden Seiten siegten zuerst die rechten Flügel; als der linke römische Flügel ins Weichen kam, schickte der junge P. Crassus, dem Caesar den Befehl über die Reiterei übergeben hatte, das dritte Treffen, welches bisher als Reserve noch zurückgehalten war, dem weichenden Flügel zu Hülfe. Damit wurde die Schlacht zu Gunsten der Römer entschieden. Bei dem Mangel jeder Reserve löste sich das gesamte germanische [845] Heer sofort auf und floh nach dem etwa eine Meile entfernten Rhein, um den Übergang zu gewinnen. Da Caesars Reiterei die Flüchtigen verfolgte, erreichten nur wenige das Ziel; doch entkam A. selber auf einem Kahn, während seine beiden Frauen auf der Flucht niedergemacht wurden; von seinen beiden Töchtern ward die eine getötet, die andere gefangen genommen (c. 51–53; kurze Erwähnungen der Schlacht Liv. Per. CIV. Flor. II 44. Oros. VI 7. Plut. Caes. 19. Appian. Celt. 1; über Dio s. o.). A. muss bald darauf gestorben sein; denn im J. 54 wurde der Schmerz der Germanen über A.s Tod und die erlittene Niederlage als Grund der allgemeinen Erregung der germanischen Stämme angeführt (V 29, 3). Das geschichtliche Ergebnis dieser Kämpfe war ein sehr bedeutsames: die suebischen Scharen, welche an den Rhein gerückt waren, um Gallien zu überfluten, kehrten in ihre Heimat zurück, und die Gefahr, dass auf gallischem Boden germanische Reiche begründet wurden, war für Jahrhunderte beseitigt.